Wolfgang Hien
Wolfgang Hien (* 1949[1][2]) im Erstberuf Chemielaborant und langjährig tätig als Industriearbeiter[1][3], seit Anfang der 1990er Jahre Arbeits- und Gesundheitswissenschaftler, ist als Forscher, Referent, Berater und vielfacher Buchautor hervorgetreten. Mit seinen sozialhistorisch, medizinsoziologisch sowie biographisch ausgerichteten Arbeiten[2] zu berufsbedingten Belastungen und Krankheiten hat er vor allem in gewerkschaftlichen und betrieblichen Diskussionen Beachtung gefunden.[4] Er lebt und arbeitet in Bremen.[5] Sein bisheriges Hauptwerk Die Arbeit des Körpers. Von der Hochindustrialisierung bis zur neoliberalen Gegenwart erschien 2018 im Wiener Mandelbaum Verlag ist in erweiterter und korrigierter Fassung 2022 neu aufgelegt worden.[6]
Ausbildung und politische Orientierung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nach Ausbildung und langjähriger betrieblicher Erfahrung als Chemielaborant, Industriearbeiter[2][7] und Gewerkschaftsaktivist[1] studierte er Biochemie und Philosophie in Heidelberg sowie Soziologie, Psychologie, Pädagogik und Arbeitswissenschaft in Bremen, was 1988 zu einem Abschluss als Diplom-Pädagoge und 1992 zur gesundheitswissenschaftlichen Promotion zum Dr. rer. pol. (summa cum laude) führte.
Hien war als Jugendlicher in der katholischen Jugendbewegung engagiert, wo er sein anhaltendes Interesse für die Befreiungstheologie entwickelte. Er hat sich schon Mitte der 1960er Jahre in der Lehrlingsbewegung engagiert und war Anfang der 1970er Jahre in wichtige Auseinandersetzungen um die inhaltlichen Orientierungen im Zweiten Bildungsweg involviert.[3] Gegen die Erziehung zur Anpassung vertrat Hien radikal emanzipatorische Ideen, an denen er bis heute festhält.[8]
Aktivitäten in der Betriebsgesundheitsbewegung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Wolfgang Hien kann als Mitbegründer und Mitorganisator einer Betriebsgesundheitsbewegung gesehen werden, die sich in den 1970er Jahren als Teil der betrieblichen Basisgruppenarbeit herausbildete.[9] Als Fachmensch für Toxikologie und Berufskrankheiten war Hien aktiv in der „Mitmischer“-Gruppe bei Degussa, Frankfurt am Main, sowie in der gleichnamigen Gruppe bei der BASF Ludwigshafen. Er organisierte 1981 im Rahmen des Bochumer Büros für Betriebsfragen eine bundesweite Konferenz zum Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Hien war im Rahmen der Gesundheitsladenbewegung beteiligt am Aufbau arbeitermedizinischer Gruppen in Mannheim, Frankfurt, Bochum und Bremen. Hier gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Berufsverbandes arbeits- und berufsbedingt Erkrankter.[10] Seit den 1990er Jahren unterstützt Hien Berufserkrankte in ihren Anerkennungsverfahren, z. B. bei Harnblasenkrebs durch aromatische Amine, bei Lungenkrebs durch Asbestfaserstäube oder bei Blutkrebs durch Benzol, das in Kraftstoffen enthalten war oder beim Schweißen und Flämmen von Beschichtungsstoffen entstehen kann. Seit den 2000er Jahren beschäftigt sich Hien intensiv mit psychischen Belastungen am Arbeitsplatz, mit arbeits- und berufsbedingten Depressionserkrankungen und arbeits- und berufsbedingtem Suizid. In Schulungen für gewerkschaftliche Aktivisten – IG Metall, Freie Arbeiter*innen-Union und IWW – gibt Hien seine Erfahrungen und Ideen an die jüngere Generation weiter. Viele der ursprünglichen Forderungen der Betriebsgesundheitsbewegung fanden Eingang in das geltende Arbeitsschutzrecht, wurden aber damit zugleich auch bürokratisiert und vom unmittelbaren Erleben der Menschen abgehoben. Hien sieht aufgrund der Prekarisierung der Arbeit jedoch weiter einen hohen Bedarf an betrieblicher Basisarbeit zum Thema Gesundheit und Krankheit. Die Notwendigkeit dessen hat nicht zuletzt die Corona-Gefährdung gezeigt.[11]
Beruflicher Werdegang und aktuelle Arbeitsschwerpunkte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Seit (1988[12] oder) 1989 ist Hien in Forschung und Lehre tätig; zwischen 2003 und 2005 war er Referatsleiter für Gesundheitsschutz beim DGB-Bundesvorstand.
Seit Januar 2006 ist er Inhaber und Leiter des Forschungsbüros für Arbeit, Gesundheit und Biographie. Seine dortigen Arbeitsschwerpunkte sind: Krankheit und Gesellschaft; Erinnerungsprojekt Vulkan; Arbeitssituation, Arbeitsbiographie; Arbeitsbedingte Erkrankungen; Probleme der Arbeitsmedizin; Sozialgeschichte der Arbeit; Arbeit, Altern und Krankheit sowie Männlichkeitsmuster im Arbeitsverhalten.[13] Für Hien ist in der Arbeitswelt immer auch ein berufsethischer Bezug wichtig, d. h. es geht ihm nicht nur um die wissenschaftliche Analyse, sondern auch um die Frage, mit welcher Reichweite jemand Verantwortung für Arbeit, Leben und Gesundheit eines anderen Menschen trägt.[14]
Vielbeachtet ist Hiens Rückblick auf Wechselwirkungen zwischen Umwelt-, Gesundheits- und Arbeiterbewegung in der BRD der 1970er und 1980er Jahre[15], ebenso wie sein neuester Beitrag zur Öffnung der Debatten um die politischen Einschätzungen der Corona-Pandemie.[16][17]
Buchveröffentlichungen seit 2008
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Irgendwann geht es nicht mehr. Älter werden und Gesundheit im IT-Beruf, VSA: Hamburg, 2008.
- Pflegen bis 67? Die gesundheitliche Situation älterer Pflegekräfte, Mabuse: Frankfurt am Main, 2009.
- Kranke Arbeitswelt. Ethische und sozialkulturelle Perspektiven, VSA: Hamburg, 2016.
- zusammen mit Herbert Obenland, Schadstoffe und Public Health. Ein gesundheitswissenschaftlicher Blick auf Wohn- und Arbeitsumwelt. Aachen: Shaker, 2017.
- Die Arbeit des Körpers. Von der Hochindustrialisierung in Deutschland und Österreich bis zur neoliberalen Gegenwart. Mit einem Nachwort von Karl Heinz Roth, Mandelbaum: Wien, 2018 [o. Verf.: REZENSION/696: Wolfgang Hien - Die Arbeit des Körpers (SB). In: Schattenblick. 2. Juli 2018, abgerufen am 17. Februar 2019 (ISSN 2190-6963). ] (2. korrigierte und erweiterte Auflage 2022, ISBN 978-3-85476-798-5).
- zusammen mit Peter Birke, Gegen die Zerstörung von Herz und Hirn. „68“ und das Ringen um menschenwürdige Arbeit, VSA: Hamburg 2018.
- mit Herbert Obenland und Peter Birke: Das andere 1968, Die Buchmacherei, Berlin 2022, ISBN 978-3-9823317-3-7.
- Eine Revolte der Natur. Gesellschaftskritik in Zeiten einer Pandemie, Die Buchmacherei, Berlin 2022, ISBN 978-3-9823317-7-5.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Literatur von und über Wolfgang Hien im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Veröffentlichungen von Wolfgang Hien von 1986 bis 2000
- 12 Treffer (12. Februar 2019) zu Wolfgang Hien bei Labournet Germany
- Wolfgang Hien bei der Universität Bremen
Einzelnachweise und Anmerkungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b c Hien/Birke, Gegen die Zerstörung von Herz und Hirn, 2018, rückwärtige Umschlagseite
- ↑ a b c Angaben zu meiner Person, auf wolfgang-hien.de
- ↑ a b Wolfgang Hien, Herbert Obenland, Peter Birke: Das andere 1968. Von der Lehrlingsbewegung zu den Auseinandersetzungen am Speyer-Kolleg 1969-72. 1. Auflage. Die Buchmacherei, Berlin 2022, ISBN 978-3-9823317-3-7, S. 94 ff.
- ↑ Zum Beispiel:
- Rezension von Stefan Schoppengerd: »Alles, aber anders« – Peter Birke und Wolfgang Hien über den Lebensweg eines betrieblichen 68ers, in: express. Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 11/2018
- Gerd Peter: Rezension zu Wolfgang Hien et al., Ein neuer Anfang wars am Ende nicht, VSA: Hamburg, 2007. (PDF [1 Seite; 440 KB]) In: Arbeit. Zeitschrift für Arbeitsforschung, Arbeitsgestaltung und Arbeitspolitik. 2008, S. 69, abgerufen am 19. Februar 2019 (ISSN 0941-5025; ZDB-ID1106284-8).
- Buchauszug von Wolfgang Hien, Arbeit des Körpers, 2018 in: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für soziale Medizin (hrsg. von Verein Demokratischer Ärztinnen und Ärzte) 2/2018, 22 – 25.
- Rezension von Peter Nowak zu: Gegen die Zerstörung von Herz und Hirn, in: der Freitag, Nr. 43, 25. Oktober 2018; online: Homepage des Rezensenten
- Rezension ohne Verfasserangabe zu: Kranke Arbeitswelt von Wolfgang Hien, in: Wildcat Nr. 100, Sommer 2016; online Homepage der Zeitschrift.
- ↑ Kontakt, auf wolfgang-hien.de
- ↑ Wolfgang Hien Die Arbeit des Körpers, auf mandelbaum.at
- ↑ Autorinnen und Autoren, in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts Heft 4/1988, S. 172 – 173 (172): „Tätigkeit als Chemielaborant in der chemischen Industrie und der Krebsforschung“.
- ↑ Rezension von Peter Nowak: »Flaschenpost aus dem proletarischen 1968« – Besprechung zu »Das andere 1968« von Peter Birke, Wolfgang Hien und Herbert Obenland, in: express. Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 07–08/2022
- ↑ Wolfgang Hien: Gesundheit als politische Kategorie. Wechselwirkungen zwischen Umwelt-, Gesundheits- und Arbeiterbewegung in der BRD der 1970er und 1980er Jahre. Hrsg.: Sozial.Geschichte Online. Heft 23. DuEPublico, Duisburg 2018, doi:10.17185/duepublico/47047.
- ↑ Verband arbeits- u. berufsbedingt Erkrankter. Abgerufen am 25. Juni 2023.
- ↑ Wolfgang Hien: Corona-Pandemie: Gesundheitsschutz, Arbeitsverhältnisse, Pflegearbeit. Hrsg.: Sozial.Geschichte.Online. Nr. 29. DuePublico, Duisburg 2021, S. 219–251.
- ↑ Autorinnen und Autoren, in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts Heft 4/1988 (!), S. 172 – 173 (172): „Lehrbeauftragter im Fachbereich ‚Arbeits- und Bildungswissenschaften‘ an der Universität Bremen“.
- ↑ Schwerpunkte & Themen, auf wolfgang-hien.de
- ↑ Risikoabwägungen bei kanzerogenen Gefährdungen – ethische und moralische Herausforderungen, In: Gefahrstoffe – Reinhaltung der Luft, Band 81 (2021), Heft 11–12, S. 415–423
- ↑ Wolfgang Hien: Gesundheit als politische Kategorie. Wechselwirkungen zwischen Umwelt-, Gesundheits- und Arbeiterbewegung in der BRD der 1970er und 1980er Jahre. (PDF [465 KB]) In: Sozial.Geschichte Online. Heft 23. 2018, S. 167 – 198, abgerufen am 13. Februar 2019.
- ↑ Katharina Liebsch, Matthias Martin Becker, Nadja Rakowitz, Thomas Ebermann, Verena Kreilinger, Wolfgang Hien: Denken statt Talkshow - Reflexionen zur Pandemie. Diskussion, veranstaltet vom Ver.di Fachbereich Besondere Dienstleistungen Hamburg. 2. März 2022, abgerufen am 21. Dezember 2022 (deutsch).
- ↑ Wolfgang Hien: Eine Revolte der Natur. Gesellschaftskritik in Zeiten einer Pandemie. 1. Auflage. Die Buchmacherei, Berlin 2022, ISBN 978-3-9823317-7-5.
Personendaten | |
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NAME | Hien, Wolfgang |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Arbeitswissenschaftler |
GEBURTSDATUM | 1949 |