Yirgalem Fisseha Mebrahtu

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Yirgalem Fisseha, 2024
Yirgalem Fisseha bei einer Preisverleihung, 2023

Yirgalem Fisseha Mebrahtu (* 1981 in Adi Keyh)[1] ist eine eritreische Lyrikerin, Schriftstellerin und Journalistin. Seit 2018 lebt sie als politisch Geflüchtete im Exil in München.

Leben und Wirken

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Yirgalem Fisseha Mebrahtu schrieb bereits als Kind Gedichte. Seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre beteiligte sie sich an Literaturveranstaltungen, zunächst in ihrer Schule, später in privaten und staatlichen Medien.[2] Sie gründete mit anderen jungen Autoren und Autorinnen den Adi Keyh-Literatur-Club, der zu einem Netzwerk ähnlicher Gruppen gehörte, die als Wiederbelebung der eritreischen Literatur wahrgenommen wurde.[2] Bis zum Verbot privater Medien 2001 (siehe: Pressefreiheit in Eritrea) arbeitete sie als unabhängige Journalistin und veröffentlichte Gedichte in Literaturzeitschriften.

2002 besuchte sie in der Hauptstadt Asmara das Teacher Training Institute. Von September 2003 bis Februar 2009 war sie Autorin, Moderatorin und Programmdirektorin beim Radiosender Radio Bana des eritreischen Bildungsministeriums. Dort produzierte sie Gesundheitsnachrichten, interviewte Ärzte und informierte über HIV.[3] Am 9. Februar 2009 wurde sie mit ca. 30 weiteren Personen im Gebäude des Radiosenders verhaftet, wobei sie die einzige Frau unter den Festgenommenen war.[3]

Es wurde ihr vorgeworfen, Verbindungen mit ausländischen Medien zu unterhalten, weitere der willkürlichen Vorwürfe umfassten ein vermeintlich geplantes Attentat auf den Präsidenten und Herabwürdigung von Politikern.[4] Die ersten beiden Jahre verbrachte sie in Isolationshaft im Mai Swra-Gefängnis, wo sie auch gefoltert wurde. Nach 6 Jahren Haft ohne Anklage und ohne Gerichtsverfahren wurde Fisseha Mebrahtu 2015 entlassen. Um 2017 versuchte sie aus Eritrea zu fliehen, wurde jedoch an der Grenze festgenommen und erneut für vier Monate inhaftiert. Nach ihrer Entlassung gelang ihr die Flucht nach Uganda.[5][6][7][8]

Die Umstände ihrer Gefangenschaft erzielten im Rahmen einer Debatte über die Menschenrechte in Eritrea ein großes internationales Medieninteresse.[5][9][10][11] Sie wurde von PEN International und dem im Exil arbeitenden PEN Eritrea unterstützt. Reporter ohne Grenzen nahm sie 2014 in ihre erstmalig erstellte „Liste der 100 Helden der Pressefreiheit“ auf.[12]

Im Dezember 2018 konnte Yirgalem Fisseha Mebrahtu als Stipendiatin des Writers-in-Exile-Stipendiums des PEN-Zentrum Deutschland nach München kommen.[13] Seit Februar 2022 lebt sie in einer eigenen Wohnung.[14]

2019 veröffentlichte sie 130 Gedichte aus der Zeit vor der Haft und nach der Freilassung im Exil. Sie erschienen zunächst als ኣለኹ (Ich bin am Leben) in ihrer Muttersprache Tigrinisch im exil-eritreischen እሕታሚ እምኵሉ (Emkulu Verlag) mit Sitz in Schweden, 2022 wurde die deutsche Übersetzung bei Das Wunderhorn als Ich bin am Leben veröffentlicht.[15] Nach Verlagsangaben sind die Gedichte zwei Kategorien zuzuordnen: „Ruhe, Feigheit und Bescheidenheit und Mut“ einerseits und andererseits „de[r] Höhepunkt der Spannungen, das Schlachtfeld von Laster und Anstand, Gewalt und Gerechtigkeit, die Zerstörung und Kontinuität von Generationen, Verfolgung und Tod.“[16] Die Rezeption des Gedichtbands war einhellig positiv; so bewertete ihn etwa der WDR als „mehr als beeindruckend“, und die Neue Zürcher Zeitung lobte die „bildstarke, nüchterne Sprache“ sowie eine „bestürzende Nüchternheit“.[17][18]

2022 erschienen zudem auf Tigrinisch 33 Kurzgeschichten und Essays, in denen Yirgalem Fisseha Mebrahtu sich von ihrer Verfolgung löst und freiere Themen wählt.[1]

Im deutschen Exil engagiert sie sich in der Vernetzung geflüchteter Schriftstellerinnen,[19] vertritt die Münchner PEN-Exil-Autorinnen[20] und nimmt an Literaturveranstaltungen teil, etwa im Bellevue di Monaco[21] oder in der Region[22], sowie seit 2022 an der Aktion Weiter Schreiben des Frauenprojekts Wir machen das, das geflüchtete Autorinnen bei der Fortsetzung ihrer Arbeit unterstützt.[23]

Zwei Autorinnen im Dialog: Tanja Kinkel und Yirgalem Fisseha Mebrahtu
Commons: Yirgalem Fisseha Mebrahtu – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. a b Literaturportal Bayern: Yirgalem Fisseha Mebrahtu, abgerufen am 26. Juli 2022
  2. a b PEN International: 'Becoming a writer is an offense in the eyes of the regime' an interview with Yirgalem Fisseha Mebrahtu, 19. März 2019 (abgerufen am 3. Juli 2024)
  3. a b Julia Huber: Die Freiheit, zu sagen, was ist. Süddeutsche Zeitung, 21. Oktober 2020, S. R6
  4. a b Fritz-Bauer-Forum: Yirgalem Fisseha Mebrahtu – Ich hoffe, dass andere, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, ihre Geschichten ebenfalls erzählen werden, abgerufen am 16. Juli 2022
  5. a b Falter vom 13. November 2019: Noch immer am Leben. Ein Land, ein Gefängnis: Die eritreische Lyrikerin Yirgalem Fisseha Mebrahtu war sechs Jahre in Haft. Jetzt lebt sie in München; abgerufen am 19. November 2019
  6. WDR 3 Kultur am Montag vom 18. Oktober 2019: Stimme Eritreas: Yirgalem Fisseha Mebrahtu (Audiodatei); abgerufen am 19. November 2019
  7. Deutscher Kulturrat: Yirgalem Fisseha Mebrahtu; abgerufen am 19. November 2019
  8. a b Bayerischer Rundfunk vom 5. November 2019: Wir kämpfen für das Leben; abgerufen am 19. November 2019
  9. epd.de: Wochenspiegel vom 21. Oktober 2019; abgerufen am 19. November 2019
  10. ARTICLE 19 vom Oktober 2012: Eritrea: A Nation Silenced (PDF; englisch); abgerufen am 19. November 2019
  11. PEN International: Writers in prison Committee. Caselist January–December 2013 (PDF; englisch) (Memento des Originals vom 13. März 2022 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/pen-international.org; abgerufen am 19. November 2019
  12. Reporter ohne Grenzen: Helden der Pressefreiheit 2014, abgerufen am 19. Juli 2022
  13. PEN-Zentrum Deutschland: Die aktuellen Writers-in-Exile-Stipendiaten 2019; abgerufen am 19. November 2019
  14. Süddeutsche Zeitung: Welt der Worte, 7. Februar 2022, S. R2
  15. a b Das Wunderhorn: Ich bin am Leben, abgerufen am 16. Juli 2022
  16. a b እሕታሚ እምኵሉ: ኣለኹ, 2019 (deutsche Google-Übersetzung), abgerufen am 16. Juli 2022
  17. "Jugendfreunde" aus: "Ich bin am leben" von Yirgalem Fisseha Mebrahtu. 1. August 2023, abgerufen am 7. August 2023.
  18. Renate Wiggershaus: Gedichte aus dem Gefängnis. Die Eritreerin Yirgalem Fisseha Mebrahtu war mehrere Jahre inhaftiert. Schreibend hielt sie die Verzweiflung in Schach. Abgerufen am 7. August 2023.
  19. Süddeutsche Zeitung: Was bleibt, ist die Wut – Das Schamrock-Festival der Dichterinnen ist diesmal besonders politisch ausgerichtet, 23. Oktober 2020, S. R16
  20. Süddeutsche Zeitung: Freiheit des Wortes. 9. Oktober 2020, S. R16
  21. Süddeutsche Zeitung: Schreiben gegen die Gewalt, 6. Juni 2022
  22. Veronica Bezold: Mit Heine und syrischem Rap für die Freiheit. In: Süddeutsche Zeitung Regionalausgabe Bad Tölz / Wolfratshausen, 15. Februar 2022, S. R7
  23. a b Weiterschreiben: Yirgalem Fisseha Mebrahtu, abgerufen am 26. Juli 2022
  24. Über den eindrucksvollen Gedichtband von Yirgalem Fisseha Mebrahtu. Abgerufen am 28. April 2023 (deutsch).
  25. እሕታሚ እምኵሉ: ዘይበረየ ጐድነይ, 2022 (deutsche Google-Übersetzung), abgerufen am 26. Juli 2022
  26. akonoadmin: akonos Herbstvorschau 2023. In: akono. 24. Mai 2023, abgerufen am 20. Oktober 2023 (deutsch).
  27. PEN Eritrea: Yirgalem Fisseha Mebrahtu Receives PEN Eritrea’s Freedom of Expression Award; abgerufen am 19. November 2019
  28. Buch Wien 2019: Yirgalem Fisseha Mebrahtu@1@2Vorlage:Toter Link/www.buchwien.at (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Juni 2024. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.; abgerufen am 19. November 2019
  29. Václav Havel Library: Disturbing the Peace Award 2021: Short List of Nominees Announced, abgerufen am 19. Juli 2022
  30. “Für ihren beeindruckenden Einsatz gegen undemokratische Strukturen – für Demokratie”. In: PEN-ZENTRUM. 10. Juli 2023, abgerufen am 7. August 2023 (deutsch).
  31. EHEMALIGE STIPENDIAT*INNEN. PEN Deutschland, abgerufen am 19. Oktober 2023 (deutsch).