Zeltgarten (Breslau)

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Der Zeltgarten (auch Apollotheater,[1] später Kinotheater Varieté)[2] war um 1900 ein bekanntes Varietétheater,[3] „eines der prächtigsten Etablissements von Breslau“.[2]

Plan des Zeltgartens, 1847

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wandelte sich in Breslau das Stadtbild. Es entstanden Promenaden, die sich im Laufe der Zeit durch zunehmend aufwertende Gestaltung zu bedeutenden Repräsentations- und Erholungsbereichen entwickelten. Im hinteren Teil angrenzender Grundstücke entstand eine Reihe von Theatern mit Blick auf die eigenen Gärten, die sich zur Promenade hin öffneten. Eines von ihnen war der Zeltgarten, entsprechend der Lage teilweise auch „Promenaden-Theater“ genannt.[4]

Die Bezeichnungen sind nicht immer eindeutig, da sowohl das Theatergebäude als auch der Konzertgarten oder beide Einrichtungen gemeint sind.

Pläne des Architekten Lüdecke von 1847 zeigen den Entwurf des ursprünglichen Souterrains[5] und des ersten Stockwerks.[6] 1871 wurde das Theater unter Mitwirkung der Architekten Friedrich Barchewitz, Walter Kyllmann und Adolf Heyden erweitert.[7]

Das zweigeschossige Theater hatte eine Saalkapazität von etwa 900 Personen, verfügte außerdem über Restaurants und eine Gartenanlage mit Musikpavillon.[7]

Besitzer war für lange Zeit Carl Scholtz, Betreiber der Schultheiss-Brauerei Pfeifferhof.[7]

Das Varieté und auch das Gebäude existieren heute nicht mehr. Nach der Zerstörung im Krieg entstand später hier die Shopping-Galerie Dominikanska.[8]

Das Theaterprogramm

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Breslauer Zeitung am 30. November 1880 über eine Veranstaltung im Zeltgarten

Neben den internationalen, typischen Varietédarbietungen wie Jonglage, Seilartistik, Equilibristik, Tierdressur, Komik, Verwandlungskunst u. a.[9] gab es im Zeltgarten Sportveranstaltungen, oft Boxkämpfe und Schwerathletik.[10] Zum Publikum zählte meist ein „junges vergnügungssüchtiges Publikum, oft aus akademischen oder studentischen Kreisen, sowie Schriftsteller und Künstler“.[11][12]

Zum Programm gehörten auch zahlreiche musikalische Beiträge, sowohl innerhalb von Varietéaufführungen als auch bei eigenständigen Konzerten.[9] Auch „Lustspiele und Possen“ gehörten zum Theaterangebot.[1]

1904 fand im Zeltgarten ein Screening des Stummfilms Der große Eisenbahnraub statt.[13]

Der Zeltgarten in der Literatur

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Der Name des Breslauer Theaters ist bis in die Gegenwart in einer Reihe von Literaturveröffentlichungen zu finden, darunter damalige Reiseführer von Baedecker,[14] Bradshaw[15] und anderen,[16] Branchenfachbücher[17][18] und mehrere Romane von Ralph Giordano.[19][20][21]

Der Dichter Oskar Kanehl schrieb ein Sport-Gedicht mit dem Titel Im Zeltgarten, das die Stimmung bei einem Ringkampf im Zeltgarten beschreibt und im Oktober 1913 in der literarisch-politischen Wochenzeitschrift Die Aktion veröffentlicht wurde.[22][23]

  • 1884 gab es einen besonders spektakulären Programmpunkt im Zeltgarten. Nicht allein die Tatsache, dass es sich um den dressierten Elefanten „Sheriff“ handelte, beschäftigte die Presse. Die auslösende Rolle spielte die Säumigkeit seines „Herrchens“. Der Artist schuldete einem anderen Varieté eine Konventionalstrafe, was den Einsatz eines Gerichtsvollziehers zur Folge hatte. Dieser durchschritt in offizieller Uniform den Saal des Zeltgartens, erregte damit beim Publikum großes Aufsehen, wurde dann hinter der Bühne zum Stall geleitet, wo der „mächtige, dressierte, aber deshalb nicht ungefährliche Vierfüßler“ weilte. Es galt, diesen Elefanten im Wert von 20.000 Mark zu pfänden. „Unter dumpfen Trompetenstößen“ näherte sich der Elefant dem Gerichtsvollzieher, hob seinen Rüssel „drohend zum Schlage“. Ein Wächter schützte den Mann, so dass dieser die Pfändungsmarke an der Stalltür anbringen konnte. Der Elefant riss diese wieder ab und vernichtete sie, was aber nichts an der Rechtsgültigkeit der Pfändung änderte. Der Bitte des völlig unschuldigen Zeltgarten-Besitzers, den Elefanten trotzdem bis zum Ende des Engagements auftreten zu lassen, wurde nachgekommen.[24]
  • An jedem 15. Monatstag spielte im Zeltgarten das Orchester den Walzer „Songe d'Automne“ von Archibald Joyce – genau wie das Orchester auf der „Titanic“ kurz vor dem Untergang. Es wird heute vermutet, dass dies auf Wunsch von Ortsbewohnern geschah, Angehörigen von Opfern der Katastrophe.[8]

In späteren Jahren wurde das Varieté-Theater zum Kino umgebaut. Die Eröffnung 1923 war ein gesellschaftliches Ereignis in Gegenwart zahlreicher Prominenz. Die „Lichtspielbühne“ besaß ausgedehnte Vorräume, Wandelhallen und zwei Foyers. Sie galt als das „größte und modernste Theater im deutschen Osten“.[25]

Commons: Zeltgarten Breslau – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

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  1. a b Sittenfeld, Ludwig: Geschichte des Breslauer Theaters von 1841 bis 1900. Breslau 1909, S. 350. (Digitalisat)
  2. a b Stowarzyszenie Wratislaviae Amici (Webmaster): https://polska-org.pl [polnisch]. (Website) abgerufen am 16. August 2024.
  3. Anton, Ralph (Webmaster): deutsche-schutzgebiete.de, Breslau. (Website) abgerufen am 12. August 2024.
  4. vgl. Jacek Purchla (Academic editor): Theatre architecture of the late 19th century in Central Europe: International Conference for the Centenary of the Municipal Theatre Inauguration, 7-8 October 1993. Cracow 1993, ISBN 83-85739-24-6, S. 110. [englisch] (Digitalisat)
  5. Carl Johann Bogislaw Lüdecke: Haus Scholz [Zeltgarten], Breslau, Grundriss Souterrain, Erdgeschoss. o. J. In: Architekturmuseum der TU Berlin, Inv. Nr. 6585. (Digitalisat)
  6. Carl Johann Bogislaw Lüdecke: Haus Scholz [Zeltgarten], Breslau, Grundriss 1. Obergeschoss. o. J. In: Architekturmuseum der TU Berlin, Inv. Nr. 6584. (Digitalisat)
  7. a b c Fotopolska.eu: Wroclaw, Etablissement Zeltgarten [polnisch]. (Website) abgerufen am 12. August 2024.
  8. a b Rafal Zilinski: Nowy Breslauerski Koktajl o Smaku Lat 30. In: Wyborcza, Gazeta Lokalna – Wroclaw, 28. Juni 2013. [polnisch] (Archiv-Website)
  9. a b s. Anzeigen und Artikel in sehr zahlreichen Ausgaben der damaligen Breslauer Zeitung
  10. NISH/Niedersächsisches Institut für Sportgeschichte (Hrsg.), Jahrbuch 2029/20, 22./23. Jahrgang, Hannover 2020, ISBN 978-3-932423-42-0, S. 63, 65. (Digitalisat)
  11. vgl. Max Herrmann-Neiße: Ein Dichter erlebt Breslau. 1932, in: Klaus Völker: Der Todeskandidat. (Prosa 2). Frankfurt/Main 1987, S. 615–621, hier S. 618 f.
  12. vgl. Andreas Kramer: Sport und literarischer Expressionismus. In: Frank Krause, Andreas Kramer (Hg.): Expressionismus und Kulturgeschichte. Band 1, Göttingen 2019, ISSN 2626-5214, ISBN 978-3-8471-0939-6, S. 42.
  13. Universität Köln: The German Early Database, Der Grosse Zugüberfall. (Website) abgerufen am 12. August 2024. [Anmerkung: Der originale Filmtitel lautet Der große Eisenbahnraub]
  14. Karl Baedeker: Deutschland und Österreich: Handbuch für Reisende. Coblenz 1869, S. 193.
  15. Bradshaw, George: Bradshaw's illustrated hand-book to Germany. London 1896, ISBN 1-357-31243-1, ISBN 978-1-357-31243-5, S. 61. [englisch]
  16. Führer durch Breslau und dessen Umgebung: Festgabe zur 47sten Versammlung, dritte umgearbeitete Auflage Deutscher Naturforscher und Aerzte. Verlag von E. Morgenstern, Breslau 1874. (Digitalisat)
  17. Martin Rempe: Art, Play, Labour: The Music Profession in Germany. Leiden/Boston 2023, ISBN 9789004542723, S. 91.[englisch]
  18. L. Carson (Editor): The Stage Year Book, London 1909, S. 466. [englisch]
  19. Ralph Giordano: Sizilien, Sizilien!: Eine Heimkehr. Köln 2004, ISBN 978-3-462-03438-7, S. 65.
  20. Ralph Giordano: Erinnerungen eines Davongekommenen: Die Autobiographie. Köln 2008, ISBN 3-462-04003-0, ISBN 978-3-462-04003-6, S. 16.
  21. Ralph Giordano: Die Bertinis. Frankfurt am Main 1988, ISBN 978-3-596-25961-8, S. 19.
  22. Oskar Kanehl: Im Zeltgarten. In: Die Aktion. Nr. 40, 4. Oktober 1913, Sp. 933–934.
  23. Hermann Korte: „Europa, dieser Nasenpopel aus einer Konfirmandennase.“ Gottfried Benn und der koloniale Europa-Diskurs im literarischen Frühexpressionismus. In: Benn Forum. Walter de Gruyter, 2011, ISBN 978-3-11-027259-8, S. 8. (Digitalisat)
  24. Ausführlicher Pressebericht über den „Elefanten im Zeltgarten“: Stettiner Zeitung, Abend-Ausgabe, Nr. 340, Mittwoch, den 23. Juli 1884, S. 3. (Digitalisat)
  25. Der Kinematograph, Sammlung 1924-05, 18. Jg., Nr. 883, Berlin 1924, S. 13 / n156. (Digitalisat)

Koordinaten: 51° 6′ 30,2″ N, 17° 2′ 25,2″ O