Özcan Mutlu

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Özcan Mutlu (2013)
Özcan Mutlu als Präsidiumsmitglied bei der Bundesversammlung zur Wahl des 12. Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier

Özcan Mutlu (* 10. Januar 1968 in Kelkit, Türkei) ist ein ehemaliger deutscher Politiker (Bündnis 90/Die Grünen) und heutiger Unternehmensberater. Er ist ehrenamtlicher Präsident des Behinderten- und Rehabilitations-Sportverbandes Berlin.[1] Er war Mitglied des 18. Deutschen Bundestages.

Mutlu ist alevitisch,[2] lebt seit 1973 in Berlin und erhielt 1990 die deutsche Staatsangehörigkeit. Er absolvierte von September 1985 bis Februar 1989 eine Ausbildung zum Informationselektroniker an der TU Berlin. Im Anschluss studierte er von 1989 bis 1993 an der Technischen Fachhochschule Berlin (TFH) im Fachbereich Elektrotechnik und schloss als Dipl.-Ing. (FH) der Nachrichtentechnik ab. Ein Praktikum an der Universität von Nebraska (USA) verknüpfte er 1992 mit einem Auslandsaufenthalt in Omaha (USA). Danach schloss sich von 1993 bis 1999 eine berufliche Tätigkeit als Planungsingenieur in einem Telekommunikationsunternehmen an. Von 2018 bis 2019 war er Mercator Senior Fellow des Istanbul-Policy-Center (IPC).[3] Seit dem 1. Oktober 2022 ist Mutlu Senior Advisor bei der Unternehmungsberatung Gauly Advisors.[1]

Im Jahr 2016 gab er das Buch Politik ohne Grenzen: Migrationsgeschichten aus dem Deutschen Bundestag heraus. In dem Buch porträtierte er 22 Abgeordnetenkollegen mit Migrationshintergrund aus allen Fraktionen des 18. Deutschen Bundestags. Der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert schrieb das Vorwort zum Buch, das auch bei der Bundeszentrale für politische Bildung unter demselben Titel erschienen ist. Anlässlich des 60. Jubiläums des Deutsch-Türkischen-Anwerbeabkommens in Oktober 2021 brachte er das Buch 60 Jahre – Wie Deutschland zur Heimat wurde[4][5] mit einem Vorwort von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier heraus. In dem Buch porträtiert er 27 erfolgreiche Gastarbeiterkinder, wie zum Beispiel das Biontech-Gründerpaar Uğur Şahin und Özlem Türeci.

Mutlu wurde im Jahr 1990 Mitglied der Grünen. Von Mai 1992 bis Oktober 1999 war er Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung des Bezirks Kreuzberg. Von Oktober 1999 bis September 2013 war er Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin, 1999 und 2006 erhielt er ein Direktmandat und vertrat den Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg 3 im Abgeordnetenhaus. Mutlu wurde 1999 zum bildungspolitischen Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gewählt. Bis 2006 war er zudem Mitglied des Innenausschusses, wo er für Integration und Migrationspolitik zuständig war.

Bei der Bundestagswahl 2009 wurde er durch seine Partei auf Platz 4 der Landesliste nominiert, verpasste jedoch den Einzug in den Bundestag knapp. Mit der Wahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin im Oktober 2011 wurde Mutlu als bildungspolitischer Sprecher seiner Fraktion auch stellvertretender Vorsitzender des Bildungsausschusses sowie Mitglied im Ausschuss für Europa- und Bundesangelegenheiten, Berlin-Brandenburg und Medien. Dort war er zuständig für die Europa- und Türkeipolitik seiner Fraktion.

Im Sommer 2011 geriet er durch umstrittene Vorgänge in die Medien.[6][7][8] Am 10. Mai 2013 thematisierte die Berliner Tageszeitung B.Z. den Besuch einer Millî Görüş Koran Lesung mit 3000 Besuchern im Berliner Tempodrom durch Özcan Mutlu und Ilkin Özisik (SPD).[9] Die Autoren Lukas Hermsmeier und Lars Petersen zitieren Mutlu „Ich habe die Gemeinschaft Milli Görüs lange gemieden, nun wollte ich selbst mal schauen, was an den Vorwürfen ist“, so der Abgeordnete zur B.Z. Es sei eine versöhnliche Veranstaltung gewesen, auf der ausschließlich Deutsch gesprochen wurde. Dieser Besuch einer Großveranstaltung des vom bundesdeutschen Verfassungsschutz beobachteten Millî Görüş wurde dann auch am 27. Mai 2013 von Maximilian Popp und Fidelius Schmid im Wochenmagazin Spiegel unter der Überschrift Millionentransfer nach Ankara thematisiert.[10]

Bei der Bundestagswahl 2013 kandidierte Mutlu als Direktkandidat im Bundestagswahlkreis Berlin-Mitte und war zugleich auf Listenplatz 2 der Grünen Bundestagsliste nominiert. Sein Wahlkampf bekam große mediale Beachtung.[11][12][13] Entsprechend dem bundesweiten negativen Trend für die Grünen gelang es ihm nicht, ein Direktmandat zu gewinnen. Er zog aber über die Landesliste in den Bundestag ein. Mit der Wahl zum Mitglied des Deutschen Bundestages wurde er auch zum Sprecher für Bildungspolitik und Sprecher für Sportpolitik der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag und er war zugleich Berichterstatter seiner Fraktion für das Thema Bürgerbeteiligung. Er war Ordentliches Mitglied und Sprecher seiner Fraktion im Sportausschuss[14] und im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung.[15] und Stellv. Vorsitzender der Deutsch-Türkischen-Parlamentsgruppe im Deutschen Bundestag. Während seiner Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag war Mutlu wiederholt als Prozess- und Wahlbeobachter in der Türkei.[16]

2017 setzte er sich für die Freilassung des Journalisten Deniz Yücel[17][18] sowie des Menschenrechtsaktivisten Peter Steudtner[19][20] ein. Mutlu wurde kritisiert, weil er an der nicht Namentlichen Abstimmung des Bundestags zur Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern nicht teilgenommen hat. Jahre später eröffnete Mutlu, seine Familie sei in der Türkei vor der Abstimmung von Sicherheitskräften aufgesucht worden und er habe sich dadurch eingeschüchtert gefühlt.[21]

Bei der Bundestagswahl 2017 trat Mutlu wieder im Bundestagswahlkreis Mitte an. Er musste sich jedoch erneut seiner Konkurrentin von der SPD, Eva Högl, geschlagen geben und konnte auch nicht mehr über die Landesliste in den Bundestag einziehen. Im November 2019 erhielt er zusammen mit Ekrem İmamoğlu, dem Oberbürgermeister der Stadt Istanbul und Michael Müller, dem Regierender Bürgermeister von Berlin, den Deutsch-Türkischen-Freundschaftspreis[22] in der Kategorie Politik für seinen Einsatz für den Deutsch-Türkischen Dialog und für seine Aktivitäten im Bereich der Bildung und Integration.[23] Im Mai 2022 gründete er mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes den Verband Deutsch-Türkischer-Städtepartnerschaften e. V. (DTSV e. V.) mit Sitz in Berlin. Der Verein fördert und vernetzt kulturelle Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei im Rahmen von Städtepartnerschaften.

Zur Bundestagswahl 2021 verlor er die parteiinterne Abstimmung zur Nominierung im Wahlkreis Berlin-Mitte gegen Hanna Steinmüller und die zur Nominierung auf die Landesliste der Berliner Grünen. Zuvor war ihm von parteiinternen Gegnern vorgeworfen worden, gezielt Mitglieder zum Beitritt in die Partei anzuwerben, um ihn bei der Nominierung zu unterstützen. Mutlu bestreitet diese Vorwürfe.[24][25][26]

Mitgliedschaften

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Commons: Özcan Mutlu – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. a b Mutlu verstärkt das Berliner Büro von Gauly Advisors. In: politik-kommunikation.de. Politik & Kommunikation, 17. September 2021, abgerufen am 22. September 2021.
  2. Aleviten – die anderen Türken in Deutschland. In: Die Welt. 4. März 2011 (welt.de).
  3. Istanbul-Policy-Center (IPC)
  4. Wie Deutschland zur Heimat wurde - 60 Jahre Deutsch-Türkisches Anwerbeabkommen. 4. Oktober 2021, abgerufen am 13. September 2022 (deutsch).
  5. Julius Betschka: Ugur Sahin, Özlem Tureci und das Wirtschaftswunder: Kinder von türkischen Gastarbeitern erzählen über Deutschland. In: Tagesspiegel. Abgerufen am 17. August 2022.
  6. Vorwürfe wegen Vermittlertätigkeit SPD hat noch Fragen an den Grünen Mutlu 29. Juni 2011 Tagesspiegel von Stefan Jacobs
  7. Umstrittener Einsatz Mutlus Türkische Uni will nach Berlin 7. August 2011 Tagesspiegel von Lars von Törne
  8. Opfer oder Täter? Özcan Mutlu und ein bizarrer Streit an der Wurstbude 8. August 2011 Tagesspiegel von Lars von Törne
  9. Koranlesung Was tut Mutlu in dieser dubiosen Gemeinschaft?, B.Z. 10. Mai 2013
  10. ISLAM Millionentransfer nach Ankara, Maximilian Popp und Fidelius Schmid, Der Spiegel 27. Mai 2013
  11. Mit Charme und Schläue tritt Özcan Mutlu in Mitte an. In: Berliner Morgenpost, 2. September 2013.
  12. Wahlkreis Berlin-Mitte: Kampf um das Herz der Republik. In: Spiegel Online, 19. September 2013.
  13. Stefan Alberti: Özcan Mutlu will's direkt: Im Dauerlauf. In: Die Tageszeitung: taz. 28. August 2013, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 24. August 2022]).
  14. Mitglieder Sportausschuss – 18. Bundestag. (Memento vom 27. September 2016 im Internet Archive) In: Bundestag online, abgerufen am 20. September 2014
  15. Mitglieder Bildungsausschuss – 18. Bundestag (Memento vom 3. April 2016 im Internet Archive)
  16. Hubertus Volmer: "Erdoğan wird Europa seinen Bizeps zeigen". Abgerufen am 4. Januar 2020.
  17. WELT: „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel: „Sie sollen merken - Wir lassen den Jungen nicht alleine“. 23. Februar 2017 (welt.de [abgerufen am 4. Januar 2020]).
  18. WELT: Aus Parlament verwiesen: Abgeordnete tragen im Bundestag „Free Deniz“-Shirts. 9. März 2017 (welt.de [abgerufen am 4. Januar 2020]).
  19. Steudtner: Testfall für deutsch-türkische Beziehungen. Abgerufen am 4. Januar 2020.
  20. "Eine kleine Chance für eine Normalisierung". Abgerufen am 4. Januar 2020.
  21. Drohungen nach Armenien-Resolution: Özcan Mutlu: "Wir wurden alle angeklagt". In: Der Tagesspiegel Online. ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 13. September 2022]).
  22. Deutsch-Türkischer-Freundschaftspreis
  23. Müller und Imamoglu nehmen Freundschaftspreis entgegen. 7. November 2019, abgerufen am 4. Januar 2020.
  24. Stefan Alberti: Grünen-Politiker will in den Bundestag: „Versteckt habe ich mich nicht“. In: Die Tageszeitung: taz. 26. August 2020, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 20. Juli 2022]).
  25. Grüne haben sichere Listenplätze vergeben – das sind die Kandidaten. In: tagesspiegel.de. 22. März 2021, abgerufen am 25. März 2021.
  26. Julius Betschka, Robert Kiesel: Die Berliner Grünen sind weniger geschlossen, als es scheint. In: Der Tagesspiegel Online. 1. März 2021, ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 20. Juli 2022]).
  27. Stiftung Lesen | Kuratorium. In: stiftunglesen.de. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 25. August 2017; abgerufen am 24. Mai 2016.