2-Carboxybenzaldehyd
Strukturformel | |||||||||||||||||||
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Allgemeines | |||||||||||||||||||
Name | 2-Carboxybenzaldehyd | ||||||||||||||||||
Andere Namen |
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Summenformel | C8H6O3 | ||||||||||||||||||
Kurzbeschreibung |
weißes bis blassrotes Kristallpulver[1] | ||||||||||||||||||
Externe Identifikatoren/Datenbanken | |||||||||||||||||||
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Eigenschaften | |||||||||||||||||||
Molare Masse | 150,13 g·mol−1 | ||||||||||||||||||
Aggregatzustand |
fest | ||||||||||||||||||
Dichte | |||||||||||||||||||
Schmelzpunkt | |||||||||||||||||||
Löslichkeit |
löslich in Wasser, Diethylether, Ethanol[4], in Methanol[1] und Dimethylsulfoxid | ||||||||||||||||||
Brechungsindex |
1,4500 (25 °C, 589 nm)[5] | ||||||||||||||||||
Sicherheitshinweise | |||||||||||||||||||
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Toxikologische Daten | |||||||||||||||||||
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa). Brechungsindex: Na-D-Linie, 20 °C |
2-Carboxybenzaldehyd ist zugleich ein aromatischer Aldehyd (Benzaldehyd) und eine aromatische Carbonsäure (Benzoesäure) mit orthoständiger Anordnung der Substituenten. Die 2-Formylbenzoesäure steht im Gleichgewicht (Ring-Ketten-Tautomerie) mit dem cyclischen Lactol 3-Hydroxyphthalid, das mit Alkyl- und Aryl-Grignard-Verbindungen substituierte Phthalide bildet.[6] Neben Phthalid-Derivaten leiten sich aus 2-Carboxybenzaldehyd auch andere benzoanellierte Heterocyclen, wie z. B. Isoindolinone oder Phthalazinone[7] mit unterschiedlichen pharmakologischen Eigenschaften ab, darunter u. a. das Antihistaminikum Azelastin.
Vorkommen und Darstellung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]2-Carboxybenzaldehyd wurde erstmals 1887 als Phthalaldehydsäure aus Phthalid dargestellt und beschrieben.[8] Durch Einwirkung von Brom auf Phthalid entsteht 2-Bromphthalid, das durch Erhitzen mit Wasser in einer Gesamtausbeute von 78 bis 83 % in 2-Formylbenzoesäure überführt wird.[9]
Die Synthese von 1-Dichlormethyl-2-(trichlormethyl)benzol durch Photochlorierung von o-Xylol wurde ebenfalls 1887 berichtet.[10]
Die Hydrolyse des Pentachlorxylols zum 2-Carboxybenzaldehyd erfolgt durch Kochen mit FeCl3-haltiger Salzsäure.[11]
Bei der Umsetzung von Phthalsäureanhydrid mit Natriumtetracarbonylferrat wird nur eine der Carboxygruppen zum Aldehyd reduziert, die zweite bleibt unverändert.[12]
Dabei wird 2-Carboxybenzaldehyd in einer Ausbeute von 61 % erhalten.
In einer Laborvorschrift ist die Oxidation von Naphthalin mit alkalischem Kaliumpermanganat angegeben, die allerdings nur eine Reinausbeute an 2-Carboxybenzaldehyd von 39 % liefert.[13] Auch die Oxidation von Naphthalin mit Ozon zu 2-Formylbenzoesäure[14] bietet keine wesentlichen Vorteile.
Eigenschaften
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Reiner 2-Carboxybenzaldehyd ist ein weißes Kristallpulver, das sich in Wasser und in kurzkettigen Alkoholen löst. In fester Form und in den meisten Lösungsmitteln liegt die Substanz in Folge von Ring-Ketten-Tautomerie als (racemisches) 3-Hydroxyphthalid (Lactol) vor.[11]
Anwendungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In der Lactol-Form als 3-Hydroxyphthalid [3-Hydroxy-1(3H)-isobenzofuranon] verhält sich 2-Carboxybenzaldehyd wie ein Carbonsäureanhydrid und reagiert mit Alkoholen glatt zu 3-Alkoxyphthaliden.[11]
Auch mit anderen nucleophilen Verbindungen, wie z. B. Thiolen, Aminen, Amiden usw., reagiert 3-Hydroxyphthalid ohne Katalysatorzusatz zu den entsprechenden Derivaten.[11] So liefert die Umsetzung mit z. B. Morpholin in 91%iger Ausbeute 3-Morpholinylphthalid.[15]
3-Hydroxyphthalid reagiert mit Thionylchlorid glatt unter Austausch der Hydroxygruppe (80–90 % Ausbeute) zum 3-Chlorphthalid.[15]
Mit Grignard-Verbindungen lässt sich die Hydroxygruppe gegen den entsprechenden Alkyl- bzw. Aryl-Rest austauschen.[6]
In Gegenwart von (+)-Cinchonin können bei der Umsetzung von (racemischem) 3-Hydroxyphthalid mit Carbonsäureanhydriden zu den entsprechenden chiralen 3-substituierten Phthaliden bei hohen Produktausbeuten Enantiomerenüberschüsse bis zu 90 % ee erzielt werden.[16]
Einen alternativen Zugang zu (racemischen) 3-substituierten Phthaliden mit hohen Ausbeuten eröffnet die Reaktion von 2-Carboxybenzaldehyd und β-Ketosäuren in Gegenwart der Base 4-Anisidin und in Glycerin als Lösungsmittel.[17]
Mit Hydrazin bzw. Alkylhydrazinen entstehen unter Säurekatalyse mit K10-Montmorillonit und Mikrowellenbestrahlung in quantitativer Ausbeute 1-(2H)-Phthalazinone in praktisch quantitativer Ausbeute.[18]
Phthalazinone [1(2H)-Phthalazinone] sind wichtige Bausteine für Naturstoffe, Feinchemikalien und pharmazeutische Wirkstoffe.[19]
Das als Vasodilatator wirksame Antihypertensivum Hydralazin ist aus 1(2H)-Phthalazinon nach Chlorierung zum 1-Chlorphthalazin und Reaktion mit Hydrazin zugänglich.[20]
2-Carboxybenzaldehyd eignet sich auch zur Darstellung von N-substituierten Isoindolinonen (1-Isoindolinonen, 2,3-Dihydroindol-1-onen), die bei der Reaktion mit primären Aminen in Gegenwart von Platin-Nanodrähten und geringem Wasserstoffdruck in 1,4-Dioxan in sehr hohen Ausbeuten entstehen.[19]
Führt man die Reaktion von 2-Carboxybenzaldehyd mit primären Aminen in Gegenwart von Dimethylphosphit durch, erhält man zunächst die entsprechenden Isoindolin-1-on-3-phosphonate, die nach Aktivierung mit Butyllithium mit aromatischen Aldehyden, wie z. B. Benzaldehyd in einer Horner-Wadsworth-Emmons-Reaktion in sehr hohen Ausbeuten in 3-(Arylmethylen)isoindolin-1-one überführt werden können.[21]
In jüngerer Zeit hat 2-Formylbenzoesäure wegen seiner Reaktivität größeres Interesse als vielseitig verwendbarer Molekülbaustein in Multikomponentenreaktionen, z. B. der Ugi-Reaktion, zum Aufbau heterocyclischer annellierter Aromaten gefunden.
Funktionalisierte Isoindolinone sind in einer Dreikomponenten-Reaktion auch mit 2-Formylbenzoesäure und 2-Bromanilinen durch Palladium-katalysierte Carbonylierung in hohen Ausbeuten zugänglich.[22]
Eine weitere Dreikomponenten-Reaktion – hier als Strecker-Synthese ausgeführt – mit 2-Carboxybenzaldehyd, primären Aminen und Kaliumcyanid in Methanol liefert im sauren Medium ein N-substituiertes Isoindolinon-1-carbonitril, formal mit zwei Mol HCN ein Aminoacetonitril-Derivat des Isoindolinons.[23]
Beim Einsatz von 2-Formylbenzoesäure, Kaliumcyanid und äquimolarer Mengen primärer aromatischer Amine und Essigsäure werden substituierte Isochromen-1-one (Isocumarine, 1H-2-Benzopyran-1-one) in guten Ausbeuten erhalten.[24]
Die erhaltenen Isochromenone lagern sich beim Erhitzen in DMSO unter Ringverengung in substituierte Isobenzofurane bzw. mit katalytischen Mengen Iod in Triethylamin quantitativ in Isoindolinone um.[25]
Mit Isonitrilen statt Kaliumcyanid reagieren 2-Carboxybenzaldehyd und primäre aromatische Amine in Methanol zu substituierten Isochromen-1-onen, die mit Säurespuren zu Isoindolinonen umlagern.[26]
Synthesevarianten für das als Lokalanästhetikum wirksame Isochinolin-Derivat[27] Quinisocain[28] und das Antihistaminikum Azelastin[29] basieren ebenfalls auf 2-Carboxybenzaldehyd als Ausgangsstoff.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b c d Eintrag zu 2-Carboxybenzaldehyd bei TCI Europe, abgerufen am 30. Juli 2017.
- ↑ a b c d Datenblatt 2-Carboxybenzaldehyde bei Alfa Aesar, abgerufen am 30. Juli 2017 (Seite nicht mehr abrufbar).
- ↑ Datenblatt 2-Carboxybenzaldehyde bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 30. Juli 2017 (PDF).
- ↑ William M. Haynes: CRC Handbook of Chemistry and Physics, 97th Edition. CRC Press, Boca Raton, FL, U.S.A. 2016, ISBN 978-1-4987-5429-3, S. 3–278.
- ↑ Carl L. Yaws: Thermophysical Properties of Chemicals and Hydrocarbons, 2nd Edition. Elsevier Inc., Oxford, UK 2015, ISBN 978-0-323-28659-6, S. 183.
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