Abschluss völkerrechtlicher Verträge in Bundesstaaten
Zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge in Bundesstaaten können der Gesamtstaat (Bund) oder die Gliedstaaten (Bundesländer, Kantone) berechtigt sein. Die Abschlusskompetenz ergibt sich aus dem innerstaatlichen Verfassungsrecht des jeweiligen Gesamtstaats.
In weiterer Folge stellt sich aber auch die Frage zur innerstaatlichen Umsetzung. Hier kann das Problem auftreten, dass der Gesamtstaat mit Drittstaaten einen völkerrechtlichen Vertrag abschließt, den er jedoch nicht erfüllen kann, weil der Vertrag auch Gegenstände regelt, die nach seiner Verfassung in die Zuständigkeit der Gliedstaaten fallen. Nach den allgemein geltenden Vorschriften des Völkerrechts (vgl. Art. 27 Wiener Vertragsrechtskonvention) kann sich ein Staat gegenüber seinen Vertragspartnern nicht auf sein innerstaatliches Recht (einschließlich seiner Verfassung) berufen, um die Nichterfüllung eines Vertrags zu rechtfertigen.
Teilweise enthalten die nationalen Verfassungen Regelungen, die dem Gesamtstaat ermöglichen, die Umsetzung der von ihm abgeschlossenen Verträge auch dann durchzusetzen, wenn diese eigentlich Angelegenheiten umfassen, die nicht in die Zuständigkeit des Gesamtstaates fallen. Teilweise sind solche Regelungen in Verträgen des Gesamtstaates mit den Gliedstaaten, wie dem Lindauer Abkommen in der Bundesrepublik Deutschland, enthalten.
Teilweise berücksichtigen die völkerrechtlichen Verträge selbst in einer Bundesstaatsklausel den Fall, dass dem Gesamtstaat die Umsetzungsmöglichkeit fehlt.
Verfassungsrechtslage in einzelnen Staaten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Deutschland
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Erstmals im Frieden von Osnabrück 1648 wurde den deutschen Territorien das Recht eingeräumt, Bündnisse untereinander sowie mit auswärtigen Staaten zu schließen und Gesandte auszutauschen.[1] Die Verfassung des Norddeutschen Bundes und die Reichsverfassung von 1871 schränkten dieses Recht ein, die Weimarer Verfassung hob das Gesandtschaftrecht auf.[2]
Das föderale Verhältnis des Bundes zu den Ländern bezüglich der Beziehungen zu auswärtigen Staaten (sog. Verbandskompetenz) ist seit 1949 in Art. 32 GG geregelt. Dabei ist umstritten, ob Art. 32 Abs. 3 GG den Bundesländern ein exklusives Vertragsabschlussrecht gibt, sofern sie die Gesetzgebungszuständigkeit besitzen oder ob es sich dabei nur um ein konkurrierendes Vertragsabschlussrecht handelt und der Bund durch Art. 32 Abs. 1 GG ermächtigt wird, Verträge auch dort abzuschließen, wo die Bundesländer die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit besitzen.[3] Das Lindauer Abkommen von 1957 bemüht sich um einen Verfahrenskompromiss, um Kompetenzkonflikte zu vermeiden.[4][5] Nach Art. 4 lit. b des Abkommens steht die Ständige Vertragskommission der Länder als Gesprächspartner für das Auswärtige Amt oder die sonst zuständigen Fachressorts des Bundes im Zeitpunkt der Aushandlung internationaler Verträge zur Verfügung.[6] Die Kommission gibt nach ihren Beratungen zu einem Vertragsentwurf im Namen der Länder eine koordinierte einstimmige Erklärung ab, die dem Auswärtigen Amt durch den Kommissionsvorsitzenden übermittelt wird.
Besonderes Gewicht legten die Bundesländer 1990 auf ihre Beteiligung bei den Verhandlungen der Bundesregierung mit der DDR über die Wiedervereinigung Deutschlands sowie im Prozess der europäischen Integration.[7]
1990 schlossen die Bundesländer nach Zustimmung durch die Bundesregierung mit der Französischen Republik ein Abkommen über den deutsch-französischen Kulturkanal ARTE.[8][9]
In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit (Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG).[10] Das Nähere regelt seit 1993 das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBLG).[11] Nach dem Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts kam das Integrationsverantwortungsgesetz (IntVG) hinzu,[12] ergänzt um eine Bund-Länder-Vereinbarung.[13][14]
Österreich
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die äußeren Angelegenheiten mit Einschluss der politischen und wirtschaftlichen Vertretung gegenüber dem Ausland, insbesondere der Abschluss von Staatsverträgen ist nach Art. 10 Abs. 1 Z 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) Sache des Bundes. Die Bundesländer können gemäß Art. 16 Abs. 1 B-VG nur in Angelegenheiten, die in ihren selbständigen Wirkungsbereich fallen, Staatsverträge mit an Österreich angrenzenden Staaten oder deren Teilstaaten abschließen. Soweit der Bund die Verträge selbst abschließt, muss er die Länder die Möglichkeit zur Stellungnahme geben. Geben die Länder eine einheitliche Stellungnahme ab, so ist der Bund daran gebunden (Art. 10 Abs. 3 B-VG). Wollen die Länder Verträge selbst abschließen, bedarf die Landesregierung zum Vertragsabschluss einer Bevollmächtigung durch den Bundespräsidenten und die Zustimmung der Bundesregierung. Die Bundesregierung muss bereits vor der Aufnahme von Verhandlungen über einen solchen Staatsvertrag unterrichtet werden. Sie kann jederzeit vom Land die Kündigung des Vertrags verlangen. In jedem Fall hat der Bund bei der Durchführung von Staatsverträgen das Überwachungsrecht auch in solchen Angelegenheiten, die zum selbständigen Wirkungsbereich der Länder gehören (Art. 16 Abs. 4 und 5 B-VG).[15]
Mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union am 1. Jänner 1995 wurde in das B-VG ein eigener Abschnitt B. Europäische Union (Art. 23a bis 23k B-VG) eingefügt. Die Bundesverfassung legt darin zwar den Rahmen des Länderbeteiligungsverfahrens fest, überlässt die nähere Ausgestaltung jedoch einer Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG (Art. 23d Abs. 4 B-VG).[16] Daraufhin wurden die Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art. 15a B-VG über die Mitwirkungsrechte der Länder und Gemeinden in Angelegenheiten der europäischen Integration[17] und die Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG über die gemeinsame Willensbildung der Länder in Angelegenheiten der europäischen Integration[18] geschlossen.
Schweiz
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV) von 1999 stellt in Art. 54 Abs. 1 klar, dass die auswärtigen Angelegenheiten Sache des Bundes sind. Die Kantone wirken aber nach Art. 55 an aussenpolitischen Entscheiden mit. Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend und holt ihre Stellungnahmen ein. Wenn die Kantone in ihren Zuständigkeiten betroffen sind, sind sie auch zur Mitwirkung an internationalen Verhandlungen berechtigt.[19] Die Einzelheiten sind in einem Bundesgesetz geregelt.[20][21] Zum Zusammenwirken in der Europapolitik gibt es außerdem eine Vereinbarung zwischen der Schweizer Eidgenossenschaft und den Kantonen.[22]
Nach Art. 56 BV dürfen die Kantone in ihrem Zuständigkeitsbereich nach Information des Bundes auch selber Verträge mit dem Ausland schließen.
Bestimmte völkerrechtliche Verträge unterliegen einem fakultativen Referendum (Art. 141 BV).
Anglo-amerikanischer Rechtskreis
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Verfassung der USA bestimmt „all treaties made, or which shall be made, under the authority of the United States, shall be the supreme law of the land.“ In der Auslegung durch den Supreme Court[23][24] besteht danach eine ausschließliche Bundeszuständigkeit zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge und zu ihrer innerstaatlichen Durchführung. Weitere Beispiele sind bundesstaatliche Gebilde im Commonwealth, Australien, Indien und die Zentralafrikanische Föderation von 1953 bis 1963.[25]
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Rudolf Bernhardt: Der Abschluss völkerrechtlicher Verträge im Bundesstaat. Eine Untersuchung zum deutschen und ausländischen Bundesstaatsrecht. Köln, Berlin 1957.
- Bardo Fassbender: Der offene Bundesstaat. Studien zur auswärtigen Gewalt und zur Völkerrechtssubjektivität bundesstaatlicher Teilstaaten in Europa. Tübingen 2007. ISBN 978-3-16-149218-1.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Ratifikation völkerrechtlicher Verträge: eine rechtsvergleichende Perspektive. Deutschland Studie des Wissenschaftlichen Dienstes des Europäischen Parlaments, April 2018.
- Andreas Kley: Bundesstaat. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 13. April 2016.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Art. VIII, 2 Westfälischer Friede – Vertrag von Osnabrück
- ↑ Walter Rudolf: Internationale Beziehungen der deutschen Länder. Archiv des Völkerrechts 1966, S. 53–74
- ↑ Fragen zum sog. Lindauer Abkommen und der Ständigen Vertragskommission der Länder Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Ausarbeitung vom 31. Oktober 2016
- ↑ Lindauer Abkommen (Text) lexeakt.de, abgerufen am 22. April 2020.
- ↑ vgl. auch § 26 Beteiligung der Länder in den Richtlinien für die Behandlung völkerrechtlicher Verträge (RvV) nach § 72 Abs. 6 GGO, Stand: 1. Juli 2019
- ↑ Christian Bücker, Malte Köster: Die Ständige Vertragskommission der Länder. JuS 2005, S. 976–978
- ↑ Gunnar Schuster: Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1990. ZaöRV 1992, S. 837 ff.
- ↑ Vertrag zwischen den Ländern Baden-Württemberg, Freistaat Bayern, Berlin, Freie Hansestadt Bremen, Freie und Hansestadt Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein und der Französischen Republik zum Europäischen Fernsehkulturkanal vom 2. Oktober 1990
- ↑ Auszüge aus zwei zwischenstaatlichen Verträgen zur Gründung des Europäischen Kulturkanals ARTE 1990 und 1991 Themenportal Europäische Geschichte, abgerufen am 22. April 2020.
- ↑ Art. 23 GG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 21. Dezember 1992, BGBl. I S. 2086
- ↑ Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12. März 1993, BGBl. I S. 313
- ↑ Gesetz über die Wahrnehmung der Integrationsverantwortung des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union (Integrationsverantwortungsgesetz - IntVG) vom 22. September 2009, BGBl. I S. 3022
- ↑ Bund-Länder-Vereinbarung in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 10. Juni 2010. bundesrat.de, abgerufen am 23. April 2020.
- ↑ Zusammenarbeit mit Bundesländern und Bundesrat in EU-Fragen Auswärtiges Amt, 9. April 2020.
- ↑ Franz Merli: Verfassungsrechtliche Grundlagen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Österreich. In: Hans Martin Tschudi, Benjamin Schindler, Alexander Ruch et al. (Hrsg.): Die Grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der Schweiz. Dike Verlag 2014, S. 199–213.
- ↑ Christoph Gräfling: Mittelbare Europapolitik im Bundesland Kärnten Institute for European Integration Research, Working Paper Nr. 01/2012, S. 87 ff.
- ↑ BGBl. Nr. 775/1992
- ↑ OÖ. LGBl. Nr. 22/1993
- ↑ Martin Kayser, Dagmar Richter: Die neue schweizerische Bundesverfassung ZaöRV 1999, S. 1053 ff.
- ↑ Bundesgesetz vom 22. Dezember 1999 über die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik des Bundes (BGMK), SR 138.1
- ↑ Claude Schenker: Praxisleitfaden Völkerrechtliche Verträge Ausgabe 2015, S. 8
- ↑ Vereinbarung zwischen der Schweizer Eidgenossenschaft, vertreten durch das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement (EVD) sowie den Kantonen, vertreten durch die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) betreffend den politischen Dialog Bund-Kantone zu Europafragen ( des vom 15. März 2021 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. vom 5. Juni 2012
- ↑ Missouri v. Holland, 252 US 416 (1920); US v. Curtiss-Wright Export Corp. et al. 299 US 304 (1936); US v. Belmont 301 US 324 (1937), und US v. Pink 315 US 203 (1941).
- ↑ Robert G. Neumann: Bundesstaatliches Gefüge und auswärtige Gewalt in der Verfassungswirklichkeit der Vereinigten Staaten. Internationales Jahrbuch der Politik, 1954, S. 360 ff.
- ↑ Joseph H. Kaiser: Die Erfüllung der völkerrechtlichen Verträge des Bundes durch die Länder: Zum Konkordatsurteil des Bundesverfassungsgerichts ZaöRV 1957, S. 526, 546 f.