Alldeutsche Vereinigung

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Alldeutsche Vereinigung war der Name einer 1901[1] gegründeten völkischen, antiklerikalen interfraktionellen Vereinigung des Wiener Reichsrates, die 1891 von Georg von Schönerer unter dem Namen alldeutsche Bewegung gegründet wurde. Sie ging aus der um 1880 entstandenen deutschnationalen Bewegung hervor, die sich in verschiedene rivalisierende Gruppierungen spaltete.[1] Sie war zudem Begründerin des politischen Rasseantisemitismus in Österreich-Ungarn und agierte zwischen 1901 und 1902 erfolglos als Bewegungspartei („Alldeutsche Partei“) innerhalb des österreichischen nationalen Lagers.

1899/1900 war sie darüber hinaus, eine der ideologischen Stützen des radikalsten Flügels der Völkischen, der „deutschvölkischen Bewegung“[2], die ebenfalls für sich in Anspruch nahm, mit der deutschnationalen Bewegung identisch zu sein.

Die alldeutsche Vereinigung von Schönerers besaß durchaus eine Vorbildfunktion für die Alldeutschen in Deutschland, die 1894 den Alldeutschen Verband gründeten. Besonders hatte es ihnen der radikale Antisemitismus angetan. Dennoch waren die Verbindungen zwischen beiden Organisationen nur inoffiziell und nicht frei von Konflikten, wie sich besonders 1901 herausstellen sollte.

Georg von Schönerer um 1893

1901 unternahm Georg von Schönerer den Versuch, die Vereinigung in eine Bewegungspartei umzuwandeln („Alldeutsche Partei für Österreich“), wobei er damit in Gegensatz zu den Alldeutschen im Deutschen Reich trat, die ihren Verband offiziell als überparteilich definierten und daher den Begriff „alldeutsch“ im Parteinamen ablehnten. 1901 verkündete von Schönerer zudem ein „alldeutsches Grundsatzprogramm“, dass das seit 1882 bestehende und 1895 durch ihn abgeänderte Linzer Programm ablöste. Kernpunkte dieses Programms waren staatliche Dismembration Österreich-Ungarns, bundesstaatliche Angliederung der „deutschen Bundesstaaten“ Österreichs an Deutschland, Entmachtung der römisch-katholischen Kirche und die Aufforderung, dass sich „die Deutschen Österreichs“ der „deutschen Kirche“ (= protestantische Kirche) anschlössen, Schaffung eines „völkischen Rassestaates“ unter föderaler Einbindung der heutigen Beneluxstaaten. „Alldeutschland“ solle zudem bis 1950 alle Territorien zurückerhalten, die bis zum 16. Jahrhundert zum Heiligen Römischen Reich gehört hatten. Kern dieses Alldeutschland sollte Großdeutschland bilden, die deutschsprachigen Gebiete Österreichs, die bis 1866 zum Deutschen Bund gehört hatten, und das Deutsche Reich. Dies entsprach im Wesentlichen der großdeutschen Lösung von 1848/49. Der Schweiz wurde anheimgestellt, ob sie gesamtstaatlich oder nur mit den deutschen Landesteilen Alldeutschland beitreten würde.

Bereits im Herbst 1901 kam es zum offenen Bruch zwischen Karl Hermann Wolf und von Schönerer, nachdem sich herauskristallisierte, dass Ersterer aufgrund seiner nicht so radikalen Haltung von der Mehrheit der Deutschnationalen, Deutschliberalen und Christlichsozialen als eigentlicher Führer der Alldeutschen anerkannt wurde. Daher starteten die „Schönerianer“, das heißt, der Schönerer-Flügel in der alldeutschen Vereinigung eine Rufmordkampagne gegenüber Wolf, indem sie diesen der „Ehrlosigkeit“ bezichtigten, indem man Wolf unterstellte, ein Verhältnis mit der Frau eines Mitglieds angefangen zu haben. Zudem hatte dieser im Oktober 1901 mit einigen Gesinnungsgenossen die „freialldeutsche Vereinigung“ begründet und einen Kredit aufgenommen, um das Blatt „Ostdeutsche Rundschau“ zu retten. Man unterstellte Wolf zudem, dass er beabsichtige, mit der Umwandlung der Gesellschaftsform der Zeitung die Rückzahlung des Kredites zu vermeiden. Im Dezember 1901 begann Wolf daher seinen Rückzug aus der Politik vorzubereiten.

1902 verkaufte Wolf die Ostdeutsche Rundschau und gründete die Freialldeutsche Partei, obgleich er ab diesem Zeitpunkt nur noch als Redner auftrat. Die Freialldeutschen, gleich den übrigen Alldeutschen, antisemitisch ausgelegt, scheuten sich nicht, auch auf jüdische Unterstützung in Form „deutschbewusster Juden“ zu zählen, wolle man den Flügel um Schönerer unschädlich machen. Daher war die Wolfpartei auch in den sudetendeutschen Gebieten erfolgreicher als die Gruppe um Schönerer. Sie griffen damit wieder Traditionen der deutschnationalen Bewegung auf.

1904 war die alldeutsche Vereinigung de facto tot und 1907 verkündete Georg von Schönerer sein „alldeutsches Zukunftsprogramm“, mit dem er zu den Reichstagswahlen antreten wollte und das die radikalste Form alldeutscher Politik darstellte. (Dieses wurde zur Basis des nationalsozialistischen Programms der DNSAP genommen und ausgebaut).[3]

1919 wurde in Wien der alldeutsche Verband für Deutschösterreich gegründet, der eine Tochterorganisation des reichsdeutschen Verbandes darstellte. Die Landesleitung Wien unterstand offiziell Georg von Schönerer und die Alldeutschen traten mit diesem Verband ab 1922 als Partei „Alldeutsche Partei Österreichs“ erfolglos bei Wahlen an. Letztendlich ging die Partei in der DNSAP Österreichs auf.

Karikatur von Moriz Jung mit dem Titel „Unsere Alldeutschen beim Alten Schönerer“ (Neue Glühlichter Nr. 4, Februar 1912)

Die österreichischen Alldeutschen lösten sich im Laufe der 1880er Jahre vom deutschliberalen und deutschkatholischen Lager und bildeten unter Schönerer und Karl Hermann Wolf eine aktive irredentistische Minderheit.[4] Obwohl die Anzahl der Alldeutschen im Reichsrat gering war, hatten sie doch starken Einfluss auf die akademische Jugend und den öffentlichen Dienst, vor allem auf die Justiz. Die Bewegung empfand sich als einer der Rechtsnachfolger der Deutschnationalen Bewegung.

Bei der Reichsratswahl 1901 konnten die österreichischen Alldeutschen die Anzahl ihrer Mandate im Reichsrat von sechs auf 21 erhöhen. Dies war der größte Wahlerfolg in ihrer Geschichte.[5] Die alldeutschen Abgeordneten erstrebten die Festlegung der deutschen Sprache als Amtssprache in Cisleithanien, förderten die Los-von-Rom-Bewegung, eine Personalunion mit Ungarn und ein durch einen Staatsvertrag festzustellendes Schutz- und Trutzbündnis mit dem Deutschen Reich. Aber bald gerieten die Vorsitzenden Schönerer und Wolf aus persönlichen Gründen in Konflikt. Die Gruppe um Wolf spaltete sich 1902 als Frei-Alldeutsche (später Deutschradikale Partei) mit 12 Abgeordneten ab.

Der radikale, antisemitische Flügel des österreichischen Alldeutschtums, der seine Wähler vor allem in den sudetendeutschen Grenzgebieten fand, hatte zwar keinen direkten politischen Erfolg. Seiner Ideologie gelang es aber, die meisten deutschen Parteien, vor allem die Christlichsozialen, zu unterwandern.

„Die Tendenz, dem Alldeutschtum durch teilweise Übernahme seiner Forderungen den Wind aus den Segeln zu nehmen – ein Unterfangen, das in vieler Hinsicht erfolgreich war – erschien auf lange Sicht dem Staatsgefüge der Monarchie viel gefährlicher als das Programm des unverhüllten nationalen Radikalismus und Imperialismus.[6]

Obwohl die Vereinigung im Juli 1904 offiziell aufgelöst worden war, saßen 1905 noch acht alldeutsche Abgeordnete im Wiener Reichsrat, die 1901 allesamt in den Sudetenländern gewählt worden waren.[7] Diese Abgeordneten waren nun jedoch fraktionslos.

Bei den ersten allgemeinen und gleichen Wahlen für Männer 1907 erzielten die alldeutschen und radikal-deutschnationalen Parteien in Wien nur 2,8 % der Stimmen.[8] Nur drei alldeutschen Kandidaten gelang der Sprung in den Reichsrat. Bei der kommenden Wahl von 1911 eroberten die Schönerianer vier Abgeordnetensitze im Parlament. Zum gleichen Zeitpunkt gab es weit größere, jedoch gemäßigtere deutschnationale Parteien.[9] Die deutschnationalen Parteien hatten sich 1910 im Deutschen Nationalverband zusammengeschlossen, der 1917 wieder zerfiel.

Für die österreichischen Alldeutschen stellten im Ersten Weltkrieg innere Reformen zur Sicherung und Stärkung der Vorherrschaft der Deutschen ihr wichtigstes Kriegsziel dar.[10] Die Ideen der Alldeutschen Vereinigung wurden zum Teil später von den Nationalsozialisten in der österreichischen Republik sowie in der Tschechoslowakei übernommen.

Politische und ideologische Positionen

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Die Alldeutsche Bewegung war großdeutsch, antisemitisch, antimarxistisch und antidemokratisch ausgerichtet. Mit der Übernahme der antisemitischen Komponenten begann die Trennung von den Liberalen und den gemäßigten Deutschnationalen, die weiterhin zur christlichen Kirche standen, während Schönerer begann, seine Bewegung vom Judeo-Christentum ab- und zu Wotan hinzuwenden.

Propagandastoff, den die Alldeutschen zur Aufschaukelung des Chauvinismus lieferten, war beispielsweise die Forderung nach mehr Ellbogenraum im Osten und Südosten,

„um der gesamten germanischen Rasse diejenigen Lebensbedingungen zu sichern, deren sie zur vollen Entwicklung ihrer Kräfte bedarf, selbst wenn darüber solch minderwertige Völkchen wie Tschechen, Slowenen und Slowaken ihr für die Zivilisation nutzloses Dasein einbüßen sollten. Nur den großen Kulturvölkern kann das Recht auf Nationalität zugestanden werden.[11]

Zu Beginn der 1890er Jahre entwickelten alldeutsche Theoretiker Pläne zur Aufteilung der Monarchie in kleine, direkt oder indirekt abhängige, zu germanisierende Staatsgebilde.[12] Dass den alldeutschen Bestrebungen in der Habsburgermonarchie letztlich kein Erfolg beschieden war, lag nicht zuletzt am Interesse des verbündeten Deutschland, den Staat unter österreichisch-ungarischer Führung im deutschen Kielwasser zu halten, nicht aber zur weiteren nationalen Zersetzung und letzten Endes zur Auflösung der Monarchie beizutragen, die schließlich nur russischen Interessen dienen konnte. Die Erhaltung der Donaumonarchie lag also eindeutig im machtpolitischen Interesse des Deutschen Reiches.[13]

Einzelnachweise

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  1. a b Günter Hartung: Völkische Ideologie. In: Uwe Puschner, Walter Schmitz, Justus H. Ulbricht (Hrsg.): Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871–1918. Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2012, ISBN 978-3-11-187157-8, S. 22–41, hier S. 30.
  2. Joachim Petzold: Die Demagogie des Hitlerfaschismus: die politischen Funktion der Naziideologie auf dem Wege zur faschistischen Diktatur, Röderberg-Verlag 1983, ISBN 978-3876827605, S. 48 ff.
  3. Wolfgang Benz (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Band 5: Organisationen, Institutionen, Bewegungen. Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2012, ISBN 978-3-11-028357-0, S. 257.
  4. Robert A. Kann: Das Deutsche Reich und die Habsburgermonarchie 1871-1918. In: Robert A. Kann, Friedrich E. Prinz: Deutschland und Österreich. Ein bilaterales Geschichtsbuch. Wien/München 1980, ISBN 3-7141-6551-7, S. 143–160, hier: S. 158.
  5. Peter G. J. Pulzer: Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867 bis 1914. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2004, ISBN 3-525-36954-9, S. 187 und 231.
  6. Robert A. Kann: Deutschland und das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie aus österreichischer Sicht. In: Robert A. Kann, Friedrich E. Prinz: Deutschland und Österreich. Ein bilaterales Geschichtsbuch. Wien/München 1980, ISBN 3-7141-6551-7, S. 412–423, hier S. 418f.
  7. Lothar Höbelt: Kornblume und Kaiseradler. Die deutschfreiheitlichen Parteien Altösterreichs 1882–1918. Verlag für Geschichte und Politik, Wien 1993, ISBN 3-7028-0320-3, S. 197.
  8. Birgitt Morgenbrod: Wiener Großbürgertum im Ersten Weltkrieg. Die Geschichte der Österreichischen Politischen Gesellschaft (1916–1918). Wien/Köln/Weimar 1994, ISBN 3-205-98256-8, S. 22.
  9. Richard W. Kapp: Divided Loyalities. The German Reich and Austria-Hungary in Austro-German Discussions of War Aims, 1914-1916. In: Central European History 17 (1984), S. 120–139, hier: S. 124.
  10. Gy. Tokody: Die Pläne des Alldeutschen Verbandes zur Umgestaltung Österreich-Ungarns. In: Acta Historica (1963), S. 39–67, hier: S. 65.
  11. Alldeutsche Blätter Nr. 4 (1894); zitiert nach Alfred Kruck: Geschichte des Alldeutschen Verbandes. Steiner, Wiesbaden 1954, S. 44.
  12. Gy. Tokody: Die Pläne des Alldeutschen Verbandes zur Umgestaltung Österreich-Ungarns. In: Acta Historica. (1963) S. 39–67, hier: S. 39–41.
  13. Robert A. Kann: Das Deutsche Reich und die Habsburgermonarchie 1871–1918. In: Robert A. Kann, Friedrich E. Prinz: Deutschland und Österreich. Ein bilaterales Geschichtsbuch. Wien/München 1980, ISBN 3-7141-6551-7, S. 143–160, hier: S. 146 und 157.