Amokfahrt in Münster
Bei der Amokfahrt in Münster lenkte am 7. April 2018 ein 48-Jähriger am Kiepenkerl-Denkmal im Zentrum der westfälischen Stadt Münster einen Kleinbus in eine Gruppe von Menschen. Vier Menschen starben,[1] mehr als 20 wurden zum Teil schwer verletzt. Der Täter erschoss sich anschließend selbst.[2] Die Polizei schloss nach Ermittlungen einen politischen oder extremistischen Hintergrund aus; die Tat war offenbar ein erweiterter Suizid.
Tat
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Tathergang
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Am Samstag, den 7. April 2018 wurde gegen 15:27 Uhr ein Kleinbus vom Typ VW California (T5) in eine Gruppe von Menschen gelenkt, die sich auf der Außenterrasse des Restaurants „Großer Kiepenkerl“ aufhielten. Diese befindet sich im Zentrum Münsters auf dem Platz am Kiepenkerl-Denkmal direkt an der verkehrsberuhigten Straße Spiekerhof, die zum Tatzeitpunkt wegen des schönen Wetters sehr belebt war.
Durch die Tat wurden vier Menschen getötet und mehr als 20 verletzt, sechs davon schwer.
Täter
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Täter war ein 48-jähriger deutscher Staatsbürger namens Jens Alexander R., der in Münster lebte und als Industriedesigner arbeitete. Er stammte aus dem Sauerland, wuchs in Madfeld auf und machte am Gymnasium Petrinum Brilon sein Abitur.[3] Er besaß weitere Wohnungen in Pirna und Heidenau bei Dresden. Er litt an psychischen Problemen.[4]
Gegen Jens R. hatte es fünf Strafverfahren gegeben, davon drei bei der Staatsanwaltschaft Münster und zwei bei der Staatsanwaltschaft Arnsberg. Die Verfahren in Arnsberg behandelten zwei „Auseinandersetzungen im familiären Bereich“ aus den Jahren 2014 und 2016. In Münster wurden ihm unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (2015), Sachbeschädigung (2015) und Betrug (2016) vorgeworfen. Alle Verfahren wurden wegen nicht hinreichenden Tatverdachts eingestellt.[5]
Einen politischen oder extremistischen Hintergrund schloss die Polizei aus.[6][7] Die Tat wurde als erweiterter Suizid aus persönlichen Gründen eingeschätzt.[8]
Ermittlungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Polizisten stellten im Fahrzeug die illegal beschaffte, für den Suizid verwendete Pistole sicher[9] und fanden eine Schreckschusswaffe und rund ein Dutzend illegaler Knallkörper, sogenannte „Polenböller“.[10] Am Abend der Tat wurde die Münsteraner Wohnung von Jens R. durchsucht. Es wurden weitere Knallkörper und ein unbrauchbar gemachtes Sturmgewehr vom Typ AK 47 gefunden.[10]
Das Bundeskriminalamt schaltete ein Online-Hinweisportal ein.[10]
Im Tatfahrzeug des Amokfahrers fand die Polizei drei weitere Projektile in Einschusslöchern in der Lehne und Sitzfläche der Rückbank. 2018 fehlten Angaben, ob die Projektile aus der Waffe des Amokfahrers stammen.[11]
Im Mai 2020 wurden die Ermittlungen eingestellt.[12]
Reaktionen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Stadt Münster
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Rathaus der Stadt wurde ein Kondolenzbuch ausgelegt. Am Tag nach der Tat besuchten Bundesinnenminister Horst Seehofer, NRW-Landesinnenminister Herbert Reul, NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und der Münsteraner Oberbürgermeister Markus Lewe gemeinsam den Tatort und legten dort Blumen und Kerzen nieder. Am Sonntagabend fand im Münsteraner Dom ein ökumenischer Gedenkgottesdienst „für die Opfer des gestrigen Tages“ statt, der von Bischof Felix Genn geleitet wurde und an dem 1600 Menschen teilnahmen.[13]
Das Universitätsklinikum Münster rief zu Blutspenden auf. Die Resonanz war so groß, dass der Aufruf bereits wenig später ausgesetzt werden konnte.[4]
Bundes- und Landesregierung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bundesinnenminister Horst Seehofer nannte die Tat ein „feiges und brutales Verbrechen“, eine „absolute Sicherheit gebe es vor solchen Taten nicht“. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet sprach von „einem schrecklichen Tag für unser Land“. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich zutiefst erschüttert.[14]
Nachrichten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die ARD hatte ursprünglich eine Brennpunkt-Sendung für 20:15 Uhr geplant. Nachdem „offenbar kein terroristischer Hintergrund vorlag“, wurde sie wieder abgesagt.[15][16]
International
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Tat fand auch international ein außergewöhnlich breites Medienecho; Fernsehsender, Internetportale und Printmedien erwähnten sie an prominenter Stelle.[17]
Verbreitung von Falschnachrichten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Medien
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Polizei forderte bald nach der Tat dazu auf, keine Spekulationen zu verbreiten. Dennoch kam es kurz nach der Tat zu Live-Fernsehberichten von n-tv und Welt, in denen unter anderem über zwei geflohene Täter und angeblich im LKW deponierte Sprengsätze sowie über erfolgte Bombenentschärfungen berichtet wurde. Kommentatoren stellten auch Bezüge zur Flüchtlingskrise her. Diese Behauptungen stellten sich bald als Falschmeldungen heraus.
Für den Deutschlandfunk kritisierte Christoph Sterz unter anderen den n-tv-Reporter Ulrich Klose wegen der „diffamierenden“ Verwendung des „rassistischen Begriff[s] ‚Passdeutscher‘, mit dem Deutsche mit Migrationshintergrund gemeint sind.“ Als solchen bezeichnete Klose den Tatverdächtigen, nachdem dessen persönliche Daten bekannt wurden.[18] Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, beteiligte sich ebenfalls an den Spekulationen und äußerte im Rahmen der Live-Berichterstattung der 'Welt', dass „in Deutschland ein Terroranschlag mit ganz alltäglichen Gegenständen möglich sei“. Einen Tag später verkündete der Sender n-tv auf Twitter eine für ihn starke Einschaltquote von 3,5 %.[19]
AfD-Abgeordnete
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Abgeordnete der rechtspopulistischen AfD verdächtigten vor ersten Ermittlungsergebnissen öffentlich islamistische Terroristen oder Flüchtlinge als Täter.
So schrieb etwa die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Partei im Bundestag, Beatrix von Storch, auf Twitter: „Wir schaffen das“, eine Anspielung auf die Migrationspolitik der Bundesregierung, versehen mit einem wütenden Smiley.[20][21][22] CSU-Generalsekretär Markus Blume forderte von Storch zur Rückgabe ihres Bundestagsmandats auf, NRW-Innenminister Herbert Reul fand die Aussage „unverantwortlich“.[23] Von Storch bat später um Entschuldigung. Auf Twitter schrieb sie jedoch, der Täter sei ein „Nachahmer“ islamistischer Gewalttäter.[24]
Zwei Tage nach der Auto-Attacke, als weiterhin keine Hinweise auf einen islamistischen oder muslimischen Hintergrund der Tat vorlagen, twitterte der AfD-Landtagsabgeordnete André Poggenburg, der Täter sei zum Islam konvertiert. Dies würden die deutschen Medien jedoch verschweigen.[25]
Norbert Kleinwächter, ebenfalls Bundestagsabgeordneter der AfD, twitterte, dass „verblendete Islamisten, diese tickenden Zeitbomben“ verantwortlich seien. Nachdem bekannt wurde, dass der Tatverdächtige ein gebürtiger Deutscher ist, löschte Kleinwächter den Tweet.[26]
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Fußnoten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Weiteres Opfer der Amokfahrt von Münster
- ↑ Westfälische Nachrichten vom 26. April 2018: Viertes Todesopfer nach Amokfahrt
- ↑ Täter von Münster stammt aus Madfeld - Ein Dorf unter Schock
- ↑ a b Michael Behrendt, Willi Keinhorst, Martin Lutz, Claudia Ehrenstein: Amokfahrt von Münster: Jens R. hat seine Tat offensichtlich perfide kalkuliert. In: Welt. 7. April 2018, abgerufen am 8. April 2018 (Video; Dauer 2:18; bei 0:57 StA Elke Adomeit; bei 1:50 Schlange von gut 20 Personen vor UKM; bei 1:55 Tweet UKM).
- ↑ Polizei und Staatsanwaltschaft geben weitere Ermittlungsergebnisse zum Tatgeschehen in Münster bekannt. In: Gemeinsame Presseerklärung der Staatsanwaltschaft Münster und der Polizei Münster. Abgerufen am 10. April 2018.
- ↑ Reul: Keine Hinweise auf islamistisches Motiv. In: F.A.Z. 7. April 2018, abgerufen am 8. April 2018.
- ↑ Mutmaßlicher Täter schrieb langen Brief an Bekannte. In: Zeit Online. 8. April 2018, abgerufen am 8. April 2018.
- ↑ Ermittler sind sich sicher: Fahrer handelte in Suizidabsicht. In: Gemeinsame Presseerklärung der Staatsanwaltschaft Münster und der Polizei Münster. Abgerufen am 10. April 2018.
- ↑ [1]
- ↑ a b c Campingbus fährt in Menschenmenge - zwei Menschen sterben, der Täter richtet sich selbst - Hinweisportal des BKA eingerichtet. In: Gemeinsame Presseerklärung der Staatsanwaltschaft Münster und der Polizei Münster. Abgerufen am 10. April 2018.
- ↑ Amokfahrt in Münster: Polizei findet Einschusslöcher im Tat-Auto. (weser-kurier.de [abgerufen am 27. April 2018]).
- ↑ Kiepenkerl-Attentat: Ermittlungen eingestellt, Die Glocke, 27. Mai 2020
- ↑ Attacke in Münster: Hunderte gedachten der Opfer: Spurensuche geht weiter orf.at, 8. April 2018, abgerufen am 9. April 2018.
- ↑ „Feiges und brutales Verbrechen“. In: spiegel.de. Abgerufen am 8. April 2018.
- ↑ Trotz Ankündigung: Das Erste verzichtete auf Münster-„Brennpunkt“. In: meedia.de. 9. April 2018, archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 11. April 2018; abgerufen am 22. Oktober 2020.
- ↑ Kein "Brennpunkt" für das Attentat von Münster. deutschlandfunkkultur.de, 8. April 2018, abgerufen am 13. April 2018.
- ↑ Driver in German van attack had mental problems. In: The Straits Times, Singapur. Abgerufen am 11. April 2018.
International: Todesfahrer von Münster handelte in Suizidabsicht, Salzburger Nachrichten, Österreich, 10. April 2018.
Attaque à Münster: une voiture fonce dans la foule et fait deux morts, l'attentat exclu pour le moment , RTBF, Belgien, 7. April 2018.
Allemagne: ce que l'on sait de l'attaque de Münster, BFM TV, Frankreich, 7. April 2018.
Allemagne : à Münster, un véhicule fonce sur la foule, la piste islamiste exclue, Le Monde, Frankreich, 7. April 2018.
El autor del atropello mortal de Münster, un alemán de conducta agresiva que buscaba suicidarse, El Mundo, Spanien, 8. April 2018.
German van attack: 'Suspect had mental health problems', BBC, Vereinigtes Königreich, 8. April 2018.
Germany van attack: Driver killed himself after ploughing into crowd in northern city of Munster, police confirm, The Independent, Vereinigtes Königreich, 7. April 2018.
German van driver had run-ins with police, suicidal thoughts ( vom 12. April 2018 im Internet Archive), Washington Post, USA, 8. April 2018.
German van driver had run-ins with police, suicidal thoughts ( vom 24. Oktober 2020 im Webarchiv archive.today), ABC News, USA, 8. April 2018.
Germany still clueless about motive for fatal van attack, CNBC, USA, 8. April 2018.
German city of Münster searches for answers, days after deadly van attack, USA Today, USA, 10. April 2018.
Driver in deadly German van crash had history of mental illness, New York Post, USA, 7. April 2018.
German authorities say driver in fatal van attack had long record of crimes and apparently acted alone, Los Angeles Times, USA, 8. April 2018.
Descartan atentado en arrollamiento masivo en Münster, Alemania, El Tiempo, Kolumbien, 7. April 2018.
Germany van attack: Gunman had run-ins with the law, Sky News, 8. April 2018.
German citizen behind van attack, CNN, 7. April 2018 - ↑ Zu viele Spekulationen, auf deutschlandfunk.de, abgerufen am 13. April 2018.
- ↑ Live: Alles, was n-tv und Welt nicht so genau wissen, auf uebermedien.de, abgerufen am 13. April 2018.
- ↑ Scharfe Kritik an Beatrix von Storch. In: spiegel.de. Abgerufen am 8. April 2018.
- ↑ Amokfahrt von Münster löst im Netz politischen Krach aus. In: handelsblatt.com. Archiviert vom am 9. April 2018; abgerufen am 8. April 2018.
- ↑ Wie die Geier. In: t-online.de. Abgerufen am 9. April 2018.
- ↑ CSU fordert von Storch zu Rückgabe von Bundestagsmandat auf, auf faz.net, abgerufen am 9. April 2018.
- ↑ WELT: Amokfahrt von Münster: Von Storch entschuldigt sich für Tweet und legt gleich wieder nach. In: DIE WELT. 12. April 2018 (welt.de [abgerufen am 13. April 2018]).
- ↑ Patrick Gensing: Fakten gegen Fake News oder Der Kampf um die Demokratie. Berlin, Duden 2019, S. 101
- ↑ AfD-Frau von Storch provoziert mit Tweet zu Amokfahrt – so genial antwortet eine Nutzerin aus Münster! In: derwesten.de. Archiviert vom am 8. April 2018; abgerufen am 8. April 2018.
Koordinaten: 51° 57′ 51″ N, 7° 37′ 34,5″ O