Horus

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Horus in Hieroglyphen
Ideogramme
G5

G6

G7

Horusfalke
Frühzeit
G5
O11

Altes Reich
G5

Neues Reich
N31A40

Spätzeit
D2
D21
R8

Griechisch-römische Zeit
F18
D21
G7

Horus
Ḥr
Der Ferne /
Der oberhalb ist
Griechisch Horos
Koptisch ϩⲱⲣ
(Hôr)
Horus mit Was-Zepter und Anch und Doppelkrone (Pschent)
Horus als Falke

Horus (auch als Horos oder Hor transkribiert) war ein Hauptgott in der frühen Mythologie des Alten Ägypten. Ursprünglich ein Himmelsgott, war er außerdem Königsgott, zugleich auch Kriegsgott, ein Welten- oder Lichtgott und Beschützer der Kinder. Im Mittleren Reich wird Horus als Gottheit des ersten und elften oberägyptischen Gaues (Ta-seti und Seth-Tier-Gau) aufgeführt, in der griechisch-römischen Zeit dagegen als Gott des 16. oberägyptischen und 14. unterägyptischen Gaues.[1] Meist wurde er als Falke dargestellt.

Der Name Horus ist die latinisierte Form des altägyptischen Wortes Ḥr, das vielfach auch als „Hor“ wiedergegeben wird. Der Name bezieht sich auf seinen Status als Himmelsgott. Wie andere Götter, so trat auch Horus bereits im Alten Reich in verschiedenen Erscheinungsformen auf:[2]

Abbildungen des Gottes Horus zählen sicherlich zu den zahlreichsten eines Gottes in Ägypten. Er ist sowohl in Texten als auch in bildlichen Darstellungen fast allgegenwärtig. Horus wird als Falke oder auch als stehender Mensch mit Falkenkopf, der zuweilen eine Doppelkrone trägt, dargestellt. In der griechisch-römischen Zeit erfolgte die Darstellung des Gottes häufig als Legionär.[2] Auch das Motiv der den Horusknaben stillenden Isis findet sich gelegentlich auf römischen Münzen mit dem Porträt von Kaiserinnen. Dabei handelt es sich nicht nur um in Alexandria geprägte Münzen für die römische Provinz Ägypten, sondern auch um reichsrömische Münzen, die in Ägypten nicht umliefen.[3] Solche Prägungen dokumentieren die Aufnahmebereitschaft von ursprünglich fremder Mythologie durch die römische Kultur.

Isis, den Horusknaben stillend auf Denarrückseite mit Julia Domna auf Porträtseite

Geschichtliche Entwicklung

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Horus hat in der geschichtlichen Entwicklung der ägyptischen Mythologie zahlreiche Veränderungen erfahren: Es entstanden unterschiedliche Wesensformen in Falkengestalt, die jeweils in einen eigenen Mythos eingebettet sind und deswegen unterschiedliche Eigenschaften und Kultorte haben. Der gesamte Mythos um Horus ist deshalb sehr vielschichtig und erscheint zuweilen sehr kompliziert.

Das älteste Wesen des Gottes Horus war jedoch das eines Himmelsgottes. Die beiden Himmelskörper Sonne und Mond galten als die Augen des Gottes, wobei das rechte Auge das sogenannte Sonnenauge und das linke das Mondauge ist. Um beide Augen ranken sich verschiedene Mythen. Die Flügelspitzen des Gottes berührten die Grenzen der Erde. Ein aus der Frühzeit stammendes Bildsymbol, das ein Flügelpaar, die von Re stammende Sonnenbarke und einen darüber sitzenden Falken zeigt, wird als Kontamination verschiedener Himmelsbilder angesehen. Diese Darstellung gilt als Vorläufer des später häufig auftauchenden Symbols der Flügelsonne (Behedeti).[4]

In seiner Bedeutung als Emblem eines siegreichen Volkes avancierte Horus zum Kriegsgott und zum kriegsbringenden Führer,[5] wodurch der Glaube entstand, der König (Pharao) sei dessen irdische Verkörperung. Seit dieser Zeit trugen die Könige Ägyptens den Falkengott Horus in ihrer Königs-Titulatur. Die Bedeutung von Horus als Himmels- und Königsgott wird als gleich alt beziehungsweise zeitgleich angesehen.

Dadurch, dass die Könige zur selben Zeit den Gott Re verehrten, kam es zu einer Identifizierung des Horus mit der Sonne. Der zur Staatsreligion gegensätzlichen Vorstellung des Volkes zufolge war Horus jedoch zwischenzeitlich mit dem Sohn des Osiris gleichgesetzt worden. Die so entstandenen Wechselbeziehungen beider Identifizierungen eines Gottes führten zu einer verschiedenen Mythenbildung. Trotz der Unterschiede dieser beiden Horus-Götter verschmolzen die Ägypter den Sonnen-Horus in späterer Zeit mit dem gleichnamigen Gott des Osiriskultes zu einem Gott Horus. Allerdings führte dieser Verschmelzungsprozess (Synkretismus) in verschiedenen Kultzentren zu unterschiedlichen Ergebnissen, so dass es schließlich fünfzehn verschiedene Horus-Götter gab.

Trotz dieser vielen Sonderformen kann durch die Abstammungsgeschichte, die Horus im Mythos zugeschrieben wurde, eine grobe Einteilung vorgenommen werden:

  • Als Sohn von Atum oder Re, von Geb oder Nut gehört Horus zum Sonnenkult.
  • Als Sohn der Isis und des Osiris gehört er zum Osirismythos.[6]

Weitere Formen des Gottes Horus

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Name Darstellung in Hieroglyphen Transkription kurze Beschreibung/Bedeutung Namensvariante
Behdeti
F18
D46
X1
O49
Bḥdtj „Der von Edfu“. Ursprünglich aus dem 4./5. unterägyptischen Gau.
Harachte
G5N27
X1 Z4
Ḥr-3ḫtj „Der horizontische Horus“, „Horus der beiden Horizonte“. Gott der Morgensonne. Eine Unterform des Gottes Horus. Hor-Achti
Harmachis
G5Aa15
N27
O1
Ḥr-m-3ḫt „Horus im Horizont“. Personifikation der aufgehenden Sonne. Berühmteste Darstellung: Große Sphinx von Gizeh. Houroun (französisch)
Haroeris
G5G36
D21
A40
Ḥr-wr „Horus der Große“ oder „Horus der Alte“. Her-ur
Harpare
G5
Z1
p
N6
Ḥr-Rʿ „Horus, die Sonne“. Der Gott schützt den König vor Krankheit und Unheil. Hor-Re, Re-Hor
Harsiese
G5G39Q1X1
H8
Ḥr-s3-3st „Horus, Sohn der Isis“. Bezeichnung für den Gott Horus in seiner Eigenschaft als Sohn. Harsiesis
Hor-Behdeti
G5F18
D46
X1
O49
Ḥr-Bḥdtj „Horus des südlichen Edfu“.
Horus Iunmutef
G5O28G14X1
I9
Ḥr-Jwn-mw.t=f „Horus, der Pfeiler seiner Mutter“. Bezeichnung für den Gott Horus in seiner Eigenschaft als familiäre Stütze und Beschützer der Isis.
Harsomtus
G5F36M13T3
Ḥr-sm3-t3wj „Horus, der die beiden Länder vereint“. Hor-Semataui

Bedeutung für das Königtum

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Horus-Name von Wadji im Serech

Horus war der Königsgott. Der Falke selbst stellte in vorgeschichtlicher Zeit ein Totem dar, das von den Nomadenstämmen im oberägyptischen Bereich als späteres Gauzeichen verehrt wurde. Der König wurde bereits seit Beginn der Vor- und Frühdynastischer Zeit mit dem Himmelsgott gleichgesetzt:[7] Horus offenbarte sich in der Person des Königs; der lebende König war Horus.

Horus im Königstitel

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Für alle Könige Ägyptens war die Herrschaft des Horus Vorbild. Sie nahmen den Titel „Lebender Horus“ an, und so ist der Horusname der älteste ägyptische Königstitel. Er ist z. B. bereits für die Könige Hat Hor und Skorpion I. belegt. Der Titel wird durch einen Falken symbolisiert, der auf einem Rechteck, dem Serech, sitzt. Dieses enthält im unteren Teil die sogenannte Palastfassade und darüber den Namen des Königs. Auf der sogenannten Narmer-Palette, die in die 0. Dynastie datiert, ist ein Falke abgebildet, der als Horus bezeichnet wird. Bis in die 4. Dynastie war der Horusname der einzige Name des Königs (Pharaos), es kam aber noch in derselben Dynastie der Goldhorusname (auch Goldname) als weiterer Königstitel hinzu.

Der Horus-Thron

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Durch die Krönung zum König Ägyptens wurde der Herrscher zum Horus. Dies drückte sich nicht nur durch den Horusnamen selbst aus. Texte auf Stelen sprechen davon, dass der König auf „den Horusthron der Lebenden“ kam: Der König saß auf dem Thron des Horus. Eine der bekanntesten Stelen, auf der dieser Satz ebenfalls zu finden ist, ist die sogenannte Restaurationsstele Tutanchamuns, wo es u. a. heißt: „Erschienen auf dem Horusthron der Lebenden“ und „um einen König für immer zu schaffen, einen Horus, der dauert für alle Zeit“.[8]

Verehrung und Kultorte

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Statue des Horus im Tempel von Edfu
Name der Hathor in Hieroglyphen: Ḥwt Ḥr, übersetzt: „Haus des Horus“

Vor der Reichseinigung war Horus im oberägyptischen Hierakonpolis beheimatet. Weitere Kultorte waren Letopolis und Wawat, ein Gebiet, das südlich vom 1. Katarakt, im unteren Teil Nubiens, lag. Erst später kam Edfu hinzu. Hier wurde er zusammen mit seiner Frau Hathor und dem gemeinsamen Sohn als Dreiheit verehrt. In Kom Ombo wurde er als Haroeris und als Sohn des Re verehrt, in Heliopolis hingegen als Harachte, dem Gott der Morgensonne. Als Harpokrates wurde er hingegen unter anderem in Achmim, Philae, Edfu, Alexandria, Pelusium und dem Fajum verehrt. Als spätere Gottheit Unterägyptens galt er schließlich als Herr des Fruchtlandes von ganz Ägypten.[9]

Ägyptische Mythologie

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Durch die geschichtliche Entwicklung und seine verschiedenen Wesensformen ist Horus in der ägyptischen Mythologie in unterschiedlichen Mythen vertreten. Sowohl Harsiese („Horus, Sohn der Isis“) als auch Hor-pa-chered („Horus, das Kind“) zählen zum Osirismythos, wohingegen die Wesensformen des Horus als Haroeris, Horus-Behedeti, Harachte und Harmachis an den Sonnenkult gebunden sind. Daraus ergeben sich die unterschiedlichen Schilderungen über seine Herkunft.

Im Osirismythos ist er der Sohn des Osiris und der Isis. Aber auch Hathor, deren Name mit „Haus des Horus“ übersetzt wird, wurde als seine Mutter angesehen, wobei die Inschriften des Tempels von Edfu sie als seine Gemahlin bezeichnen. Horus gehört nicht zum Kreis der Neunheit von Heliopolis, da der König (Pharao) als Sohn des Osiris ihn verkörpert. Somit steht er der Neunheit gegenüber. Horus wurde während des Monats von Ka-her-ka (Oktober/November) geboren.

Als „Horus der Ältere“, auch „Horus der Alte“, (Haroeris, auch Her-ur oder Her-wer) waren er und Isis die Eltern der vier Horussöhne (auch Kanopengötter) Amset, Hapi, Duamutef und Kebechsenuef. Den Horussöhnen oblag nicht nur der Schutz der Kanopen, sondern sie wurden auch von ihrem Vater als Wächter über die vier Himmelsrichtungen bestimmt, in die sie als Krönungsboten entsandt wurden. In der griechischen Mythologie wird Horus per Interpretatio Graeca dem Gott Apollon gleichgesetzt.[10]

Der Streit zwischen Horus und Seth

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Der Götterwettstreit nach dem Papyrus Chester Beatty I

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Dieser wohl bekannteste Mythos um Horus ist die grundlegende Frage um die Thronfolge nach dem Tod seines Vaters Osiris, der zwischen ihm und dessen Bruder Seth ausgefochten wird. Eine erzählerische Variante des Streits zwischen Horus und Seth wurde im Neuen Reich während der Regierungszeit von Ramses V. verfasst:

Das Kleinkind Horus, Harsiese (Sohn der Isis), wurde von Isis durch die Begattung ihres verstorbenen Gatten Osiris empfangen. Isis zog ihn in den Sümpfen bei Buto auf. Als Horus schließlich zum Mann herangereift war, begann er, Krieg gegen Seth zu führen, um den Thron seines Vaters zurückzugewinnen. Er hatte viele andere Götter als Verbündete und errang im Kampf den Titel Harendotes: Der Beschützer seines Vaters. Obwohl Horus in den Kämpfen gegen Seth und seine Streitmächte sehr erfolgreich war, erholte sich dieser immer wieder von seinen Wunden und Horus konnte ihn nicht besiegen. Der Krieg zog sich hin, und der listenreiche Seth versuchte, für sich Vorteile zu erringen, indem er den Streit um die Thronfolge vor ein Göttergericht brachte.

Die Verhandlung dauerte achtzig Jahre, ohne dass die Götter des Tribunals zu einer Entscheidung gelangten. Die Mitglieder des Gerichtshofes von Heliopolis waren stets mit dem letzten Sprecher, den sie als Zeugen geladen hatten, einer Meinung und wechselten demzufolge immer wieder ihre Ansicht. Die meisten der Richter sprachen für Horus, während Re-Harachte, der den Vorsitz hatte, Seth begünstigte, da dieser der Sohn der Nut war. Schließlich setzten sich Schu und Thot für Horus ein, die die Gerechtigkeit vor der Gewalt aufrechterhalten wollten. Isis, die davon ausging, dass der Streit nun beendet sei, verkündete, es sei der Wille des Gerichts, dass das „Auge“, das Symbol der Königsmacht, an Horus gegeben werde. Re-Harachte, der sich so seiner Führung des Gerichts enthoben sah, wurde zornig und hielt die Götter davon ab, Horus das Auge auszuhändigen. Seth hingegen bedauerte inzwischen, den Fall vor Gericht gebracht zu haben, und da er von seinen Argumenten nicht mehr sehr überzeugt war, schlug er einen Zweikampf vor. Thot widersetzte sich, und so war das Gericht erneut an einem toten Punkt angelangt. Es erfolgte die Vorladung weiterer Götter, darunter der Widder von Mendes, der zusammen mit Ptah erschien, sowie die Göttin Neith. Diese sprach sich dafür aus, Horus den Thron zuzuerkennen, und dass Seth eine Entschädigung erhalten müsse, indem sein Besitz verdoppelt würde und er zwei weitere Frauen (Astarte und Anath) bekommen sollte. Die göttlichen Richter glaubten jetzt, endlich eine Lösung gefunden zu haben, allerdings war Re-Harachte verärgert. Daraufhin gerieten die übrigen Götter in Zorn, und nur Hathor gelang es, Re-Harachte zu besänftigen und dazu zu bewegen, sich wieder zum Gericht zu begeben.

Das Gericht trat abermals zusammen, aber die Diskussion, ob die Thronfolgerechte des direkten Nachkommen wichtiger seien als die besondere Eignung eines anderen Thronanwärters, führte zu keiner Entscheidung. Isis war von Seth von der Verhandlung ausgeschlossen worden und bestach den Fährmann der Götter, Anti, sie zur Insel der Gerichtsverhandlung zu bringen. Hier verwandelte sie sich in ein junges Mädchen. Als Seth das Mädchen sah, verließ er seinen Platz und lauerte ihr auf und Isis erzählte ihm eine Geschichte: Ihr Mann, ein Hirte, sei gestorben und sie sei allein mit ihrem kleinen Jungen zurückgeblieben. Später sei ein Fremder gekommen, der drohte, den Sohn zu schlagen, das Vieh wegzunehmen und sie fortzujagen. Und so bat sie Seth um Beistand gegen den Fremden. Seth, der ihr gefallen wollte, antwortete: „Soll Vieh an Fremde fallen, wenn ein Mann einen Sohn zum Erben hat?“ Nach diesen Worten verwandelte sich Isis in einen Milan, flog davon und rief Seth zu, dass er sein eigenes Urteil gesprochen habe. Seth ärgerte sich, auf ihre List hereingefallen zu sein, und beklagte sich darüber bei Re-Harachte. Dieser konnte jedoch nichts anderes tun, als das Urteil zu bestätigen, und antwortete Seth, dass dieser sich selbst verurteilt habe. Re-Harachte wurde ungeduldig und befahl den Göttern, Horus sofort zu krönen.

Seth war damit nicht einverstanden und schlug erneut einen Zweikampf vor. Die Götter stimmten dem Kampf, in dem sich beide in Flusspferde verwandeln sollten, zu. Gewinner wäre derjenige, der am längsten unter Wasser bliebe. Isis war sich sicher, dass Seth, dessen natürliche Gestalt die des Flusspferdes war, ihren Sohn Horus töten würde. Sie befestigte eine Harpune an einem langen Seil und warf diese ins Wasser. Ihr erster Wurf jedoch traf Horus, und als sie ihren Fehler bemerkte, warf sie die Harpune erneut und traf dieses Mal Seth. Seth flehte seine Schwester an, er solle sie ihrer beider Mutter wegen wieder befreien, und Isis befreite ihn. Wütend über diese Schwäche seiner Mutter sprang Horus aus dem Wasser und schlug ihr den Kopf ab. Daraufhin beschlossen die Götter, Horus zu bestrafen, konnten ihn aber nicht finden. Seth hingegen fand ihn auf dem Berg, riss ihm die Augen aus und vergrub diese in der Erde. Als Seth zu den Göttern zurückkehrte, erklärte er, er habe Horus nicht finden können. In einer Fassung des Mythos wurde Horus am Hang liegend von Thot, in einer anderen von Hathor gefunden. Hathor wusch ihm die Augenhöhlen mit Gazellenmilch aus, wodurch er sein Augenlicht wieder erlangte. Gemeinsam kehrten sie zum Göttergericht zurück. Doch erneut brach ein Streit aus, und Verleumdung, Betrug und Gewalt wurden beidseitig eingesetzt, um ein Ergebnis herbeizuführen. Isis vereitelte einen Anschlag von Seth gegen Horus, und Horus versuchte Seth in einem Duell zu betrügen, in dem er Seth schwer verwundete. Es konnte immer noch keine Entscheidung getroffen werden, und so rief das Gericht erneut Neith an, die jedoch nicht weiter helfen konnte.

Thot schlug schließlich vor, sich wegen eines letzten Urteils an Osiris zu wenden, der zugunsten seines Sohnes sprach. Osiris schimpfte die Götter für die lange Dauer der Urteilssprechung und, dass sie Horus so schlecht behandelt hatten. Osiris trug vor, er sei der Gott der Vegetation und die anderen Götter würden ihm Dank für Korn und Vieh schulden, denn kein anderer Gott außer ihm habe solche Dienste geleistet. Diese Äußerung machte Re-Harachte wütend und er entgegnete Osiris, es gäbe auch ohne ihn Korn. Durch seine Antwort beendete Osiris den Streit und stellte die Machtverhältnisse für den Gott der Lebenden und der Toten fest. Er pries den höchsten Gott der Neunheit und berief sich darauf, dass Maat missachtet worden sei. Seine eigentliche Drohung, dass ihm „Boten mit den wilden Gesichtern“ zur Verfügung stünden, sprach er nicht aus: Diese Boten könnten das Herz eines jeden Gottes oder Sterblichen holen, der Böses vollbracht habe. Außerdem sei es Bestimmung, dass jedes Wesen in den Westen, das Land der Toten, kommen würde. Und dort unterstünden alle dem Urteil von Osiris, der letztlich der Herr über alle sei. Diese Drohung blieb nicht wirkungslos: Das Urteil wurde eilends zugunsten von Horus gefällt, und Seth in Ketten vor die Götter gebracht. Re-Harachte nahm ihn nach Fürsprache als „Sohn der Nut und seinen Sohn“ zu sich, damit „Seth fortan mit ihm lebe, im Himmel donnere und man ihn fürchten solle“. Horus trat sein Erbe an, erhielt den Titel „Horus, Herr beider Länder“ und wurde Herrscher über Ober- und Unterägypten.[11]

Die Köpfung der Isis

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Das Tebtynis Manual[12] enthält eine Version des Mythos in dem berichtet wird, wie der Gott Horus vor Seth in die Berge von Dedwen flieht. Die Mehrdeutigkeit der Übersetzung lässt keine eindeutige Interpretation zu, ob Horus dort Schutz bei seiner Mutter Isis sucht oder Isis diejenige war, die Seth nach Horus ausgeschickt hat. Nach der Interpretation des Textes vom Ägyptologen Dimitri Meeks handelt es sich bei der Erzählung um eine lokale Variante des Mythos um die Köpfung der Isis durch ihren Sohn Horus. Nachdem Horus seine Mutter verletzt und in der östlichen Wüste bei der Gottheit Dedwen Schutz sucht, wird ihm der Kopf von Dedwen abgeschnitten zur Bestrafung seiner Tat. Der neugeborene Horus wird anschließend von der lokalen Göttin Matit vor Apophis gerettet, wobei es sich um eine mögliche Anspielung der Auffassung von Apophis als Nabelschnur des Sonnengottes handeln könnte.[13]

In der Erzählung nach dem Papyrus Chester Beatty I geschieht die Köpfung der Isis, nachdem Horus und Seth ihren Kampf als Nilpferde in einem See ausgetragen haben und Isis mit ihrer Harpune nach Seth gestochen hat, um diesen davon abzuhalten, ihren Sohn zu verletzen. Nachdem sie ihren Bruder jedoch an Land gezogen hat, lässt sie Gnade walten und lässt ihn entkommen. Horus ist daraufhin erzürnt, schneidet seiner Mutter den Kopf ab und rennt mit ihm in die Wüste. Als Re davon erfährt, lässt er die Götter nach Horus suchen, um ihn zu bestrafen. Währenddessen wird der Kopf der Isis temporär mit einem Kuhschädel ersetzt. Nachdem Seth den schlafenden Horus in der Oase findet, reißt er ihm die Augen heraus und vergräbt sie im Sand. Bei seiner Rückkehr gibt Seth vor Re an, dass er Horus nicht ausfindig machen konnte. Die Göttin Hathor macht sich anschließend auf die Suche nach Horus und stellt seine Augen wieder her mit der Milch einer gemolkenen Gazelle.[14]

Die Version des Brooklyn Delta Manual schildert ein Kampfgeschehen zwischen Horus und den Feinden seines Vaters. Horus kann sich als Sieger durchsetzen und legt Seth in Ketten, doch seine Mutter Isis befreit ihren Bruder aus Mitleid. Diese Aktion erzürnt Horus, woraufhin er seine Mutter köpft. Das Verbrechen gegen Isis wird hier erneut von Dedwen gesühnt, der Horus als Vergeltung selbst den Kopf abschlägt.[15] Im ptolemäischen Papyrus Jumilhac[16] ist es die Gottheit Nemti hingegen die für die Köpfung der Isis bestraft wird. Nachdem Re von den Verbrechen erfährt, welches im Hathor-Tempel von Mefkat in Prosopitis (Aphroditopolis) stattgefunden haben soll, beauftragt er die Enneade Nemti im Gau Atfet zu häuten. Nachdem Thot die Haut von Nemti weggetragen hat, erschafft die Göttin Hesat aus Mitleid Milch, die sie Nemti zu trinken gibt. Durch die Milch kann die Haut von Nemti vollständig geheilt werden und er wird als Säugling wiedergeboren in Atfet als symbolische Vergebung zwischen Mutter und Sohn.[17]

Auch der Grieche Plutarch erwähnt in seiner Moralia in Kapitel 19 diesen Mythos: Nach der Wiederbelebung des Osiris soll dieser den jugendlichen Horus aufgesucht haben und ihn auf einen Kampf mit Seth vorzubereiten. Osiris fragte Horus, was er für das edelste aller Dinge hielt. Als Horus antwortete: „Seine Eltern für das ihnen angetane Böse zu rächen,“ fragte Osiris ihn, welches Tier er für diejenigen, die in die Schlacht ziehen, für das nützlichste halte; und als Horus sagte: „Ein Pferd,“ war Osiris überrascht und stellte die Frage, warum er nicht eher einen Löwen als ein Pferd gesagt habe. Horus antwortete, dass ein Löwe für einen Mann in Not eine nützliche Sache sei, aber dass ein Pferd am besten diene, um die Flucht des Feindes abzuschneiden und ihn zu vernichten. Mit den Antworten zu Frieden erklärt Osiris Horus bereit gegen Seth zu kämpfen. Die treuen der Götter war im Konflikt zwischen Horus und Seth gespalten. Als Seths Konkubine Taweret zu Horus überläuft, sendet Seth eine Schlange als Boten auf Taweret, jedoch wird die Göttin von Horus und seiner Armee gerettet. Nachdem Seth und seine Anhänger besiegt wurden, wird er Isis in Ketten übergeben, die ihn nicht zu töten vermag und ziehen lässt. Horus stößt daraufhin seiner Mutter das Diadem vom Kopf, welches von Thot durch eine Kopfbedeckung mit Kuhhörnern ersetzt wird.[18]

In einer Version des Mythos Der Widerstreit von Horus und Seth sticht Seth Horus beide Augen aus (siehe oben), in einer anderen Fassung hingegen verlor Horus im Kampf gegen Seth nur das linke Auge, das sogenannte Mondauge. Dieses wird als „Horus-Auge“, auch „Udjat-Auge“, bezeichnet. Es ist das heile oder gesunde Auge. In beiden Fassungen des Mythos erhält Horus jedoch das Augenlicht zurück, indem Thot das Auge heilt.

Signet von EgyptAir mit Horus

Auch im heutigen Ägypten erfreut sich eine Verbindung zu Horus großer Beliebtheit, wahrscheinlich auch durch die Wertschätzung der muslimischen Araber für Jagdfalken. Die nationale Fluggesellschaft Egypt Air hat Horus als Signet und Logo, die Business-Class wurde früher Horus Class genannt. Auf dem Nil verkehrende Schiffe haben das Auge des Horus vorne am Bug beidseitig aufgetragen, um Unglück abzuwenden.

  • Mary Barnett: Götter und Mythen des alten Ägypten. Gondrom, Bindlach 1998, ISBN 3-8112-1646-5.
  • Hans Bonnet: Lexikon der ägyptischen Religionsgeschichte. Nikol, Hamburg 2000, ISBN 3-937872-08-6, S. 307–314.
  • Adolf Erman: Die Aegyptische Religion. Reimer, Berlin 1909.
  • Rolf Felde: Ägyptische Gottheiten. 2. erweiterte und verbesserte Auflage, R. Felde Eigenverlag, Wiesbaden 1995.
  • Lucia Gahlin: Ägypten – Götter, Mythen, Religionen. Edition XXL, Fränkisch-Crumbach 2005, ISBN 3-89736-312-7.
  • Wolfgang Helck, Eberhard Otto: Kleines Lexikon der Ägyptologie. Harrasowitz, Wiesbaden 1999, ISBN 3-447-04027-0.
  • Erik Hornung: Der eine und die Vielen, Ägyptische Gottesvorstellungen. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1971 / 7. Auflage, von Zabern, Darmstadt / Mainz 2011, ISBN 978-3-8053-4364-0.
  • Veronica Ions: Die Götter und Mythen Ägyptens. (= Die großen Religionen der Welt – Götter, Mythen und Legenden.) Neuer Kaiser Verlag – Buch und Welt, Klagenfurt 1988.
  • Richard W. Larisch: Frau auf dem Horusthron. Makarê – Königin von Saba? Larisch, Bonn 1980.
  • Christian Leitz u. a.: Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen (LGG). Band 5: Ḥ – ḫ (= Orientalia Lovaniensia analecta. Band 114). Peeters, Leuven 2002, ISBN 90-429-1150-6, S. 230–237.
  • Manfred Lurker: Lexikon der Götter und Symbole der alten Ägypter. Scherz, Bern / München / Wien 1998, ISBN 3-502-16430-4.
  • Günther Roeder: Ägyptische Mythen und Legenden (= Die Bibliothek der Alten Welt). Artemis, Zürich 1960.
Commons: Horus – Sammlung von Bildern und Videos

Anmerkungen und Einzelnachweise

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  1. Christian Leitz u. a.: LGG. Leuven 2002, S. 233.
  2. a b Rolf Felde: Ägyptische Gottheiten. Wiesbaden 1995, S. 25.
  3. Ursula Kampmann: Die Münzen der römischen Kaiserzeit. 1. Auflage, Battenberg 2004, München / Gietl, Regenstauf 2004, ISBN 3-89441-549-5, S. 215 Nr. 50.38.
  4. W. Helck, E. Otto: Kl. Lexikon der Ägyptologie. Wiesbaden 1999, S. 127.
  5. Veronica Ions: Die Götter und Mythen Ägyptens. Klagenfurt 1988, S. 66.
  6. Veronica Ions: Die Götter und Mythen Ägyptens. Klagenfurt 1988, S. 67.
  7. Manfred Lurker: Lexikon der Götter und Symbole der Alten Ägypter. Bern u. a. 1998, S. 101.
  8. Hermann A. Schlögl: Echnaton, Tutanchamun. Fakten und Texte. Harrassowitz, Wiesbaden 1983, ISBN 3-447-02337-6, S. 129.
  9. Rolf Felde: Ägyptische Gottheiten. Wiesbaden 1995, S. 26.
  10. Siehe beispielsweise: Herodot, Historien 2, 144
  11. Der vollständige Mythos in Übersetzung und mit Erläuterungen ist nachzulesen bei: Günther Roeder: Ägyptische Mythen und Legenden. Zürich 1960; sowie in der vierbändigen Reihe Die ägyptische Religion in Texten und Bildern (= Bibliothek der alten Welt.). Artemis-Verlag, Zürich 1959–1961; und bei Veronica Ions: Die Götter und Mythen Ägyptens. Klagenfurt 1988.
  12. Das Tebtynis Manual ist bekannt aus fünf verschiedenen hieratischen Manuskripten, die im Tempel des Soknebtynis im Ortszentrum von Tebtynis gefunden wurden. Das Tebtunis Manual basiert auf älteren Quellen und einige Passagen haben Ähnlichkeiten mit Inschriften vom Tempel von Edfu und Tempel von Dendera. Es enthält interessante Überschneidungen mit dem Mythical Manual of the Delta, wie zum Beispiel die Erwähnung von selten namentlich datierten Gottheiten wie Dedwen und Horit. Siehe: Jens Jørgensen, Kristoffer Blach: Egyptian Mythological Manuals: Mythological structures and interpretative techniques in the Tebtunis Mythological manual, the manual of the Delta and related texts. Det Humanistiske Fakultet, Københavns Universitet, Kopenhagen 2014, S. 43–44. Für eine Übersetzung des Tebtunis Manual, siehe: Jürgen Osing: Hieratische Papyri aus Tebtunis (= Carsten Niebuhr Institute of Near Eastern Studies.). University of Copenhagen / Museum Tusculanum Press, Kopenhagen 1998.
  13. Jens Jørgensen, Kristoffer Blach: Egyptian Mythological Manuals: Mythological structures and interpretative techniques in the Tebtunis Mythological manual, the manual of the Delta and related texts. Det Humanistiske Fakultet, Københavns Universitet (Hrsg.). Kopenhagen 2014, S. 50–53. (Volltext online).
  14. A. Chester Beatty, Alan H. Gardiner: The library of A. Chester Beatty; description of a hieratic papyrus with a mythological story, love-songs, and other miscellaneous texts. London 1931, S. 18–21. (Volltext als PDF).
  15. J. Jørgensen, K. Blach: Egyptian Mythological Manuals: Mythological structures and interpretative techniques in the Tebtunis Mythological manual, the manual of the Delta and related texts. Kopenhagen 2014, S. 51.
  16. Bei dem Papyrus Jumilhac handelt es sich um einen religiösen Papyrus, der sich aktuell im Louvre Museum befindet. Er enthält lokale Mythen des siebzehnten und achtzehnten Gaus von Unterägypten und stammt aus dem Ende der ptolemäischen Zeit. Siehe: T. G. H. James: Le Papyrus Jumilhac by Jacques Vandier. In: The Journal of Egyptian Archaeology. Band 48, 1962, S. 176–178.
  17. J. Jørgensen, K. Blach: Egyptian Mythological Manuals: Mythological structures and interpretative techniques in the Tebtunis Mythological manual, the manual of the Delta and related texts. Kopenhagen 2014, S. 52–53.
  18. Plutarch: Moralia. mit Englischer Übersetzung von Frank Cole Babbitt. Harvard University Press (Hrsg.). London 1936. S. 9. (Volltext als PDF).