Bügelfibeln von Nordendorf

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Die Schauseite der Bügelfibel von Nordendorf I
Bügelfibel Nordendorf II

Die Bügelfibeln von Nordendorf sind zwei germanische Gewandspangen aus der Mitte bis zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts.[1] Sie wurden 1843 (Nordendorf I) und 1844 (Nordendorf II) bei Nordendorf in Bayern gefunden. Für die Herkunft der Fibeln wird ein alamannischer Hintergrund vermutet.

Bei der Runeninschrift auf der Rückseite der Fibel Nordendorf I handelt es sich um die früheste bekannte Nennung der germanischen Gottheiten Wodan und Donar.[2] Für Odin/Wodan wurde 2023 mit dem Brakteat X13 aus dem 2020 entdeckten Schatzfund von Vindelev ein auf das 5. Jahrhundert datierter älterer Beleg gefunden.[3]

Auffindung und Beschreibung

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Die Fibel stammt wahrscheinlich aus einem Frauengrab, welches Teil eines 448 Bestattungen umfassenden Reihengräberfeldes war. Genaueres wurde bei den Ausgrabungen nicht oder nur unzulänglich dokumentiert. Die Gräber lassen auf fränkische, alemannische und langobardische Besiedlung schließen. Die Siedlung in der Nähe des Gräberfeldes gewann ihren Wohlstand durch ihre unmittelbare Lage an der Via Claudia Augusta, der wichtigsten Straße nach Italien in der Antike.

Inschrift und Deutung

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Runeninschrift

Die rechtsläufige, zweizeilige Inschrift im älteren Futhark ist auf der Rückseite der Kopfplatte angebracht und ist klar lesbar als:

  1. ᛚᛟᚷᚨᚦᛟᚱᛖ ᚹᛟᛞᚨᚾ ᚹᛁᚷᛁᚦᛟᚾᚨᚱ
    logaþore wodan wigiþonar
  2. ᚨᚹᚨ ᛚᛖᚢᛒᚹᛁᚾᛁ
    awa (l)eubwini
Zeile A

Die erste Zeile bot seit der Entdeckung der Fibel den meisten Anlass zur Diskussion. Die Wörter wodan und wigiþonar wurden und werden einstimmig als die Götternamen von Wodan und Donar angesehen. Donar ist dabei entweder als Weihe-Donar (mit wigi- zu germ. *wīgian 'weihen') oder als Kampf-Donar (mit wigi- zu germ. *wīgan 'kämpfen') aufzufassen. Dazu stellte man einen dritten Gott – logaþore, den einige Forscher als den nordischen Loðurr bzw. Loki identifizieren. Die dreifache Nennung von Göttern (Trias) kommt im germanischen Heidentum wie auch in anderen Kulturkreisen sehr häufig vor.

Klaus Düwel deutet logaþore als „arglistig“ oder „Zauberer“. Diese Deutung resultierte aus dem Fund zweier altenglischer Glossen, in denen die lateinischen Wörter cacomicanos und marsius mit logþer und logeþer übersetzt worden waren. Die Bedeutung der Inschrift würde sich damit von der heidnischen Göttertrias zur christlichen Aussage „Zauberer (oder: lügnerisch) [sind] Wodan und Weihe-Donar“ wandeln.[4]

Gegen diese Deutung werden unter anderen durch Edgar C. Polomé eine Reihe von Argumenten angeführt:[5]

  • linguistisch ist das -e in logaþore ungewöhnlich
  • stilistisch passt eine Göttertrias besser
  • historisch ist die Mitte des 6. Jahrhunderts zu früh für eine christliche Runeninschrift
  • die zu erwartende christliche Symbolik fehlt
  • mythologisch lässt sich zwar Odin, aber nicht Thor als Zauberer bezeichnen
  • spricht die stabende Langzeile durch den Beinamen („Prunknamen“) Donars gegen eine Abschwörungsformel

Zu den Experten, die logaþore als Loki deuten, gehören Dieter Geuenich,[6] Willy Krogmann,[7] Heinz Klingenberg und Stephan Opitz.[8]

Englische Glossen übersetzen lateinisch marsius/marsi auch als wyrmgalera ‚Schlangenzauberer‘, was wiederum ein Hinweis auf Loki und die Göttertrias wäre. Sogar eine Verwechselung von Marsius mit dem Gott Mars und damit Tyr wäre möglich.[9] Tyr würde von allen Göttern am besten in eine Göttertrias passen.

Zeile B

Bei der zweiten Zeile der Fibel handelt es sich nach allgemeiner Ansicht um die Personennamen Awa (Diminutiv zu Awila) und Leubwini (Lieb-Freund). Die L-Rune am Anfang des Wortes wird jedoch angenommen, da sie so gut wie abgerieben ist.

Darstellung der Inschrift des ausgehenden 19. Jahrhunderts in der Lesung mit den heute als unsicher geltenden Runen als birlnioelk (G. Stephens: Handbook of the Old-Northern Runic Monuments of Scandinavia and England. 1884)

Im selben Gräberfeld wurde 1844 noch eine weitere feuervergoldete Fibel aus Silber mit einer Runeninschrift gefunden. Die Inschrift ist einzeilig ausgelegt und wurde auf der Rückseite der halbrunden Kopfplatte angebracht.

(/)ᛁᚱᛚ(?)ᛁᛟᛖᛚ(?)
(b/a)irl(?)ioel(?)

Eine klare Deutung der Inschrift ist bedingt durch Sonderzeichen/Runen für den Korpus der südgermanischen Runeninschriften (Positionen 5, 10), sowie die Lesung der Rune Nr. 1 als b- oder a-Rune, bisher nicht erfolgt. Ute Schwab deutete die für das Germanische ungewöhnliche und unbelegte Vokalreihe ioe als eine mögliche Wiedergabe synkretischer, magischer Verbalisationen des hebräischen Theonyms Jehova/Jahwe nach der griechischen Form Ιαώ (und Varianten) aus den sogenannten spätantiken „Zauberpapyri“.

  • Klaus Düwel: Runenkunde. 4., überarbeitete und aktualisierte Auflage, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-476-14072-2.
  • Wolfgang Krause, Herbert Jankuhn: Die Runeninschriften im älteren Futhark. (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Philosophisch-Historische Klasse; Folge 3, Nr. 65,1 (Text), Nr. 65,2 (Tafeln)). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1966.
  • Tineke Looijenga: Runes around the North Sea and on the Continent AD 150-700. S. 144–145. (Vollversion)
  • Robert Nedoma: Personennamen in den südgermanischen Runeninschriften. Studien zur altgermanischen Namenkunde I, 1, 1. (= Indogermanische Bibliothek. 3. Reihe: Untersuchungen). Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2002, ISBN 978-3-8253-1646-4.
  • Ute Schwab: Runen der Merowingerzeit als Quelle für das Weiterleben der spätantiken christlichen und nichtchristlichen Schriftmagie? In: Klaus Düwel, Sean Nowak (Hrsg.): Runeninschriften als Quellen interdisziplinärer Forschung. (= Reallexikon der Germanischen Altertumskunde – Ergänzungsbände, 15). Walter de Gruyter, Berlin/New York 1998, ISBN 3-11-015455-2, S. 376–433.
  • Marcus Trier, Klaus Düwel: Nordendorf. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 21, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2002, ISBN 3-11-017272-0, S. 273–277.
  • Norbert Wagner: Zu den Runeninschriften von Pforzen und Nordendorf. In: Historische Sprachforschung 108 (1995), S. 104–112.
  • Michelle Waldispühl: Schreibpraktiken und Schriftwissen in südgermanischen Runeninschriften. Zur Funktionalität epigraphischer Schriftverwendung. Chronos Verlag, Zürich 2013, ISBN 978-3-0340-1026-9.
  1. Archäologische Datierung für Nordendorf 1 gemäß Klaus Düwel: Runenkunde. 4., überarbeitete und aktualisierte Auflage, Stuttgart 2008, S. 63; das Runenprojekt der Universität Kiel gibt für Nordendorf I 540 - 590 und für Nordendorf II Mitte/zweite Hälfte des 6. Jahrhunderts als archäologische Datierung an.
  2. Lisbeth Bredholt Christensen, Olav Hammer, David Warburton: The Handbook of Religions in Ancient Europe. Routledge, 2014, ISBN 978-1-317-54453-1 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 20. April 2019]).
  3. Lisbeth M. Imer, Krister Vasshus: Verdens ældste Odin fundet i Vindelev. 8. März 2023, abgerufen am 9. März 2023 (dänisch).
  4. Düwel, Klaus: Runenkunde. 4., überarbeitete und aktualisierte Auflage, Stuttgart 2008, SS. 63–64.
  5. Edgar C. Polomé: Essays on Germanic Religion. (= Journal of Indo-European Studies Monograph Series, Band 6). Washington/DC 1989, ISBN 0-941694-34-8, S. 140 ff.
  6. Dieter Geuenich: Die Geschichte der Alemannen. 2. Auflage. W. Kohlhammer, Stuttgart 2005, ISBN 3-17-018227-7, S. 112.
  7. Jens Bahr: Wortmaterial der Inschriften nach Wortklassen. Abgerufen am 1. Dezember 2018.
  8. Jens Bahr: Wortmaterial der Inschriften nach Wortklassen. Abgerufen am 1. Dezember 2018.
  9. Tineke Looijenga: Runes around the North Sea and on the Continent AD 150-700. S. 145.