Benutzer:Christoph Kühn/Meister Eckhart (Lehre)
Lehre
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Gottesbild
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einige Interpreten betonen als wesentliches Moment in der theologischen Lehre Meister Eckharts das Denken in prozesshaften Strukturen. Damit trete Eckhart in scharfen Kontrast zur Substanzontologie des Thomas von Aquin. Während bei Thomas Gottes Sein sein (Gottes) Denken begründet, ist das Verhältnis in Eckharts quaestiones umgekehrt: „deus est intelligere“, Gott = Denken. Insofern kann man bei Eckhart von einer Geistphilosophie sprechen. In den Predigten vor den Generalkapiteln sowie in den lectiones zu Jesus Sirach differenziert Meister Eckhart diese Aussagen genauer. Das Sein steht nun nicht mehr im Unterschied zu dem Denken Gottes, sondern ist integrativer Bestandteil: deus est esse.
Der Hintergrund für diese Überlegungen war ein grundsätzliches Problem der scholastischen Theologie: Wie kann der Gott, der als personales Gegenüber angesprochen wird, mit dem Schöpfergott zusammengehen, dessen Sein im Rahmen aristotelischer Ursachenlehre gefasst wurde? Lässt sich dieser Gott, wie es bei Thomas, der Lehrautorität nicht nur im Dominikanerorden, den Anschein hatte, mit dem Substanzbegriff adäquat fassen? Wird er nicht erst im Selbstbezug zu dem, was er sein soll?
Über die Ursachenlehre und Intellekttheorie des Thomas geht bereits Dietrich von Freiberg hinaus. In den quaestiones Eckharts wird Gottes Sein als Denkvollzug gefasst. Gott produziert die Weltphänomene, indem er aus sich herausgeht und anderes auf sich zurückbezieht. Als allumfassendes Denken ist Gott das Sein allen geschöpflichen Seins, ein Allgrund, der von aller Bestimmbarkeit frei zu halten ist. Der Schöpfungsvorgang ist bei Eckhart eine unendliche Selbstdifferenzierung.
Da Gott im Jetzt schafft, kann er mit der Schöpfung nicht aufgehört haben, d. h. andererseits, er kann niemals nicht geschaffen haben. „Es gibt da kein Werden, sondern ein Nun, ein Werden ohne Werden, ein Neusein ohne Erneuerung, und dieses Werden ist Gottes Sein“, sagt Eckhart in Predigt 50. Ein tragendes Element in Eckharts Gottesbild ist die „Dynamik des ewig aus sich fließenden und in sich zurückfließendes Gottes“ (N. Winkler).
Eckharts Denken nimmt viele Einflüsse des letzten großen Systems der griechischen Philosophie auf, des parallel zur christlichen Theologie entstandenen Neuplatonismus. Nach einigen Interpreten transzendiert Eckhart dabei den personalen, dreieinigen Gott zum neuplatonischen Einen. In Predigt 2 (Quint-Nummerierung der Diogenes-Ausgabe) sagt Eckhart etwa: „Dies ist leicht einzusehen, denn dieses einige Eine ist ohne Weise und ohne Eigenheit. Und drum: Soll Gott je darein lugen, so muss es ihn alle seine göttlichen Namen kosten und seine personhafte Eigenheit; das muss er allzumal draußen lassen, soll er je darein lugen.“
Der Begriff der Gottheit spielt in Eckharts Predigten eine wichtige Rolle. Für ihn ist Gottheit ein „Abgrund des Nichts“. Dies unterscheidet sich von einem Gott, der schulmäßig in Kategorien von Wesen und Sein gedacht wird und so in Entsprechung zu Natur und Seele gesetzt wird.
Gott-Mensch- bzw. Gott-Welt-Verhältnis
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In seinem „Buch der göttlichen Tröstung“ schreibt Eckhart: „Gott hat die Welt in der Weise erschaffen, dass er sie immer ohne Unterlass erschafft. Alles, was vergangen und was zukünftig ist, das ist Gott fremd und fern. Und darum: Wer von Gott als Gottes Sohn geboren ist, der liebt Gott um seiner selbst willen, das heißt: er liebt Gott um des Gott-Liebens willen und wirkt alle seine Werke um des Wirkens willen.“
Wie Gottes Schöpfung eine dynamische Selbstentfaltung ist, so ist auch der Mensch darauf ausgerichtet und dazu aufgefordert, ein „homo divinus“ zu sein, ein göttlicher Mensch. Als solcher lässt er seine Bestimmtheit durch weltliche und rationale Orientierungen. Er wendet sich in seinem mit Gott weseneins seienden Intellekt zu Gott zurück. Jede seiner Handlungen setzt dann Gott gegenwärtig.
In der neuplatonischen Interpretation der negativen Theologie Eckharts ist der göttliche Mensch derjenige, dem gemäß dem letzten Zitat gewahr wird, dass die ganze Welt und auch die Kreatur des Menschen darin nicht real und an sich existieren. Die Phänomene der Welt werden in ihrem voneinander getrennten Sein „ohne Unterlass“ von Augenblick zu Augenblick geschaffen, etwa in der Art, wie die Farben nicht als solche in der Welt existieren, sondern im Bewusstsein jedes sie erkennenden Seins geschaffen oder konstruiert werden. Die Weltschöpfung wird hierbei wie schon bei den meisten Platonikern vor Plotin nicht als ein einmaliger Akt verstanden, sondern als ein zeitloses Hervorquellen aus jeder Einzelseele. Plotin zufolge gibt es außer der Seele keinen anderen Ort für dieses All, d.h. die weltlichen Phänomene werden wie bei Kant nur als Erscheinungen gesehen.
Im Urgrund jeder Einzelseele befindet sich das göttliche Eine, die Seele ist hier also keine individuelle immaterielle Substanz, die neben oder in dem Sein einer Natur oder Welt existiert. In diesem Urgrund sind vielmehr alle Einzelseelen und überhaupt alles weltliche Sein nicht nur miteinander verbunden, sondern ununterscheidbar eins. So sagt Eckhart in Predigt 24 (Quint): „Hier [im ‚einigen Einen’] sind alle Grasblättlein und Holz und Stein und alle Dinge Eines.“
In der neuplatonischen Interpretation ist das Verhältnis Gott-Mensch daher kein Gegenüber von Gott und Mensch. Die Kreatur des Menschen muss hier in einem armen Geist zunichtewerden, um so die Einheit im Seelengrund zu vollziehen, ganz nach Eckharts Worten in Predigt 42 (Quint): „Du sollst ihn lieben wie er ist ein Nicht-Gott, ein Nicht-Geist, eine Nicht-Person, ein Nicht-Bild, mehr noch: wie er ein lauteres, reines, klares Eines ist, abgesondert von aller Zweiheit. Und in diesem Einen sollen wir ewig versinken vom Etwas zum Nichts. Dazu verhelfe uns Gott. Amen.“
Gottesgeburt in der Seele
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ein wichtiges Thema der deutschen Predigten Eckharts ist die Lehre von der Gottesgeburt in der Seele. Das Verhältnis von Gott und Seele ist dabei, folgt man etwa der Interpretation von B. Mojsisch, „univok“ zu nennen: es besteht nicht nur Ähnlichkeit, sondern Identität, nämlich insofern das Sein der Seele in den Blick genommen wird.
Eckhart gebraucht für univoke Verhältnisse in Predigt 82 das Bild vom Feuer, welches das Holz „sich selbst, dem Feuer, mehr und mehr gleich“ macht, „bis dass das Feuer sich in das Holz gebiert und ihm seine eigene Natur und sein eigenes Sein übermittelt.“
Die Gottesgeburt wird nicht im Sinne einer mystischen Entrückung verstanden, sondern beruht auf der Ansicht, dass der Intellekt seiner Natur inne wird, wenn er den göttlichen Grund in sich freilegt. Nach der aristotelischen Seelenlehre, wie sie u.a. Thomas von Aquin rezipiert, ist der Geist mit dem Körper und der Sinnlichkeit verbunden. Der Mensch kann daher nur unvollkommenes Abbild Gottes sein; es gibt keine vollständige Einheit zwischen Gott und menschlichem Intellekt. In der scholastischen Tradition des Anselm von Canterbury folgert Thomas daraus, dass nur eine außergeistige Kraft, die Gnadengabe Gottes, fähig ist, der Unvollkommenheit des Menschen abzuhelfen.
Ganz anders hingegen Eckhart: Anders als sonst zwischen Urbild und Abbild bildet sich Gott im Intellekt vollständig ab, weil Gott in einem permanenten Schöpfungsakt (s.o.) ohne Unterlass seinen Sohn im Menschen gebiert. Die zentrale Frage Anselms von Canterbury: „Cur Deus homo? / Warum wurde Gott Mensch?“ beantwortet Eckhart so: „Darum, dass ich als derselbe Gott geboren werde.“
Als wichtige Voraussetzung für die „Gottesgeburt in der Seele“ muss der Mensch Gelassenheit gewinnen. Darunter versteht Eckhart ein Loslassen, Abstreifen, Abstrahieren von aus weltlichen und dinglichen Verhältnissen geprägten Denk- und Handlungsstrukturen. Erst der gelassene Mensch ist der Sohn Gottes: „Dieser Mensch“, sagt Eckhart, „muss sich selbst und diese ganze Welt gelassen haben.“
Einzig im Erkennen kann der Mensch zum Grunde seiner selbst, zum göttlichen Grund durchbrechen und Gelassenheit erreichen. Dazu darf der Mensch nicht passiv und weltabgewandt bleiben, sondern muss im höchsten Maße aktiv sein und wie Gott, der reine Aktivität ist, aus seinem Inneren tätig werden. Entsprechend formuliert Eckhart in Predigt 5a: „Was ist mein Leben? Was von innen heraus bewegt wird.“
Wirklich gelassen ist, wer seinen Eigenwillen aufgegeben hat und durch sich Gottes Willen wirken lässt. Er darf auch in seinem Inneren nicht wollen. Der Zweck des menschlichen Daseins ist bei Eckhart Gott in seinem Wesen gleich zu werden, das Leben aus und zu Gott als reinen Selbstzweck zu begreifen.
In der neuplatonischen Interpretation der Theologie Meister Eckharts wird die Einheit des Seelengrundes durch den armen und darin heiligen Geist vollzogen. Doch es geht nicht nur um das bloße Zunichtewerden der weltlichen Phänomene, sondern vor allem um das darauf folgende, sozusagen urknallmäßige Wiedereinsetzen der weltlichen Strukturen und Erscheinungen in einem lebendigen Sein als das eigentliche Wunder. Es ist darin ein im wahrsten Sinne des Wortes ur-sprüngliches „Gebären“ weltlicher Strukturen.
Das Eine kann sich nicht in sich erkennen, denn dort liegt nach Eckharts Aussage in Predigt 23 (Quint) „das verborgene Dunkel der ewigen Gottheit und ist unerkannt und ward nie erkannt und wird nie erkannt werden.“ Die Selbsterkenntnis des Einen kann nur im Weltlichen stattfinden, da das Erkennen eine Struktur der Welt ist. Dieser Umstand begründet den Sohn oder Logos. Was ist das Besondere dieser ersten und ursprünglichen Erkenntnis und wie soll dieses darin erkannte „verborgene Dunkel“ benannt werden?
Meister Eckharts Schüler Heinrich Seuse definiert in seinem „Buch der Wahrheit“ den „Kern der Heiligen Schrift“. Dieser ist für Seuse in einem Werk des Neuplatonikers Dionysius zu finden, und heißt (auch als gleichzeitige Definition der negativen Theologie), dass das verborgene Dunkel als das Eine „endlos, unermesslich und unbegreiflich für alles kreatürliche Denken ist“. Das gilt dann auch für die Sohn-Erkenntnis, d.h. gerade die wahre Gotteserkenntnis verfestigt sich nicht als ein bestimmtes und sicheres Wissen in der Zeit und fließt als solches nicht als ein bestimmtes Sein (einer Religion) in die Welt aus.
In der vollkommenen Gotteserkenntnis im Sohn-Sein wird gemäß einer konsequenten negativen Theologie auch die höchste und ursprünglichste Erkenntnis in dem armen, heiligen Geist wieder zunichte. Die höchste Erkenntnis ist nur die beste Annäherung, aber letztlich stets nicht zutreffend und nicht wahr. Nur dadurch kann sich die jenseitige Einheit immer wieder erneut vollziehen – um das wiederum zu erkennen usw. In diesem von Eckhart in Predigt 57 (Quint) genannten „nichterkennenden Erkennen“, in dem er immer wieder „all unser Heil in ein Unwissen setzt“ (Quint Predigt 58), wird die Gotteserkenntnis zu einem momenthaften Geschehen, zu einem bloßen „Fünklein“, in dem Erkennender und Erkanntes in einem heiligen Geist immer wieder zu Eins verschmelzen. Die Trinität als fortlaufende Gottesgeburt ist hier ein dynamisches und prozesshaftes Geschehen von Erkennen oder Gebären und Vergehen an der Grenze der Welt. Der große weltliche Prozess von Werden und Vergehen wird hier in seiner Dauer minimiert. Darin wird bestmöglich und wesenhaft erkannt, dass Erkennen ein Schaffen von Sein ist und dass in Raum und Zeit getrenntes Sein nur im Erkennen oder nur in der Seele besteht und nicht unabhängig davon als an sich seiendes Sein.
In dem Erkennen, das nicht funkenhaft ist, sondern als ein Wissen in der Zeit und in einer in der Zeit seienden Kreatur besteht, kann diese letztendliche Wahrheit der Welt dagegen nicht erkannt werden. In diesem weltlichen Erkennen und Sein erscheint es so, als würden die Welt und die Kreaturen real, an sich und unabhängig vom Erkennen existieren und darin sogar den Tod überwinden. Auch das Jenseitige existiert hier nur in einem weltlichen Sein, in einem festen Bild (etwa als person- und darin kreaturhafte Trinität), in einem Begriff und einem Namen, aber nicht in seinem eigentlichen Wesen, das in der negativen Theologie und im Neuplatonismus „endlos, unermesslich und unbegreiflich für alles kreatürliche Denken ist“. Die Jenseitserkenntnis, die in Vorstellungen, Begriffen, Sein und allgemein weltlichen Strukturen ohne Zunichtewerden verharrt, ist darin keine wahre Selbsterkenntnis des Jenseitigen und auch keine wahre Selbsterkenntnis des Weltlichen.
Ethische Folgerungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Forderung nach Gelassenheit hat, wie Eckhart selbst immer wieder betont, weitreichende Konsequenzen für das moralische Tun. Es findet seinen Zweck in sich selbst, wenn der Mensch den göttlichen Selbstzweck zu seiner inneren Haltung macht. Eckharts Ethik ist keine Verhaltensethik, sondern eine Haltungsethik (D. Mieth). Maßstab für ethisches Handeln ist Gesinnung und Einsicht, nicht eine typisierende Vorschrift oder eine reine Folgenabschätzung. Denn der Mensch besitzt aus Gott eine moralische Autonomie.
Eine Problematik, die sich aus dieser Auffassung ergibt, hat Eckharts Schüler Heinrich Seuse deutlich erkannt und zu seinem Thema gemacht: Bei Eckhart ist das Verständnis des göttlichen Ichs an einen Erkenntnisoptimismus gebunden. Seuse betont hingegen die Irrtumsfähigkeit des Menschen als ein schwerwiegendes Problem.
In der Ethik Eckharts spielen drei Begriffe eine zentrale Rolle, Nächstenliebe, Gerechtigkeit und Sünde:
- Nächstenliebe ist der Wandel von einem eigennützigen zu einem uneigennützigen Leben als unmittelbare Folge von Gelassenheit.
- Die Grundlage der Nächstenliebe ist die Gerechtigkeit. Hierunter versteht Eckhart keine Verhaltensgerechtigkeit, sondern den Wandel von einer Haltung des Gebens zu einer Haltung des Empfangens: Gerecht ist derjenige, der alle Dinge gleich empfängt, der mit Gelassenheit den Willen Gottes in allem, was ihm widerfährt, hinnimmt. Nur dann ist der Mensch zu einem gerechten Handeln in der Lage, wenn er mit Gott eines Sinnes ist und die göttliche Gerechtigkeit im Inneren angenommen hat. Im Gerechten ist die Gerechtigkeit selbst. Diese Einheit gibt das Muster für Eckharts Univozitätsdenken ab.
- In seiner Sündenlehre gibt Eckhart das Wiedergutmachungsdenken der scholastischen Theologie (satisfactio) völlig auf. Luther wird es gut 300 Jahre später ebenfalls angreifen. Die Bedeutung des stellvertretenden Leidens Christi und der Märtyrer, die eine zentrale Rolle bei Anselm von Canterbury (dem Begründer der Satisfaktionslehre) und Thomas von Aquin spielt, kommt in Eckarts Schriften überhaupt nicht vor. Sünde ist bei Eckhart eine willentliche Abkehr von Gott. Sie ist aufgehoben, wenn sich der Mensch im Sinne des „gelassenen Menschen“ wieder Gott zugewandt hat, wenn er seinen Eigenwillen aufgegeben hat, um mit Gott ganz eines Willens und eins zu sein. Eine weitere Korrektur menschlichen Verhaltens, etwa durch Strafe, fordere Gott hingegen nicht. Eckhart hat keinen objektiven Begriff von Schuld. Entscheidend ist für ihn, wie der Mensch selbst mit seiner Schuld umgeht.