Benutzer:Exulesambo/Hans Simon (Pfarrer) neuer Versuch
Hans Simon (* 24. September 1935 in Krayna/Kreis Zeitz) ist ein pensionierter Pfarrer und ehemaliger Bürgerrechtler. Während seiner Tätigkeit in der Ost-Berliner Zionsgemeinde zur Zeit der DDR wurde die Zionskirche zu einem Mittelpunkt der unabhängigen Umwelt- und Friedensbewegung sowie vieler vom Staat marginalisierter Ost-Berliner Künstler und zu einem Zentrum der Proteste, die 1989 zur Wende und zum Fall der Berliner Mauer führten. Für seine Arbeit als Bürgerrechtler wurde Hans Simon mit dem Verdienstorden des Landes Berlin sowie dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Leben und Werk Aufgrund seines Engagements für Religionsfreiheit in der DDR und seiner Tätigkeit in der Jungen Gemeinde wurde Hans Simon 1953 von der Erweiterten Oberschule Droyßig relegiert. 1957 holte er sein Abitur in Potsdam-Hermannswerder nach und studierte anschließend Evangelische Theologie in Berlin-Zehlendorf. Nach seiner Ordinierung zum Pfarrer Pfarramtsamtstätigkeit zunächst in Göllingen, Kyffhäuser, dann in Brielow bei Brandenburg.
1984 wurde Hans Simon zum Pfarrer der Zionsgemeinde in Berlin-Mitte berufen; bis 1990 war er auch Vorsitzender des Gemeindekirchenrates der Zionsgemeinde. Dietrich Bonhoeffer, dessen Wirken und Theologie sich Hans Simon seit seiner Zeit in der Jungen Gemeinde verpflichtet fühlte, hatte 1931 als Stadtsynodalvikar in der Zionsgemeinde gearbeitet. Die Erinnerung an Bonhoeffer war sowohl unter älteren Gemeindemitgliedern als auch in der Leitung der Berlin-Brandenburgischen Kirche, zu der die Zionsgemeinde gehörte, präsent. Der Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin Brandenburg, Albrecht Schönherr, war 1934 Student des Predigerseminars Finkenwalde gewesen, das von Bonhoeffer geleitet wurde. Auch der seit 1981 amtierende Bischof Gottfried Forck, mit dem sich Simon ebenso wie mit Albrecht Schönherr austauschte, und mit dem er zusammenarbeitete, fühlte sich Bonhoeffers Anspruch, die Kirche müsse “Kirche für andere“ sein, verpflichtet. Simon verstand die “Kirche für andere” im Zusammenhang der Gemeindearbeit in Berlin-Mitte als Aufruf, sich für sozial Ausgegrenzte (‘Asoziale’) einzusetzen und religiös und politisch Suchenden oder vom Staat Verfolgten Zufluchtsorte und Freiräume unzensierter Diskussion zu ermöglichen.
Ab 1986 ermöglichte Simon es Umweltschützern, eine unabhängige Umwelt-Bibliothek in den Räumen der Zionskirche einzurichten. Zu den Gründern der Bibliothek gehörten u.a. Carlo Jordan, Oliver Kämper, Wolfgang Rüddenklau und Christian Halbrock. Die sowohl vom Umfang als auch von der Ausstattung in der DDR einmalige Bibliothek enthielt auch vom SED-Staat nicht erwünschte oder zensierte Literatur sowohl ost- als auch westeuropäischer Autoren. Die Umweltbibliothek wurde schnell zu einem überregionalen Zentrum kirchlichen und außerkirchlichen Protests gegen die Zerstörung der Schöpfung und Umwelt durch planwirtschaftlichen Raubbau und den Einsatz gefährlicher Technologien in der DDR und in anderen Teilen Europas. Bereits vor der Tschernobyl-Katastrophe formierte sich in den Umweltgruppen der Zionskirche Widerstand gegen die energiewirtschaftliche und militärische Nutzung der Atomenergie im Ostblock. In den Räumen der Umweltbibliothek wurde auch die Samisdat-Zeitschrift ‘Umweltblätter’ (später 'telegraph') hergestellt, die zu einer der wichtigsten Veröffentlichungen der DDR-Opposition wurde. Wegen der Umwelt-Bibliothek kam es zwischen dem Rat des Stadtbezirkes Berlin-Mitte und Simon wiederholt zu Auseinandersetzungen. Der Bezirksrat kollaborierte dabei eng mit der Stasi, die Simon seit seinem Theologiestudium bespitzelte.
Unter Simon wurde die Zionsgemeinde auch zu einem wichtigen Mittelpunkt der Friedensbewegung im Berliner und Brandenburger Raum. Von der Bergpredigt Jesu inspiriert argumentierte Simon theologisch gegen Hochrüstung und Militarisierung der Gesellschaft in der Zeit des Kalten Krieges. Er war ein aktiver Gestalter der Friedensdekaden in der Zionskirche und stellte sich schützend vor Träger des Schwerter-zu-Pflugscharen Symbols. Simon ermöglichte in den Räumen der Zionsgemeinde aber auch nicht-religiösen Gruppen von Pazifisten und Wehrdienstverweigerern ein Forum für ihre Ideen. Zudem engagierten sich Simon und Mitglieder der Zionsgemeinde in pazifistischer kirchlicher Arbeit zur Unterstützung der ‘Dritten Welt’. Dieses Engagement stieß bei Vertretern der SED-Außenpolitik, die eine leninistische Imperialismus-Theorie vertraten, ebenfalls auf Ablehnung.
Simon öffnete die Zionskirche und das Gemeindehaus auch für Künstler, die in der staatlich organisierten Kulturlandschaft Ost-Berlins keine Auftrittsmöglichkeiten hatten. Dies waren zumeist junge dissidentische Autoren und Liedermacher. Simon erlaubte auch Kunstformen, die nicht dem Sozialistischen Realismus entsprachen, ein Auftrittsforum im Kirchenraum. Zu einem Zwischenfall kam es am 17. Oktober nach einem Auftritt der Ost-Berliner Punkband ‘Die Firma’ und der West-Berliner Band ‘Element of Crime’ in der mit 2000 Menschen vollbesetzten Zionskirche. Die kurz vor Mitternacht noch in der Kirche gebliebenen ca. 400 Gäste wurden von Neo-Nazi-Parolen brüllenden Skinheads in der Kirche tätlich angegriffen. Einige Konzertbesucher wurden zusammengeschlagen. Die in der und vor der Kirche zahlreich anwesenden Stasi-Leute sahen dabei tatenlos zu. Pfarrer Simon protestierte daraufhin am folgenden Tag bei der Polizeidirektion Ost-Berlins.
In der Nacht vom 24. Auf den 25 November 1987 wurde Simon im Zuge der Stasi 'Aktion Falle’ zusammen mit anderen Oppositionellen aus dem Kreis der Umwelt-Bibliothek verhaftet. Die nächtliche Verhaftung eines Pfarrers und friedlicher Oppositioneller in der ehemaligen Wirkungsstätte Bonhoeffers löste ein internationales Medienecho aus. In der Zionsgemeinde und in anderen Gemeinden Berlins kam es zu spontanen Mahnwachen für die Verhafteten. Auch durch ökumenische kirchliche Proteste, u.a. aus Skandinavien und den Niederlanden, sowie durch die Fürsprache von Amnesty International und den westdeutschen Arbeitskreis für Ost West Fragen der Evangelisch Lutherischen Kirche kamen Simon und die anderen inhaftierten Bürgerrechtler nach wenigen Tagen wieder frei. Simon als Schutzherr der Umwelt-Bibliothek und viele andere Bürgerrechtler aus deren Umkreis wurden danach verstärkt von der Stasi überwacht, u.a. im Zuge von Operativen Personenkontrollen und ‘Zersetzungsmaßnahmen’.
Wie die Pastorenkollegen an anderen Ost-Berliner Kirchen mit starkem bürgerrechtlichen Engagement (z.B. Rainer Eppelmann), teilte auch Simon persönlich nicht immer die Meinungen der sich im Schutzraum seiner Kirche Versammelnden. Von konservativen Gemeinde- und Kirchenbeamten wurde er zuweilen als zu waghalsig und politisch, von ungeduldigen Protestierenden der Kirche von Unten als zu zögerlich und zu theologisch kritisiert. Wichtig war es Simon, in jedem Fall den Dialog zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen und religiösen Positionen zu ermöglichen.
Im Herbst 1989 wurde die Zionskirche unter Hans Simon zu einem wichtigen Versammlungsort friedlicher Demonstranten, die für Reisefreiheit und eine grundlegende Reformierung der DDR und/oder eine Vereinigung mit der Bundesrepublik Deutschland eintraten. In der Zionskirche formierten sich Mahnwachen und Protestzüge und es wurde über die Besetzung von Runden Tischen beraten (Carlo Jordan wurde ein Vertreter des Zentralen Runden Tisches. 1990 konnte, u.a nach einem Hungerstreik unter Beteiligung von prominenten Gemeinde- und Bibliotheksmitgliedern das Stasiunterlagengesetz durchgesetzt werden.
1991 erhielt Simon den Verdienstorden des Landes Berlin und das Bundesverdienstkreuz. 1997 ging er in den Ruhestand. Als altphilologisch ausgebildeter Theologe arbeit Simon im Ruhestand an Modellen der Exegese, die die soziale Botschaft Jesu verstärkt in den Kontexten der rabbinischen Theologie zur Zeit des Zweiten Tempels interpretieren.
https://www.zeit.de/2010/39/Das-ist-mir-heilig Literatur Reinhard Höppner: Bleiben, wohin uns Gott gestellt hat. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2004,
Ilko-Sascha Kowalczuk: Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR. Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-58357-5
Katherina Kunter: Erfüllte Hoffnungen und zerbrochene Träume. Evangelische Kirchen in Deutschland im Spannungsfeld von Demokratie und Sozialismus. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2006, ISBN 3-525-55745-0
Rudolf Mau: Der Protestantismus im Osten Deutschlands (1945-1990). (Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen IV/3) Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2005, ISBN 3-374-02319-3.
Thomas Rudolph, Oliver Kloss, Rainer Müller, Christoph Wonneberger (Hrsg. im Auftrage des IFM-Archivs e.V.): Weg in den Aufstand. Chronik zu Opposition und Widerstand in der DDR vom August 1987 bis zum Dezember 1989. Bd. 1, Leipzig, Araki, 2014, ISBN 978-3-941848-17-7
Christian Sachse: Den Menschen eine Stimme geben. Bischof Gottfried Forck und die Opposition in der DDR. Wichern Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-88981-268-1.