Benutzer:Sigma^2/Statistische Notation

Statistische Grundbegriffe

Merkmal

Merkmal ist ein Grundbegriff der Statistik für Eigenschaften statistischer Einheiten. Z. B. das Merkmal Geschlecht mit den Merkmalsausprägungen (Merkmalsmodalitäten) in ${\mathcal {G}}=\{{\text{männlich}},{\text{weiblich}},{\text{divers}}\}$, kodiert z. B. als ${\text{männlich}}=1,{\text{weiblich}}=2,{\text{divers}}=3$. An $N$ statistische Einheiten, die in diesem Zusammenhang Merkmalsträger heißen, z. B. mit 1, ... , N bezeichnet werden und in der Menge $\Omega =\{1,\dots ,n\}$ zusammengefasst werden, wird das Merkmal $G$ (Geschlecht) beobachtet. Dies wird durch eine Funktion $G:\Omega \to {\mathcal {G}}$ modelliert, die jeder statistischen Einheit $i\in \Omega$ eine Merkmalsausprägung $G_{i}=G(i)\in {\mathcal {G}}$ zuordnet. Die Funktion $G$ heißt statistische Variable. Die $N$ beobachteten Werte können im Vektor $(G_{1},\dots ,G_{N})$ zusammengefasst werden.

Wenn auf der Menge $\Omega$ ein Wahrscheinlichkeitsmaß (eine Wahrscheinlichkeitsverteilung) gegeben ist, z. B. mit den Wahrscheinlichkeiten $p_{i}=P(\{i\})\geq 0$ für $i=1,\dots ,N$ mit $\sum _{i=1}^{N}p_{i}=1$, dann wird die Funktion $G$ zur Zufallsvariablen, die die Werte 1,2 und 3 mit einer Wahrscheinlichkeitsverteilung die durch die Wahrscheinlichkeiten

$P(G=j)=\sum _{i=1}^{N}\mathbf {1} _{\{j\}}(G_{i})p_{i},\quad j=1,2,3$

gegeben ist.

Das Merkmal $G$ hat einen vierfachen Charakter.

• Losgelöst von einem Kontext mit konkreten statistischen Einheiten kann das Merkmal mit der Menge ${\mathcal {G}}$ der Merkmalsausprägungen, die das Merkmal charakterisieren, identifiziert werden.
• Das Merkmal $G$ kann als eine Variable im mathematischen Sinn aufgefasst werden, die als Stellvertreter für eine der drei Ausprägungen 1, 2 oder 3 steht.
• Das Merkmal $G$ kann als eine reelle Funktion gesehen werden.
• Das Merkmal $G$ kann als eine reelle Zufallsvariable gesehen werden

Stichprobe, Stichprobenvariable und Stichprobenraum

In der Statistik werden reelle Zufallsvariablen und Zufallsvektoren typischerweise ohne explizite Angabe des Urbildraums (zugrundeliegenden Wahrscheinlichkeitsraumes) $(\Omega ,\Sigma ,P)$ und der Abbildungsvorschrift $X(\cdot )$ betrachtet. Der meßbare Raum $(\Omega ',\Sigma ')$, in dem die Zufallsvariable oder der Zufallsvektor Werte annimmt, heißt Stichprobenraum. Das Bildwahrscheinlichkeitsmaß von $X$ heißt Verteilung von $X$. Eine Realisierung $x$ von $X$ heißt Stichprobe.

Die Komponenten eines n-dimensionalen Zufallsvektors $\mathbf {X} =(X_{1},\ldots ,X_{n})$ heißen Stichprobenvariablen. Der Bildbereich $\mathbf {X} (\Omega )$ heißt auch Stichprobenraum.

Indizierung versus Parametrisierung

„Unter einer Parametrisierung einer Klasse ${\mathfrak {P}}\subset {\mathfrak {M}}^{1}({\mathfrak {X}},{\mathfrak {B}})$ verstehen wir demgemäß eine bijektive [!] Abbildung von einem Parameterraum $\Theta$ auf ${\mathfrak {P}}$.“ Dabei bezeichnet ${\mathfrak {M}}^{1}({\mathfrak {X}},{\mathfrak {B}})$ die „Klasse [...] aller WS-Maße [Wahrscheinlichkeitsmaße] über $({\mathfrak {X}},{\mathfrak {B}})$“ Eine Verteilungsklasse ${\mathfrak {P}}=\{P_{\theta }\mid \theta \in \Theta \}$ ist also nicht einfach eine durch $\Theta$ indizierte Verteilungsmenge, sondern erfüllt

$\theta _{1}\neq \theta _{2}\implies P_{\theta _{1}}\neq P_{\theta _{2}}.$

Zufallsvariablen

Bezeichnungssysteme für Zufallsvariablen und Zufallsgrößen

Es gibt unterschiedliche Bezeichnungssysteme für Zufallsgrößen und -variablen als messbare Abbildungen von einem Wahrscheinlichkeitsraum in einen Messraum.

Deutschsprachige Bezeichnungen

Bezeichnungssysteme für Zufallsgrößen und -variablen

Oberbegriff (Abbildung in einen allgemeinen Messraum)	Werte in $\mathbb {R}$	Werte in ${\bar {\mathbb {R} }}$	Werte in $\mathbb {R} ^{n}$	Quellen
Zufallsvariable, Zufallsgröße, zufällige Größe	reelle Zufallsvariable	erweiterte Zufallsvariable, numerische Zufallsvariable	mehrdimensionale Zufallsvariable, Zufallsvektor	Wikipedia (deutschsprachig)
Zufallsvariable	reelle Zufallsvariable, Zufallsvariable		Zufallsvektor	Klenke (2020)
	Zufallsgröße, zufällige Größe, Zufallsvariable			Bewersdorff (2018)
Zufallsvariable	reelle Zufallsvariable	erweiterte Zufallsvariable, numerische Zufallsvariable	zufälliger Vektor, Zufallsvektor	Lexikon der Mathematik (2017)
Zufallsgröße	reelle Zufallsvariable	Zufallsvariable	Zufallsvektor	Schmidt (2011)
	(eindimensionale) Zufallsvariable		n-dimensionale Zufallsvariable, vektorielle Zufallsvariable, mehrdimensionale Zufallsvariable	Taschenbuch der Statistik (2008)
Zufallsvariable	reelle Zufallsvariable	numerische Zufallsvariable	n-dimensionale Zufallsvariable	Meintrup/Schäffler (2005)
Zufallsvariable	reelle Zufallsvariable	numerische Zufallsvariable	n-dimensionale Zufallsvariable, $\mathbb {R} ^{n}$-wertige Zufallsvariable	Bauer (2002)
zufällige Variable, zufälliges Element, zufällige Veränderliche	Zufallsgröße		zufälliger Vektor, Zufallsvektor	Lexikon der Stochastik (1991)
zufälliges Element, $(\cdot )$-wertige zufällige Größe	zufällige Größe	erweiterte zufällige Größe	n-dimensionaler zufälliger Vektor	Širjaev(1988)
Zufallsgröße	$\mathbb {R}$-wertige Zufallsgröße		n-dimensionale Zufallsgröße	Witting (1985)
Zufallselement	zufällige Variable	numerische zufällige Variable	Zufallsvektor, zufälliger Vektor	Gänssler/Stute (1977)

Die deutschsprachige Wikipedia enthielt im Artikel Zufallsvariable – ohne Nachweis – die Begriffe stochastische Variable und stochastische Größe. Hierbei handelt es sich entweder um Ad-Hoc-Erfindungen denkbarer Synonyme durch einen Wikipedia-Autor oder um Ad-Hoc-Erfindungen in nichtwissenschaftlicher Literatur.

Der Begriff Zufallsveränderliche ist in älterer Literatur (vor 1990) zu finden.

Als Beleg für den Begriff zufällige Größe und weitere wahrscheinlichkeitstheoretische Zusammenhänge wird (Stand: 5. September 2022) ein populärwissenschaftliches Buch angeführt. Dort wird durchgängig der Begriff Zufallsgröße verwendet und nur einmal zufällige Größe als mögliches Synonym verwendet.

Einzelnachweise

Englischsprachige Bezeichnungen

Englischsprachige Bezeichnungen für Zufallsgrößen und -variablen

Oberbegriff (messbare Abbildung von einem Wahrscheinlichkeitsraum in einen Messraum)	Werte in $\mathbb {R}$	Werte in ${\bar {\mathbb {R} }}$	Werte in $\mathbb {R} ^{n}$	Quellen
random element, random variable	real-valued random variable		multivariate random variable, random vector	engl. Wikipedia
random element	random variable		random vector	Kallenberg (2021)
	random variable		random vector	Proschan/Shaw (2016)
	random variable		random vector	Athreya/Lahiri (2006)
	random variable		random vector	Loève (1977)

Einzelnachweise

Numerische Zufallsvariable und numerische Funktion

Numerische Zufallsvariable

Der Begriff numerische Zufallsvariable für eine Zufallsvariable mit Werten in ${\bar {\mathbb {R} }}$ (eine erweiterte Zufallsvariable) ist eine Analogbildung zu numerische Funktion als Bezeichnung für eine ${\bar {\mathbb {R} }}$-wertige Funktion.

Numerische Funktion

In der deutschsprachigen maßtheoretischen Literatur ist die Bezeichnung numerische Funktion für eine ${\bar {\mathbb {R} }}$-wertige Funktion etabliert. Sie geht vermutlich auf Bauer (1964) zurück.

• Die englischsprachige Wikipedia leitet numerical function auf real-valued function weiter.
• Loève (1977) verwendet numerical function im Sinn von Bauer.
• Im englischen Sprachraum ist eine numerical-valued random variable eine skalare oder vektorwertige Zufallsvariable mit Werten in $\mathbb {R}$ oder $\mathbb {R} ^{n}$, also gerade keine numerische Funktion im Sinn von Bauer.
• Im Französischen ist eine fonction numérique eine Funktion mit Werten in $\mathbb {R}$. Die Terminologie scheint auf Bourbaki zurückzugehen. Auch hier besteht keine Übereinstimmung mit der numerischen Funktion im Sinn von Bauer.

Einzelnachweise

Verteilungen von Zufallsvariablen

Maßtheoretische Notation

Bei einer maßtheoretischen Formalisierung statistischer Probleme wird eine reelle Zufallsvariable $X$ als Funktion auf einem abstrakten Wahrscheinlichkeitsraum $(\Omega ,{\mathcal {F}},\mathbb {P} )$ gesehen. Das auf $(\mathbb {R} ,{\mathcal {B}})$ induzierte Wahrscheinlichkeitsmaß $P$ mit $P(B)=\mathbb {P} (\{\omega \mid X(\omega )\in B\})$ für alle $B\in {\mathcal {B}}$ bildet den Wahrscheinlichkeitsraum $(\mathbb {R} ,{\mathcal {B}},P)$, wobei $P$ die Wahrscheinlichkeitsverteilung von $X$ genannt ist.

In der Statistik spielt der abstrakte Wahrscheinlichkeitsraum regelmäßig keine oder nur eine sehr untergeordnete Rolle und es sind Notationen wie

$P(X\leq 0)=1/2\;,$

falls $X$ eine standardnormalverteilte Zufallsvariable ist, üblich.

In maßtheoretischer Notation müsste, wenn $P$ die Wahrscheinlichkeitsverteilung von $X$ bezeichnet, obige Gleichung als

$P((-\infty ,])=1/2$

oder als

$\mathbb {P} (\{\omega \mid X(\omega )\leq 1/2\})=1/2$

geschrieben werden. Dabei nähert man sich im zweiten Fall der statistischen Notation an, wenn eine der üblichen abkürzenden Schreibweisen

$\mathbb {P} (\{X\leq 1/2\})=\mathbb {P} \{X\leq 1/2\}=\mathbb {P} (X\leq 1/2)$

verwendet wird. Es bleibt aber dabei, dass die zwei Wahrscheinlichkeitsmaße $P$ und $\mathbb {P}$ unterschieden werden müssen.

Die Notation von Wittig

Im Buch Mathematische Statistik I von Witting wird diese Unterscheidung nicht konsistent umgesetzt, so wird bei Ereignissen der Form $X=x$, $X\leq x$ und allgemeineren Fällen die Notation $\mathbb {P} _{\theta }$ z. B. auf den S. 4, 6, 7, 15, 18, 19 verwendet. Im Beispiel 1.34, S.37 (Formeln 1.2.49–50) wird eine damit nicht verträgliche Notation verwendet. In (1.2.55) auf S. 39 kann man $P_{\theta }(T>c)$ als abkürzende Notation für $P_{\theta }(\{x\in {\mathcal {X}}\mid T(x)>c\})$ verstehen, wobei $P_{\theta }$ die Wahrscheinlichkeitsverteilung von $X$ auf $({\mathcal {X}},{\mathcal {B}})$ ist.

Einzelnachweise

Stetige Zufallsvariablen und Verteilungen

Eine reelle Zufallsvariable $X$ mit der Verteilungsfunktion $F_{X}$ und der Verteilung $P_{X}$ heißt genau dann stetig, wenn $F_{X}$ absolut stetig ist.

• Eine reelle Zufallsvariable mit stetiger Verteilungsfunktion ist nicht notwendig stetig im Sinn dieser Definition.
• $F_{X}$ ist genau dann absolut stetig, falls $P_{X}$ als Maß absolut stetig bezüglich des Lebesgue-Maßes $\lambda$ ist, wenn also

$\lambda (A)=0\implies P_{X}(A)=0$

gilt.

• Für eine stetige reelle Zufallsvariable existiert eine Dichtefunktion $f_{X}$ mit

$F_{X}(x)=\int _{-\infty }^{x}f_{X}(u)\mathrm {d} \lambda (u)$.

• Für praktisch relevante Fälle existiert eine Dichtefunktion, die uneigentlich Riemann-integrierbar ist, so dass

$F_{X}(x)=\int _{-\infty }^{x}f_{X}(u)\mathrm {d} u$.

• Eine Wahrscheinlichkeitsverteilung $P_{X}$ heißt stetig, falls die Verteilungsfunktion $F_{X}$ stetig ist.
• $P_{X}$ ist genau dann stetig, wenn es keine Stelle $x$ mit $P_{X}(\{x\})>0$.
• In maßtheoretischer Terminologie wird zwischen einer absolut-stetigen und einer stetigen Verteilungen unterschieden, wobei alle absolut-stetigen Verteilungen erst recht stetig sind.
• Manchmal wird in der Wahrscheinlichkeitstheorie von absolut-stetigen Zufallsvariablen gesprochen, wenn deren Verteilungsfunktion absolut-stetig ist. Die ergibt zwar ein konsistentere Bezeichnungsweise, ist aber nicht der seit einigen Jahrzehnten in der Statistik verwendeten Terminologie verträglich.

Multivariate Standardnormalverteilung

Ist $\mathrm {N} (\mathbf {0} ,\mathbf {\Sigma } )$ eine multivariate Standardnormalverteilung, falls die eindimensionalen Randverteilungen Standardnormalverteilungen sind, oder – spezieller –, falls $\Sigma$ eine Einheitsmatrix ist?

„Die Verteilung $\mathrm {N} (\mathbf {0} ,\mathbf {I} )$ wird als (multivariate) Standardnormal-Verteilung bezeichnet.“

Einzelnachweise

Zur Definition des Erwartungswertes

In einer engeren Definition wird der Erwartungswert einer reellen Zufallsvariablen ($X(\Omega )\subseteq \mathbb {R}$) als reelle Zahl, $\operatorname {E} [X]\in \mathbb {R}$, definiert. In einer weiteren Definition wird der Erwartungswert einer reellen Zufallsvariablen als erweiterte reelle Zahl, $\operatorname {E} [X]\in \mathbb {R} :={\bar {\mathbb {R} }}\cup \{-\infty ,+\infty \}$, definiert. Die nächste Erweiterung besteht darin, den Erwartungswert auch für erweiterte Zufallsvariablen ($X(\Omega )\subseteq {\bar {\mathbb {R} }}$) als erweiterte reelle Zahl ($\operatorname {E} [X]\in {\bar {\mathbb {R} }}$) zu definieren. In anwendungsnahen Publikationen sind häufig unscharfe oder unvollständige Definitionen zu finden.

Unterschiedlich weite Konzepte des Erwartungswertes

Erwartungswert für reelle Zufallsvariable als reelle Zahl (in $\mathbb {R}$)	Doob (1953), Feller (1968), Lexikon der Stochastik (1991), Whittle (2000), Casella/Berger (2002), Kallenberg (2021), Schilling (2021)
Erwartungswert für reelle Zufallsvariable als erweiterte reelle Zahl (in ${\bar {\mathbb {R} }}$)	Loève (1977), Širjaev (1988), Billingsley (1995), Bauer (2002), Meintrup/Schäffler (2005), Athreya/Lahiri (2006)
Erwartungswert für erweiterte Zufallsvariable als erweiterte reelle Zahl (in ${\bar {\mathbb {R} }}$)	Çinlar (2011), Schmidt (2011)

Erwartungswert einer reellen Zufallsvariablen als reelle Zahl

„Als Erwartungswert (Mittelwert) der Zufallsgröße $X$ mit der Verteilungsfunktion $F_{X}$ bezeichnet man die Größe

$\mu ={\mathsf {E}}X:=\int _{-\infty }^{\infty }x\mathrm {d} F_{X}(x),\quad {\text{falls }}\int _{-\infty }^{\infty }|x|\mathrm {d} F_{X}(x)<\infty$

ist. Man sagt dann auch, es existiert der Erwartungswert ${\mathsf {E}}X$ der Zufallsgröße $X$, oder, die Zufallsgröße $X$ besitzt den Erwartungswert ${\mathsf {E}}X$.“

Definitionen des Erwartungswertes als reelle Zahl lassen sich in vielen Statistikbüchern, aber auch in wahrscheinlichkeitstheoretischen Standardwerken finden.

Erwartungswert einer reellen Zufallsvariablen als erweiterte reelle Zahl

Definition

• „[...] schließen wir auf die Existenz des Grenzwertes $\lim _{n}\mathbf {M} \xi _{n}$, der auch den Wert $+\infty$ annehmen kann.“
• „[...] Man sagt, dass der Erwartungswert $\mathbf {M} \xi$ der zufälligen Größe $\xi$ existiert (oder daß er definiert ist), falls mindestens eine der Größen $\mathbf {M} \xi ^{+}$ oder $\mathbf {M} \xi ^{-}$ endlich ist [...] In diesem Fall setzt man nach Definition $\mathbf {M} \xi =\mathbf {M} \xi ^{+}-\mathbf {M} \xi ^{-}$.“
• „[...] Neben dem Erwartungswert $\mathbf {M} \xi$ sind auch die Größen $\mathbf {M} \xi ^{r}$ (falls sie existieren) und $\mathbf {M} |\xi |^{r},r>0$ [die immer existieren, siehe oben], wichtige zahlenmäßige Charakteristika einer zufälligen Größe $\xi$. Sie heißen Momente r-ter Ordnung bzw. absolute Momente r-ter Ordnung (r-te Momente) der zufälligen Größe $\xi$.“
• „Man sagt, daß der Erwartungswert der zufälligen Größe $\xi$ endlich ist, falls sowohl $\mathbf {M} \xi ^{-}<\infty$ als auch $\mathbf {M} \xi ^{+}<\infty$ erfüllt ist.“

Analoge Definitionen lassen sich in vielen Büchern zur Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik finden.

Zur Interpretation eines unendlichen Erwartungswert

Es sei $X$ eine reelle Zufallsvariable mit dem Erwartungswert $\operatorname {E} [X]=+\infty$, dann gilt $X<\operatorname {E} [X]$ (in dem üblichen Sinn, dass $X(\omega )<\operatorname {E} [X]$ für alle $\omega \in \Omega$ gilt). Da alle Realisierungen von $X$ kleiner als der Erwartungswert sind, ist in diesem Fall die Interpretation des Erwartungswertes als 'Mittelwert' äußerst fragwürdig und führt zu einer falschen Intuition. Anders als bei einem endlichen Erwartungswert realisiert sich der Erwartungswert nicht 'im Mittel'. Für stochastisch unabhängige und identisch verteilte Stichprobenvariablen $X_{1},\dots ,X_{n}$ mit der Verteilung von $X$ gilt

${\bar {X}}_{n}={\frac {1}{n}}\sum _{i=1}^{n}X_{i}\leq \max(X_{1},\dots ,X_{n})<\operatorname {E} [X]\quad {\text{für alle }}n\in \mathbb {N}$.

Dies zeigt, dass auch 'für große Stichprobenumfänge' die frequentistische Interpretation eines Erwartungswertes, nämlich $\operatorname {E} [X]\approx {\bar {X}}_{n}$, problematisch ist.

Zum Rechnen mit unendlichen Erwartungswertem

Die reellen Zufallsvariablen $X$ und $Y$ seien stochastisch unabhängig. Die Zufallsvariable sei nichtnegativ mit $\operatorname {E} [X]=+\infty$. Für die Zufallsvariable $Y$ sei $P(Y=-1)=P(Y=2)=1/2$. Dann gilt

$\operatorname {E} [(XY)^{+}]=\operatorname {E} [XY^{+}]=\operatorname {E} [X]\operatorname {E} [Y^{+}]=(+\infty )\cdot 1=+\infty$

und

$\operatorname {E} [(XY)^{-}]=\operatorname {E} [XY^{-}]=\operatorname {E} [X]\operatorname {E} [Y^{-}]=(+\infty )\cdot 1/2=+\infty$,

so dass $\operatorname {E} [XY]$ nicht existiert. Eine formale Anwendung der 'Rechenregel' $\operatorname {E} [XY]=\operatorname {E} [X]\operatorname {E} [Y]=(+\infty )\cdot 1=+\infty$ führt zu dem falschen Schluss $\operatorname {E} [XY]=+\infty$. Der maßtheoretische Hintergrund ist, dass der Satz von Fubini nicht unmittelbar auf das Produkt $XY$ angewendet werden darf, da dieses weder integrierbar noch nichtnegativ ist. Bei der Zerlegung in Positiv- und Negativteil kann jeweils der Satz von Fubini angewendet werden.

Erwartungswert einer erweiterten Zufallsvariablen als erweiterte reelle Zahl

Wenn man für den Erwartungswert die Werte $-\infty$ und $\infty$ zulässt, also die Definition eines Erwartungswertes im weiteren Sinn verwendet, dann führt dies zwangsläufig dazu, dass das Konzept der bedingten Erwartung als Zufallsvariable zu einer erweiterten Zufallsvariable führen kann. In der Literatur wird damit nicht einheitlich verfahren. Teils wird die bedingte Erwartung nur für Zufallsvariablen mit endlichem Erwartungswert definiert, teils wird der Erwartungswert auch für erweiterte Zufallsvariablen definiert.

Unscharfe Definitionen des Erwartungswertes

„Es heißt

$E(g(X)):={\begin{cases}\sum _{i}g(x_{i})P_{i}\\\int _{-\infty }^{\infty }g(x)f(x)\mathrm {d} x,\end{cases}}$

sofern existent, der Erwartungswert [expectation] von $g(X)$. Speziell heißt

$\mu :=E(X)={\begin{cases}\sum _{i}x_{i}P_{i}\\\int _{-\infty }^{\infty }xf(x)\mathrm {d} x\end{cases}}$

der Erwartungswert von $X$ [...]“

Die Definition ist unvollständig, da sie nur zwei Spezialfälle abdeckt. Sie enthält mit der Einschränkung „sofern existent“ eine nicht erklärte Unschärfe. Die Verwendung des Symbols $\mu$ und danach angegebene Rechenregeln, die endliche Erwartungswerte voraussetzen, sind Indizen dafür, dass nur endliche Erwartungswert gemeint sind und die Einschränkung „sofern existent“ vermutlich heißen soll, „als reelle Zahl existent“.

Das Symbol My für den Erwartungswert einer Zufallsvariablen

In der Statistik wird der Erwartungswert $\mathrm {E} [X]$ häufig mit $\mu _{X}$ und – wenn keine Verwechselung möglich ist – mit $\mu$ abgekürzt. Typischerweise wird diese abgekürzte Notation für endliche Erwarungswertes verwendet, so dass $\mu \in \mathbb {R}$ gilt. Es gibt aber Autoren, die abkürzend $\mu$ auch dann verwenden, wenn $\mathrm {E} [X]\in \{-\infty ,+\infty \}$ möglich ist.

Einzelnachweise

Existenz und Endlichkeit von Erwartungswerten und Momenten

'Existenz eines Erwartungswertes' bedeutet 'Wohldefiniertheit'

• Für einige Autoren bedeutet 'der Erwartungswert von $X$ existiert', dass das mathematische Objekt $E[X]$ definiert ist.

'Existenz eines Erwartungswertes' bedeutet 'Existenz als reelle Zahl'

• Für einige Autoren heißt 'der Erwartungswert von $X$ existiert', dass der Erwartungswert von $X$ als reelle Zahl existiert, also endlich ist.
• Für eine numerische Zufallsvariable $X$ wird $X^{+}:=\max(0,X)$ und $X^{+}:=\max(0,-X)$ definiert. Die Erwartungswerte im weiteren Sinn $E[X^{+}]\in [0,\infty ]$ und $E[X^{-}]\in [0,\infty ]$ sind dann definiert. Eine Festlegung ist: $E[X]=E[X^{+}]-E[X^{-}]$ existiert, falls $E[X^{+}]<\infty$ und $E[X^{-}]<\infty$. $E[X]=E[X^{+}]-E[X^{-}]$ ist wohldefiniert (well defined), falls $E[X^{+}]<\infty$ oder $E[X^{-}]<\infty$ gilt. Genauso wird well defined in Athreya/Lahiri (2006) verwendet.

Existenz eines Integral

Existenz eines Integral kann die Existenz im Sinn der Integrierbarkeit (Wert in ${\bar {\mathbb {R} }}$) oder der Quasiintegrierbarkeit (Wert in $\mathbb {R}$) bedeuten. Definitionen in denen die Existenz eines Erwartungswertes mit der Existenz des Integrals erklärt werden, sind daher unklar.

Existenz eines Momentes

• Existenz eines Momentes meint häufig die Endlichkeit eines Momentes (Existenz in $\mathbb {R}$).

Einzelnachweise

Bedingtheit

Bedingte Wahrscheinlichkeit

Notationen und Bezeichnungen

• Standardnotation: $P(A|B)$
• Ältere Notationen: $P_{B}(A)$, $P(A/B)$, $P(A:B)$, $(A,B)$.
• Altere Bezeichnung: relative Wahrscheinlichkeit

Sprech- und Schreibweisen

• Standardformulierung: $P(A|B)$ ist die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses $A$ unter der Bedingung $B$.
• Für ein Ereignis $A$ heißt $P(A|B)$ bedingte Wahrscheinlichkeit von $A$ unter $B$.
• Die Formulierung bedingt auf das Ereignis $B$ ist grammatisch eigentlich falsch, aber dennoch häufig zu finden. Vermutlich handelt es sich um eine Sprachanpassung an conditioned on.

Definitionen

Es gibt unterschiedlich weite Konzepte der bedingten Wahrscheinlichkeit:

1. als Zahl im Intervall [0,1]
2. als Zufallsvariable mit Werten im Intervall [0,1]
3. als reguläre bedingte Wahrscheinlichkeit unter der Bedingung eines Ereignisses mit Wahrscheinlichkeit Null

Einzelnachweise

Bedingte Erwartung und bedingter Erwartungswert

Unterschiedlich weite Konzepte des bedingten Erwartungswertes:

1. als reelle Zahl
2. als erweiterte reelle Zahl
3. als reelle Zufallsvariable
4. als erweiterte reelle Zufallsvariable

Definition der bedingten Erwartung als Zufallsvariable

Typischerweise wird die bedingte Erwartung $E[X|{\mathcal {G}}]$ gegeben eine Ereignis-σ-Algebra ${\mathcal {G}}\subseteq {\mathcal {F}}$ nur für den Fall definiert, dass $E[X]$ endlich ist ($X$ integrierbar ist), z. B. Billingsley (1995), Shorack (2000). In diesem Fall ist dann auch $E[X|{\mathcal {G}}]$ endlich und damit eine reelle Zufallsvariable.

Es gibt aber einen etwas allgemeineren Ansatz, bei dem $E[X|{\mathcal {G}}]$ eine erweiterte Zufallsvariable sein kann und bei dem $E[X]$ nicht notwendig endlich ist. Dies ergibt nur ein dann ein sinnvolles System, wenn gewöhnliche Erwartungswerte unendlich sein können und außerdem Erwartungswerte für erweiterte (numerische) Zufallsvariablen definiert sind, da dann der bedingte Erwartungswert eine erweiterte Zufallsvariable sein kann. Im Satz vom iterierten Erwartungswert,

$E[E[X|{\mathcal {G}}]]=E[X]$,

steht dann auf der linken Seite der Erwartungswert einer erweiterten Zufallsvariablen und auf auf der rechten Seite der unendliche Erwartungswert einer Zufallsvariablen.

Beispiel

Betrachtet wird die diskrete Zufallsvariable $X$ deren Wahrscheinlichkeitsverteilung durch die Wahrscheinlichkeiten

$P(X=2^{k})={\frac {1}{2^{k}}}\quad {\text{für }}k=1,2,\dots$

festliegt. Es gilt $E[X]=\infty$. Für das Ereignis

$A:=\{X=2\}=\{\omega \mid X(\omega )=2\}$

und das Ereignissystem

${\mathcal {G}}=\{\emptyset ,\Omega ,A,\Omega \setminus A\}$

gilt

$E[X|{\mathcal {G}}](\omega )={\begin{cases}2&{\text{für }}\omega \in A\\\infty &{\text{für }}\omega \in \Omega \setminus A\end{cases}}$

mit

$P(E[X|{\mathcal {G}}]=2)=P(E[X|{\mathcal {G}}]=\infty )={\frac {1}{2}}$.

Es gilt dann

$E[E[X|{\mathcal {G}}]]={\frac {1}{2}}2+{\frac {1}{2}}\infty =\infty =E[X]$.

Beispiel

Wenn $X$ eine nichtnegative Zufallsvariable mit $E[X]=\infty$ und $P(X\in [0,1])>0$ ist, lässt sich zwar der bedingte Erwartungswert

$E[X|X\in [0,1]]={\frac {E[X\mathbf {1} _{[0,1]}(X)]}{P(X\in [0,1])}}$

als reelle Zahl definieren definieren, aber es gilt

$E[X|X\notin [0,1]]=\infty$.

Für

${\mathcal {G}}:=\{\emptyset ,\Omega ,\{X\in [0,1]\},\{X\notin [0,1]\}\}$ lässt sich $E[X|{\mathcal {G}}]$ nur als erweiterte Zufallsvariable

definieren.

Beispiel

Wenn $X$ Cauchy-verteilt ist, gibt es weitere Einschränkungen. Es lässt sich zwar $E[X|X\in [0,1]]$ wie oben definieren, aber $E[X|X\notin [0,1]]$ kann nicht analog definiert werden, da für die Zufallsvariable $Y=X\mathbf {1} _{\mathbb {R} \setminus [0,1]}(X)$ sowohl $E[Y^{+}]=\infty$ als auch $E[Y^{-}]=\infty$ gilt. Somit lässt sich $E[X|{\mathcal {G}}]$ für ${\mathcal {G}}=\{\emptyset ,\Omega ,\{X\in [0,1]\},\{X\notin [0,1]\}\}$ auch nicht als erweiterte Zufallsvariable definieren.

Das scheinbar allgemeinste Konzept einer bedingten Erwartung $E[X|{\mathcal {G}}]$ als reelle Zufallsvariable oder als erweiterte Zufallsvariable enthält dann eine Einschränkung, wenn $E[X|G]$ für einige $G\in {\mathcal {G}}$ definiert werden kann und für andere nicht.

Existenz einer Zufallsvariablen als zufällige bedingte Erwartung

1. „[...] und $\min(E(X_{+}|{\mathcal {B}}),E(X_{-}|{\mathcal {B}}))$ existiert“.
2. „[...] d. h., der bedingte Erwartungswert $E(X|{\mathcal {B}})$ existiert.“

Mit existiert meint Rüschendorf vermutlich existiert als reelle Zahl bzw. ist endlich.

Einzelnachweise

Bayes-Statistik

Benannt nach Thomas Bayes.

• A-priori-Verteilung, Prior-Verteilung (engl.: a priori distribution, prior distribution), Prior-Dichte
• A-priori-Wahrscheinlichkeit (engl.: a priori probability)
• A-posteriori-Risiko
• A-posteriori-Verteilung, Posterior-Verteilung (engl.: a posteriori distribution, posterior distribution), Posterior-Dichte
• A-posteriori-Wahrscheinlichkeit (engl.: a posteriori probability)
• bayesianische ... (Adjektiv in Kleinschreibung)
  • bayesianische Statistik
• Bayesianische ... (Adjektiv in Großschreibung)
  • Bayesianische Erkenntnistheorie (Artikel eher unstatistisch aus philosophischer Richtung, im wesentlichen eine Übersetzung aus der englischen Wikipedia, teils problematische Übersetzungen, z. B. wird 'belief' mit "Glauben" anstelle von "Überzeugung" übersetzt)
  • Im Artikel Bayesianische Erkenntnistheorie: Bayesianischer Ansatz, Bayesianischer Ausdruck, Bayesianische Bestätigungstheorie, Bayesianisches Prinzip, Bayesianische Rationalitätsnorm, Bayesianische Wahrscheinlichkeitsinterpretation
• Bayesianer, Bayesianismus im Artikel Bayesianische Erkenntnistheorie
• bayessche, bayesscher, bayessches ... (Adjektiv in Kleinschreibung)
  • bayessche Statistik
  • bayesscher Wahrscheinlichkeitsbegriff
  • bayessches Theorem (Weiterleitung nach Satz von Bayes)
• Bayessche, Bayesscher, Bayessches ... (Adjektiv in Großschreibung)
  • Bayessche Entscheidungsfunktion
  • Bayessche Formel
  • Bayessche Schätzung
  • Bayessche Theorie
  • Bayesscher Test
  • Bayessches Filter
  • Bayessches Netz
  • Bayessches Prinzip
  • Bayessches Risiko
  • Bayesscher Spamfilter
  • Bayessches Theorem (Weiterleitung nach Satz von Bayes)
  • Bayesscher Wahrscheinlichkeitsbegriff
• Bayes-...
  • Bayes-Entscheidungsfunktion
  • Bayes-Hypothesentest
  • Bayes-Inferenz
  • Bayes-Klassifikator
  • Bayes-Konfidenzintervall
  • Bayes-Risiko
  • Bayes-Schätzer
  • Bayes-Spiel
• ungünstigste A-priori-Verteilung (engl.: most unfavourable a priori distribution)

Einzelnachweise

In der Philosophie gibt es den Apriorismus (Lehre einer Erkenntnis unabhängig von Erfahrung) und in diesem Zusammanhang das Apriori, apriorisch, das Aposteriori, aposteriosch. Dies passt nicht gut mit der Bayes-Statistik zusammen, da die A-prori-Verteilung der Bayes-Statistik durchaus erfahrungsbasiert sein kann.