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Man gendert
Lange Zeit dachte sich niemand etwas dabei, fühlte sich auch nicht gekränkt, wenn zum Beispiel von den „Einwohnern einer Stadt“ oder den „Besuchern einer Veranstaltung“ geschrieben oder gesprochen wurde. Inzwischen allerdings lehnt ein nicht zu unterschätzender Teil der Bevölkerung diese und ähnliche Formulierungen als diskriminierend und deshalb inakzeptabel ab und fordert eine „gendergerechte“ beziehungsweise geschlechtergerechte Sprache.
Es genüge jedoch nicht, auf das sogenannte generische Maskulinum zu verzichten und umständlich „Einwohnerinnen und Einwohner“ zu sagen oder zu schreiben; denn damit seien zwar Frauen und Männer berücksichtigt, nicht aber Personen, die weder das eine noch das andere sind. Die Anrede „Sehr geehrte Damen und Herren“ in Briefen solle ebenfalls der Vergangenheit angehören, am besten verboten werden. Denn die 413 Menschen, die sich in Deutschland als „verschieden" beziehungsweise „divers“ amtlich registrieren ließen oder registriert wurden und entsprechend wahrgenommen werden wollen (Stand September 2020), könnten sich ausgegrenzt fühlen. Immerhin sind das 0,0049 Promille der rund 84 Millionen.
Die Frage ist, wie das Problem gelöst werden kann. Am gebräuchlichsten ist zurzeit noch das Gendersternchen, alternativ ein Doppelpunkt oder Unterstrich, mitten im geschriebenen und die Pause im gesprochenen Wort. Ob das gefalle oder nicht, man gewöhne sich daran, meinte eine junge Verfechterin dieser neuen Formen, und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin geht mit vermeintlich gutem Beispiel voran. Sie sagt „Bürger“ und nach kleiner Pause folgt „innen“. Wer es zum ersten Mal hört, könnte meinen, ihr stoße auf. Das ist aber nicht der Fall, nein, sie gendert beziehungsweise „dschendert“, wie es korrekt englisch ausgesprochen heißt.
Nun ist das Sternchen unabhängig vom Wortbild nicht jedermanns Sache. Zehnfingerschreiber argumentieren unter anderem, dass es weit rechts in der PC-Tastatur neben dem ü liegt, außerdem Umschaltung verlangt und dadurch den Schreibfluss hemmt, was aber durch die eingesparten Buchstaben gegenüber beispielsweise den „Teilnehmerinnen und Teilnehmern“ mehr als ausgeglichen wird. Trotzdem: Wer es nicht mag, kann statt des Sternchens „m/w/d“ in Klammern hinter „Teilnehmer“ setzen oder auf substantivierte Partizipien beziehungsweise Mittelwörter ausweichen.
Doch mit Letzterem wird es knifflig, wird Sprache mitunter vergewaltigt, wie der Schauspieler Dieter Hallervorden bemerkte. Wenn es dann heißt, dass rund 50 „Teilnehmende“ anwesend waren, klingt es zwar fast noch normal. Aber was ist nach der Veranstaltung, wenn sie nicht mehr teilnehmen und sich in geselliger Runde zusammensetzen? Korrekt müssten es die „Teilgenommenhabenden“ sein. Und was ist mit den „Fußgehenden“ (früher „Fußgängerinnen und Fußgänger“), die am Ziel angekommen sind? Korrekt sind es die „Fußgegangenseienden“. Wahrscheinlich wird es nicht nur für „Beschultwerdende“ (ehemals „Schülerinnen und Schüler“) schwierig, die richtige Form zu finden.
Zur Anrede in Briefen empfehlen die Schreib- und Gestaltungsregeln für die Text- und Informationsverarbeitung DIN 5008 in einem Musterbrief „Sehr geehrte Persönlichkeiten“ statt „Sehr geehrte Damen und Herren“. Na ja, mag man sagen. Auffallend ist hier wie bei den meisten Empfehlungen, dass der Vorschlag im Plural steht. Was aber ist mit Einzelpersonen, die ich eventuell mit Namen anreden will? Es ist kein Problem, wenn sich ein Diverser nicht als solcher, sondern eindeutig als Mann oder Frau darstellt; dann will er auch entsprechend angeredet werden. Ein Beispiel ist die Pfarrerin, Vater von sieben Kindern, die in Frauenkleidern und mit langen Haaren auftritt und ihr Leben als Mann hinter sich gelassen hat. Wie ist aber einer der 413 amtlich eingetragenen, wie auch immer äußerlich sich zeigenden Diversen anzureden oder zu begrüßen?
Doch zurück zum Plural: Waren die „Damen und Herren“ und vor allem in vielen Fällen das generische Maskulinum wirklich so herabwürdigend und beleidigend, wie es seit Längerem dargestellt wird? Warum sollte sich irgendjemand gekränkt fühlen, wenn er, sie oder es liest, die Stadt habe rund „11.250 Einwohner“, ohne Sternchen mit angehängten „innen“, ohne „m/w/d“, und nicht „Einwohnende“?
Lothar Spurzem