Benutzer:Torana/Märchen und Sagen aus dem Hohenlohischen
Der Edelmann von Lohr
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Unweit der Stadt Crailsheim ragt aus dem Talgrund zur rechten Hand der Jagst ein Bergrücken auf. Der ist so stattlich und breit, daß es wohl wahr sein kann, was die Alten von ihm sagen: Auf diesem Bergrücken soll ehedem ein gar trutziglich Schloß gestanden sein, und in diesem Schloß soll das edle Geschlecht der Herren von Lohr oder Lare gehaust haben. Sie waren weit und breit bekannt im Frankenland, die Herren von Lohr, und zu ihrer wettergrauen Feste sah zwei und drei Jahrhunderte vor und nach dem Jahr ein tausend unserer Zeitrechnung im Jagstgau ein arbeitend Bauernvolk in scheuer Furcht und bangem Hoffen auf, gewärtig der Befehle, die von droben kamen. Und manch ein Ritter auch, der sonst vor Bauersleuten stolz das Haupt erhub, beugte vor den Herren von Lohr den Nacken, lebte er doch als Dienstmann von deren Gnad’ und Gunst. Und so mag’s gekommen sein, daß in diesem herrschgewohnten Geschlecht allmählich hochfahrender Sinn und ungezügelte Rücksichtslosigkeit sich vom Vater auf den Sohn und vom Ahn zum Kindeskind vererbten.
Und einer der Lohrer Edelleute war gar ein grimmer Mann. Der war Gott und aller Welt feind, und die Leute sagten das Wahrwort über ihn: Der mag sich selber nicht.
Dieser Finsterling hatte als einziges Kind einen Sohn, und dieser Sohn war in allem und jedem Stück das Ebenbild seiner heimgegangenen Mutter und in allem und jedem Stück das Gegenteil von seinem Vater. Er war, kurz gesagt, ein echter Edelmann, der Sohn, menschenfreundlich mit den Bauersleuten und ein Wohltäter der Armen. Dieser junge Edelmann jagte einst in den Waldbergen um Lohr, und wie es nur so gehen soll: in den Forsten ob dem Dörfchen Westgartshausen trifft er ein Mädchen an. Ihr Bild berückt sein Herz und alsogleich flammt heiße Liebe auf im jungen Edelmann. Hoch und teuer verschwört er sich, diese liebliche Menschenblüte als sein Ehegespons heimzuführen und keine andere.
Aber da setzt’s harte Kämpfe. Fürs erste: das Mädchen will nicht; an Edelmannsschwüre glauben, scheint ihr Torheit zu sein. Zudem sei sie eines Bauern Kind und für einen Edeling somit zu niederen Standes. Doch der Edeljüngling bat und bat und endlich nach vielem Ungestüm erhielt er denn auch des Mädchens Jawort. Alsofort tritt er vor seinen Vater, diesem seine Liebe offenbarend. Doch da kam er übel an. »Was!« rief der Lohrer Edelmann wutschnaubend, »unsern altedeln Stamm willst du schänden durch eine Bauerndirne!
Warte, mein Junge, ich will dir die Suppe, die du dir eingebrockt, gründlich verekeln.« Sprach’s und ritt spornstreichs aus dem Burghof. Aber nicht allein. Er hatte nämlich einen Knecht, der alte Edelmann, einen zwerghaften, verschmitzten Burschen, von dem mit Recht die Rede ging: Je krümmer je schlimmer! Dieser Knirps war seit je mit seinem Herrn, dem alten Edelmann, auf gut und bösen Wegen gegangen. So auch heute. In scharfem Ritt jagten die beiden geradeswegs gen Westgartshausen. Die Liebste seines Sohnes wollt’ er aufheben, der Lohrer. Doch die ist nicht daheim, ist draußen im Feld tätig. Das weiß der junge Edelmann und reitet, dieweil er sich von seinem Vater keines Guten versieht, raschestens hin zu seiner Liebsten aufs Feld. Es gelingt ihm, sie zu überreden. Er setzt sie auf sein Roß und will, so gut es geht, querfeldein in jagender Eile gen Jagstheim reiten. Denn dort ist ihm ein Bauernhof zu eigen, und dort will er sich mit seiner Liebsten niederlassen, dort sie freien.
’s war ein Abend im Hochsommer. Die Mondsichel steigt herauf am nachtblauen Himmel. Der junge Edelmann reitet und reitet durch den schweigenden Abend, sein Liebchen im Arm. Der alte Edelmann, der mittlerweile den Aufenthalt des Bauernmädchens erfragt hat, reitet mitsamt dem Knirps hinter ihm drein wie das siedende Unwetter, und in der Höhe vom Dorf Ingersheim, mitten im blachen Feld, ereilt der Vater den Sohn. »Laß die Bauerndirne!« schreit der Alte und zückt sein Schwert, um es dem Mädchen in die Brust zu stoßen. In diesem Augenblick reißt jedoch der Sohn sein Pferd herum, und des Vaters Stahl dringt nun ins Herz des eigenen Sohns. Lautlos sinkt dieser vom Gaule.
Da springt zähnefletschend wie ein wildes Tier der teuflische Knirps herbei und stößt dem Mädchen die Klinge in die Brust. Hochauf spritzt der Blutstrahl. »Nun habt Ihr uns doch vermählt, durch den Tod, Herr Edelmann,« sagt das Bauernkind, schlingt die Arme um den Liebsten, preßt die Lippen auf die seinigen und stirbt.
So noch von Sterbenden verhöhnt zu werden, das fachte den Zorn des Lohrer Edelherrn aufs ärgste an. Er sann und sann und brütete, und noch in selbiger Nacht hub er zwei Gräber aus, und in jedes derselben warf er ein Totes, ’s war des Lohrers eigener Grund und Boden, wo die beiden starben und begraben wurden, und so war einige Sicherheit gegeben, daß niemand die Untat erfahren würde. Bis am Morgen die Sterne erbleichten und Tageshelle sich im Osten zeigte, solange schaufelten der Edelmann und der verzwergte Knecht und wurden fertig.
Aber auch im Tode sollte der Unterschied des Standes der Liebenden aufrecht erhalten werden, und drum pflanzte der Lohrer Edelmann zu Häupten desjenigen Grabes, in dem sein Sohn lag, eine Eiche; ein Stoß von Efeukränzen, Schild und Wappenbanner, Speer und Harnisch wurden eingegraben; die Ruhestätte des armen Bauernmädchens aber sollte wüste und öde liegen.
Nun ging eine kurze Zeit um, und was in Nacht verborgen war, die Sonne macht’ es offenbar. Die Bluttat des Edelmanns ward ruchbar. Ein dumpfes Murren und Grollen ging im Jagsttal durchs Bauernvolk: von Mund zu Munde raunte man das Schreckliche, das geschehen sein sollte, aber etwas Gewisses wußte niemand. Aber am nächsten Gautag sollte der Edelmann beim Ting zu Altenmünster vor allem Volk gefragt werden, was er von dem vermißten Westgartshäuser Bauernmädchen wisse. Aber da fand vorher noch ein Bauersmann von ungefähr die beiden Gräber im Blachland, und jetzt war es allen offenbar, welches Todes die Vermißte verblichen. Flüche über den Lohrer Edelmann stiegen auf, und in verzweifelter Wehklage hoben die betagten Eltern des gemordeten Mädchens ihre Arme auf zum Rächer des Unrechts. Über Nacht schmückten viele teilnehmende Menschen das Grab des Bauernmädchens mit Blumen und Gewinden. Darob geriet nun der Edelmann in namenlose Wut. Er schwur, jeden Bauern spießen zu lassen, der zur Tages- oder zur Nachtzeit bei den Gräbern angetroffen würde; in seinem Gelände hätte niemand etwas zu suchen. Ja, er beschloß, die »Bauerndirne«, wie er sagte, ausgraben zu lassen und ihren Leichnam den Vögeln des Himmels auszusetzen.
Gesagt, getan. In einer mondhellen Julinacht ging er, seines Stolzes vergessend, mit seinem verzwergten Knecht und einigen anderen selbst ans Werk. Doch da geschah ein Seltsames. Inwährend die Knechte zum Spaten griffen und der Edelmann die Anordnungen zur Ausgrabung der Leiche traf, überzog sich urplötzlich der Himmel mit dräuendem Gewölk. Das war da, als war’ es hergeblasen worden. Die Blitze loheten und Donner grollten grausig obenher, und das klang wie das gewaltige Zürnen grimmer himmlischer Stimmen, In Lüften ging ein tosend Branden und Brausen, als führe das wilde Heer daher. Die Knechte wollten davongehen. Doch da schlug der Edelmann mit eigener Hand den Spaten in das Grab des Mädchens. Im selben Augenblick ein blendender Strahl. Blitz und Donnerschlag fielen zusammen, und am Boden lagen zwei zuckende Menschenleiber: der Edelmann und der Zwerg, sie waren vom Donnerwetter erschlagen, indes die andern mit dem Schrecken davonkamen. Der obere Richter hatte, ehvor das Ting zusammenkam, sein Urteil gefällt: der letzte Lohrer wurde von Gott getötet, und wer von Gott geschlagen ist, der steht nimmer auf.
Die Schleusen des Himmels taten sich auf und unendlicher Regen goß herab. Von den Hängen und Lehnen stürzten die Wasser daher, und die Bäche und die Flüsse schwollen, und von den jagenden Fluten wurden die Leiber der beiden erschlagenen Unholde davongetragen – wohin, das hat kein Sterblicher jemals erfahren. Nur das Gewaffen des Edelmanns hat man hernachmals noch gefunden.
Und seit jener Zeit sieht man oft in finstern Nächten den Lohrer Edelmann auf schnaubendem Roß und in Begleitung von schwarzen Hunden ruhelos vom Ort der beiden Gräber bis gen Westgartshausen jagen und wieder zurück. Und auch der Zwerg geht als schwarze Gestalt unselig zwischen Lohr und den Gräbern einher, bald im einsamen Ackergelände, bald aber taucht er neben dem friedlich auf der Landstraße daherziehenden Wanderer auf und begleitet ihn ein Stück Wegs. Dann neckt und schreckt der Stummel die Leute, und insbesondere den Jungfrauen ist er abhold.
Und im Gedenken an diese Geschichte vom Lohrer Edelmann und vom Westgartshauser Bauernmädchen sagten ehedem die Bauern in der Gegend bei einem dem Stand nach ungleichen Paar, das sich heiraten wollte, das Wort: »Paar und Unpaar taugt nicht. Und wenn’s der Edelmann noch so treulich gemeint, und wenn er auch seine Treue mit seinem Herzblut besiegelt hat, – was nicht sein soll, kommt nicht z’samm’. Alles Ding hat seine Weis’, auch die Lieb’ und d’ Heirat!« Und wer es nicht glaubt, dem erzählt man hierzuland die Geschichte des Edelmannes von Lohr. 1
Der Bau der Steinkapelle zu St. Wendel
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]War mal ein Schäfer im Dorfe Dörtzbach, der fand auf der Weide einen großen Schatz, der ihn zum reichen Manne machte. Zum Danke dafür gelobte er, eine kleine Kirche oder Kapelle zu erbauen. Der Platz soll über dem Fels nahe beim Walde gewesen sein. Er ließ Steine und alles Baumaterial dorthin schaffen. Schon war Alles zugerichtet, da wurden über Nacht Holz und Steine hinübergewälzt bis an das Ufer der Jaxt, und Niemand wußte, wie es geschehen war. Holz und Stein wurden wieder auf den Felsen geschafft und das Fundament eingesezt. Am Morgen lagen die Steine wieder unter dem Felsen, wohlgeordnet und aufgesezt. Die Kapelle erhob sich bald, aber nicht auf dem Felsen, sondern da, wohin die Steine allemal über Nacht getragen wurden. 6
Vom Stitzenscheißer
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einst kam ein Zimmerner Bauer mit seinem Fuhrwerk nachts von Künzelsau her, als auf einmal der Wagen ein Rad verlor. Da er keine Lampe dabei hatte, um nach dem Rad zu suchen, rief er den Stitzenscheißer herbei. Kaum hatte er gerufen, da erschien auch schon eine seltsame, feurige Gestalt, die ihm leuchtete, bis er sein Rad gefunden hatte. Zum Dank reichte der Bauer dem Stitzenscheißer zwei Groschen auf einem Stecken hin.
Später waren einmal die Mädchen und Jungmänner des Dorfes zur Vorsetz bei ihm, und er erzählte ihnen von seinem Erlebnis. Die jungen Leute aber wollten’s nicht glauben und forderten ihn auf, den Stitzenscheißer noch einmal zu rufen, damit er ihm heimleuchte. Da rief der alte Bauersmann zum Fenster hinaus: »Stitzescheißer, kumm un laicht denne Maadlich hôôm!« – schon schwebte die leuchtende Gestalt draußen, und der Bauer reichte ihr wieder zwei Groschen auf einem Rührlöffel hinaus. Da gerieten alle in Angst und trauten sich bis zum Morgen nicht mehr heim. 12
St. Loy der Schmied
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bei Wolpertshausen steht eine Kapelle, dem heiligen Loy geweiht. Dieser St. Loy war ein Schmied, der alle bösen Pferde beschlug; hatte er sie beschlagen, so waren sie bald wieder gut und zahm; kranke heilte er. Brachte man ihm ein Roß, so nahm er ihm den Fuß ab, legte ihn auf den Ambos und beschlug ihn; gleich war der Fuß wieder, wo er hin gehörte. Die Leute um Wolpertshausen führten all’ ihre Pferde zu St. Loy’s Kapelle, wo sie vom Priester »geweiht« wurden. Die Schmiede verehren den St. Loy als ihren Heiligen und Patron. Es gab ehedem in ganz Oberschwaben keine Schmiede, über oder in der nicht St. Loy mit dem abgenommenen Fuß als Bild oder (meistens) in Stein ausgehauen war. Um den Federsee herum trifft man solche Figuren ob Schmieden noch öfter. 5
Mechthild vom Stein
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]… Wo zuverlässige Quellen fehlen, da setzt die Sage ein, und diese Sage vom Stein und von der Zarge will ich jetzt schreiben, wie ich sie in meiner Jugend von den Alten gehört habe:
Die Sage erzählt, daß vor bald tausend Jahren, als der Ritter Kuno mit seiner Gemahlin Mechthilde auf dem Stein gewohnt habe, dem Stein gerade gegenüber ein Frauenkloster gestanden habe, dessen Überreste heute als Zarge bezeichnet werden. Von der Burg zum Stein soll nun ein heimlicher unterirdischer Gang unter dem Kocherfluss hindurch nach dem Kloster geführt haben. Nun soll der Ritter Kuno öfters des Nachts spurlos verschwunden sein, was seiner Gemahlin Mechthilde manche Sorge und Kummer bereitete. Neugierig, wie die Frauen alle sind, lauerte sie ihm nun einmal auf, und da sie sah, wie er in einer Felsenhöhle, dem Eingang des unterirdischen Ganges, verschwand und erst am frühen Morgen wieder zum Vorschein kam.
Mechthilde glaubte nun nicht anders als ihr gestrenger Mann mache den Klosterfrauen gegenüber unerlaubte nächtliche Besuche. In Wirklichkeit soll er aber fromme Andachten mit den Klosterfrauen abgehalten haben. Von wütender Eifersucht geplagt, sann nun Mechthilde auf Rache. Zu diesem Zweck befestigte sie mit einem Seil gerade über dem Eingang zur Höhle einen Stein und als ihr Ehgemal wieder einmal durch den engen und niederen Eingang schlüpfen wollte, ließ sie den Stein fallen und Kuno wurde von demselben auf den Kopf getroffen und von dem Gewicht des Steins im Eingang festgehalten. Nun war aber die Rache Mechthilds noch nicht befriedigt. Sie leitete die Quelle, welche früher den Tuffsteinfelsen gebildet hatte, gerade über den Eingang der Höhle und so wurde der Ritter Kuno nach und nach mit einer Tuffsteinschicht überzogen und versteinerte mit der Zeit ganz. Heute noch sieht man den Rücken mit den Schenkeln und Waden bis zu den Fußknöcheln und oft bin ich in meiner Jugend davorgestanden und habe der alten Zeiten gedacht, wo die Frauen in ihrer Eifersucht solche scheußlichen Taten vollführen konnten. Ob sie heute anders sind?
Aber damit war die Rachsucht der Mechthilde noch nicht gestillt. Sie ließ alle Türen und Fenster des gegenüberliegenden Klosters von ihren Knechten zumauern und so mussten die unschuldigen Frauen elend zugrunde gehen. Heute noch sieht man an der noch recht ansehnlichen Ruine keine Tür oder Fensteröffnung. Und weil die Ruine in einer alten Urkunde als das ›Grabmal der frommen Frauen‹ bezeichnet wird, so ist es schon möglich, dass etwas wahres an der Sage ist.
Aber wie bei den meisten schlimmen Taten, so kam auch bei Mechthildis die Reue. Vielleicht auch wurde sie überzeugt, daß ihr Eheherr bei seinen nächtlichen Ausflügen auf nicht so sehr schlimmen Wegen ging, als es ihr im ersten Augenblick vorkam. Infolge dieser Reue und Gewissensnot verschenkte sie ihren ganzen Besitz an das Kloster Komburg bei Hall, welches auf dem Stein einen Grabstein errichtete und eine Kirche baute: es war dies die ertse Kirche in der näheren Umgebung. Mechthilde selbst ging in das Frauenkloster Gnadental und suchte dort ihre schuldbeladene Seele zu erleichtern.
Das ist die Sage vom Stein und von der Zarge. 4
Der Teufel und der Salzsieder
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Während in Hall ein Salzsieder bei der Nacht an der Arbeit war, erschien ihm der Teufel, steckte seine gewaltig lange Nase durch einen Wandspalt in den Siederaum des Halhauses und sagte: »Ist dees nit a Nooß?« Der Sieder, darauf nicht faul, füllt sogleich ein Gefäß mit siedendem Wasser, schüttet dies dem Teufel auf die Nase und sagt: »Ist dees nit a Guuß?« Worauf der Teufel den Salzsieder gepacket und ihn über den Kocher hinüber auf den Gänsberg geworfen, dabei die Worte sagend: »Ist dees nit a Wuuref.« Das alte Halles oder Siedhaus, in welchem dieses geschehen, hieß daher bis auf die neueste Zeit das »Geisterhalles«. 10
Unsere Frau zum Hasen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In der Kirche des Dorfes Tüngental stand auf einem Altar in einem Chörlein ein Muttergottesbild. Da geschah es, daß ein Herr von Limburg in der Gegen Hasen jagte und die Hunde einen Hasen auftrieben, der seinen Lauf schnurstracks in die Kirche nahm und mit einem Satz auf jenen Altar sprang, wo er am Gewande des Marienbildes angstvoll aufwärtsstrebte. Als der Herr von Limburg der Jagd nachfolgte, denn er hatte gesehen, wie auch seine Hunde dem Hasen nachsetzend in die Kirche gedrungen waren, fand er die Hunde vor dem Altar in ruhiger Stellung und ergriff das gehetzte Tier, das nun nicht weiterkonnte, mit der Hand, trug es auf den Kirchhof heraus, wehrte den Hunden, es zu verletzen oder ihm zu folgen, und sprach, indem er den Hasen in Freiheit setzte: Zeuch hin, lieber Has! Du hast Freiheit in der Kirche gesucht, die hast du funden, dieweil die Hunde dein Asyl geehrt, so will ich’s auch nicht verletzen. – Also lief der Hase davon, und kein Hund folgte ihm. Wie nun solches unter den gemeinen Mann kam, ward ein großes Zulaufen und Wallen, und man nannte die Kirche Unsere Frau zum Hasen, und von dem Opfer, so die Waller dahin gaben, ward ein neuer Chor gebaut und ein steinern Madonnenbild errichtet, an dem ein Hase emporstrebt, zum ewigen Gedächtnis. 3
Der Grünmantel
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Harthauser Wald, der von Schönthal bis gen Neuhausen hin geht, treibt der »Grünmantel« sein Unwesen. Er führt gerne die Leute irre und fügt ihnen Übles zu. 5
Der Schimmelreiter in Mergentheim
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im sogenannten Waisenhausgäßle in Mergentheim, das hüben und drüben von Gärten gebildet wird, läßt sich von Zeit zu Zeit, besonders gerne zur Adventszeit, ein Schimmelreiter sehen; trägt seinen Kopf unter dem Arme. 5
Die weiße Frau
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Kameralamtsgebäude in Roth am See geht eine »weiße Frau« um. Sie erschien zu gewissen Zeiten dem Gesinde, besonders dem Stubenmädchen. Gerne habe sie sich in einer gewissen, der Waschkammer zunächst liegenden Kammer aufgehalten. Nicht nur einmal schaute die weiße Frau dem Kammermädchen über die Achseln, wenn sie wusch, sonst arbeitete oder las, ja das Mädchen spürte ihren Hauch. Oft kam sie über’s Bett. Mal griff sie mit eiskalter Hand des Mädchens Füße. Die weiße Frau räumte immer alles schön auf, besonders den Kasten. So oft Stubenmädchen ordnen, besorgen wollte, war alles schon geordnet und besorgt. Nur ein Zitzkleid, wenn es umgekehrt im Kasten hing, war immer auf der rechten Seite eingehenkt. Man sprach von ihr oft allgemein als vom »unsichtbaren Wesen«. Einsmals am Sonntag vernahm das Mädchen beim Waschen einen fürchterlichen Knall, wie von zwei Pistolen, hüpfte vor lauter Angst in die Höhe, daß sie ihre Füße noch im Spiegel sah. Von da an erschien das »unsichtbare Wesen« nimmer mehr. 5
Die Anhäuser Mauer
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Abseits der Frankendörfer Wallhausen und Grüningen steigt mit eins aus freiem Feld eine gigantische Mauer auf. Ringsum große Einsamkeit, ringsum tiefes Schweigen. Kaum ein Vogelgezwitscher wird gehört, und aus den fernen Dörfern klingt kein Laut herüber. Weltfern, als ein letzter Zeuge einer andern Zeit ragt die Mauer auf. Mächtig steht sie da, und fünf Ritter schützen sie.
Hier stund einst ein Kloster. Pauliner lebten drinnen. Eifrig liefen sie die Gegend ab, bettelten und wurden reich davon. Doch da kam die schlimme Zeit des Bauernkriegs, und da war ein böser Tag. Es kamen mit Gejohle die Bauernhaufen vor das Kloster gezogen, und sie hatten es auf nichts Geringeres als auf dessen Zerstörung abgesehen. Anhausen wurde berannt, aber siehe da, nirgends zeigte sich Widerstand, und als die Bauern nun ins Kloster drangen, da fanden sie es leer und wie ausgestorben. Es war aber ein unterirdischer Gang allda, der führte von Anhausen hinab ins nahe Tal der Jagst zum Nonnenklösterlein von Mistlau. Und selbiger Weg, den selbst das Sonnenlicht nicht fand, war den Mönchen von langher wohlbekannt, und von ihnen auch zuvor schon oftmals gern benutzt worden. Jetzt in Sturm und Not war’s traut, solch einen Unterschlupf zu wissen. Und es kamen von unten herauf die Nonnen von Mistlau, und es kamen von oben herab die Pauliner von Anhausen, und im dunklen Schutz der Erde zerrann ihnen rasch die Zeit. Derweil war nun oben im Sonnenlicht Schreckliches geschehen; aus den Scheuern und Ställen des Klosters Anhausen stiegen die Feuerbrände auf, und was nicht niet- und nagelfest war, wurde mitgenommen: und als nun nach Tagen und Wochen die Ratten – so nannte der Volksmund die Mönche Anhausens – aus ihrem unterirdischen Versteck wieder herfürkrochen, da fanden sie nichts denn rauchende Trümmer und wüste Felder.
Doch die Gottesmänner wußten sich zu helfen. Sie schnürten das wenige, was sie noch hatten, in Bündel und wanderten hinab zu den frommen Schwestern des Klösterleins Mistlau und wurden um Gottes willen freudig dort aufgenommen. Fortan war eine herzinnige Gemeinschaft zwischen den Nonnen und zwischen den Mönchen, und als Luthers Lehre siegreich durch die Lande zog, da ist manch ein Pauliner und manch eine Nonne aus des Ordens Zwang gesprungen, und sie haben im schönen Tal der Jagst sich ihre Hütten erbaut und darin einen eigenen Hausstand geführt. 7
Der gründische Brunnen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Oberamt Crailsheim liegt, ein wenig abseits des Schienenstrangs, im grünen, stillen Tälchen des Speltach in verborgener Einsame, umsäumt von Wald und Wiesenland, der gründische Brunnen. Von dem geht in der Gegend das Wort, daß noch niemals ein forschender Mensch seinen Grund gefunden habe, und daß seine Wasser Gegenstände, und wären sie auch schwer, nicht untersinken lassen. Wer es versucht und einen Stein in den Born wirft, wird tatsächlich staunen, wie langsam und bedächtig der zur grünen Tiefe geht: das macht, daß die Wasser mit ziemlich starkem Druck zur Höhe quellen. Als einmal ein Müllerknecht mitsamt seinem Fuhrwerk das Unglück hatte, im tückischen Brunnen seinen Untergang zu finden, da trug die Quelle den Leichnam auf der Oberfläche, und als ein andermal ein Lebensmüder sich vor den Übeln der Welt ins kühle Reich der Wasser flüchtete, da ließen ihn die steigenden Wirbel nicht hinabkommen, obwohl er sich mit einem Stein beschwert hatte. Die Geheimnisse der Wassertiefe müssen dem Menschengeist eben verschlossen bleiben. Doch kristallklar ist die quellende Flut, und begnadete Augen, welche an einigen Tagen im Jahr tiefer zu schauen vermögen als andere, die sehen’s drunten blinken und leuchten, und kristallene Herrlichkeiten zeigen sich dann auf dem Grund. Und jedermann weiß es, daß drunten in den grünen Tiefen des Brunnens Meerfräulein hausen. Menschenflüchtig und weltabgeschieden müssen diese heute in strenger Bannung leben. Ehedem war das anders gewesen. Da durften sie noch hie und da aus der Einsame der Wasserwelt heraufsteigen ans Licht der Sonne und mit den Menschen traute Zwiesprach halten. Da kamen sie denn öfters ins Dorf Gründelhardt, und den Leuten Liebes zu erweisen, das war dann ihr Höchstes. Auch Prophetinnen waren sie und verkündeten den Menschen die Zukunft voraus. So war es den Gründelhardtern längst vor der Reformation durch die Meerfräulein kundgegeben worden, daß einstmals Männer kommen, die Meßopfer und katholischen Gottesdienst abschaffen werden. Auch in der nahen Bantzenmühle waren die Fräulein des gründischen Brunnens oft und gern gesehene Gäste. An manchem Abend hielten sie dort Einkehr, um einige geruhsame Plauderstündchen zu genießen. Einstmals jedoch verspäteten sie sich. Sie kehrten erst nach dem Hahnenschrei in ihre Wasserwohnung zurück, und seit der Zeit dürfen sie nimmer auf die Erde kommen, und kein Sterblicher hat sie jemals wieder gesehen. Seit jenen Tagen aber ändert der Brunnen seinen Ort, Er ist jetzt schon an der dritten Stelle, und wie man heutzutage schon sieht, weiden die Wasser in nicht sehr ferner Zeit abermals einen neuen Born sich brechen. Wer also eine wandernde Quelle sehen will, der fahre zum gründischen Brunnen bei Gründelhardt. 8
Die Glocken von Tiefenbach
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Wo das Jagsttal gleich unterhalb Crailsheim romantisch wird, wo die Wasser des Flusses durch eine tiefe, schmale Rinne jagen, erhebt sich auf Tiefenbacher Markung zur linken Hand der jähe Bergkopf der Eulenburg. Hier lebten einst in burglichem Hause drei Fräulein von Roten. Im tiefen Frieden der vergessenen Einsame lebten sie, ferne den Menschen, ihrem Gott, wie es ehrsamen Jungfrauen geziemt, wenn sie zu Jahren gekommen. Da verging kein einziger Tag im Jahr, daß sie nicht zum Heiligkreuz-Kapellchen draußen im Wischartwald gewallt wären. Das Stündlein Wegs dorthin schlugen sie weiter nicht an. Ja manchmal traten sie auch zu nachtschlafender Zeit aus ihrer Burg, und hinüber ging’s dann, vorbei am dämmernden Tiefenbach, hinaus zur einsamen Kapelle auf Wischart. Da war’s einmal zur heiligen Weihnachtszeit, daß sie vom Gotteshaus nach frommem Gebet heimwärts zogen. Der geheimnisvolle Schauer einer der zwölf Nächte lag über der schweigenden Landschaft. Die Luft war dick vom Dezembernebel, und schwer ging der Atem. Von drüben aus den Wäldern bei Eckartshausen und Rüdern und aus dem Jagsttal vom Beierlesstein her zog ein seltsam Raunen und Rauschen, gleich als flüsterten tausend geisterhafte Stimmen obenhin. Und mit einemmale erhob sich in den Lüften ein lautes Branden und Toben, ein tolles Wettern und Jagen, als ob alle Unholde des Luftreichs losgelassen wären und in wildem Wüten dahinstürmten. Da kamen die Fräulein von Roten in Angst und Bedrängnis. Sie wollten zurück und sich ins schützende Gotteshaus Wischart flüchten; aber wie sehr sie suchten, sie konnten’s nimmer finden. Stundenlang gingen sie nun in der Irre. Da gelobten sie: »Heiliger Gott und gnadenreicher Gottessohn! So wir gesund wieder unser Haus betreten dürfen und in Frieden und Freuden dir auch fernerhin dienen, so sei alles, was wir haben, dir, dem Beschützer der Irrenden, geweiht, Hab und Gut und Haus und Hof und Grund und Boden. Und zu Tiefenbach sollen in den zwölf Nächten die Glocken geläutet werden, damit sie denen, die draußen im Dunkel der Nacht nicht aus noch ein wissen, rufende und rettende Stimmen seien.« Und siehe da, alsobald ließ das Wüten im Luftreviere nach, und drüben über den Zinnen von Crailsheim stieg ein sanfter blauer Schein empor, und über eine Weile goß der Mond sein Silberlicht über die Schneelandschaft, und die Fräulein von Roten fanden sich zur Stunde am Rande eines jäh in den Jagstgrund abstürzenden Felsschroffen. Der Herr war noch rechtzeitig ein Licht auf ihrem Wege und ihr Retter in höchster Gefahr gewesen. Des waren sie dankbar, gingen hin und verschrieben die Eulenburg samt allem und jedem der Gemeinde Tiefenbach. Nur das war Bedingung, daß in der Zeit der zwölf Nächte drei Glocken zu Tiefenbach geläutet werden sollten. So hat man es dortselbst gehalten manch ein Jahrhundert hindurch. Die Fräulein von Roten aber nahmen im Kloster Mistlau bei Kirchberg den Schleier, und als die letzte von ihnen durch die Mistlauer Schwestern zu Grabe gebettet ward, da läuteten sie auch, die Glocken von Tiefenbach, und diesmal, ohne daß eine menschliche Hand den Strang gezogen hätte. 7
Der Letzte von Hohenstein
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Burg Hohenstein, im untern Bühlertal gelegen, war im 14. und 15. Jahrhundert ein Raubschloß, vor dessen Bewohnern kein Wanderer, selbst Vieh und Frucht auf dem Felde nicht sicher waren. Vom Letzten dieser Raubritter erzählt der haller Chronist Widmann folgende Geschichte: Eine Frau aus Bayern hatte einen einzigen Sohn. Der war Weinfuhrmann und erwarb mit dieser Beschäftigung den Lebensunterhalt für sich und seine Mutter. Vom untern Neckartal ins Bayerland führte ihn der Weg an der Burg Hohenstein vorüber. Zweimal wurde er vom Hohensteiner gefangen genommen; aber beidemale befreite ihn seine Mutter durch ein Lösegeld. Als er nun zum drittenmale gefangen genommen wurde, konnte die Mutter kein Lösegeld mehr aufbringen. Sie trat daher vor den Hohensteiner und suchte ihn durch flehentliches Bitten zu erweichen. Dieser jedoch, ein hartherziger Mensch, rief aus: »Dein Sohn muß faulen im finstern Turm, wenn du ihn nicht durch Geld befreiest, und nun scher dich, du Hex!« Da wandte sich die Frau zum Gehen. Unterm Burgtor aber wandte sie sich um, und mit der Stimme einer Prophetin rief sie dem Hohensteiner zu: »Wohlan, du willst meinen Sohn faulen lassen. Doch ich werde dir einen Atzmann schicken, daß du noch eher draufgehen mußt, als mein Sohn im Turme fault.« Da lachte der Ritter des zornmütigen Weibes und schalt sie eine alte Heddel. Doch merkwürdig! Die Worte der Frau wollten ihm nimmer aus dem Sinn, und als er sich des folgenden Tags mit andern Edelleuten auf der Burgbrücke unterhielt, hub er ganz plötzlich an zu schreien: »O, ich armer Mann! Die elende Hex will mich verbrennen!« Hierauf brachte man ihn zu den geistlichen Herren auf die Komburg. Die sollten seine irre Seele trösten, aber kein Zuspruch wollte verfangen. Der Ritter starb am andern Tag, und mit ihm erlosch das Geschlecht derer von Hohenstein. 7
Eppelein von Gailingen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- I.
Der im Frankenland allüberall bekannte Eppelein von Gailingen stammte aus dem alten, nun längst ausgestorbenen Geschlecht der Gailingen von Illesheim, einem bei Windsheim im Bayerischen gelegenen Rittergut. Der Name dieses Mannes klingt bis gen Nürnberg in der Sage wider. – Zufolge eines Bündnisses mit dem Höllenfürsten hatte er ein Roß erhalten, das ihn aus allen schwierigen Lagen trug, und das auf den Anruf: »Appele, hopp!« über Abgründe und Flüsse hinwegsetzte, gleich als hätte es Flügel. Eppelein hatte es besonders auf die Stadt Nürnberg abgesehen. Aber auf einem seiner Raubzüge dorthin bekamen ihn die Nürnberger in ihre Gewalt. Im fünfeckigen Turm ihrer Burg legten sie den Unhold in sicheres Verwahrsam. Während sich nun die Ratsherren berieten, was mit dem Ritter anzufangen sei, wußte sich dieser in den Besitz seines Höllenrappen zu setzen. Er ließ nicht ab, den Kerkermeister zu bitten, man möchte ihm doch eine letzte Bitte gewähren und ihn, da er nun ja doch sterben müsse, vor seinem Tode noch einmal sein Roß besteigen lassen. Man gab seiner Bitte nach, und nun tummelte er seinen Rappen nach Herzenslust auf der Freiung vor der Burg. In einem Augenblick aber, da er sich unbeobachtet wußte, gab er seinem Tier die Sporen, und unter dem Ruf: »Appele, hopp!« setzte er zum Schrecken der Wächter über den Burggraben hinweg und entkam denn auch den verfolgenden Soldknechten. Durch die Jahrhunderte hindurch haben sich an der Brustwehr der Freiung beim fünfeckigen Turm zu Nürnberg die Eindrücke der Hufeisen des Höllenrappen erhalten. Den Nürnbergern aber hat diese Begebenheit den noch heute oft zitierten Spottvers eingetragen: »Die Nürnberger henken keinen, sie haben ihn zuvor.«
- II.
Einstmals wollte Eppelein Erkenbrechtshausen bei Crailsheim überfallen. Im dortigen Schloß lebte ein Edelmann, genannt Fritz Gaymann von Crailsheim. Der war reich, und die Silberstücke waren in seiner Schatzkammer simriweise aufgeschichtet. Auf diese Schätze hatte es Eppelein abgesehen. Aber nicht immer ist das Glück den Wagehälsen hold. Eppeleins Anschlag mißlang, und er wäre um ein kleines gefangen genommen worden. Mit leeren Taschen mußte er abziehen und in eiliger Flucht davonjagen. Verfolgt, wurde er vom Dorf aus gegen das Jagsttal getrieben. Nun hat sich aber der Jagstfluß unweit Erkenbrechtshausen ins Gelände eine tiefeingeschnittene Rinne gegraben und zieht unter jähen, fast senkrechten Felsabstürzen dahin, hier schien es, als sei kein Entrinnen mehr für Eppelein, und als müßte er sich den nachstürmenden Feinden ergeben. Von allen Seiten drangen sie auf ihn ein: vor ihm gähnte der Abgrund. Da faßte der Kühne noch im letzten Augenblick den todesmutigen Entschluß, in die Tiefe zu setzen und sich so seinen Verfolgern zu entziehen. »Appele, hopp!« erklang sein Kommandoruf, und alsobald trug das Tier seinen Herrn davon und hinab in die grausige Tiefe. Die Wasser des Jagstflusses schlugen über dem Reiter zusammen, aber unversehrt tauchten Roß und Mann aus den Fluten des Flusses empor und jagten bald im Talgrund dahin, als wäre nichts besonderes vorgefallen. Auf dem großen Felsblock aber inmitten des Flußbettes zeigte man noch nach Jahrhunderten die Spuren der Hufeisen, die Eppeleins Rappe ins Gestein geschlagen. Nunmehr ist der Steinblock in ein Bauernhaus zu Bölgental eingemauert worden. Der Wanderer aber, der vom »Beierlesstein« bei Erkenbrechtshaufen, der Stelle, an der Eppelein seinen kühnen Sprung getan haben soll, in die Tiefe schaut, kann sich eines geheimen Schauderns nicht erwehren.
- III.
Etliche Jahre darnach stattete Eppelein von Gailingen der Stadt Crailsheim einen Besuch ab. Diesmal hatte er es auf den freiherrlich von Ellrichshausenschen Edelhof und dessen Schätze abgesehen. Aber ebenso klug als kühn band er sein Pferd im Ellrichshausenschen Edelsitz zu Crailsheim nicht, wie andere Besucher taten, in den Gaststall, nein, außen in der Freiung des ummauerten Hauses ließ er sein Tier umhergehen, wahrend er keck in die Kammern und Zimmer vordrang. Aber nicht lange, so wurde er entdeckt, und ein Troß Knechte war hinter ihm her. Er wurde von Gelaß zu Gelaß gejagt und erreichte nur mit genauer Not wieder das Freie. Hurtig schwang er sich auf sein Pferd, und dieweil das Tor inzwischen verschlossen worden war, rief er sein »Appele, hopp!« und wieder trug das treue Tier seinen Herrn rasch und sicher über die Mauerbrüstung hinweg. Bei diesem gewaltigen Sprung verlor das Pferd eines seiner Hufeisen. Es flog auf das Dach eines Nachbarhauses, und hier blieb es mehr denn fünf Jahrhunderte liegen. Erst in den 1880iger Jahren wurde es von dem damaligen Hausbesitzer entfernt.
Durch solch tolle Streiche kam Eppelein bald in den Ruf eines Zauberers und Hexenmeisters, dem eben alles möglich sei. Endlich aber, im Jahre 1381, erreichte ihn sein Schicksal. Da wurde er mit etlichen Helfershelfern gefangen genommen und auf das Rad geflochten. Aber noch heute geht im Frankenland von ihm das Sprüchlein: »Eppele Gaile von Dramaus / Reit’t allzeit zu vierzehnt aus.« 8
Hans von Stetten und die Städtemeisterin
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts lebte zu Schwäbisch-Hall Hans von Stetten. Er galt viel im Rat der Stadt und soll unter anderem im Jahr 1429 beim Kaiser bewirkt haben, daß die Haller das Blutgericht nicht mehr öffentlich, sondern bei verschlossenen Türen halten durften. Hans von Stetten soll nun der erste gewesen sein, bei dem dies praktisch geworden. Dies ging aber also zu. Als einmal die Frau des Haller Städtemeisters, eine stolze Person, in der Michaelskirche zum Altar gehen wollte, trat ihr Hans von Stetten unversehens auf den Mantel. Um nun selber nicht zu fallen, griff er nach der Schnur einer über ihm hängenden Ampel, wodurch das Öl aus dieser floß und sich unglücklicherweise über den Schleier der Frau Städtemeisterin ergoß. Es kam zu einem heftigen Wortgezänke, und Hans von Stetten hatte sich zuletzt den vollen Haß seiner Gegnerin zugezogen. Weiberhaß aber ist kaum zu versöhnen und bringt immer Verderben. Des sollte Hans von Stetten bald inne werden. Durch eine Kette von Lügen und Ränken brachte die Frau es dahin, daß Stetten vom Haller Rat unter dem nichtigen Vorwand, er habe das von Stettensche Schloß Sanzenbach wider Eid und Gelöbnis und ohne Vorwissen des Rats an eine fremde Herrschaft verkaufen wollen, des Verrats angeklagt und zur Verantwortung gezogen wurde. Auf Verrat stund nun im alten Hall die Todesstrafe. Das Blutgericht, vor dem sich von Stetten zu verantworten hatte, tagte hinter verschlossenen Türen. Das Volk hatte keinen Zutritt. Sonst wäre von Stetten sicherlich freigesprochen worden. So aber kam es soweit, daß eines Morgens auf dem Marktplatz der Blutbock aufgestellt wurde, und als hernach das Armesünderglöcklein schrillte, führten sie Hans von Stetten heraus, und sein Haupt fiel unter dem Streich des Henkers. Das geschah im Jahre 1432. Später kam jedoch die Unschuld des Gemordeten an den Tag, und die Städtemeisterin beichtete reuig ihre Schuld, ehe sie starb. Der Haller Rat aber bezahlte dem Sohne des Hans von Stetten eine jährliche Sühne von 100 Gulden. 9
Das steinerne Kreuz bei Löwenstein
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Vor vielen hundert Jahren lebte zu Löwenstein der Jägerbursche Gilg, ein junger schmucker Mensch, dem das grüne Jagdkleid und der Hut mit den kecken Adlerfedern gar wohl standen. Ritt er mit seinem Grafen zur Jagd, die Armbrust auf dem Rücken und die bellenden Rüden an der Leine, so schaute ihm manches Auge mit Wohlgefallen nach. Auf dem »Stutz« bei den Linden gab es am Sonntag keinen gewandteren Tänzer als Gilg und abends, wenn die Paare beim Wein im Löwenwirtshause saßen, keinen besseren Sänger als ihn. Was Wunder, daß ihm die Mädchen hold waren und jede wünschte, ihn einmal zum Manne zu bekommen.
Ganz besonders zwei Mädchen hatten ihr Auge auf ihn geworfen: die schwarze Käte beim unteren und die blonde Liese am oberen Tore. Und auch Gilg sah diese beiden gern: denn sie waren, jede in ihrer Art, die schönsten Mädchen des Städtchens und dazu auch vermöglich; denn ihre Väter besaßen schöne Weinberge und Obstgärten an den sonnigen Halden des Löwensteiner Berges. Doch wußte Gilg nicht, welcher von beiden er den Vorzug geben sollte. Stieg er vom Pürschgange den steilen Weg herauf, der vom tiefgelegenen Teußerbad zum Städtchen führt, so hatte er seine Freude, wenn die schwarze Käte beim unteren Tor vor ihrem Hause saß und in ihrer kecken Art mit ihm plauderte. Beim Weggehen dachte er dann regelmäßig: »Diese und keine andere soll mein Weib werden!« Doch war dieser Vorsatz sofort wieder vergessen, wenn er am obern Tor vorbeikam und hier die blonde Liese unter der Tür erblickte. Sie plauderte zwar nicht so gern und viel wie die Käte; aber ihre stille Anmut gefiel ihm so gut, daß er dann der Käte vergaß und dachte: »Nur dich allein kann ich lieb haben!« Was er dachte, sagte er weder der einen noch der andern, und obgleich ihm der Graf ein kleines Lehen gegeben und ihm auch das Heiraten erlaubt hatte, so griff er doch nicht zu und schwankte hin und her, von der einen zu der andern. Darüber verging Jahr um Jahr, und die Mädchen, die jede andere Werbung ausgeschlagen, wurden älter und älter und klammerten sich nun um so fester an ihre stille Hoffnung. Da jede der andern die Schuld dafür beimaß, daß der Jäger zu keinem Entschlusse kam, wurden sie einander feind, spinnefeind, so daß keine die andere mehr anschauen mochte und sie einander aus dem Wege gingen, wo sie nur konnten.
Nun geschah es, daß die schwarze Käte einmal in den Wald ging, um Gras zu holen. Sie stieg hinab in das Tal, wo das Sulmbächlein durch grüne Wiesen eilt, und dann ging’s hinauf zu den Bergen, die auf breiter Ebene einen waldumkränzten See tragen. Der See speist die Mühlen des Tales, und der Graf benützte ihn, Karpfen und Hechte darin zu ziehen. Es war ein sonniger Frühlingstag; die Vögel sangen in den Zweigen, und mit leisem Hauche strich der Wind über den schimmernden Spiegel des Waldsees, ihn kräuselnd zu sanften Wellen. Käte hatte für all’ diese Schönheiten keine Augen. Sie dachte an den Jäger und an die blonde Liese, und bitterer Groll quoll in ihrem Herzen gegen sie auf. Nicht fern vom See, wo steil der Fußpfad hinübersteigt zum Bottwartal, liegt ein waldiger Grund, in dem es Gras die Fülle gibt, hier stellte Käte den Korb zur Erde, zog das Mieder aus und fing an, mit der scharfen Sichel das Gras abzuschneiden. Kaum hatte sie ihre Arbeit begonnen, so hörte sie neben sich etwas rauschen; die Zweige bogen sich auseinander, und heraus trat die blonde Liese, einen Korb voll Gras auf dem Kopfe. Überrascht standen die beiden Mädchen einander gegenüber und maßen sich mit feindseligen Blicken. Dann aber wollte Liese schnell weitereilen, an ihrer Nebenbuhlerin vorbei. Diese aber konnte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, ihrem Groll und ihrer Eifersucht Luft zu machen. Mit spöttischem Ton fragte sie: »Hat dir der Jäger geholfen, daß du so bald fertig bist?« Zornig erwiderte Liese, daß sie das nichts angehe. Damit war ein Streit begonnen, der heftig und immer heftiger wurde und endlich gar zu Tätlichkeiten führte. Die heißblütige Käte schlug die Liese mit der Sichel über den Kopf, daß die Spitze sich herabbog bis zum Halse und dort die Schlagader durchschnitt. Mit einem gellenden Aufschrei sank die Unglückliche zu Boden. Das rote Blut rieselte ihr wie ein Bächlein über Hals und Brust. Als das die Käte sah, ließ sie die Sichel fallen und floh entsetzt in den Wald hinein. Dort irrte sie weglos durchs Gesträuch und kehrte erst in die Heimat zurück, als schon längst die Nacht hereingebrochen war.
Die Liese hatte sich unterdessen verblutet. Ein Holzhauer, der zufällig des Weges kam, fand sie tot in einer Lache von Blut liegen. Er brachte die Kunde von der Tat nach Löwenstein. Unter dem Zulauf der Leute wurde die Tote ins Städtchen gebracht, mit ihr auch Korb, Sichel und Mieder der Käte, die sie bei der eiligen Flucht zurückgelassen hatte. Noch in selbiger Nacht wurde die Käte verhaftet und in den oberen Torturm, den »Tollehans«, gebracht. Am andern Tag vor Gericht gestellt, leugnete sie ihre rasche Tat nicht. Obgleich sie tiefe Reue zeigte, wurde sie doch nach den strengen Gesetzen der damaligen Zeit zum Tode verurteilt und auch nach wenigen Tagen draußen auf dem Stutz, wo sie sich so oft in froher Jugendlich im Tanz geschwungen, durch den gräflichen Scharfrichter vom Breitenauer Hof enthauptet.
Gilg, der Jägerbursche, war von da an gänzlich verwandelt. Seine Züge wurden durch kein Lachen mehr erhellt, und weder bei Tanz noch bei Wein und Sang war er mehr zu sehen. Einsam strich er durch Wald und Feld, seinen trüben Gedanken nachhängend. Als kurz darauf die verbündeten schwäbischen Städte im Gebiet des Grafen Eberhard II. von Württemberg einfielen und Graf Albrecht von Löwenstein dem Württemberger gegen sie zu Hilfe zog, da erbat sich Gilg die Erlaubnis, als reisiger Knecht auch mitziehen zu dürfen. Der Graf erlaubte es ihm. Bei Döffingen im Gäu, wo die Städter den festen Kirchhof belagerten, kam es im August 1388 zur Schlacht. In ihr fiel Graf Albrecht von Löwenstein und an seiner Seite auch Gilg, sein Jägerbursche. Im Kirchhof zu Auffingen fand er sein Grab. Den toten Grafen brachte man nach Löwenstein, wo er in der Kirche beigesetzt wurde. Sein Grabstein ist noch erhalten und in die Mauer des sogenannten Lustgartens beim fürstlichen Schlosse eingefügt. Auch die Stätte, wo die blutige Tat im Wald geschehen ist, wird noch gezeigt. Ein altersgraues Kreuz aus Stein, ohne Namen und Inschrift, durch die Länge der Zeit tief eingesunken in den Waldesboden, bezeichnet den Ort. Ringsum rauscht der Wald, der von dem Denkstein den Namen »Steinernes Kreuz« erhalten hat. 11
Meerfräulein prophezeihen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Aus dem großen Quellbrunnen in Unterspeltach zu Jaxthausen kamen einstens vor alten Zeiten Meerfräulein in’s Ort und prophezeiten: es werden bald Männer kommen, welche das heilige Meßopfer und die katholische Religion abschaffen werden. 5