Benutzer:Yotwen/Kommunikation in der Wikipedia

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Anlass für dieses Essay waren diese Diskussion auf den Notizenseiten der Administratoren und der Vorschlag von MBq, das Thema zu vertiefen.

Hinter diesem Text steht meine Überzeugung, dass wir nicht verstehen, wie Wikipedia sich selbst organisiert. Jeder Mensch lebt in seiner „Wohlfühlzone“, wenn er die Dinge, die ihn berühren entweder logisch herleiten kann, oder sie als gegeben hinnimmt, also beispielsweise „wie kommt die Milch in den Kühlschrank und wie verschwindet sie wieder daraus“. Ein Real-Life-Beispiel zur Verdeutlichung ist ein Demenzkranker, der plötzlich einen klaren Moment hat. Seine erste Frage ist: Wo bin ich? und unmittelbar danach „Wie komme ich hierher?“. Denn kaum etwas ist erschreckender, als festzustellen, dass man etwas wissen müsste und es ist nicht da.

Fehlt uns die logische Begründung, wie etwas geschehen ist, dann erleben wir eine Überraschung; wenn also die Tauben aus dem Hut des Zauberers fliegen oder die zersägte Person mit den Füssen wackelt. Uns fehlt der Ursache-Wirkungs-Zusammenhang, wie das geschieht. Wenn wir eine hinreichend gute Erklärung haben („Es ist ein Trick“), dann suchen wir (meist) nicht mehr weiter.

Grosse Überraschungen sind die Momente, wenn wir keine Ursache-Wirkungs-Landkarte im Kopf haben, also nicht plausibel sagen können wie das geschehen ist, wenn also etwas „Unerwartetes“ geschieht. Geschieht dagegen das Erwartete, dann überrascht uns das wenig. Wir sprechen von „Unfall“ oder „unerklärlichem“ Geschehen und fürchten im Extremfall, für verrückt gehalten zu werden.[1] Die Welt „macht keinen Sinn mehr“ (wir können die Ursache-Wirkung nicht erklären). „Sinn“ ist also nicht etwas, dass wir in der Welt finden. „Sinn“ ist eine Vereinbarung zwischen Menschen, wie Dinge begründet sind. Sinn entsteht nicht, er wird konstruiert. Die Konstruktion betrifft so ziemlich alles:

  • Wer bin ich? (Was wäre eine Mutter ohne Kind? Arzt ohne Patient? Pilot ohne Flugzeug? Autor ohne Thema...[2])
  • Warum bin ich hier? (raison d'être - nicht mein persönlicher Grund, sonder der sozial bestätigte Grund ~ was glaube ich, dass die anderen glauben, dass ich zur WP beitragen kann?)
  • Was ist meine Aufgabe? (Was muss ich tun, um zu zeigen, wer ich bin und warum ich hier bin?)

Natürlich fragen wir auch nach den anderen: Deren Sinn, deren Existenz, deren Aufgabe (Ein Grossteil der Beschwerden in Organisationen ist das Jammern über all die Kollegen, die „ihren Job nicht machen“). Viel schlimmer ist, dass wir unsere Handlungsfähigkeit verlieren, wenn wir den „Sinn“ nicht erkennen können. Welchen Wert hat eine Handlung, wenn ich die Folgen auch ohne Handlung schon nicht vorhersehen kann? „Sinn-losigkeit“ lähmt unser Handeln.

Ich glaube, dass diese soziale Vereinbarung auf Sinn in der Wikipedia sehr schwer fällt, weil wir im Gegensatz zum realen Leben nur sehr schmalkanaligen Kontakt haben. Dadurch steigen Autoren mit einer bestimmten Erwartung einer sozialen Umwelt in der Wikipedia ein, ohne seine Erwartung auch bestätigen zu können. Das „Selbstverständnis“ des Autoren ist davon abhängig, dass die Umwelt ihn in seiner Rolle bestätigt. Wir tun fast alles, um die Erwartung der Umwelt zu bestätigen. Dabei bringen wir natürlich unsere Fähigkeiten und Kenntnisse ein. Aber uns fehlt alles, was uns im realen Leben auszeichnet. Uns fehlen beispielsweise die äußeren Merkmale dessen, was wir sind: Die Symbole unserer Bedeutung. Im Web hat der Polizist keine Uniform, der Arzt kein Stethoskop, der Professor steht nicht auf dem Podium und der Politiker trägt nicht Anzug und Krawatte. Wie also soll irgend jemand wissen, was er von mir erwarten kann? Und wer bin ich, wenn niemand eine Erwartung an mich hat?

Diese Signallosigkeit ist uns nicht bewusst. Denn wenn wir die Webseite öffnen, dann sind wir „uns selbst bewusst“. Wir sind uns nicht bewusst, dass niemand das sehen kann. Die erste Ernüchterung folgt, wenn wir feststellen, dass der erste Kritiker offenbar keinen Pfifferling darauf gibt, wer wir zu sein glauben. Wir erleben einen Schock und sehen uns mit der - im ersten Moment lächerlich erscheinenden - Forderung konfrontiert, Belege anzuführen (Manchen deutschen Professor verschreckte das schon).

Und wenn all diese Vermutungen und Theorien zutreffen, dann müssen sich die Spuren dieser Konstruktionsmerkmale in den Prozessen der Wikipedia wiederfinden: In der Kommunikation, in der Arbeit, in den Konflikten usw. Und wenn Luhmann[3] recht hat, dann ist Kommunikation die Gesellschaft, Dreh- und Angelpunkt für alle Sinngebungsprozesse.

Worin zeigt sich das?

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Es gibt ein Besorgnis erregendes Phänomen in der Wikipedia: Ein Sprachgebrauch, bei dem es der sprichwörtlichen „wilden Sau“ graust. Aufgeworfen wurden diese Gedanken durch eine Diskussion über den Seitenschutzkommentar eines Administrators, der „Trollbefall“ feststellte. Wem das nicht schlimm erscheint, der möge sich vorstellen, wie er mit ernsten Gesichtsausdruck auf eine Blöckchen schwingende Ordnungshüterin zugeht, die vor seinem Auto steht und für die vor drei Minuten abgelaufene Parkuhr mit eifrigem Gesichtsausdruck einen Strafzettel ausstellt. Und diese Ordnungshüterin begrüßt du dann mit:„Ich glaube, mein Auto hat Trollbefall.“ Die Augen der Ordnungshüterin werden begeistert aufleuchten und im besten Fall wird es mit einem rüden Verweis abgehen. Im schlimmsten Fall wird Beamtenbeleidigung in einem minder schweren Fall daraus.

Erklärungsversuche

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Wikipedia als Community of Practice

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Wer noch nicht in der Wikipedia gearbeitet hat ist ein Outsider. Theoretisch kann jeder mitwirken. Wer die Hemmung überwindet und eine Änderung durchführt, der stellt relativ schnell fest, dass die Reaktionen auf seine Handlungen mehr oder weniger unverständlich sein können. Das rührt daher, dass die Insider, die alteingesessenen Autoren eine Community of Practice bilden.

Communities of Practice wurden in der Organisationsforschung eingeführt, als Julian Edgerton Orr Servicetechniker beschrieb, die sich über Reparaturen von Kopierern unterhielten. Ihre Lösungen wurden erforderlich, weil die Handbücher die Fehler teilweise erst gar nicht beschrieben oder die angebotenen Lösungswege nicht durchführbar waren. Mit der Zeit bildeten die Techniker eine Community of Practice, deren Handlungen für Außenstehende nicht (einfach) verständlich waren. So eine Community of Practice entsteht unter günstigen Voraussetzungen.

Erstens bilden Mitglieder ihre Praxis durch die Arbeit miteinander, wodurch sie wechselseitige Normen und Beziehungen herstellen.[4] Eine Praxis besteht also nicht in einer Abstraktion, sondern nur in der Form des direkten Miteinanders, wodurch Routinen entstehen.[4] Sie sind kompetente soziale Routinen, so wie ein Erwachsener zurück grüßt, wenn er selbst gegrüßt wird.[4] Für Mitglieder einer solchen Praxis sind die Handlungen logisch und entsprechen dem gesunden Menschenverstand.[4] (Außenstehende sehen das nicht unbedingt genauso!) Obwohl Gewohnheiten und Praktiken auf Routinen basieren unterscheidet sich die Praxis von der Gewohnheit.[4] Während die zweite nämlich zu Wiederholungen führt, hält die Praktik eine Vielzahl von alternativen Lösungen parat.[4] Durch die ständige und fortdauernde Arbeit miteinander erzeugen die Teilnehmer an einer solchen Praxis ein soziales Geflecht, dass zum Gewebe ihrer sozialen Einheit wird.[4] Dabei ist es unabhängig davon, ob Service-Techniker ihre Reparaturpraxis teilen oder ob es Wikipedia-Autoren in der Löschdiskussion streiten. Virtuelle Gemeinschaften spielen eine zunehmend wichtige Rolle.[4]

Zweitens fühlen sich die Teilnehmer an einer Praxis einer gemeinsamen Aufgabe verpflichtet.[4] Das bedeutet nicht, dass sich alle Teilnehmer über die Methoden oder über das Ziel einig sind. Es reicht völlig, wenn sie eine Antwort auf einen externen Stimulus haben.[4]

Beide von Federica Bicchi genannten Voraussetzungen treffen auf Wikipedia-Autoren zu.

Kommunikationskanal

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Unterschiede zwischen mündlicher und schriftlicher Kommunikation

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In der Wikipedia wird von vielen mit anderem Maß gemessen - auch von mir. Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass ich hier mit zweierlei Maß messe. Was aber ist anders - wenn überhaupt - in der Wikipedia. Es gibt ein paar Unterschiede zu „normaler“ Kommunikation, die meiner Meinung nach einen wesentlichen Unterschied ausmachen.[5] Die Unterschiede in der Kommunikation sind meiner Meinung nach und ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

  • Es kann nur Zug um Zug geschrieben werden. Durcheinander oder simultan reden geht nicht. Ist eine Diskussion schon älter kann sie wegen uneinheitlicher Einschübe eventuell nur schwer chronologisch rekonstruiert werden.
  • Die Kommunikation ist viel langsamer als ein Gespräch. Das mag dem ein oder anderen sonderbar erscheinen - aber wir schreiben und lesen sicher langsamer als wir sprechen und hören können.
  • Alles ist nachzulesen. Alles, was geschrieben wurde ist genau so erhalten, wie es ursprünglich geschrieben wurde. Niemand vergisst ein Wort, niemand verzerrt die Aussage, niemand lässt etwas aus. Die Anonymität des Internets wirkt in gewisser Weise enthemmend.
  • Jedes Gespräch ist öffentlich. Jeder könnte es lesen (wenn er denn Zeit hätte). Ein Gespräch unter vier Augen gibt es fast nur in Nischen.
  • Die nonverbale Kommunikation ist bis auf ein paar Emoticons, </läppisch> Marker und Netzjargon (SCNR) unmöglich. Das, was ein gutes Gespräch auszeichnet, Gesichtsausdruck, Stimm- und Tonlage, Geschwindigkeit, Dialekt - nichts davon bleibt für die Interpretation übrig.

Warum sollten diese Faktoren eine Rolle spielen? Und wenn sie eine Rolle spielen, welche Auswirkungen haben diese strukturellen Unterschiede? Untersuchen wir diese Faktoren näher:

Zug-um-Zug schreiben

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Auf den ersten Blick erscheint es sehr zivilisiert. Anders, als in Gesprächen, fällt niemand dem anderen ins Wort. Keiner unterbricht die Ausführungen, runzelt die Stirn und verändert den Fluss der Gedanken noch bevor sie formuliert sind. Ein kleines Gedankenexperiment verdeutlicht die Auswirkungen einer solchen Anpassung: Stellen wir uns vor, wir spielten mit ein paar Kindern „Mensch ärger dich nicht“.

Wir machen nur eine kleine Anpassung der Spielregeln: Jeder der vier Spieler erhält seinen eigenen Würfel und würfelt, wann immer er dazu Lust hat und bewegt seine Spielsteine gemäss den erwürfelten Zahlen. Wir lassen dabei ausdrücklich gleichzeitiges Ziehen und Würfeln zu. Was verändert sich? Nun, das Spiel würde uns recht chaotisch vorkommen. Ob mehr oder weniger Steine „rausgeworfen“ werden, möchte ich nicht abschätzen. Sicher ist, dass das Spiel lauter, schneller aggressiver und verbissener würde, denn Geschwindigkeit wäre plötzlich ein wesentlicher Punkt in der Strategie: Wer pro Minute einmal mehr würfeln könnte, als die anderen hätte einen Mobilitätsvorteil, der sich mittel- bis langfristig durchsetzen müsste.

Genau das Gegenteil geschieht mit unserer Gesprächs-Strategie. Während in einem Gespräch eine schnelle Antwort ein Anzeichen für Gewitztheit ist und uns einen Vorteil gibt, ist es bei geschriebener Kommunikation kein Faktor mehr. Es stört niemanden, wenn die Antwort 10 Minuten länger dauert. Und wenn es jemanden stört, dann hilft es ihm nichts. Er erhält einfach keine Antwort. Im Gegenteil - häufig wird die Antwort schärfer, geschliffener und klarer, als wenn sie wie aus der Pistole geschossen käme.

Das ist aber gleichzeitig ein Nachteil. Wo man normalerweise nur eine lahme Erwiderung geben könnte, da attackieren wir plötzlich mit rasiermesserscharfen Redewendungen. Da blitzen geschliffene Formulierungen auf und versprühen ihren zerstörerischen Glanz.

Die Folge der Zeit ist eine höhere Konfliktträchtigkeit der Aussagen. Wir können viel bedächtiger sein und das gibt uns die Gelegenheit, verletzender zu werden. Wenn wir der Versuchung nachgeben, dann befinden wir uns auf der Eskalationsleiter zu einem ausgemachten verbalen Krieg. Die einzige Möglichkeit, so etwas zu deeskalieren ist es, inneren Abstand zu gewinnen. Dabei muss die Antwort, die man schreibt etwas weniger aggressiv sein, als die Attacke, auf die wir reagieren. Dabei ist nicht einmal gesagt, dass der andere die Abschwächung wahrnimmt. Er fährt aus Gewohnheit, Dummheit oder Uneinsichtigkeit seine Attacken weiter.

Reduktion der Geschwindigkeit

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Geschwindigkeit hat zwei Wirkungen auf uns: Wir regen uns auf, so, als ob die äußere Geschwindigkeit unsere Gedanken antreiben würde. Mit dieser Steigerung der Geschwindigkeit geht eine Verflachung der Fähigkeiten einher. Jeder kennt das Phänomen, dass ihm 24 Stunden nach einer verbalen Auseinandersetzung die besten Antworten einfallen. Das ist leicht zu erklären: Unter Stress fallen wir alle auf einfachere, besser erlernte Fähigkeiten zurück.[6][7] Dieser Effekt ist nicht etwa nur eine Binsenweisheit, sie ist Bestandteil psychologischer Forschung und spielte nach Meinung des amerikanischen Organisationspsychologen Karl E. Weick bei verschiedenen Katastrophen eine entscheidende Rolle.[8]

Bei geschriebenen Auseinandersetzungen unterliegen wir dem Effekt noch immer, denn unsere Erfahrung kann die gesprochen-verbale Auseinandersetzung nicht von geschrieben-verbalen unterscheiden. Der neue Modus wird nicht erlernt und wenn das Thema uns berührt, dann fallen wir auf die besser erlernten, gesprochen-verbalen Verhaltensweisen zurück[8]. Diese Fähigkeiten werden aber durch die Langsamkeit verstärkt. Eigentlich tun wir nicht das, was wir tun wollen: Schnell einen drittklassigen Pfeil abschiessen. Statt dessen feuern wir langsam eine volle Breitseite. Und weil die Spielregeln so sind, kann unser Gegenüber kaum ausweichen. Und mit jeder Antwort feuert unser Gegenüber eine Breitseite gegen uns. Die Eskalation läuft und es ist fast unmöglich, sich dem Einfluss zu entziehen: Wir denken nicht besonders gut, formulieren aber weltmeisterlich.

Reproduzierbarkeit und Öffentlichkeit

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Diese beiden Punkte werden von den meisten stark unterschätzt. Dabei ist das Problem eines, das wir in der Wikipedia besonders benötigen: Commitment. „Commitment“ (engl. Verpflichtung) als psychologischer Ausdruck bedeutet eher „Selbstverpflichtung“ - das nachhaltige, starke Verlangen entwickeln, eine Zusage auch einzuhalten. Commitment ist das, was Arbeitgeber suchen, was wir gerne in Autoren sehen, was wir von „guten“ Menschen erwarten. Leute, die klare Zusagen machen, und die Zusagen einhalten sind uns sympathisch. Sie gelten als zuverlässig, belastbar und vertrauenswürdig.

Psychologen haben auch dieses Phänomen untersucht. Commitment, so erklärt uns Gerald Salancik, entsteht, wenn Menschen sich entscheiden, nicht mehr rückgängig zu machende Dinge öffentlich zu tun oder zu sagen.[9] Zusammenfassend kann man also sagen, dass Selbstverpflichtungen entstehen, wenn wir

  • öffentlich
  • etwas sagen oder tun,
  • das wir nicht mehr rückgängig machen können.

Dieses Schema erklärt eine Menge über die Verbissenheit, mit der Auseinandersetzungen in der Wikipedia geführt werden. Dahinter steckt das Konsistenzprinzip[10], das Streben nach Konsistenz als psychologisches Motiv (Leon Festinger[11], Fritz Heider[12], Theodore Newcomb[13]). Weil wir gegenüber anderen als „konsistent“ (oder „konsequent“) erscheinen wollen, bleiben wir bei einmal getroffenen Entscheidungen. Das wirkt natürlich nur, wenn irgend jemand etwas von unserer Entscheidung weiss, und wie sollte es jemand nicht wissen. Es steht ja da, schwarz auf weiss. Die Öffentlichkeit führt also dazu, dass wir Aussagen nur sehr ungern zurücknehmen. Nicht nur das, wir zimmern uns auch eine plausible Erklärung zusammen, warum das die richtige Entscheidung war.[14]

Unsere Natur lässt nicht zu, dass wir unsere Meinung revidieren und die Natur der elektronischen Nachricht lässt es nicht zu, dass wir etwas rückgängig machen. Und andere Faktoren haben dazu geführt, dass wir viel härter sagen, was wir zu sagen haben. Wir stecken also nicht nur in einem Käfig, den wir selbst gebaut haben. Wir sind auch freiwillig in den Käfig gestiegen, haben das Schloss zugemacht und den Schlüssel weggeworfen.

Ab diesem Zeitpunkt werden wir uns als Verlierer fühlen, wenn nicht so entschieden wird, wie wir es wollen. Das Schema kann leicht in den Löschdiskussionen verfolgt werden. Ein einmal getroffenes Urteil (Behalten/Löschen) wird so gut wie nie geändert. Und wird es einmal geändert, dann akzeptieren die anderen Diskutanten diesen Meinungsumschwung nur selten.

Fehlende Non-Verbale Kommunikation

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Untersuchungen des Kommunikationskanals werden schon sehr lange durchgeführt. Im wesentlichen wurde dabei erkannt, dass nur etwa 15 % einer gesprochenen Kommunikation mit dem Wortlaut erklärt wird. 85 % der Kommunikation wird nonverbal - durch Gesichtsausdruck, Tonfall, Geschwindigkeit, usw. übermittelt. Wenn also ein Leser diesen Text liest, dann erhält er maximal 15% der Information. Der Rest fehlt. So gesehen würde es mich nicht besonders wundern, wenn ihm/ihr der Text deshalb langatmig, und -weilig erschiene.

Empathieverlust

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Dieser Abschnitt wurde inspiriert durch den Artikel zu Dacher Keltner. Keltner beschreibt in seinem Buch "The Power Paradox" dass mit dem Erlangen von Macht typischerweise ein Empathieverlust eintritt, der die Fähigkeiten beschränkt, die ursprünglich zur Erlangung der Machtposition erforderlich waren. Nun ist es eine Lebenserfahrung, dass Empathie stark mit der Intensität einer Erfahrung gekoppelt ist. Das Mitempfinden von Schmerz wirkt umso stärker, je näher man einer verletzten Person physisch oder mental ist. Wir fühlen unterschiedlich, je nachdem, ob wir neben einer Person stehen, die sich die Finger in der Autotür einklemmt oder ob wir am anderen Ende des Parkplatzes stehen. Analog könnte man nun vermuten, dass der Kanal auf die Empathiefähigkeit der Akteure einwirkt, und sie sich der Wirkung ihrer Taten nicht mehr im vollen Umfang bewusst sind.

Das alleine würde den Umgangston in der Wikipedia aber noch nicht erklären. Denn wenn die künstliche Distanz zwischen Sender und Empfänger nur zu einer Abschwächung von Empathie und Emotionen führen würde, dann wären ja beide Seiten gedämpft. Hinzu muss ein Faktor angenommen werden, der zu einem asymmetrischen Verlust von Emotion und Empathie führen, wenn also der Empfänger den Schmers des Angriffs genauso oder gar schlimmer als bei einer mündlichen Beleidigung wahrnimmt, gleichzeitig aber der Sender auch nur das gleiche oder weniger Mitgefühl verspüren würde, dann könnte das den bemängelten Tonfall erklären.

Nachdem Keltner den Machzuwachs als Auslöser eines Empathieverlusts identifiziert hat, wäre nun zu überlegen, welche anderen Faktoren zu einem Empathieverlust führen können und diese empirisch untersuchen. Mögliche Faktoren, die m. E. zu einem Empathieverlust führen können sind:

Machtzuwachs
beispielsweise nach der Wahl zum Administrator (nach Dacher Keltner)
gefühlter Konsens mit einer Gruppe
fast schon archetypisch sind hier die in der Löschdiskussion ausgetragenen Konflikte zwischen "Allesbehaltern" und "Löschtrollen" als Identifikationsgruppen und dem Verlauf einer typischen Diskussion zwischen einem Antragsteller und mehreren Behaltenbefürwortern
Vorurteile
Jeder hat Vorurteile. Und meist sind sie sehr gute Lebenshilfen. Beispielsweise verlasse ich mich fast immer darauf, dass die Treppe unter meinen Füssen sich nicht plötzlich in losen Sand verwandelt. Würde ich das jedes Mal prüfen, dann würde jede Treppenbegehung Stunden dauern. Andere Vorurteile sind destruktiv und zerstören menschliche Beziehungen und das soziale Gefüge, beispielsweise der Glaube an die Überlegenheit aufgrund von Geschlecht, Religionszugehörigkeit, Staatsangehörigkeit, erworbener oder anderweitig erlangter Titel, Rasse, usw.
weitere noch nicht beschriebene Gründe
Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die Psychologie noch nicht damit befasst hat, warum Personen ihre Empathie verlieren können. Obwohl Psychologen die bedenkliche Tendenz zeigen, erst einmal kranke Menschen zu untersuchen. Von (scheinbar) Gesunden kann man offensichtlich nicht viel lernen.

Was folgt daraus?

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Dieser Teil ist für mich der schwierigste. Es fällt mir im allgemeinen leichter, einen Problemfall zu analysieren, als eine Lösung dafür zu erdenken. Ihr seid herzlich eingeladen, Vorschläge zu machen.

Wir sind ein Teil des Problems. Unser Bedürfnis, unsere Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit zu zeigen verführt uns dazu, über das Ziel hinauszuschiessen. Und im gleichen Moment, wo wir all unsere Fähigkeiten brauchen, fällt uns die menschliche Natur in den Rücken, und wir fallen auf primitivere, besser erlernte Fähigkeiten zurück. Und weil diese Fähigkeiten nicht unser Bestes sind, zeigen wir uns oft genug nicht von unserer besten Seite.

Klassische Antworten

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Die „klassische“ Antwort auf „Probleme“ ist mir aus meinem Studium vertraut. „Wenn du ein Problem hast, dann kannst du

  • Intervenieren,
  • Lernen damit umzugehen oder
  • Weggehen“

Intervention bedeutet eingreifen. Es ist die Lösung, die Administrator janeissfeldt in der ursprünglichen Disk anmahnte. Strukturen sind kein Freibrief, sie sind nur die Rahmenbedingung, innerhalb derer wir uns bewegen. Wir haben noch immer einen freien Willen (oder eine gute Illusion davon), uns für das Richtige zu entscheiden.

Lernen damit umzugehen

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Das tun die meisten, die hier bleiben. Es ist bei grossen Problemen eigentlich eine unwürdige Haltung. Bei kleinen Problemen ist sie zwingend. Aber das ist (m)ein Urteil, nicht eine irgendwie geartete Wirklichkeit.[15]

Das wählen viele - besonders neue - Autoren gerne. Wir mögen es manchmal begrüssen, meistens schwächt es die Wikipedia. Es kann, wenn es unfreiwillig geschieht, Legenden und Mythen erzeugen. Dabei scheint es völlig egal zu sein, ob es sich um legendäre „Trolle“ oder „Helden“ handelt. Ich habe bei beiden Ausdrücken ein Bild im Kopf. Es würde mich wundern, wenn es nicht vielen so ginge.

Vorschläge zur aktiven Bekämpfung

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Dieser Teil ist, wie ich oben schon einmal sagte, der schwierigste. Peter Sellers soll einmal gesagt haben, dass Zukunftforschung die Kunst sei, sich zu kratzen, bevor es einen juckt. Wenn dem so ist, dann bedeutet Planung herauszufinden, wo man kratzen muss. Das ist wie ein Marketing-Problem aufzubauen. Was nun folgt ist ein Marketingplan „aus dem Stehgreif“ - das lässt sich mit Sicherheit noch präziser formulieren.

  • Erstens müssen wir die Zielgruppen definieren, also diejenigen Benutzer, die mit einer angemessenen Regelmässigkeit in Konflikte verwickelt werden und gleichzeitig diesen Umstand als belastend empfinden. Konfliktgehärtete Warriors oder gar sprichwörtliche Streithammel werden wir kaum ändern können.
  • Zweitens ist nicht genau klar, was wir tun oder sagen müssen. Die „Message“ muss klar sein.
  • Drittens müssen wir den Ort finden, wo wir die Information, wie man NICHT streitet (oder auch nur WENIGER) vermittelt.
  • Und Viertens und Letztens wir müssen die Infrastruktur aufbauen, die Aktivitäten zu erstellen, zu verwalten und zu aktualisieren.

Ich beginne mal mit Punkt Eins, den Zielgruppen. Vermutlich ist es meiner subjektiven Sichtweise geschuldet. Wenn es also Ergänzungen geben muss, dann können wir die nachtragen - It's a Wiki!

  • Erstkontakt - Wenn arrogant vorgetragene Aussagen mit der Realität der Wikipedia kollidieren.
  • Löschdiskussion - Wenn „Jeder Schmarrn ist wertvoll“ (besonders aus meiner Heimatstadt, -region, -land) mit „Rosinen picken“ aufeinander trifft
  • Kontroverse Themen - Wenn Wikipedia die Fortsetzung des Klassenkampfs mit anderen Mitteln wird.
  • Administratoren-Entscheidungen - Wenn der Job des Hausmeisters politisch wird.

Selbst, wenn es nun wie Star-Treck klingt: Regeln für den Erstkontakt sind dringend notwendig. Noch besser wäre, wenn wir Personen ausbilden, die den Erstkontakt durchführen. Die erste Erfahrung in der Wikipedia kann entscheidend sein, wie lange ein Autor aktiv ist und wie er sich im Verlauf seiner Wikipedia-Karriere verhält.

Löschdiskussion

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Als wirkungslos stellten sich die folgenden Ansätze heraus:

  • Aggressive Forderungen
  • Appell an die Vernunft oder Logik
  • Predigen der Regeln
  • Humor, Ironie, Sarkasmus

Begrenzte Erfolge konnte bei Erstautoren mit klaren Aussagen gemacht werden. Dabei haben Anweisungen (So-und-so schreibst du die Quelle ein!) bessere Ergebnisse erzielt, als „Vorschläge“. Hier wirkt nämlich der umgekehrte Unbekannte: Der Neuling ist in der Wikipedia unbekannt. Andererseits ist selbst der bunteste Hund der Wikipedia dem Neuling genauso unbekannt. Meist sind sich beide dessen nicht bewusst. Und jeder geht von seiner eigenen Bekannt- und der Unbekanntheit des Gegenübers aus. Für Unbeteiligte kann das sehr lustig sein. Für die Beteiligten ist es meistens schmerzhaft.

Hier eine Verbesserung herbeizuführen erfordert mehrgleisige Strategien. Einerseits müssen die Fronten der unglücklich benamten „In- und Exklusionisten“[16] einen Modus Operandi finden, der den häufig dümmlichen Austausch zumindest einschränkt.[17]

Einzelnachweise

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  1. Karl E. Weick (1995) Sensemaking in Organizations; Sage Publication Inc. ISBN 978-0-8039-7177-6
  2. Paul Watzlawick (1976) How real is real? New York: Random House, Vintage Books.
  3. Niklas Luhmann (1998) Die Gesellschaft der Gesellschaft; suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1360; Frankfurt am Main, ISBN 978-3-18-28960-0
  4. a b c d e f g h i j Federica Bicchi (2013) The EU as a community of practice: foreign policy communications in the COREU network; in Helene Sjursen; The EU's Common Foreign and Security Policy: The Quest for Democracy; Routledge; Seite 45-60.
  5. Glaubt man anderen Autoren, beispielsweise Christian Lehmann, dann ist der Unterschied sogar fundamental.
  6. R. P. Barthol and N. D. Ku (1959). „Regression under stress to first learned behavior.“ Journal of Abnormal and Social Psychology, 59: 134-136.
  7. M. Allnutt (1982) Human factors: basic principles. In R. Hurst & L. R. Hurst (Eds.), Pilot error (2nd ed.): 1-22. New York: Jason Aronson.
  8. a b Karl Weick (1990) The vulnerable system: An analysis of the Tenerife air disaster; Journal of Management 16(3); neu veröffentlicht in Karl E. Weick (2001) „Making Sense of the Organization“; Blackwell Publishing, Malden, Mass.; ISBN 978-0-631-22317-7; Seite 125-148
  9. Gerald R. Salancik (1977), Commitment and the control of organizational behavior and belief; in B. M. Staw & Gerald R. Salancik (Eds.), New directions in organizational behavior (pp. 1-54). Chicago: St. Clair.
  10. Robert B. Cialdini (2002) Die Psychologie des Überzeugens, Verlag Hans Huber, Göttingen, ISBN 3-456-83800-X; Seite 89 ff
  11. Leon Festinger (1957) A theory of cognitive dissonance, Stanford, Stanford University Press; dt. (1978) Theorie der kognitiven Dissonanz, Bern, Haber
  12. Fritz Heider (1946) Attitudes and cognitive organization; Journal of Psychology, 33, Seite 574-578
  13. Theodore Newcomb (1953) An approach to the study of communicative acts; Psychological Review, 60, Seite 393-404
  14. R. H. Fazio, J. Balscovich, D. Driscoll (1992) On the functional value of attitudes; Personality and Social Psychology Bulletin, 18, Seite 388-401
  15. Paul Watzlawik (2008) Anleitung zum Unglücklichsein; siebte Auflage; Serie Piper; ISBN 978-3-492-24938-6; Seite 17 bis 20
  16. Diese Wortschöpfung gehört inzwischen zum „schädlichen“ Vokabular in der Wikipedia. Es gibt keinen einzigen Autoren oder Leser, der „alles“ behalten oder löschen will.
  17. Hier darf ich lobend den Kollegen Oliver S.Y. nennen. Es ist nicht immer einfach mit ihm zu arbeiten. Aber man kann es zivilisiert und gesittet tun. Er bleibt auch dann fair, wenn eine Entscheidung gegen ihn gefällt wurde.