Benutzerin:Weltenspringerin/Hedwig Kallmeyer
Hedwig Kallmeyer, mit Vornamen auch Hade, Heidi oder Hede genannt, (geboren 16. Juli 1881 in Stuttgart, gestorben 23. Juni 1976 im Marquartstein),[1] war eine deutsche Schriftstellerin, Gymnastiktherapeutin, Physiotherapeutin und Begründerin der Harmonischen Gymnastik, die wie viele andere Pionierinnen das Ziel verfolgte, den eigenen Körper selbst zu kontrollieren und diese Methode zu lehren, um künftigen Frauengenerationen den Weg in die Freiheit zu eröffnen.[2]
Leben
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Hedwig Kallmeyer wurde in Stuttgart als jüngstes Kind ihrer Familie geboren. Ihr Vater starb früh. Nachdem sie einen Vortrag von Helen Densmore, einer Schülerin von Genevieve Stebbins gehört hatte, begann sie 1901 zu turnen.[3] Sie nahm 20 Privatstunden bei Helen Densmore und las das Buch „System of Physical Training“ von Genevieve Stebbins. Sie war derart beeindruckt davon, dass sie versuchte, es ins Deutsche zu übersetzen, stellte aber fest, dass sie dazu mehr Unterricht brauchte.
Später las sie ein Buch von Paul Schultze-Naumburg, der, beeinflusst von der damaligen Reformbewegung, Korsetts und ähnliche unbequeme weibliche Kleidungsstücke stark kritisierte und stattdessen einen natürlichen Körper und stärkende Gymnastik als Alternative propagierte.[4] Sie selbst legte daraufhin das Korsett ab, erlebte aber eine starke negative Reaktion ihrer Umgebung darauf. Sie wurde als „vulgär und revolutionär“ empfunden.
Kallmeyer wollte in den Vereinigten Staaten studieren, aber ihre Familie erlaubte ihr nur, nach England zu reisen. Sie war unzufrieden mit dem Calisthenics-Unterricht, den sie dort erhielt. Die Lehrerinnen trugen bei ihren Übungen Korsetts. Kallmeyer hatte das Gefühl, dass sie das Konzept der „Bewegung in einem freien Körper“ nicht verstanden. Weil sie sich weigerte, mit einem Korsett zu tanzen, erhielt sie nach einem Jahr Ausbildung keine Lehrerlizenz.
Sie wandte sich an Genevieve Stebbins, um ihre Schule in New York zu besuchen. Die Familie gab schließlich ihr Einverständnis und 1906 reiste Kallmeyer mit dem Schiff nach New York. Von dem „künstlichen, unnatürlichen, hohlen und oberflächlichen Ansatz“ der englischen Schule zu Stebbins' „nach innen gerichtetem, symbolisch und rechtlich organisiertem und sehr tief verwurzeltem Denken“. In dieser Schule (School of Expression) gab es zwei Lehrgänge: einer für Stimmbildung, öffentliches Sprechen und Theater und einer für Gymnastik. Die Lehrgänge dauerten zwei Jahre, und trotz sprachlicher Schwierigkeiten besuchte sie beide Kurse gleichzeitig. Im Jahr 1907 erhielt sie ihr Diplom und kehrte nach England zurück. Zur gleichen Zeit übergab Stebbins die Schule an andere und ließ sich im Süden Englands nieder. Kallmeyer und Stebbins arbeiteten eine Zeit lang zusammen.
Kallmeyer kehrte schließlich nach Stuttgart zurück und wollte Improvisationsunterricht bei Émile Jaques-Dalcroze nehmen. Aber ihre Mutter, die nicht über entsprechend finanzielle Mittel verfügte, drängte sie, zu arbeiten. Die Zeit war noch nicht reif für ihre neuen Ideen. Sie war frei, sie trug kein Korsett, aber sie fühlte sich gefangen zwischen der Notwendigkeit, für ihre Familie zu sorgen, und einer Gesellschaft, in der Frauen nicht arbeiten sollten. Dennoch nahm sie Jobs als Sportlehrerin an, was eigentlich gegen ihre Prinzipien verstieß.
Im Jahr 1909 heiratete sie Ernst Kallmeyer und zog mit ihm nach Berlin. Dort eröffnete sie 1910 die Gymnastikschule „Künstlerische Gymnastik nach G. Stebbins“[1] und bekam im selben Jahr ihre erste Tochter. Ihre ersten Kurse dauerten sechs Monate, aber sie verlängerte die Kurse auf zwei Jahre. Die von ihr verfolgte Tradition des Frauenturnens, die sich auf François Delsarte, Genevieve Stebbins und Bess Mensendieck stützte, wurde nackt ausgeführt, eine Praxis, die von ihren Schülerinnen Gertrud Leistikow, Hedwig von Rohden und Elsa Gindler fortgeführt wurde. Die beiden letztgenannten gründeten ihre eigenen Schulen, die stark von Kallmeyer beeinflusst waren.
Kallmeyer präsentierte ihre Arbeit auf einer großen Konferenz in Berlin, wo ihre Schülerinnen Gertrud von Hollander und Hedwig von Rhoden die Gymnastikeinheiten vorstellten. Sie schrieb ihr erstes Buch über Gymnastik mit ihrem Mann, ließ sich aber 1915 von ihm scheiden und zog 1917 wegen des Krieges nach Breslau. Dort lernte sie Frieda Lauterbach kennen, mit der sie bis zu ihrem Tod 1956 zusammenarbeitete. An ihrem Arbeitsplatz in Breslau nahm sie viele Kinder auf, die ihr von Kinderärzten überwiesen wurden, und in einer nahe gelegenen Privatschule ersetzten ihre Methoden das traditionelle Turnen.
Nach 1924 wurde die Gymnastik unter dem Einfluss von Fritz Giese auf beide Geschlechter ausgedehnt, wobei die Idee nun war, dass Gymnastik nicht nur Kraft, sondern auch Schönheit schaffen sollte.[5] 1925 wurde sie von Franz Hilker, dem Gründer des Deutschen Turner-Bundes, zurück nach Berlin gerufen, wo sie ihre Arbeit mit Frieda Lauterbach fortsetzte. Doch Berlin gefiel ihnen nicht und sie zogen 1934 nach Bayern. Der Reformpädagoge Hermann Harless, mit dem sie einen Sommer lang in einem Sanatorium in Wyk auf Föhr gearbeitet hatte, lud sie ein, ihre Schule auf Burg Marquartstein einzurichten.
Friede Lauterbach spielte eine wichtige Rolle bei der Transformation und Anpassung des amerikanischen Materials von Stebbins an die deutsche Kultur und übernahm ab 1937 den Unterricht. Hedwig blieb bis zu ihrem Tod im Jahr 1956 auf der Burg. Die Kallmeyer-Lauterbach-Schule wurde schließlich nach Hamburg verlegt und spezialisierte sich auf Physiotherapie, vor allem für Frauenprobleme rund um und nach der Geburt.
Privates
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Kallmeyer hatte vier Töchter.
Veröffentlichungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Hedwig Kallmeyer: Schönheit und Gesundheit des Weibes durch Gymnastik, 1905.
- Hedwig Kallmeyer: Harmonische Gymnastik, 1910.
- Hedwig Kallmeyer: Künstlerische Gymnastik: harmonische Körperkultur nach dem amerikanischen System Stebbins-Kallmeyer, Kulturverlag, 1910.
- Hedwig Kallmeyer-Simon: Aus der Arbeit von Geneviève Stebbins, 1926.
- Hedwig Kallmeyer-Simon: Körpererziehung und Ausdrucksgestaltung, 1926.
- Hede Kallmeyer: Heilkraft durch Atem und Bewegung: Erfahrungen eines Lebens für die Gymnastik. 3. Auflage. Haug, Heidelberg 1981, ISBN 3-7760-0346-4.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Bernd Wedemeyer-Kolwe: Der neue Mensch. Körperkultur im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Königshausen & Neumann, Würzburg 2004, ISBN 978-3-8260-2772-7.
- L. Pallat & F. Hilker, Künstlerische Körperschulung, Brealau, 1926.
- Das Goldene Buch der Mädchen, Eigenbrödler, 1928.
- Karl Toepfer: Empire of Ecstasy: Nudity and Movement in German Body Culture, 1910-1935. University of California Press, 1997.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b Körper- und Bewegungspädagoginnen – Nachlässe und Sammlungen. Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung, abgerufen am 19. Dezember 2024.
- ↑ Christiane Boutan-Laroze: Gymnastique Holistique - Hede Kallmeyer-Simon. Eléments de biographie (1881-1976). In: Gymnastique Holistique. 11. November 2011, abgerufen am 18. Dezember 2024 (französisch).
- ↑ Kelly Mullan: Harmonic Gymnastics and Somatics: A Genealogy of Ideas. (PDF) Archiviert vom am 23. Juni 2022; abgerufen am 18. Dezember 2024 (englisch).
- ↑ Troligen: Die Kultur des weiblichen Körpers als Grundlage der Frauenkleidung. Leipzig 1901.
- ↑ Karl Toepfer: Empire of Ecstasy. Nudity and Movement in German Body Culture, 1910–1935. University of California Press, 1997, S. 147–148.
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