Bibliothek 2.0
Der Begriff der Bibliothek 2.0 (engl. Library 2.0) umfasst zum Teil kontrovers diskutierte Konzepte und Vorstellungen über die zukünftige Gestaltung von Bibliotheken. Konsens herrscht weitgehend, dass die Bibliothek 2.0 grundsätzlich auf den Benutzer und seine Vorstellungen, Wünsche, Erwartungen ausgerichtet ist. Der Begriff ist darüber hinaus nicht eindeutig definiert.
Allgemein
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einigkeit besteht ebenfalls überwiegend dahingehend, dass die Bibliothek 2.0 auf bestimmte, dem so genannten Web 2.0 zugeschriebene Grundprinzipien wie Partizipation, Kollaboration, Interaktion bzw. einfach Zwei-Wege-Kommunikation zurückgreift. Diese wurden durch die weite Verbreitung rückkopplungsfähiger und auf Vernetzung ausgerichteter Kommunikationstechnologien, besonders durch die so genannte Soziale Software, zu einem allgemeinen Kommunikationsphänomen im Internet.
Ein offensichtlicher Grundbestandteil der Bibliothek 2.0 ist die prinzipielle Einbindung des Bibliotheksbenutzers in die Gestaltung und Entwicklung besonders von digitalen Dienstleistungen. Das Plattformprinzip beinhaltet interaktive Nutzerschnittstellen und offene Kommunikations- und Vernetzungsmöglichkeiten.
Anhänger des Konzeptes gehen davon aus, dass mit der Bibliothek 2.0 die traditionellen Service-Angebote der Bibliotheken um neue Formen ergänzt werden.
In der Bibliothek 2.0 werden Bibliotheksdienstleistungen häufig evaluiert und aktualisiert, um die sich ändernden Bedürfnisse der Bibliotheksbenutzer zu erfüllen. Bibliothek 2.0 bedeutet auch, Benutzerbeteiligung und -feedback in die Entwicklung und die Pflege von Bibliothekdienstleistungen einfließen zu lassen. Der aktive und gestärkte Benutzer ist eine wichtige Komponente der Bibliothek 2.0. Wenn Informationen in beide Richtungen fließen – von der Bibliothek zum Nutzer und vom Nutzer zur Bibliothek – können sich Bibliotheksdienstleistungen auf einer konstanten und schnellen Basis entwickeln und verbessern. Der Benutzer ist Teilnehmer, Co-Schöpfer, Erbauer und Berater – egal ob das Produkt virtuell oder physisch ist.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die englische Bezeichnung „Library 2.0“ wurde im Jahr 2005 von Michael Casey in seinem Blog LibraryCrunch als direkter Ableger des Begriffs Web 2.0 geprägt. Casey behauptete, dass Bibliotheken, besonders öffentliche Bibliotheken, an einem Punkt sind, an der viele Elemente des Web 2.0 von Wert für das Bibliothekswesen sind. Dies gilt sowohl für die technisch basierten, als auch für die nicht technischen Dienstleistungen. Besonders beschrieb er die Notwendigkeit, an Bibliotheken eine Strategie für konstante Veränderung einzuführen, welche eine partizipative Rolle des Bibliotheksbenutzerns fördert.
Auf einer wissenschaftlichen Konferenz wurde der Begriff Library 2.0 zum ersten Mal auf der "Internet Librarian Conference" im Oktober 2005 erwähnt, als Michael Stephens von der Öffentlichen Bibliothek des Saint Joseph County die Idee in Verbindung mit typischen Bibliothekswebsites brachte.
Die Debatte um Bibliothek 2.0
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die angloamerikanische Debatte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Debatte um die Library 2.0 hat ihren Ursprung in der Biblioblogosphäre. Einige bibliothekarische Blogger argumentieren, dass die mit dem Konzept verbundenen Grundideen nicht neu, sondern vielmehr bereits Bestandteil der Service-Philosophie der Bibliotheksreformer des 19. Jahrhunderts sind. Andere verlangen konkrete Beispiele, wie sie von der Bibliothek zur Bibliothek 2.0 kommen können. Die bislang vermutlich ausführlichste und kritischste Analyse stammt von Walt Crawford, der anhand von „Sixtytwo Views and Seven Definitions“ dessen, was mit dem Schlagwort Library 2.0 beschrieben wird, die Schwachstellen des Konzepts herausstellt.[1]
Verfechter der Library 2.0 wie Stephen Abram[2], Michael Stephens[3], Paul Miller[4] argumentieren, dass bestimmte Aspekte der Library 2.0 nicht an sich neu sind, jedoch die Konvergenz eines erweiterten Verständnis von Service und Nutzerorientierung mit technischen und konzeptionellen Elementen aus dem Web 2.0 zu neuen Formen bibliothekarischer Dienstleistungen führt, die derart umfassend seien, dass sie im Ergebnis eine neue Qualität bibliothekarischer Tätigkeit darstellen wird. Entsprechend nennen sie dieses Phänomen in Analogie zum Web 2.0 und in Anlehnung an die Nummerierung von Software-Generationen Library 2.0.
Die Debatte im deutschen Sprachraum
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Eine kritische und eigenständige Auseinandersetzung, die über den Rückgriff auf die Entwicklung im angloamerikanischen Bibliothekswesen bzw. in der dortigen Bibliothekswissenschaft hinausreicht, ist im deutschsprachigen Raum bisher kaum erkennbar. Das Phänomen wird jedoch – wenn auch nicht immer unter der Bezeichnung Bibliothek 2.0 – zunehmend rezipiert.
Die Debatte international
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Konzept der Library 2.0 erfährt u. a. auch im skandinavischen Bibliothekssystem eine rege Rezeption. So findet beispielsweise in Stockholm die Biblioteksdagarna 2007 unter dem Motto „Bibliotek 2.0“ statt.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Walt Crawford: Library 2.0 and 'Library 2.0' (PDF; 145 kB) In: Cites and Insights. Crawford 6.2006,2. ISSN 1534-0937
- ↑ S. Abram, M. Casey, Blyberg, M. Stephens: A SirsiDynix Institute Conversation. The 2.0 Meme – Web 2.0, Library 2.0, Librarian 2.0. ( vom 11. März 2008 im Internet Archive) Februar 2006.
- ↑ M. Casey, M. Stephens: Better Library Services for More People. In: ALA TechSource Blog. January 2006.
- ↑ P. Miller, K.Tschad: Do libraries matter? – The rise of Library 2.0. ( vom 7. Oktober 2009 im Internet Archive) In: Talis. November 2005.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- englisch
- Michael Casey: Working Towards a Definition of Library 2.0. In: LibraryCrunch. (Weblog), 21 October 2005.
- M. Casey & M. Stephens: Where Do We Begin? A Library 2.0 Conversation with Michael Casey. In: ALA TechSource Blog. December 2005.
- Michael Casey, Laura Savastinuk: Library 2.0. Service for the Next-generation Library. In: Library Journal. New York 2006, 1 (Sept.). ISSN 0000-0027
- Christopher Harris: School Library 2.0. In: School Library Journal, New York 2006,1 (May). ISSN 0362-8930
- J. Maness: Library 2.0 Theory: Web 2.0 and Its Implications for Libraries. Article 25. In: Webology. 3.2006,2. ISSN 1735-188X
- P. Miller: Web 2.0: Building the New Library. In: Ariadne. Dundee 2005,45 (Oct.). ISSN 1361-3200
- P. Miller: Library 2.0. The Challenge of Disruptive Innovation. (PDF; 1,2 MB)" Glasgow College, Talis 2006.
- Michael Stephens: Web 2.0 & Libraries. Best Practices for Social Software. In: Library Technology Reports. Chicago 42.2006,4. ISSN 0024-2586
- deutsch
- Patrick Danowski, Lambert Heller: Bibliothek 2.0 – Die Zukunft der Bibliothek. In: Bibliotheksdienst. Berlin 2006,11, S. 1259–1271. ISSN 0006-1972
- Friedrich Figge, Katrin Kropf: Chancen und Risiken der Bibliothek 2.0. Vom Bestandsnutzer zum Bestandsmitgestalter. In: Bibliotheksdienst. Berlin 41.2007,2, S. 139–149. ISSN 0006-1972
- Hans-Christoph Hobohm: Bibliothek(swissenschaft) 2.0. Neue Auflage oder Wende in Forschung und Lehre? In: LIBREAS. Library Ideas. Berlin 2.2007,10/11. ISSN 1860-7950
- Ben Kaden: Zu eng geführt. Debatte um »Library 2.0«. Bringen uns Marketing-Slogans weiter?. Plädoyer für mehr bibliothekswissenschaftliche Trennschärfe. In: BuB – Forum für Bibliothek und Information. Bad Honnef 2008,3, S. 224–225. ISSN 0340-0301
- Jürgen Plieninger: »Bibliothek 2.0« und digitale Spaltung. Maßgeschneiderte Informationen und individuelle Kataloge dank sozialer Software. In: BuB – Forum für Bibliothek und Information. Bad Honnef 2008,3, S. 220–223. ISSN 0340-0301
- Ronald Kaiser: Bibliotheken im Web 2.0 Zeitalter – Herausforderungen, Perspektiven und Visionen. Dinges & Frick, Wiesbaden 2008. ISBN 3-934997-23-6