Botanischer Sexismus
Botanischer Sexismus (neuerdings entlehnt von englisch botanical sexism) ist ein Begriff, der die bevorzugte Pflanzung von Bäumen mit männlichen Blütenorganen in städtischen Gebieten beschreibt. Diese wird damit begründet, dass die männlichen Pflanzen keine Früchte oder Samen erzeugen, welche die Gegend verschmutzen. Weil aber männliche Pflanzen Pollen erzeugen, kann die Luft in Gegenden mit vielen männlichen Pflanzen sehr stark mit Pollen belastet sein, was für Menschen mit Pollenallergien problematisch ist.
Der Begriff und das Phänomen beruhen auf Verhältnissen in den USA. In Europa waren entsprechende Praktiken nie weit verbreitet.[1]
Beschreibung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Laut dem amerikanischen Gärtner Tom Ogren, der den Begriff geprägt hat, wurden Pollenallergien durch das Anpflanzen männlicher Klone in städtischen Gebieten verstärkt, weil diese die Pollenmenge in der Luft erhöhten. Das Anpflanzen von mehr weiblichen Pflanzen würde die Gesamtpollenmenge verringern, da sie keinen Pollen produzieren.
Pflanzenarten mit zwittrigen Blüten (weibliche und männliche Fortpflanzungsorgane innerhalb einer Blüte) sind von der Tendenz her eher auf Insektenbestäubung als auf Windbestäubung ausgerichtet. An diese Bestäubungsform sind auch die Eigenschaften der Pollenkörner angepasst. So ist der Pollen mehrheitlich klebrig und schwer und kann dementsprechend über Wind kaum oder gar nicht verbreitet werden. Baumarten mit zwittrigen Blüten sind beispielsweise solche aus der Gattung Magnolie, Prunus oder auch Judasbaum. Nach Ogren hat Pollen dieser Baumarten (mit zwittrigen Blüten und Insektenbestäubung) ein geringes allergieauslösendes Potential. Bei zweihäusigen Arten kommen weibliche und männliche Blüten auf getrennten Individuen vor. Häufig sind sie auf Windbestäubung angewiesen. Daran angepasst sind die Pollenkörner kleiner als bei insektenbestäubten Arten, auch ist die Menge des produzierten Pollens deutlich höher, da die Befruchtung bei Windbestäubung stärker vom Zufall abhängt als bei der Insektenbestäubung, was durch höhere Pollenmengen ausgeglichen wird. Ogren bewertet das allergieauslösende Potential dieser großen Mengen kleiner Pollenkörner als höher.[2]
Die Bepflanzung von Bäumen mit ausschließlich männlichen Blüten wurde in den USA ab 1949 eingeführt und verstärkt im Rahmen der städtischen Begrünungen ab Mitte der 1980er Jahre durchgeführt.[3][1] Die Theorie des botanischen Sexismus gibt es seit mindestens den 2000er Jahren. Biologischer Sexismus wird in der Ogren Plant Allergy Scale (OPALS) verwendet, die vom US-Landwirtschaftsministerium übernommen wurde.[4] Der Zusammenhang zwischen Botanischem Sexismus und der Zunahme von Allergien und Asthma gilt vielen Fachleuten als plausibel,[5][6] andere Wissenschaftler sehen keinen wesentlichen Zusammenhang, da der „Sexismus“ nur für bestimmte Bäume gelte und nicht so weit verbreitet sei, wie Ogren behauptet.
Bei zweihäusigen Baumarten, wie zum Beispiel solchen der Gattung Weiden, wurden die männlichen Individuen durch Stecklinge vermehrt. Von Natur aus einhäusige Arten, bei denen sich männliche und weibliche Blüten auf einem Individuum befinden, wurden, über Stecklinge aus Zweigen mit männlichen Blüten, Exemplare mit ausschließlich männlichen Blüten erzeugt. Hierdurch entstanden Bäume, die in der Natur nicht vorkommen, wie zum Beispiel Zypressen ausschließlich mit samenlosen Zapfen oder Amerikanische Gleditschien ohne Hülsenfrüchte.[1][3]
Kritik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Theorie des botanischen Sexismus wurde in den USA stark in sozialen Medien diskutiert, vom wissenschaftlichen Standpunkt aus ist sie anfechtbar. Rita Sousa-Silva, Assistenzprofessorin für Ökologie an der Universität Leiden, entgegnet, dass das OPALS-Bewertungssystem „keinen wissenschaftlichen Hintergrund“ habe.[7] Einige Wissenschaftler haben darauf hingewiesen, dass die Mehrheit der Baumarten (~75 % weltweit) zwittrig sind, was bedeutet, dass sie Blüten mit sowohl männlichen als auch weiblichen Teilen produzieren. Infolgedessen gilt für die meisten Bäume keine menschliche Geschlechtsbinarität, da nur 5 % weltweit zweihäusig sind, obwohl dies die Möglichkeit nicht ausschließt, dass städtische Bäume größtenteils männlich sein könnten.[8][9] William Elmendorf, Professor für städtisches Forstmanagement an der Penn State University, betont, dass Begriffe wie „fruchtlos“ oder „hülsenlos“ früher häufiger für zweihäusige Bäume mit geringer Fruchtproduktion wie z. B. Ginkgos verwendet wurde.[10] Es gibt nur begrenzte Daten, um die Behauptung zu bestätigen oder zu widerlegen, dass männliche Bäume in der städtischen Landschaft häufiger vorkommen als weibliche Bäume.[11] Auch die Idee, dass zusätzliche weibliche Bäume den Pollen erheblich reduzieren würden, wurde in Frage gestellt, eher wird vorgeschlagen, weniger windblütige Arten zu pflanzen.[12]
In einem Aufsatz über die Effekte des Baumpflanzens auf die Produktion allergenen Pollens in New York City kamen die Autoren zu dem Ergebnis, dass der sogenannte botanische Sexismus hier wahrscheinlich keine Rolle spiele. Von den großen Pollenproduzenten in New York City seien nur die Arten der Gattung Maulbeere zweihäusig, und unter ihnen sei der Anteil der angepflanzten Exemplare sehr gering, die meisten seien durch natürliche Verbreitung entstanden. Es sei aber nicht auszuschließen, dass in anderen Regionen ein überproportionales Pflanzen männlicher Bäume einen negativen Einfluss haben könne, wenn dort zweihäusige Bäume große Produzenten allergenen Pollens seien.[13]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Catriona Sandilands: Mulberry Intimacies and the Sweetness of Kin. In: Susanne Lettow, Sabine Nessel (Hrsg.): Ecologies of Gender. Contemporary Nature Relations and the Nonhuman Turn. Routledge, New York 2022, S. 15–33.
- Thomas Leo Ogren: The Allergy-Fighting Garden: Stop Asthma and Allergies with Smart Landscaping. Ten Speed, Berkeley 2015, ISBN 978-1-60774-492-4, S. 4, 5, 228.
- Matilda van den Bosch, William Bird: Oxford Textbook of Nature and Public Health: The Role of Nature in Improving the Health of a Population. Oxford University Press, New York 2018, ISBN 978-0-19-103876-1, S. 199–201.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b c Wie botanischer Sexismus Allergien verschlimmert. In: holz-magazin.com. -magazin.com, 2019, abgerufen am 23. Juni 2024 (deutsch).
- ↑ Ogren: Safe sex in the garden 11 (2003) zitiert in: Brian Sawers: "Regulating Pollen" (2014).Minnesota Law Review: Headnotes. 30.
- ↑ a b Thomas Leo Ogren: Botanical Sexism Cultivates Home-Grown Allergies. Abgerufen am 18. Juni 2024 (englisch).
- ↑ Alex Lee, WIRED UK: The reason your hay fever is so bad? Blame botanical sexism. In: Wired. ISSN 1059-1028 (wired.com [abgerufen am 18. Juni 2024]).
- ↑ Brian Sawers (2014): Regulating Pollen. Minnesota Law Review: Headnotes 30: 96-108.
- ↑ Paloma Cariñanos, Manuel Casares-Porcel (2011): Urban green zones and related pollen allergy: A review. Some guidelines for designing spaces with low allergy impact. Landscape and Urban Planning 101: 205–214. doi:10.1016/j.landurbplan.2011.03.006
- ↑ Chad Zanocco, Rita Sousa-Silva: Extreme heat experience influences public support for local climate adaptation policies in Germany. In: Urban Climate. Band 52, November 2023, S. 101759, doi:10.1016/j.uclim.2023.101759 (elsevier.com [abgerufen am 18. Juni 2024]).
- ↑ Are your trees boys or girls — or both? Abgerufen am 18. Juni 2024 (englisch).
- ↑ Elisabeth Bauer: Botanischer Sexismus: Grund für mehr Allergien? In: Moment.at. 14. Juni 2024, abgerufen am 22. Juni 2024 (deutsch).
- ↑ Nicole Fallert: The “Botanical Sexism” Theory On Male Trees Went Viral After It Was Posted On TikTok. Here’s What Experts Say. 27. August 2021, abgerufen am 18. Juni 2024 (englisch).
- ↑ Jane C. Hu: The Complicated Truth Behind “Botanical Sexism”. In: Slate. 20. Oktober 2021, ISSN 1091-2339 (slate.com [abgerufen am 18. Juni 2024]).
- ↑ Male plants are not to blame for allergies | Mississippi State University Extension Service. Abgerufen am 18. Juni 2024.
- ↑ Daniel S. W. Katz, Guy S. Robinson, Alexis Ellis, David J. Nowak: The effects of tree planting on allergenic pollen production in New York City. In: Urban Forestry & Urban Greening 92 (2024) 128208, https://doi.org/10.1016/j.ufug.2024.128208.