Can Atalay

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Can Atalay in Sakarya, 2023
Can Atalay in Sakarya, 2023

Şerafettin Can Atalay (* 24. März 1976 in Istanbul) ist ein türkischer Menschenrechtsanwalt. Obwohl er am 14. Mai 2023 als Abgeordneter in die Große Nationalversammlung der Türkei gewählt wurde, konnte er sein Mandat nicht wahrnehmen. Er verbüßt nämlich eine 18-jährige Freiheitsstrafe wegen „versuchten Umsturzes“. Am 30. Januar 2024 wurde ihm das Mandat aberkannt. Er ist im Marmara-Gefängnis inhaftiert.

Er ist der Neffe von Şerafettin Atalay, dem Regionalvorsitzenden der Arbeiterpartei der Türkei in der Provinz Amasya, der 1971 bei einem politischen Attentat getötet wurde. Seinen Vornamen „Şerafettin“ erhielt er von seinem Onkel. Der zweite Vorname, Can, steht im türkischen und im persischen für die Seele, das Leben. Den größten Teil seiner Kindheit verbrachte er in Kadıköy auf der asiatischen Seite von Istanbul. Aufgrund der Beziehungen seiner Eltern verkehrte er bereits als Teenager mit namhaften Literaten der Türkei, darunter Yaşar Kemal, Aziz Nesin und Can Yücel. Er absolvierte ein Studium der Rechtswissenschaften an der Marmara-Universität in Istanbul.

Als Anwalt war er vorrangig im Opferschutz und in Sachen Menschenrechte tätig. Er übernahm Mandate nach der Minenkatastrophe in Soma, dem Minenunglück in Ermenek, dem Brand des Studentenwohnheims in Adana 2016, der Zugentgleisung in Çorlu und vertrat Journalisten und Schriftsteller in Fällen, in denen es um die Meinungsfreiheit ging, beispielsweise als Rechtsvertreter des Journalisten Ahmet Şık, der wegen seiner Recherchen über die Geheimorganisation der Gülen-Bewegung in öffentlichen Einrichtungen vor Gericht stand. Er war der Anwalt der Organisation „Taksim Dayanışması“, die gegen den Versuch gegründet wurde, im Gezi-Park von Taksim ein Einkaufszentrum zu errichten.

Verurteilung zu 18 Jahren Haft

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wegen der Ereignisse im Gezi-Park im Jahr 2013 wurde er angeklagt, „versucht zu haben, die Regierung der Republik Türkei zu stürzen oder sie an der Erfüllung ihrer Pflichten zu hindern“. Er wurde am 25. April 2022 wegen versuchten Umsturzes der Regierung zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt. Gemeinsam mit ihm wurden sieben weitere Angeklagte verurteilt – zu lebenslanger Haft ohne Möglichkeit der Bewährung Osman Kavala, dem die zentrale Rolle beim „Putsch“ vorgeworfen wurde, sowie zu jeweils 18 Jahren Haft die Menschenrechtsaktivisten Mücella Yapıcı, Çiğdem Mater, Hakan Altınay, Mine Özerden, Yiğit Ali Ekmekçi und Tayfun Kahraman.[1]

Wahl in die Nationalversammlung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Arbeiterpartei der Türkei (TIP) stellte Atalay als Kandidaten für die Parlamentswahl in der Türkei 2023 auf. Er gewann ein Mandat, denn die TIP zog, obwohl sie nur 1,73 Prozent der Stimmen erzielte, im Bündnis mit der Grünen Linkspartei in die Nationalversammlung ein.

Juristische Auseinandersetzungen

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sein Antrag auf Freilassung nach seiner Wahl zum Abgeordneten wurde am 13. Juli 2023 von der 3. Strafkammer des Obersten Berufungsgerichts einstimmig abgelehnt, vier Tage später auch der Einspruch gegen diese Entscheidung, nunmehr einstimmig von der 4. Strafkammer beim Obersten Berufungsgericht. Daraufhin reichte Atalay am 20. Juli 2023 Klage beim Verfassungsgericht mit der Begründung ein, dass sein Recht auf ein faires Verfahren, auf Wahlrecht und auf politische Betätigung sowie auf persönliche Freiheit und Sicherheit verletzt worden seien.

Große Nationalversammlung der Türkei, Aufnahme vom 30. Januar nach der Verlesung der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, Atalay das Abgeordnetenmandat abzuerkennen.

Am 21. Dezember 2023 prüfte die Vollversammlung des Verfassungsgerichts den zweiten Antrag gegen Can Atalay wegen Nichteinhaltung der zuvor ergangenen Entscheidung wegen Rechtsverletzung. Diesmal entschied das Verfassungsgericht mit 11 zu 3 Stimmen, dass das in Artikel 67 der Verfassung garantierte „Recht, gewählt zu werden und sich politisch zu betätigen“ und das in Artikel 19 der Verfassung garantierte „Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit“ verletzt seien. Das Verfassungsgericht verwies die Entscheidung außerdem an das 13. Gericht in Istanbul, um die Rechtsverletzungen zu beseitigen, ein Wiederaufnahmeverfahren einzuleiten, die Vollstreckung des Urteils auszusetzen und seine Freilassung sicherzustellen. Es entschied außerdem, dass Can Atalay eine Entschädigung in Höhe von 100.000 Lira erhalten sollte. Das Gremium des 13. Obersten Strafgerichtshofs von Istanbul setzte die Entscheidung des Verfassungsgerichts nicht um und übermittelte die Akte erneut an den Obersten Gerichtshof. Am 3. Januar 2024 erörterte die 3. Strafkammer des Obersten Berufungsgerichts die Entscheidung des Verfassungsgerichts zur Rechtsverletzung gegen den Rechtsanwalt. Die Kammer entschied, der Entscheidung nicht nachzukommen, mit der Begründung: „Die Entscheidung des Verfassungsgerichts über die Verletzung von Rechten hat keine rechtliche Bedeutung.“

Aberkennung des Mandats

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am 30. Januar 2024 wurde die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bezüglich des Abgeordnetenmandats vom stellvertretenden Parlamentspräsidenten, Bekir Bozdağ, in einer Sitzung der Großen Türkischen Nationalversammlung verlesen. Damit war die Aberkennung des Abgeordnetenmandats vollzogen. Dieser Schritt führte zu heftigen Protesten seitens führender Oppositionspolitiker und aus der Wählerschaft von Can Atalay.

Handgreiflichkeiten im Parlament

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im August 2024 wurde in der Großen Nationalversammlung der Türkei eine Debatte über Can Atalay abgehalten, in deren Verlauf der Abgeordnete Alpay Özalan von der AKP, ein ehemaliger Fußballspieler und Trainer, den Abgeordneten Ahmet Şık von der türkischen Arbeiterpartei attackierte und ohrfeigte. Şık kam zu Sturz, woraufhin eine Schlägerei mit mehreren Beteiligten ausbrach.[2]

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Tarık Ziya Ekinci: Gezi davasında Avukat Can Atalay neden tutuklandı?, T24, 10 Mayıs 2022
  2. Spiegel Ausland: Schlägerei bricht im türkischen Parlament aus, 16. August 2024