Carfentanyl

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Carfentanil)
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Strukturformel
Strukturformel von Carfentanyl
Allgemeines
Freiname Carfentanil[1]
Andere Namen

4-[(1-Oxopropyl)-phenylamino]-1-(2-phenylethyl)-4-piperidin-carbonsäuremethylester

Summenformel C24H30N2O3
Kurzbeschreibung

weißer bis gelblicher Feststoff[2]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer
ECHA-InfoCard 100.352.183
PubChem 62156
ChemSpider 55986
DrugBank DB01535
Wikidata Q423386
Eigenschaften
Molare Masse 394,51 g·mol−1
Aggregatzustand

fest[2]

Schmelzpunkt
  • 89,5 °C (Oxalat)[2]
  • 152,2 °C (Citrat)[2]
Siedepunkt

508,1 °C[2]

Löslichkeit

löslich in Chloroform, Dichlormethan und Ethylacetat[2]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[3]
Gefahrensymbol

Gefahr

H- und P-Sätze H: 300​‐​310​‐​330
P: ?
Toxikologische Daten

3,39 mg·kg−1 (LD50Rattei.v.)[4][5]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet.
Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa).

Carfentanyl (auch Carfentanil) ist eine chemische Verbindung, die sich von dem Opioid Fentanyl ableitet. Die Substanz wurde 1974 erstmals von einer Chemikergruppe, darunter Paul Janssen, synthetisiert, welche für Janssen Pharmaceutica tätig war.[6] Die Substanz wird im Gegensatz zu anderen Fentanyl-Derivaten nicht in der Humananästhesie eingesetzt, sondern nur in der Veterinäranästhesie (bis 2003 unter dem US-Handelsnamen Wildnil) zur Betäubung großer Wildtiere wie z. B. Löwen, Elche, Eisbären usw.

Wirksame Antidote sind Diprenorphin und Naloxon, mit denen die Narkose schnell wieder aufgehoben werden kann.

Einem Bericht der Associated Press zufolge wurde Carfentanyl in China legal hergestellt und trotz seiner tödlichen Wirkung online in alle Welt verkauft.[7] Seit März 2017 steht es allerdings auch in China auf der Liste kontrollierter Substanzen, wodurch auch in China die unkontrollierte Herstellung illegal ist.[2]

Carfentanyl wird mit den Todesfällen bei der Beendung der Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater in Zusammenhang gebracht.[8]

Carfentanyl gehört mit Fentanyl, Alfentanil, Sufentanil und Remifentanil chemisch zu der Gruppe der 4-Anilinopiperidin-Derivate. Zu letzteren zählen auch eine Reihe von sogenannten Designerdrogen. Carfentanyl zeichnet sich durch eine große therapeutische Breite aus. Sein therapeutischer Quotient (therap. Index) beträgt etwa 10.000 (im Vergleich zu 700 bei Fentanyl). Überdosierungen sind daher prinzipiell leichter zu vermeiden. Es muss dabei wenig Carfentanyl in einer ausreichenden Menge anderer Flüssigkeiten gelöst werden.

Die 4-Anilinopiperidin-Derivate sind sogenannte µ- oder OP3-Rezeptoragonisten (Opioidrezeptoren). Als Agonisten sind sie Liganden, die aufgrund ihrer sterischen Struktur an den µ- oder OP3-Rezeptor binden und einen Effekt auslösen.

Die Wirksamkeit von Carfentanyl übersteigt die von Fentanyl erheblich und beträgt je nach Testmethode das 2.206-fache (Maus, Hot Plate, i.p.),[9] 7.682–10.031-fache (Ratte, Tail Withdrawal, i.v.)[10][11][12] bis zum 25.000-fachen (opioidabhängiger Affe)[13] der Potenz des Morphins. Da mit Alfentanil und Sufentanil gut steuerbare hochwirksame Analgetika für die Anästhesie verfügbar waren und die Toxizität von Carfentanyl trotz der großen therapeutischen Breite verhältnismäßig hoch ist, fand die Substanz keine Verwendung in der Humanmedizin.

Carfentanyl wirkt unter analgetisch äquivalenten Dosen stärker hypnosedativ als Fentanyl. Die Schwellendosis von Carfentanyl beim Menschen, bei der erste Effekte wie Analgesie und Sedierung sichtbar werden, liegt im Bereich von etwa 1–2 Mikrogramm, als effektive Dosis können 8–15 Mikrogramm angesehen werden, höhere Dosen wirken stark sedierend und schlafinduzierend. Bei Dosen im Bereich von 50–100 Mikrogramm kommt es zum Bewusstseinsverlust.

Anwendung zur Wildtierbetäubung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Carfentanyl wird vorwiegend zur Betäubung von Wildtieren, meist als Carfentanylcitrat, eingesetzt. Bei Wildziegen etwa bewirkte eine intramuskuläre Dosis von 40 μg/kg ein Einschlafen der Tiere nach 22 ± 4,3 Minuten; die Eliminationshalbwertszeit betrug 5,5 Stunden. Carfentanyl besitzt eine bei verschiedenen Tierarten unterschiedlich stark auftretende atemdepressive Wirkung. Sehr empfindlich sind Nashörner und Strauße. Bei der Narkose wird generell ein Zweitwirkstoff eingesetzt, um die notwendige Dosis zu verringern und der Atemdepression entgegenzuwirken.[14]

Anwendung als Droge

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Carfentanyl hat im Zusammenhang mit der Opioidkrise in den USA als Straßendroge Verbreitung gefunden.[15][16][17]

Anwendung als Radiopharmakon

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

[11C]Carfentanyl wird in der Positronen-Emissions-Tomographie als Radiopharmakon zur Darstellung von μ-Opioidrezeptoren verwendet.[18]

Carfentanyl ist (als Carfentanil) in der Bundesrepublik Deutschland in der Anlage 1 des Betäubungsmittelgesetzes aufgeführt und ist damit ein „nicht verkehrsfähiges Betäubungsmittel“;[19] die Substanz fällt jedoch nicht unter die internationale Konvention über psychotrope Substanzen.[20]

In Deutschland ist kein Tierarzneimittel auf der Basis von Carfentanyl zugelassen.[21]

  • P. M. Wax, C. E. Becker, S. C. Curry: Unexpected „gas“ casualties in Moscow: a medical toxicology perspective. In: Ann Emerg Med. 41. 2003, S. 700–705. PMID 12712038.
  • E. Freye: Opioide in der Medizin. 6. Auflage. Berlin / Heidelberg / New York 2004, ISBN 3-540-40812-6.

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. INN Recommended List 18, World Health Organisation (WHO), 9. Oktober 1978.
  2. a b c d e f g WHO – CARFENTANIL – Critical Review Report – Agenda Item 4.8, WHO, 6.–10. November 2017.
  3. Vorlage:CL Inventory/nicht harmonisiertFür diesen Stoff liegt noch keine harmonisierte Einstufung vor. Wiedergegeben ist eine von einer Selbsteinstufung durch Inverkehrbringer abgeleitete Kennzeichnung von 4-[(1-Oxopropyl)phenylamino]-1-(2-phenylethyl)-4-piperidinecarboxylic Acid Methyl Ester im Classification and Labelling Inventory der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), abgerufen am 1. Januar 2023.
  4. Arzneimittel-Forschung / Drug Research. Vol. 26, 1976, S. 1548.
  5. Eintrag zu Carfentanil in der ChemIDplus-Datenbank der United States National Library of Medicine (NLM), abgerufen am 19. Juli 2019. (Seite nicht mehr abrufbar)
  6. Niek Yoan (Hrsg.): Carfentanil – Analgesic, Opioid, Fentanyl, Janssen Parmaceutica, Paul Janssen, General anaesthetic. 2012, ISBN 978-6-20022484-2 (morebooks.de): „Carfentanil was first synthesized in 1974 by a team of chemists at Janssen Pharmaceutica which included Paul Janssen“
  7. Chemical weapon for sale: China's unregulated narcotic. AP, 7. Oktober 2016.
  8. James R. Riches, Robert W. Read, Robin M. Black, Nicholas J. Cooper, Christopher M. Timperley: Analysis of clothing and urine from Moscow theatre siege casualties reveals carfentanil and remifentanil use. In: Journal of Analytical Toxicology. Band 36, Nr. 9, November 2012, S. 647–656, doi:10.1093/jat/bks078, PMID 23002178.
  9. Z. Y. Lu u. a.: Synthesis and Analgesic Activity of 4-N-Propionyl-Analogs of 4-Methoxycarbonylfentanyl. In: Acta Pharm. Sinica. 25, 1990, S. 253.
  10. P G Van Daele, M F De Bruyn, J M Boey, S Sanczuk, J T Agten, P A Janssen: Synthetic Analgesics: N-(1-[2-Arylethyl]-4-substituted 4-Piperidinyl) N-Arylalkanamides. In: Arzneimittel-Forschung 26, 1976, S. 1521, DOI:10.1002/chin.197646236, PMID 12769.
  11. W. F. M. Van Bever u. a.: N-4-Substituted 1-(2-Arylethyl)-4-piperidinyl-N-phenylpropanamides, a Novel Series of Extremely Potent Analgesics with Unusually High Safety Margin; Arzneimittelforschung. 1976;26(8):1548–1551; PMID 12771.
  12. V. De Vos: Immobilisation of free-ranging wild animals using a new drug. In: Vet Rec. 103(4), 22. Juli 1978, S. 64–68.
  13. NIDA Res. Mon. 90, 1988, S. 512.
  14. Eintrag zu Carfentanil bei Vetpharm, abgerufen am 5. August 2012.
  15. Carfentanil: A Dangerous New Factor in the U.S. Opioid Crisis. Justizministerium der USA, Drug Enforcement Administration, Attorneys Office, Eastern District of Kentucky, abgerufen am 10. Juli 2020.
  16. Dmitrij Fomin, Vilma Baranauskaite, Emilija Usaviciene, Alina Sumkovskaja, Sigitas Laima, Algimantas Jasulaitis, Zita Nijole Minkuviene, Sigitas Chmieliauskas, Jurgita Stasiuniene: Human deaths from drug overdoses with carfentanyl involvement — new rising problem in forensic medicine. A STROBE-compliant retrospective study. In: Medicine (Baltimore). 97. Jahrgang, Nr. 48, 30. November 2018, S. e13449, doi:10.1097/MD.0000000000013449, PMID 30508965, PMC 6283219 (freier Volltext).
  17. Nicholas Corsi, Ljubisa Dragovic: Fatal overdoses involving carfentanil: A case series. In: Journal of Forensic Science and Medicine. 5. Jahrgang, Nr. 3, 18. September 2019, S. 147–150, doi:10.4103/jfsm.jfsm_74_17 (jfsmonline.com [abgerufen am 10. Juli 2020]).
  18. Sara Tremblay, Lauri Tuominen, Vanessa Zayed, Alvaro Pascual-Leone, Juho Joutsa: The study of noninvasive brain stimulation using molecular brain imaging: A systematic review. In: NeuroImage. Band 219, 2020, S. 117023, doi:10.1016/j.neuroimage.2020.117023.
  19. BtMG Anlage I (zu § 1 Abs. 1) nicht verkehrsfähige Betäubungsmittel, gesetze-im-internet.de
  20. International Narcotics Control Board: List of psychotropic substances under international control. (Memento vom 31. August 2012 im Internet Archive) 23. Ausgabe, August 2003.
  21. vetidata (Stand Februar 2012).