Carolyn Bertozzi

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Carolyn Bertozzi im November 2011

Carolyn Ruth Bertozzi (* 19. Mai 1966 in Boston, Massachusetts) ist eine US-amerikanische Biochemikerin und Hochschullehrerin. Sie ist Professorin an der Stanford University und hat dort den Anne T. and Robert M. Bass Lehrstuhl inne an der School of Humanities and Sciences.[1] Darüber hinaus ist sie seit 2006 wissenschaftliche Leiterin für das Gebiet biologische Nanostrukturen an der Molecular Foundry des Lawrence Berkeley National Laboratory.[2] Im Jahr 2022 wurde ihr gemeinsam mit Morten P. Meldal und K. Barry Sharpless der Nobelpreis für Chemie zuerkannt für den zielgerichteten Aufbau von Molekülen mit Click-Chemie, die sie nach der Laudatio in neue Dimensionen führte durch Verwendung zur Kartierung von Zellen. Außerdem wurde ihre Erforschung bioorthogonaler Markierungen gewürdigt.

Carolyn Bertozzi ist die Tochter des Physikers und MIT-Professors William Bertozzi[3] und dessen Frau Norma.[2] Ihre Großmutter floh in den 1920er Jahren aus dem damals faschistischen Italien in die Vereinigten Staaten.[4] Carolyn Bertozzi wuchs in Lexington (Massachusetts) auf. Ihr Studium begann sie als Undergraduate in Harvard zunächst mit einem Biologiestudium. Danach wechselte sie zur Organischen Chemie. Im Rahmen ihrer senior thesis – vergleichbar einer Diplom-Arbeit – entwickelte Bertozzi ein photoakustisches Kalorimeter.[5] Während ihres Harvard-Studiums spielte sie Keyboard in der Band Bored of Education, in der auch der Gitarrist Tom Morello (später war er Gitarrist bei Rage Against the Machine) spielte.[6] Für ihre Doktorarbeit wechselte sie an die University of California, Berkeley, wo sie 1993 bei Mark Bednarski über das Thema Synthesis and biological activity of carbon-linked glycosides promoviert wurde. Als Post-Doktorandin arbeitete Bertozzi an der University of California, San Francisco auf dem Gebiet der durch Oligosaccharide vermittelten Zelladhäsion. 1996 ging sie wieder zurück nach Berkeley,[2] wo sie bis 1999 Assistenz-Professorin für Chemie war. Von 1999 bis 2002 war Bertozzi außerordentliche und ab 2002 ordentliche Professorin für Chemie und Molekular- und Zell-Biologie in Berkeley für Chemie und Professorin für Molekular- und Zellbiologie der University of California, Berkeley (T.Z. and Irmgard Chu Distinguished Professor). Seit 2000 ist sie außerdem Professorin für Molekular- und Zellpharmakologie an der University of California, San Francisco (UCSF) und Wissenschaftlerin am Howard Hughes Medical Institute[7] (Howard Hughes Medical Institute Investigator).[8] 2015 wurde sie Professorin an der Stanford University.

Als bis zu diesem Zeitpunkt jüngste Wissenschaftlerin erhielt Bertozzi 1999 ein MacArthur Fellowship, den „Genie-Preis“ der Vereinigten Staaten. 2010 bekam sie als erste Frau den mit 500.000 US-Dollar (nicht zweckgebunden) dotierten Lemelson-MIT-Preis.[9]

Carolyn Bertozzi hat zwei Schwestern. Eine davon ist die Mathematikerin Andrea Bertozzi (* 1965).[10]

Ein Beispiel für die Staudinger-Ligation nach Bertozzi.

Das Arbeitsgebiet von Bertozzi umfasst vor allem die Glykane. Sie entwickelte die erste von ihr sogenannte bioorthogonale Markierung, das heißt eine Kombination von einer metabolischen Markierung mit einer nachfolgenden chemischen Reaktion, die in einer lebenden Zelle abläuft, ohne die normale biochemische Funktion der jeweiligen Zielsubstanz zu stören. Mit Hilfe dieser Technik ist es möglich bestimmte Zielstrukturen in lebenden Zellen und höhere Organismen, beispielsweise Mäusen oder Zebrafischen, sichtbar zu machen.[11] Dazu verwendete sie zunächst eine Variante der Staudinger-Reaktion, die Staudinger-Ligation.[12][13] Mit der Staudinger-Ligation können in vitro mit Zellkulturen gute Markierungsergebnisse erhalten werden, für Anwendungen in vivo (am lebenden Organismus) ist die Reaktion allerdings zu langsam. Bertozzi entwickelte deshalb die kupferfreie Click-Chemie, die auf der von Rolf Huisgen entdeckten 1,3-Dipolaren Cycloaddition basiert. Bertozzi beschleunigte die Azid-Alkin-Reaktion durch die Verwendung von „vorgespannten“, mit Fluorgruppen versehenen Cyclooctinen (das heißt zyklischen Alkinen mit acht C-Atomen, die kleinsten isolierbaren Cycloalkine), um mehrere Größenordnungen, so dass sie bei Raumtemperatur innerhalb weniger Minuten ohne Katalysator nahezu quantitativ und bioorthogonal abläuft. Der sonst für die Click-Chemie verwendete Kupfer-I-Katalysator ist für Zellen und Organismen toxisch.[14] Den Begriff bioorthogonal prägte Bertozzi erstmals 2003.[15]

2008 gründete Carolyn Bertozzi zusammen mit David Rabuka, einem ihrer früheren Studenten, das Unternehmen Redwood Bioscience.[16] Seit 2015 zählte Thomson Reuters Bertozzi zu den Favoriten auf einen Nobelpreis für Chemie.[17]

Auszeichnungen und Ehrungen

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Carolyn Bertozzi bei der mit 10.000 € dotierten Emanuel-Merck-Vorlesung 2011

Mitgliedschaften

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Seit den 1980er Jahren lebt Carolyn Bertozzi offen lesbisch, was damals ein potentielles Hindernis für eine wissenschaftliche Karriere war.[26] Sie tritt öffentlich für Diversität in der Wissenschaft ein und engagiert sich als Aktivistin vor allem für Menschen, die lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender (LGBT) sind.[27][28] Die Wissenschaftlerin zählt damit zu den ganz wenigen Menschen, die einen Nobelpreis erhalten haben und öffentlich kundtun, dass sie Teil der LGBT-Community sind.[29] 2022 erhielt Bertozzi den Wolf-Preis in Chemie, der in den Naturwissenschaften nach dem Nobelpreis zu den angesehensten Preisen weltweit zählt. In der Begründung hieß es, Bertozzi vertrete die Interessen der Menschheit als Ganzes, ohne Unterschiede in Bezug auf Nationalität, sexuelle Orientierung oder politische Ansichten. Auf ihrem beruflichen Weg habe sie das Ziel verfolgt, die Zugangshürden für Frauen zu senken und Vielfalt in der Wissenschaft sichtbar zu machen.[30][31] So saß sie etwa 2002 bei einer Veranstaltung an der University of California auf dem Podium, deren Thema die beruflichen und persönlichen Herausforderungen, Strategien und Erfolge von Wissenschaftlern auf dem Weg zu mehr Diversität waren.[32]

Veröffentlichungen (Auswahl)

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Commons: Carolyn Bertozzi – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

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  1. Carolyn R. Bertozzi. Archiviert vom Original am 6. August 2019; abgerufen am 6. August 2019.
  2. a b c T. Davis: Profile of Carolyn Bertozzi. (Memento vom 15. September 2019 im Internet Archive) In: PNAS. Band 107, Nummer 7, S. 2737–2739. doi:10.1073/pnas.0914469107
  3. mit.du: William Bertozzi – Professor of Physics. Abgerufen am 15. November 2011
  4. Reactions - Carolyn Bertozzi. (Memento vom 15. September 2015 im Internet Archive) Abgerufen am 15. November 2011
  5. J. J. Grabowski, C. R. Bertozzi, J. R. Jacobsen, A. Jain, E. M. Marzluff, A. Y. Suh: Fluorescence probes in biochemistry: an examination of the non-fluorescent behavior of dansylamide by photoacoustic calorimetry. In: Analytical biochemistry. Band 207, Nummer 2, Dezember 1992, S. 214–226, ISSN 0003-2697. PMID 1481973.
  6. jdhz.: Chemie-Nobelpreisträgerin hat mal gerockt – mit Tom Morello. In: FAZ.net. 6. Oktober 2022, abgerufen am 6. Oktober 2022.
  7. a b scheringstiftung.de: Preisträgerin Prof. Carolyn R. Bertozzi. (Memento vom 3. Januar 2011 im Internet Archive) Abgerufen am 15. November 2011
  8. Assembling Cells Into Artificial 3-D Microtissues, Including A Tiny Gland. Abgerufen am 30. März 2023 (englisch).
  9. lemelson.org: Chemical biologist and entrepreneur Carolyn Bertozzi awarded $500,000 Lemelson-MIT Prize. (Memento vom 5. Juni 2010 im Internet Archive) Abgerufen am 15. November 2011
  10. E. H. Oakes: Encyclopedia of world scientists. Band 1, Infobase Publishing, 2007, ISBN 0-8160-6158-0 eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  11. E. M. Sletten, C. R. Bertozzi: Bioorthogonale Chemie – oder: in einem Meer aus Funktionalität nach Selektivität fischen. In: Angewandte Chemie. Band 121, Nummer 38, 2009, S. 7108–7133. doi:10.1002/ange.200900942.
  12. M. Köhn, R. Breinbauer: Die Staudinger-Ligation – ein Geschenk für die Chemische Biologie. In: Angewandte Chemie. Band 116, Nummer 24, 2004, S. 3168–3178. doi:10.1002/ange.200401744
  13. C. Erger, M. Marek u. a.: Die Staudinger-Ligation – ein Geschenk für die chemische Biologie. (PDF; 166 kB) Universität Marburg, abgerufen am 15. November 2011
  14. W. Peters: Neue Anwendungen von (S)-Adenosyl-L-methionin-Analoga mit Protein-Methyltransferasen und Click-Chemie zur sequenzspezifischen Markierung von Proteinen. (Memento vom 28. Dezember 2015 im Internet Archive) (PDF; 5,5 MB) Dissertation, RWTH Aachen, 2009, S. 23.
  15. Ellen M. Sletten, Carolyn R. Bertozzi: From Mechanism to Mouse: A Tale of Two Bioorthogonal Reactions. In: Accounts of Chemical Research. Band 44, Nr. 9, 20. September 2011, S. 666–676, doi:10.1021/ar200148z.
  16. S. Martinovich: Chemical biologist and entrepreneur Carolyn Bertozzi awarded $500,000 Lemelson-MIT Prize. Vom 2. Juni 2010
  17. Announcing the 2015 Citation Laureates, bei Thomson Reuters.
  18. a b c d e f g h i Carolyn R. Bertozzi. University of California, Berkeley. Abgerufen am 15. November 2011
  19. Past Fellows. Alfred P. Sloan Foundation, archiviert vom Original am 14. März 2018; abgerufen am 20. August 2019.
  20. a b c d e f g h i j k l m n o J. Bertola: Carolyn R. Bertozzi. The Rochester Section ACS, abgerufen am 15. November 2011
  21. rsc.org: Professor Carolyn R Bertozzi. (Memento vom 18. Januar 2016 im Internet Archive) Abgerufen am 15. November 2011
  22. TU Darmstadt: Carolyn Bertozzi Preisträgerin der Emanuel-Merck-Vorlesung 2011. Abgerufen am 15. November 2011
  23. Wolf-Preis 2022 (Memento vom 13. März 2022 im Internet Archive)
  24. J. M. Baskin, C. R. Bertozzi: Copper-Free Click Chemistry: Bioorthogonal Reagents for Tagging Azides. (Memento vom 1. November 2013 im Internet Archive) (PDF; 3,8 MB) In: Aldrichimica Acta. Band 43, Nummer 1, 2010, S. 15–23.
  25. Mitgliedseintrag von Prof. Ph.D. Carolyn Bertozzi (mit Bild und CV) bei der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, abgerufen am 8. Mai 2022.
  26. Pauline Navals: One on one with Carolyn Bertuzzi. In: Chemical and Engineering News. 8. April 2022, abgerufen am 7. Oktober 2022 (englisch).
  27. Katie Hunt: 5 women who should have won a Nobel Prize. 30. September 2022, abgerufen am 7. Oktober 2022 (englisch).
  28. Erster Nobelpreis für eine Frau in diesem Jahr: „Das ist einfach wundervoll.“ In: Der Tagesspiegel Online. ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 7. Oktober 2022]).
  29. Nobelpreise sind immer noch Männersache. Abgerufen am 7. Oktober 2022 (österreichisches Deutsch).
  30. Katie Hunt: 5 women who should have won a Nobel Prize. 30. September 2022, abgerufen am 7. Oktober 2022 (englisch).
  31. El Espectador: ELESPECTADOR.COM. 6. Oktober 2022, abgerufen am 7. Oktober 2022 (spanisch).
  32. LGBT Scientists Must Chart Their Own Course. Abgerufen am 7. Oktober 2022 (englisch).