Czesław Kukuczka

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Foto von Czesław Kukuczka an der Gedenkstätte Berliner Mauer in Berlin

Czesław Jan Kukuczka (* 13. Juli 1935 in Kamienica, Polen; † 29. März 1974 in Ost-Berlin) war ein polnischer Feuerwehrmann, der bei einem Fluchtversuch aus der DDR ein Todesopfer an der Berliner Mauer wurde. Er war eines von zwei polnischen Todesopfern, die bei einem Fluchtversuch an der Berliner Mauer ums Leben kamen (das andere war Franciszek Piesik).[1] Im Jahr 2024 wurde sein Tod vor dem Landgericht Berlin I verhandelt, und am 14. Oktober 2024 wurde der Angeklagte, der zur Tatzeit dem Ministerium für Staatssicherheit angehörte, in erster Instanz wegen Mordes zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Der 1935 geborene Kukuczka befand sich von 1953 bis 1954 in Haft, vermutlich wegen Unterschlagung. Nach seiner Entlassung heiratete er und wurde Vater dreier Kinder. Später wurde er Unterbrandmeister bei der Feuerwehr in Bielsko-Biała.[2]

Am 29. März 1974 erschien er bei der polnischen Botschaft in Ost-Berlin (Unter den Linden 19–21) und erklärte, in seiner Aktentasche befände sich eine Bombe, mit der er die Botschaft in die Luft sprengen würde, wenn ihm nicht umgehend die Ausreise nach West-Berlin genehmigt würde.[3] Sein Motiv war möglicherweise eine geplante Übersiedlung in die USA. Daraufhin wurde ihm ein Passersatzdokument mit dem erforderlichen Ausreisevisum für West-Berlin ausgestellt; heimlich wurde das Ministerium für Staatssicherheit verständigt. Er wurde zum Grenzübergang auf dem Bahnhof Friedrichstraße gebracht. In der auch als Tränenpalast bekannten Ausreisehalle schoss ihn nach Augenzeugenberichten ein Zivilist im dunklen Mantel und mit getönter Brille aus zwei Meter Entfernung von hinten nieder. Schwerverletzt wurde er in das Haftkrankenhaus der Staatssicherheit auf dem Gelände des Untersuchungsgefängnisses in Berlin-Hohenschönhausen überführt. Dort starb er wenige Stunden später.[2]

Kukuczkas Mörder wurde für die Tat mit dem Kampforden „Für Verdienste um Volk und Vaterland“ in Bronze ausgezeichnet,[4] dessen Vorgesetzte mit Silber und Gold.[5]

Nach der politischen Wende hatte die Berliner Staatsanwaltschaft mehrere Ermittlungsverfahren in dem Fall zunächst eingestellt. Erst 2016 wurde der Täter, Martin Manfred N., ehemaliger Oberleutnant des MfS,[6] namhaft gemacht. Da man zu diesem Zeitpunkt jedoch von Totschlag ausging, wurde das Verfahren wegen Verfolgungsverjährung eingestellt. Auch in Polen wurde wegen des tödlichen Schusses auf den Feuerwehrmann ermittelt und im Sommer 2021 ein europäischer Haftbefehl erlassen. Polen beantragte daraufhin die Auslieferung von N. Das führte bei der deutschen Justiz zu einer neuen Bewertung, die in einer Anklage wegen Mordes mündete, da dieser nicht verjährt. Die Hauptverhandlung gegen N. begann am 14. März 2024 vor dem Landgericht Berlin I.[3][7] Die Staatsanwaltschaft forderte am 7. Oktober 2024 zwölf Jahre Freiheitsstrafe für den Angeklagten.[8] Am 14. Oktober 2024 wurde der nunmehr 80-jährige Täter zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.[9][10] Diese Strafe war die Mindeststrafe für Mord im Strafgesetzbuch der DDR, das insoweit milder war (Lex mitior); nach dem bundesdeutschen Strafgesetzbuch hätte grundsätzlich eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt werden müssen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig (Stand 15. Oktober 2024).[11]

Bei Todesopfern an der Berliner Mauer wurde zuvor nur im Fall von Walter Kittel ein rechtskräftiges Urteil wegen Mordes ausgesprochen.

Commons: Czesław Jan Kukuczka – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Polnische Opfer der Berliner Mauer: Franciszek Piesik und Czesław Kukuczka. Porta Polonica, abgerufen am 15. Oktober 2024.
  2. a b Todesopfer: Czesław Jan Kukuczka. In: chronik-der-mauer.de. Abgerufen am 15. Oktober 2024.
  3. a b Ex-Stasi-Mitarbeiter bestreitet mutmaßlichen Mord vor 50 Jahren. rbb24, 14. März 2024, abgerufen am 14. März 2024.
  4. Mord vor 50 Jahren: Ex-Stasi-Mitarbeiter muss in Haft. In: Legal Tribune Online. Abgerufen am 15. Oktober 2024: „Erst im Jahr 2016 lieferte das Stasi-Unterlagen-Archiv einen entscheidenden Hinweis zur möglichen Identität des Schützen: Ein vom damaligen Staatssicherheits-Minister Erich Mielke unterzeichneter Befehl nannte zwölf MfS-Mitarbeiter, die im Kontext mit der Tötung ausgezeichnet werden sollten. Der Angeklagte wurde laut Schriftstück von der Stasi mit dem "Kampforden in Bronze" ausgezeichnet.“
  5. Julia Jüttner: (S+) Berlin: Warum sich ein früherer Stasi-Mitarbeiter nach 50 Jahren vor Gericht verantworten muss. In: Der Spiegel. 14. März 2024, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 15. Oktober 2024]).
  6. Nathan Giwerzew (Berlin): Ein Ex-Stasi-Mitarbeiter wurde wegen Mordes zu zehn Jahren Haft verurteilt. Das ist einmalig in der deutschen Geschichte. In: nzz.ch. Neue Zürcher Zeitung AG, CH-8008 Zürich, 14. Oktober 2024, abgerufen am 15. Oktober 2024.
  7. Katrin Bischoff: Tödlicher Schuss vor 50 Jahren an DDR-Kontrollpunkt – Ex-Stasi-Mann in Berlin wegen Mordes vor Gericht. In: Berliner Zeitung. 11. März 2024, abgerufen am 13. März 2024.
  8. Staatsanwaltschaft fordert in Stasi-Mordprozess zwölf Jahre Haft. In: rbb24. 7. Oktober 2024, abgerufen am 7. Oktober 2024.
  9. Früherer Stasi-Offizier wegen Mordes zu zehn Jahren Haft verurteilt. In: tagesschau.de. 14. Oktober 2024, abgerufen am 14. Oktober 2024.
  10. 50 Jahre nach Schüssen am Grenzübergang: Mordurteil gegen Ex-Stasi-Offizier. In: beck-aktuell-Heute im Recht. Verlag C. H. Beck, 14. Oktober 2024, abgerufen am 15. Oktober 2024.
  11. Mord vor 50 Jahren: Ex-Stasi-Mitarbeiter muss in Haft. In: lto.de. 14. Oktober 2024, abgerufen am 15. Oktober 2024.