Deutsche Zwangsanleihe in Griechenland

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Als deutsche Zwangsanleihe in Griechenland (auch griechische Zwangsanleihe von 1942) wird eine Abschlagszahlung auf die Besatzungskosten verstanden, die das Deutsche Reich von Griechenland anlässlich der deutschen Besetzung Griechenlands im Zweiten Weltkrieg gefordert hatte.

Auszug aus der Akte R 27320 von 1945, Blatt 114 im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes: „Deutsche Restschuld“ in Höhe von 476 Mio. RM.

Ab April 1943 tilgte das Deutsche Reich einen Teil seiner Anlastungen in monatlichen Raten. Umgerechnet in Reichsmark und unter Berücksichtigung von Kursschwankungen ergab sich ausweislich einer im Jahr 1945 erstellten deutschen Akte eine „Deutsche Restschuld“ in Höhe von 476 Mio. RM.[1][2]

Die Frage eines griechischen Rückzahlungsanspruchs im Wert von inzwischen mindestens 5 bis 11 Mrd. Euro ist zwischen Griechenland und der Bundesrepublik Deutschland im 21. Jahrhundert umstritten und war zuletzt mit der deutsch-griechischen Auseinandersetzung um die griechische Staatsschuldenkrise verquickt.[3] Der Streit wird weniger mit juristischen oder diplomatischen Mitteln, als vielmehr in den öffentlichen Medien ausgetragen.[4]

Das Besatzungsregime durch die Achsenmächte Bulgarien, Italien und Deutschland wurde begleitet von wirtschaftlicher Ausbeutung. Griechenland musste nicht nur die Kosten der Besatzung tragen; die Besatzungsmächte zogen auch in großem Umfang Rohstoffe und Produkte aus Griechenland ab, was die sogenannte Große Hungersnot zur Folge hatte.

Da der Abtransport aus Griechenland wert- und mengenmäßig ständig gesteigert wurde, von deutscher Seite aber kaum Gegenlieferungen erfolgten, entstand auf den Verrechnungskonten, über die die Bezahlung der Güter formal erfolgte, ein Guthaben Griechenlands. Im Dezember 1942 wurde die griechische Kollaborationsregierung gezwungen, einer Regelung zuzustimmen, nach der dieses Guthaben als zinslose Forderung behandelt wurde. Diese sollte nach Kriegsende zurückgezahlt werden.

Nach einem Schlussbericht des Auswärtigen Amtes des Deutschen Reiches vom 12. April 1945 an die Reichsbank betrug die Höhe dieser Restschuld 476 Millionen Reichsmark.[5][6]

Historische und rechtliche Bewertungen

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Griechische Politiker und Hinterbliebenenverbände haben stets auf die Reparationsfrage hingewiesen und machten auch Ansprüche aus der Zwangsanleihe von 1942 geltend. Aus griechischer Sicht ist juristisch noch nicht abschließend geklärt, ob eine Rückzahlung unter die Reparationszahlungen zu rechnen ist oder nicht vielmehr zivilrechtlich als Kredit betrachtet werden muss.

Beispiele aus jüngerer Zeit waren eine Kommission, die die Regierung des Konservativen Antonis Samaras einsetzte, um Erfolgsaussichten der Forderungen zu prüfen. Auch sein Nachfolger, der Linke Alexis Tsipras, bekräftigte „moralische Verantwortung unserem Volk gegenüber, gegenüber der Geschichte und allen Völkern Europas“, das Geld einzufordern. Es scheint unwahrscheinlich, dass Griechenland europäische Partner in der Frage gewinnen könnte, da ein zu erwartendens Zerwürfnis mit Deutschland unattraktiv erscheint.[7] Folglich haben griechische Stellen auch keine Initiativen in dieser Richtung unternommen.

Götz Aly nannte in einer Kolumne in der Berliner Zeitung vom 23. Februar 2015 die „Zwangsanleihe“ eine „Legende“, die seit Jahren durch den Historiker Hagen Fleischer gehegt und gepflegt werde.[8] Dem folgte am 18. März 2015 in der Zeitung Die Welt der Autor Sven Felix Kellerhoff. Er zieht eine Akte von 1945 heran, die heute im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts (PA AA) unter der Bestandsnummer „R 27320“ archiviert und öffentlich einsehbar ist. Nach dieser sollen die Besatzungskosten saldiert worden sein, der geschätzte Saldo betrug zum Schluss der Besatzung Griechenlands 476 Millionen RM, der allerdings, so die Akte, noch um reichsdeutsche Leistungen zu mindern sei.[9]

Die Haager Landkriegsordnung spricht die Frage der Zulässigkeit von Zwangsanleihen der Bevölkerung eines besetzten Gebiets zugunsten des Besetzenden nicht ausdrücklich an. Die Ausübung militärischer Gewalt auf besetztem feindlichen Gebiet umfasst allerdings auch Aspekte der Zulässigkeit von Eingriffen in das öffentliche Eigentum. Eine abschließende völkerrechtliche Bewertung des deutschen Vorgehens könnte allenfalls im Rahmen eines gerichtlichen oder schiedsgerichtlichen Verfahrens erfolgen, das aber weder anhängig ist noch war.[10]

Die deutsche Bundesregierung betrachtet die Forderung nach Rückzahlung der Anleihe als griechische Reparationsforderung und erkennt solche seit 1990 nicht mehr an. Sie argumentiert insbesondere damit, dass bezüglich der Wiedergutmachung Regelungen geschlossen und Zahlungen geleistet worden seien, von denen auch Griechenland profitiert habe. Nach Jahrzehnten „friedlicher, vertrauensvoller und fruchtbarer Zusammenarbeit“ zwischen Deutschland und dem NATO- und EU-Partner Griechenland, so die Position der Bundesregierung, habe „die Reparationsfrage ihre Berechtigung verloren“.[11] Damit sieht die Bundesrepublik keinen Grund zur Erfüllung der Forderung.

Die Ansicht der Bundesregierung ist nicht unumstritten, sie wird von der Linksfraktion mit Bezug auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages (WD 2, 041/13) als „nicht zwingend“ bezeichnet.[12]

Deutsche Politiker wie Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt oder Wolfgang Schäuble wiesen im März 2015 die Ansprüche der griechischen Regierung auf Reparationszahlungen als völkerrechtlich unberechtigt zurück. Auch das Auswärtige Amt, z. B. der Staatsminister Michael Roth (SPD), lehnt Reparationsforderungen der griechischen Regierung ab.[13] Die Frage von Reparationen sei rechtlich und politisch abgeschlossen, erklärte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier.[14]

Höhe der Forderung 2015

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Der heutige Wert des Rückzahlungsanspruchs wird von Fachleuten sehr unterschiedlich eingeschätzt: Die Berechnungen liegen zwischen drei Milliarden und 64 Milliarden Euro. Nach einem vertraulichen Bericht einer Expertenkommission des griechischen Rechnungshofs, der im Januar 2015 der Regierung vorgelegt wurde, sollen die griechischen Experten auf eine Zahl von elf Milliarden Euro kommen.[15][16] Andere Experten schätzen die Gesamtschulden Deutschlands gegenüber Griechenland mittlerweile auf bis zu 160 Milliarden[17] oder sogar auf 575 Milliarden Euro.[18]

Eine griechische Studie zu Geldforderungen Griechenlands an Deutschland wurde Anfang März 2013 abgeschlossen und als streng geheim deklariert. Am 8. März 2015 veröffentlichte die Zeitung To Vima diese Studie. Die Gesamtforderungen werden darin zwischen 269 und 332 Milliarden Euro beziffert. Ministerpräsident Tsipras sagte zwei Tage nach der Veröffentlichung, ein Parlamentsausschuss solle sich mit dem Thema befassen.[19][20]

Im April 2015 nannte der griechische Vize-Finanzminister Dimitris Mardas einen heutigen Wert der Zwangsanleihe von 10,3 Milliarden Euro.[21]

Amtliche Gutachten und Stellungnahmen

Wissenschaftliche Literatur

  • Ernst Féaux de la Croix: Staatsvertragliche Ergänzungen der Entschädigung. In: Ernst Féaux de la Croix, Helmut Rumpf: Der Werdegang des Entschädigungsrechts unter national- und völkerrechtlichem und politologischem Aspekt. (= Bundesminister der Finanzen, Walter Schwarz (Hrsg.): Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland. Band III) Beck, München 1985, ISBN 3-406-08426-5, S. 201–309.
  • Helmut Rumpf: Völkerrechtliche und außenpolitische Aspekte der Wiedergutmachung. In: Ernst Féaux de la Croix, Helmut Rumpf: Der Werdegang des Entschädigungsrechts unter national- und völkerrechtlichem und politologischem Aspekt. Beck, München 1985, S. 311–346.
  • Katrin Fenrich, Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht der Ruhr-Universität Bochum (Hrsg.): Das deutsch-griechische Reparationskarussell …und jährlich grüßt das Murmeltier, Bofaxe Nr. 465D vom 25. Februar 2015; ifhv.de (PDF).
  • Bernhard Kempen: Der Fall Distomo: griechische Reparationsforderungen gegen die Bundesrepublik Deutschland. In: Hans-Joachim Cremer/Thomas Giegerich/Dagmar Richter/Andreas Zimmermann (Hrsg.): Tradition und Weltoffenheit des Rechts. Festschrift für Helmut Steinberger (= Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht; Band 152). Springer, Berlin [u. a.] 2002, S. 179–195.
  • Anestis Nessou: Griechenland 1941–1944. Deutsche Besatzungspolitik und Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung – eine Beurteilung nach dem Völkerrecht. V&R Unipress, Göttingen 2009, ISBN 978-3-89971-507-1, S. 332–338.

Einzelnachweise

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  1. Die „Deutsche Restschuld“ gegenüber Griechenland: Geschichtliche Hintergründe und gegenwärtige Diskussion Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Sachstand vom 23. April 2015.
  2. Sven Felix Kellerhoff: Griechenlands 476-Millionen-Anleihe gibt es nicht Die Welt, 18. März 2015.
  3. Volker Wagener: Deutsch-griechischer Zank - Ein Fall für die Paartherapie Deutsche Welle, 16. März 2015.
  4. Zur griechischen Zwangsanleihe von 1942 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Ausarbeitung vom 11. Dezember 2013, S. 4.
  5. Sven Felix Kellerhoff: Reparationen: Schuldet Deutschland den Griechen 70 Milliarden?, Welt Online, 17. September 2011.
  6. Hagen Fleischer/Despina Konstantinakou: Ad calendas graecas? Griechenland und die deutsche Wiedergutmachung, in: Hans Günter Hockerts, Claudia Moisel, Tobias Winstel (Hrsg.), Grenzen der Wiedergutmachung. Die Entschädigung für NS-Verfolgte in West- und Osteuropa 1945–2000, Wallstein, Göttingen 2006, S. 375–457, hier S. 456 Anm. 331: Tätigkeitsbericht Nestler, als Anlage Paul Hahn, Direktor bei der Deutschen Reichsbank und 1941–1944 deutscher Bankenkommissar in Griechenland (Ausweichstelle des Auswärtigen Amtes), an Präsidenten der Reichsbank vom 12. April 1945, PA AA, R 27320. Archivnummer und Betrag auch angeführt bei Fleischer: Wenn ihr euch erinnert, können wir vergessen, Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), 17. März 2014. Die genaue Lesart der Akte ist allerdings ebenfalls Bestandteil der Diskussion. Dazu Kellerhoff, Griechenlands 476-Millionen-Anleihe gibt es nicht, Welt Online, 18. März 2015 sowie Michael Martens, Historische Schulden? Die Akte Griechenland, FAZ vom 17. März 2015.
  7. N. Christodoulakis: Germany’s War Debt to Greece: A Burden Unsettled, 2014.
  8. Götz Aly: Griechische Schuldenlegenden, Berliner Zeitung, 23. Februar 2015.
  9. Sven Felix Kellerhoff: Griechenlands 476-Millionen-Anleihe gibt es nicht, Welt Online, 18. März 2015.
  10. vgl. ausführlich Zur griechischen Zwangsanleihe von 1942 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Ausarbeitung WD 2- 3000- 093/13.
  11. Antworten der Bundesregierung auf mehrere Kleine Anfragen der Fraktion Die Linke, BT-Drs. 17/709 vom 11. Februar 2010 (PDF; 151 kB) und 18/451 vom 6. Februar 2014 (PDF; 214 kB).
  12. Kleine Anfrage der Linksfraktion vom 17. Januar 2014, BT-Drs. 18/324 (PDF; 212 kB), mit Bezug auf die Ausarbeitung des WD: Zu den völkerrechtlichen Grundlagen und Grenzen kriegsbedingter Reparationen unter besonderer Berücksichtigung des griechisch-deutschen Verhältnisses (PDF; 223 kB)
  13. Auswärtiges Amt lehnt Reparationen ab, n-tv.de, 17. März 2015.
  14. NS-Verbrechen in Griechenland: Steinmeier nennt Debatte über Reparationen „gefährlich“, Spiegel Online, 18. März 2015.
  15. Schuldenkrise paradox: Deutschland schuldet Athen elf Milliarden aus Zwangskredit, Focus vom 12. Januar 2015.
  16. Deutschlandfunk vom 27. Januar 2015: „Deutschlands Schulden aus der Vergangenheit“.
  17. Deutschland soll Athen Milliarden schulden, Der Standard vom 12. Januar 2015; Gauck zu Staatsbesuch in Griechenland: Lob für Reformen, Streit über Geld (Memento vom 6. März 2014 im Internet Archive), Beitrag auf tagesschau.de vom 6. März 2014.
  18. Jaques Delplas, Interview in: Les Échos vom 22. Juni 2011 (französisch).
  19. Tsipras wirft Deutschland Trickserei vor. FAZ, 11. März 2015.
  20. Es geht um viele Milliarden Euro: Athen könnte deutsches Eigentum pfänden. n-tv.de, 11. März 2015.
  21. Zweiter Weltkrieg: Athen beziffert deutsche Schuld auf 278 Milliarden Euro. Spiegel Online, 7. April 2015.