Diskussion:Meister Eckhart/Archiv/2016
Neuer Abschnitt Kritik
Ich wollte als neuer Teilnehmer dem gut qualifizierten Beitrag über Meister Eckhart ein Kapitel "Kritik" hinzufügen, ähnlich z.B. dem Beitrag über Hegel. Mein Beitrag wurde augenblicklich wieder gelöscht, mit dem Hinweis, bei einer solchen Erweiterung könne nicht ohne vorgängige Diskussion erfolgen. Meister Eckharts Lehren sind nicht ohne innere Widersprüche und hatten einschneidende Nachwirkung auf die Theologie und Philosophie bis in die heutige Zeit. Da ich bisher nur dogmatische und keine sachlichen Stellungnahmen gegen Eckhart kenne, sehe ich mich als Einzelkämpfer.
Damit ist also die Diskussion eröffnet: Soll der Meister der Mystik in Wikipedia auch sachlich kritisiert werden? Das Kapitel Kritik habe ich wie folgt vorbereitet: (nicht signierter Beitrag von Proxristos (Diskussion | Beiträge) 11:49, 13. Feb. 2016 (CET))
Deine umfassenden Ergänzungen fallen inhaltlich und sprachlich zum übrigen Artikeltext stark ab. Es ist ein Gebot der Rücksichtnahme in exzellenten Artikeln restriktiv zu arbeiten, also behutsam und durchdacht Inhalte zu ändern. Das Arbeiten mit Mehrfachkonnten, um seine Meinung durchzudrücken, führt in aller Regel zum Ausschluss der weiteren Mitarbeit. Der Hauptautor Benutzer:Nwabueze wird sich sicherlich dazu noch äußern. --Armin (Diskussion) 12:43, 13. Feb. 2016 (CET)
Hallo Armin P. Vielen Dank für deine rasche Stellungnahme. Ich bin neu auf Wikipedia und habe sogar noch etwas Mühe, in der Diskussion korrekt zu navigieren. Proxristos ist selbstverständlich meine einzige Benutzer-Id, und ich wäre nicht einmal auf die Idee gekommen, Mehrfachkonten zu benutzen, um meine Beiträge selber unkontrolliert durchzudrücken. Würden einzele Autoren dies tun, so hätte Wikipedia niemals die Qualität, die sie hat. Andererseits hoffe ich, dass eine abweichende Meinung in geeigneter Form Platz finden kann, denn die Qualität von Wikipedia würde ebenso leiden, wenn ein Kartell von Autoren andere Meinungen ausschliessen würden. Dass mein Beitrag inhaltlich abfällt, ist insofern nachvollziehbar, als dass ich im Gegenatz zu den meisten Autoren (nicht nur bei Wikipedia) eine kritische Meinung gegenüber Eckhart habe. Inwiefern er anderweitig inhaltlich oder sprachlich abfällt, bitte ich dich zu präzisieren. (nicht signierter Beitrag von Proxristos (Diskussion | Beiträge) 17:22, 13. Feb. 2016 (CET))
- Hallo Proxristos. Da du hier neu bist, zunächst nur vorab etwas zum Grundsätzlichen. Du siehst dich nach deinen Worten als "Einzelkämpfer", der dafür kämpft, dass eine bestimmte Sichtweise und Bewertung der Person, um die es hier geht, im Artikel in epischer Breite dargestellt werden soll, weitaus ausführlicher als jede der im Rezeptionsteil behandelten Positionen der gesamten Forschungsgeschichte. Zugleich weist du darauf hin, dass du "eine kritische Meinung gegenüber Eckhart" hast, d.h. diejenige Position, die du so ungeheuer breit dargestellt sehen möchtest, deine eigene ganz persönliche Meinung ist (vielleicht nicht in jedem einzelnen Detail, aber jedenfalls in der Gesamtbilanz). Es ist erfreulich, dass du das so offenherzig mitteilst. - Außerdem ist besagte Meinung auch der Standpunkt eines bestimmten Autors, den du zitierst. Dieser Autor ist - sehr vorsichtig ausgedrückt - in der mediävistischen Fachwelt nicht gerade als einer der renommiertesten Eckhart-Spezialisten bekannt. Das Problem ist nun, dass gerade diese Art Haltung und Herangehensweise an die Artikelarbeit, wie du sie hier darlegst und praktizierst (salopp "man on a mission"), in Wikipedia verpönt ist. Wir brauchen gerade nicht Autoren, deren Ziel darin besteht, dass ihre persönlichen Meinungen und Bewertungen in den Artikeln möglichst ausführlich zur Geltung gebracht werden. Erwünscht sind Autoren, die eine gute Übersicht über die Fachliteratur haben und auf dieser Basis eine ausgewogene Darstellung bieten könnnen, wobei ihre persönlichen Meinungen, Urteile, Bewertungen zu Personen, Ereignissen oder Ideen keinerlei Rolle spielen sollen. Wer die nötige Distanz zu seinen eigenen Meinungen und Bewertungen nicht aufbringt, wendet sich besser einem Thema zu, bei dem er weniger befangen ist.
- Was Johannes Böhm-Mäder betrifft, auf dessen Buch du dich stützt: Wir warten erst mal ab, ob sein Buch in den bedeutenden philosophiegeschichtlichen Fachzeitschriften rezensiert wird und falls ja, wie die Rezensionen ausfallen, d.h. ob/inwieweit die Fachwelt ihn ernst nimmt. Dann wird es möglich werden zu beurteilen, ob er im Sinne unserer Qualitätskriterien generell "enzyklopädisch relevant" ist, d.h. für Wikipedia erwähnenswert. Eine weitere Frage zu seinem Buch über Mystik ist, ob es speziell zum Thema Eckhart enzyklopädisch relevant ist, d.h. ob der Autor von der Fachwelt als Eckhart-Experte anerkannt wird. Meinungen und Urteile über Eckhart und seine Lehre gibt es ja wie Sand am Meer. Wir treffen daher eine Auswahl, die vom Gewicht und Widerhall der betreffenden Position in der neueren Fachliteratur abhängt. Da es viel Literatur von hervorragenden Fachleuten gibt, sind die Qualitätsanforderungen sehr hoch. Ob Johannes Böhm-Mäder sie erfüllt und ob er der Eckhart-Forschung einen neuen Weg weist, wird sich herausstellen. Das warten wir - wie immer in solchen Fällen - in Ruhe ab. Nwabueze 03:26, 14. Feb. 2016 (CET)
Hallo Nwabueze. Einmal drüber schlafen hilft. Ich bin über Nacht in weiten Teilen zum selben Schluss gekommen wie du. In meinen Worten: Die Fachwelt ist begeistert von Meister Eckharts Lehren, und nun kommt einer, von dem noch nie jemand etwas gehört hat, und hat ein Problem mit ihm. Es geht nicht an, dass diese Meinung "in epischer Breite", wie du es nennst, Eingang finden kann. Jedoch: Genau weil diese Meinung gegen den grossen Strom der Zeit ist, wird sie es in der Fachwelt wohl schwer haben und vielleicht kaum ein Echo finden. Ich weiss jedoch, dass es einige theologische und philosophische Laien gibt, die ein dumpfes Unbehagen ob Eckharts Lehren befällt. Für viele ist es ein Gefühl ohne Gesicht. Wikipedia ist für alle da, nicht nur für die Fachwelt. Ich bin der Meinung, dass sachlich gut begründbare Einwände gegen des Meisters Lehren wenigstens am Rande Eingang finden sollten, damit das dumpfe Unbehagen ein Gesicht bekommt. Rund fünfundzwanzig Seiten eines Buches auf ein, zwei Statements einzudampfen, ist eine Herausforderung, doch meine Einwände gegen Eckhart sehe ich wie folgt: 1. Seine Lehre birgt innere Widersprüche, die kaum als mystische Paradoxa erklärt werden können. 2. Der Einwand, Eckhart stehe christlichen Grundanliegen entgegen, ist berechtigt. 3. Man mag den Niedergang des Christenglaubens begrüssen oder beweinen – Eckharts legt den Grundstein zu Aussagen Nietzsches wie: „Christentum ist Platonismus fürs ‚Volk‘“ oder „Gott ist tot! Und wir haben ihn getötet!“ Damit schlägt er nicht nur eine verdienstvolle Bresche in den mittelalterlichen Klerus, sondern zeichnet wesentlich verantwortlich für die fortschreitende Entleerung des ganzen Christenglaubens. Ich bin kein Eckhart-Forscher und lasse mich gerne belehren, wenn Punkt 1 und 3 in der Fachwelt schon Beachtung gefunden haben sollten. Punkt 2 ist der Grund für ein verbreitetes Unbehagen, während dennoch Theologen da und dort vor ihren Gemeinden ehrfürchtige Referate über Eckhart halten. Punkt 1 könnte als Randbemerkung im Abschnitt „Gott und Gottheit“ Eingang finden. Punkt 2 könnte unter „Abgeschiedenheit und Gelassenheit“ erwähnt werden. Punkt 3 ist ohne „epische Breite“ schwieriger zu berücksichtigen, doch vielleicht finden wir sogar hier eine bescheidene Lösung?--Proxristos (Diskussion) 09:42, 14. Feb. 2016 (CET)
- Das Buch von Böhm-Mäder habe ich noch nicht in der Hand gehabt. Da es erst in diesem Jahr erschienen ist, kann es dauern, bis es in wissenschaftlichen Bibliotheken verfügbar wird. Möglich ist auch, dass die Bibliothekare es gar nicht erst anschaffen, falls sie es als unwissenschaftlich einschätzen. Wie auch immer - Abwarten der Rezensionen ist in diesem Fall für Wikipedia die einzige Option. Auf jeden Fall gilt: Wir orientieren uns ausschließlich an den Urteilen der Fachwelt; was für die Fachwelt nicht existiert, was von ihr nicht ernst genommen wird, existiert auch für uns nicht. Eine Ausnahme ist allenfalls dann gegeben, wenn eine von der Fachwelt verworfene oder ignorierte Außenseitermeinung in einer breiten Öffentlichkeit so starke und nachhaltige Resonanz findet, dass sie das Eckhart-Bild der Öffentlichkeit erkennbar deutlich beeinflusst und verändert. In diesem Fall ist Erwähnung eines solchen Buches im Rezeptionsabschnitt sinnvoll (gegebenenfalls zusammen mit einem Hinweis darauf, dass die Fachwelt nichts davon hält). Das setzt aber voraus, dass die Breitenwirkung tatsächlich so stark ist - und wenn das der Fall ist, wird die Fachwelt nicht darum herumkommen, sich früher oder später damit zu befassen, zumindest beiläufig. Das ist dann für uns ein Indiz für enzyklopädische Relevanz, und dann lässt sich auch Wikipedia darauf ein.
- Wenn Böhm-Mäder, wie du schreibst, mit Eckhart "ein Problem hat", dann ist das zunächst einfach nur sein persönliches Problem und das von manchen seiner Leser. Das ist für Wikipedia völlig irrelevant. Seine Aufgabe ist es nun, die Fachwelt davon zu überzeugen, dass dieses Problem, das er hat, nicht nur eine subjektive Angelegenheit von ihm ist, sondern eine Realität, mit der sich die wissenschaftliche Eckhart-Forschung zu befassen hat. Wenn es ihm gelingt, das mit seinen Argumenten den Fachleuten plausibel zu machen, dann muss sich die Forschung damit auseinandersetzen, und dann berichten wir natürlich darüber - in diesem Fall, also wenn eine wissenschaftliche Kontroverse in Gang kommt, gern auch ausführlich. Solange Böhm-Mäder, wie du selbst schreibst, einer ist, "von dem noch nie jemand etwas gehört hat", ist eine Darstellung seiner Position (auch in Form einer knappen Erwähnung) in Wikipedia völlig ausgeschlossen - nicht nur hier sondern auch im Artikel Mystik und überhaupt überall. Anderenfalls würden wir uns der in Wikipedia strikt verbotenen "Theorieetablierung" schuldig machen, d.h. es könnte dann durch uns eine Außenseitermeinung, insbesondere eine vielleicht unwissenschaftliche, eine Verbreitung und ein Gewicht erhalten, das sie ohne uns nicht hätte. Das wollen wir auf keinen Fall.
- Nun siehst du, wenn ich dich richtig verstehe, in dieser Haltung der Wikipedia eine Diskriminierung und Unterdrückung von Außenseitermeinungen und unfaire Favorisierung bereits etablierter Lehren. Ich verstehe diesen grundsätzlichen Einwand, nehme ihn ernst und könnte darauf viel erwidern. Das würde aber in eine allgemeine Meta-Diskussion über Sinn und Zweck der Wikipedia, über Fairness und Wahrheitssuche usw. hineinführen. Für eine solche Diskussion ist hier nicht der Ort, da diese Diskussionsseite nur der Verbesserung des Artikels über Eckhart dienen soll. Die Diskussion müsste auf einer einschlägigen allgemeinen Diskussionsseite geführt werden. Allerdings gibt es über diese fundamentale Problematik bereits ellenlange Diskussionen auf den einschlägigen Seiten - vielleicht genügt es dir, diese zu lesen, man muss ja nicht immer wieder das Rad neu erfinden und die Debatten noch ein weiteres Mal ganz von vorn beginnen. Meta-Diskussionen binden Ressourcen zu Lasten der Artikelarbeit. Nwabueze 03:15, 15. Feb. 2016 (CET)
Hallo Nwabuetse. Vielen Dank für deine erneute, umfangreiche Stellungnahme. Ich muss damit wohl akzeptieren, dass eine Kritik Meister Eckharts in Wikipedia vorerst in keiner Form Platz findet. Ich finde es absolut richtig, dass Wikipedia-Beiträge nur nach einem Diskurs unter mitinvolvierten Teilnehmern publiziert werden. Nun – ein breiter Diskurs war diese Unterhaltung wohl nicht. Doch wir wollen das Stillschweigen anderer Teilnehmer als passive Unterstützung deiner Position auffassen. Sogar wenn unter „Wiki“ eine Sammlung von Nutzerbeiträgen im Internet und unter „Enzyklopädie“ ein Nachschlagewerk mit umfassendem Wissensstoff aller Disziplinen verstanden wird und die ursprüngliche Intention von Wikipedia wohl genau dies war: ein Nachschlagewerk von allen für alle, in dem möglichst viel Wissen verfügbar wird – ich nehme mit eckhartschem Gleichmut zur Kenntnis, dass Wikipedia zumindest in gewissen Bereichen zu einer Plattform wurde, auf der Experten ihr gegenseitig anerkanntes Wissen der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Ich nehme zudem nicht ohne Faszination zur Kenntnis, dass Meister Eckharts Kritikresistenz auch nach 700 Jahren ungebrochen ist. Das soll ihm mal einer nachmachen… Lassen wir’s damit gut sein. Ich ziehe mein Anliegen vorerst zurück und hoffe auf weitere angeregte Diskussionen, sei es über den Meister der Mystik oder über andere interessante Themen.--Proxristos (Diskussion) 20:22, 15. Feb. 2016 (CET)
- Hallo Proxristos, ich danke für dein Verständnis. Es ist mir wichtig zu betonen, dass es bei den Relevanzregeln nicht um ein Abwürgen von Kritik und Totschweigen von Außenseitermeinungen geht, sondern um die grundsätzliche Frage, wie überhaupt ein Mindestkonsens darüber, was in unseren Artikeln erwähnenswert ist und was nicht, erreicht werden kann. Dafür benötigen wir klare, möglichst objektive Kriterien, anderenfalls zerfleischen wir uns in endlosen Streitigkeiten darüber, was objektiv wahr ist und was für eine Behandlung im Artikel hinreichend wichtig ist. – Dass Eckharts Lehre eine sieben Jahrhunderte lang ungebrochene Kritikresistenz aufweise, trifft übrigens nicht zu. Davon kannst du dich leicht überzeugen, wenn du den Abschnitt Meister Eckhart#Spätmittelalter liest. Nwabueze 15:33, 16. Feb. 2016 (CET)
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Kritik
Auch wenn seine Überlieferungen lange Zeit im Verborgenen bleiben mussten: Dank der umfassenden Aufbereitung von Eckharts direkt und indirekt überlieferten Aussagen sind wir heute in der Lage, seinen bahnbrechenden Geist nicht nur zu würdigen, sondern auch zu hinterfragen. Sicher gab Eckhart wesentliche Impulse zur Aufklärung. Seine Lehre birgt jedoch widersprüchliche Elemente, die die abendländische Theologie und Philosophie nicht nur beflügelte, sondern auch in Krisen führte.[1]
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Kritikresistenz
Eckhart fordert, der Mensch müsse „seiner Wahrheit gleichen, um seine Rede zu verstehen“ (s. Abschn. Lehre→Vorgehensweise). Damit lässt sich jede Widerrede im Keim ersticken: Wer ihn kritisiert, gleicht seiner Wahrheit nicht, und wer dieser nicht gleicht, soll schweigen. Zudem kann die Vereinigung mit dem Seelengrund nicht rational erfasst, sondern nur mystisch erfahren werden. Zu dieser Kritikresistenz gesellen sich kühne Rhetorik und hohe Abstraktion mit starken paradoxen Elementen. Aufgrund der weiten Streuung der Überlieferungen war schließlich sein Gedankengut zwar überall unterschwellig vorhanden, eine kritische Gesamtsicht seiner Lehre blieb jedoch jahrhundertelang aus. Offene Kritik erschöpfte sich im Wesentlichen in den dogmatischen Grabenkämpfen des ausklingenden Spätmittelalters (s. Abschn. Rezeption).
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Innere Widersprüche – Platon vs. Christus
Bei aller Schärfe von Eckharts Intellekt lassen sich innere Widersprüche in seinen Aussagen ausmachen, die kaum offensichtliche und gewollte Paradoxa oder Oxymora darstellen können. Sie erweisen sich als verborgene logische Widersprüche, die kaum beabsichtigt waren. Und sie betreffen nicht Nebensächlichkeiten, sondern liegen zwischen den Axiomen von Eckharts Lehre, namentlich zwischen den Begriffen Gottheit und Gott. Der Konflikt liegt nicht nur in Eckharts nachlässiger Verwendung von „Gott“ wo er eigentlich „Gottheit“ meint, sondern gründet tiefer.
Gott ist nach Eckhart „das Denken schlechthin“ (vgl. Abschn. Lehre→Lehre von Gott und der Gottheit unter Gottes Denken und Gottes Sein). Er predigt auch, das denkende Suchen sei entscheidend:[2] Der Mensch soll sich nicht genügen lassen an einem gedachten Gott; denn wenn der Gedanke vergeht, so vergeht auch der Gott. Man soll vielmehr einen wesenhaften Gott haben, der weit erhaben ist über die Gedanken des Menschen und aller Kreatur. Gott als Schöpfer steht am Beginn alles Kreatürlichen. Nur die Gottheit ist wesenloses Sein, weit erhaben über alle Kreatur. Alles Wesenhafte ist mit dem göttlichen Seelengrund unvereinbar. Dennoch soll man einen wesenhaften Gott haben. Wie das, wenn man alles Kreatürliche einschließlich des Denkens hinter sich gelassen hat und am wesenlosen Seelengrund mit der Gottheit vereint ist?[3]
Eckhart postuliert ähnlich Neuplatonikern oder Buddhisten die Erleuchtung in der Vereinigung mit dem All-Einen. Der Anspruch, sich mit dem Höchsten zu vereinen, birgt erhebliches Konfliktpotential mit christlich-kanonischen Überlieferungen. Um den Christenglauben dennoch bewahren zu können, greift Eckhart auf einen daraus emanierten wesenhaften Schöpfergott zurück, der Ähnlichkeiten mit dem Demiurgen des Platonismus aufweist. Mittels Oxymora von „Licht der Finsternis“, „geschaffener Unerschaffenheit“ und „Etwas im Nichts“ verwischt er schließlich kunstvoll die Grenzen zwischen Gottheit und Gott.[4] Eckharts resultierende Haltung in Bezug auf den christlichen Schöpfergott kommt z.B. zum Ausdruck in:
- … mein wesentliches Sein ist oberhalb von Gott, sofern wir Gott als Beginn der Kreaturen fassen. In jenem Sein Gottes nämlich, wo Gott über allem Sein und über aller Unterschiedenheit ist, dort war ich selber, da wollte ich mich selber und erkannte mich selber (willens), diesen Menschen (= mich) zu schaffen. Und darum bin ich Ursache meiner selbst meinem Sein nach, das ewig ist. … In meiner (ewigen) Geburt wurden alle Dinge geboren, und ich war Ursache meiner selbst und aller Dinge; und hätte ich gewollt, so wäre weder ich noch wären alle Dinge; wäre aber ich nicht, so wäre auch „Gott“ nicht: dass Gott „Gott“ ist, dafür bin ich die Ursache; wäre ich nicht, so wäre Gott nicht „Gott“.[5]
Eckharts Aussagen müssen sicher in ihren Zusammenhang gesetzt werden. Doch welcher könnte dies sein, als nur eine unabhängige abendländische Variante des buddhistischen Yogis, der „Herr über die Natur … Herrscher durch göttliches Recht, Weltherrscher, Gott und Schöpfer“ ist?[6] Der wesentliche Unterschied zwischen Eckhart und einem Buddhisten ist, dass dieser nur aus den unvermeidlichen irdischen Leiden entfliehen will und nicht an einen Schöpfergott glaubt, während Eckhart als Christ den Schöpfer hochhält, sich aber im „schlechthin Steilsten, Kühnsten und unübersteigbar Höchsten“[7] über ihn erheben will. Die obige Aussage ist alles andere als ein Einzelfall. Man vergleiche z.B. die Zitate im Abschnitt Lehre→Die Seele… oder auch seine Sicht der Engel:[8] Wenn ich daran denke, dass unsere Natur über die Kreaturen erhoben worden ist und im Himmel über den Engeln sitzt und von ihnen angebetet wird, so muss ich mich aus tiefstem Herzensgrunde freuen.
Diese neuplatonische Geisteshaltung ist schwerlich vereinbar mit den Evangelien und neutestamentlichen Briefen, z.B. mit Jesu Bescheidenheit gegenüber dem reichen Jüngling (Lk 18,19 EU): „Warum nennst du mich gut? Niemand ist gut außer Gott, dem Einen.“
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Äussere Widersprüche – Abgeschiedenheit vs. Liebesgebot
Die Diskussion von Widersprüchen zu den heiligen Überlieferungen läuft immer Gefahr, sich in Dogmatik zu verlieren, doch von einem großen Repräsentanten des Christentums darf man erwarten, dass seine Lehre mit zentralen Grundaussagen des Neuen Testaments im Einklang bleibt. Im Traktat über die Abgeschiedenheit (vgl. Deutsche Werke) findet sich Eckharts Geisteshaltung dichtgedrängt in 7 Aussagen:
- Liebe achtet Eckhart gering, denn er will viel lieber Gott zu sich zwingen als alles auf sich zu nehmen.
- Demut verwechselt er mit Vernichtung seiner selbst, was einer angemessenen Selbstliebe widerspricht (vgl. (Mt 22,39 EU)).
- Mitleid lehnt er ab und zieht es vor, sich nicht betrüben zu lassen (vgl. (Mt 5,7 EU)).
- Dass die Marter Jesu in Abgeschiedenheit geschehen sei und die Einheit von Vater und Sohn nicht berührt habe, ist Doketismus, der das Leiden Christi ausschließt.
- Sein Schicksalsglaube, Gott habe alles in allem Detail in Ewigkeit vorausgesehen und vorbestimmt, verwirft den freien Willen und damit letztlich auch Gottes Liebe als Vater seiner freien Geschöpfe.
- Das Nichts ist am Ende alles, was bleibt, denn Eckhart lässt zuerst die Welt, dann die eigene Seele und den Schöpfergott verschwinden.
- Das Leiden bezeichnet er als „das schnellste Tier, das euch zur Vollkommenheit trägt“, doch als er am Ende seiner steilen Karriere tatsächlich in der „größten Bitternis mit Christus“ hätte stehen können, wich er vor den Anwürfen der Inquisition aus. Andere Häretiker gingen wie die Urchristen für ihren Glauben auf den Scheiterhaufen.
Diese Aussagen stehen den neutestamentlichen Geboten von Nächstenliebe, Gottesfurcht und Leidensbereitschaft diametral entgegen.[9] Insbesondere stellt sich Eckharts Lehre der Abgeschiedenheit gegen grundlegende Aufforderungen zur Mitmenschlichkeit in der Bergpredigt, z.B.: Seligpreisungen (Mt 5,3-10 EU), Vergeltung (Mt 5,42 EU), Feindesliebe (Mt 5,44f EU) oder Tun des göttlichen Willens (Mt 7,12 EU). Sie stehen auch im Widerspruch zum „höchsten Gebot“ der Liebe (Mt 22,37-39 EU) und zu Pauli Hohelied der Liebe in 1Kor 13.
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Vom Neuplatonismus zum Nihilismus
Drei Grundaspekte von Eckharts Lehre prägten die Theologie und Philosophie der folgenden Jahrhunderte wesentlich mit: Die Trennung zwischen wesenloser Gottheit und wesenhaftem Gott erlaubt es einem Christen, im neuplatonischen Geist aufzugehen, ohne das Christentum zu verwerfen. Ferner ist die Seele als etwas Geschaffenes kreatürlich und damit im wahren Sein nichtig. Zum dritten ist im Seelengrund die Gottheit selbst anwesend, Selbsterkenntnis ist Gotteserkenntnis. Gott als Schöpfer existiert nicht wirklich: Er ist eine Wesenheit entsprechend der vergänglichen menschlichen Seele – ein Nichts. Böhm-Mäder folgert für die abendländische Philosophie:[10]
- Aus dieser Trilogie … gibt es nur einen möglichen Ausgang, der zwei Aspekte hat:
- Zum einen steht für alles Wesenhafte am Ende der Suche das Nichts. … Alles Lebendige und Werdende, … alles leid- oder glückbringende Miteinander wird fallengelassen zugunsten einer unbeteiligten „Glückseligkeit“. … Die menschliche Existenz wird ziellos mit Ausnahme des einen: alles Kreatürliche zu überwinden. … Will der Mensch als Wesenheit nicht verlorengehen, bleibt nur noch die Verweltlichung und als letzte Konsequenz Nietzsches Wille zur Macht: Ich will nicht verlorengehen, also werde ich ganz Kreatur, und da aller Sinn meiner persönlichen Entwicklung dahinfällt, verliere ich nichts, wenn ich mich … erhebe und mich rücksichtslos gegen alles Schwache durchsetze.
- Der zweite Aspekt … ist, dass der innerste Grund des Menschen die Gottheit ist, das allmächtige Sein. … Auch Christus ist am Ende nur Eins mit der Gottheit, ohne Individualität, aufgelöst im Allbewusstsein. Der Mensch ist sein eigener Herr, keiner steht über ihm, und alles ist ihm möglich.
Mit dieser Sinnentleerung des menschlichen Daseins einerseits und dem Postulat der menschlichen Allmacht andererseits sät Eckhart die frühe Saat des Nihilismus, der jede Möglichkeit objektiver Ordnung verneint und dem Individuum mit seinen Trieben und Neigungen alles erlaubt. Vor diesem Hintergrund braucht Nietzsche gar keine christliche Scheinmoral, um zu seiner radikalen Kritik des Christentums anzusetzen, mit der er es als dekadente, bis auf Platon und Sokrates zurückgehende Entwicklung der abendländischen Kultur brandmarkt. (nicht signierter Beitrag von Proxristos (Diskussion | Beiträge) 11:49, 13. Feb. 2016 (CET))
- Archivierung dieses Abschnittes wurde gewünscht von: Nwabueze 16:41, 15. Mär. 2016 (CET)
- ↑ Johannes Böhm-Mäder: Die Früchte der Mystik – Ein Orientierungsversuch zwischen Geheimnis und Offenbarung. Berlin, Lit-Verlag 2016, S. 120-123.
- ↑ Traktat VI; in: Josef Quint: Meister Eckehart – Deutsche Predigten und Traktate. München, Carl Hanser 1963, S. 60.
- ↑ Böhm-Mäder S. 113f.
- ↑ Böhm-Mäder 2016 S. 289
- ↑ Meister Eckhart, Predigt 32, Die deutschen Werke, Bd. 2, S. 132ff.
- ↑ Zitat aus dem Tibetanischen Totenbuch (Evans-Wentz 1981); Böhm-Mäder 2016 S. 118.
- ↑ Josef Quint: Meister Eckehart – Deutsche Predigten und Traktate. München, Carl Hanser 1963, S. 30.
- ↑ Meister Eckhart, Predigt 5a, Die deutschen Werke. Bd. 1, S. 77ff.
- ↑ Böhm-Mäder 2016, S. 115ff.
- ↑ Böhm-Mäder 2016, S. 120-123.