Ei des Kolumbus
Das Ei des Kolumbus ist Gegenstand einer Redensart, die eine verblüffend einfache Lösung für ein unlösbar scheinendes Problem beschreibt, nämlich ein Ei auf seine Spitze zu stellen. Ähnliche Bedeutung hat die Rede vom Gordischen Knoten.
Herkunft
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Herkunft der Redensart soll auf einer Anekdote beruhen, die in etwa so erzählt wird: Christoph Kolumbus wird nach seiner Rückkehr aus Amerika während eines Essens bei Kardinal Mendoza im Jahr 1493 vorgehalten, es sei ein Leichtes gewesen, die Neue Welt zu entdecken, es hätte dies schließlich auch jeder andere vollführen können. Daraufhin verlangt Kolumbus von den anwesenden Personen, ein gekochtes Ei auf der Spitze aufzustellen. Es werden viele Versuche unternommen, aber niemand schafft es, diese Aufgabe zu erfüllen. Man ist schließlich davon überzeugt, dass es eine unlösbare Aufgabe ist, und Kolumbus wird gebeten, es selbst zu versuchen. Daraufhin schlägt er sein Ei mit der Spitze auf den Tisch, so dass sie leicht eingedrückt wird und das Ei stehen bleibt. Als die Anwesenden protestieren, dass sie das auch gekonnt hätten, antwortete Kolumbus: „Der Unterschied ist, meine Herren, dass Sie es hätten tun können, ich hingegen habe es getan!“[1]
Ursprünglich war die Anekdote vom Ei des Kolumbus von dem italienischen Künstler Giorgio Vasari (1511–1574) auf seinen Landsmann Filippo Brunelleschi (1377–1446) gemünzt worden. Dieser Baumeister soll durch die Lösung des „Ei-Problems“ den Auftrag zum Bau der Kuppel des Doms Santa Maria del Fiore erhalten haben. Das würde die Anekdote jedenfalls passend machen, da die Domkuppel in Florenz augenscheinlich an die Form eines Eies erinnert, das an der Spitze aufgestoßen ist.[1]
Die Verbindung mit Kolumbus geht auf Girolamo Benzoni zurück, der die Anekdote in seiner Schrift über die Geschichte der Neuen Welt (Historia del mondo nuovo, Venedig 1565) in der Kolumbus-Version erzählt, dabei aber einräumt, dass er die Sache nur vom Hörensagen kenne.
In Südamerika ist eine Version verbreitet, nach der Kolumbus das Ei nicht eingedrückt, sondern in aufgehäuftes Salz gestellt habe.
Rezeption
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Obwohl in vielen europäischen Sprachen verbreitet, scheint die Redensart im Englischen unbekannt oder zumindest nicht allgemein in Gebrauch zu sein.[2]
In F. Scott Fitzgeralds Roman Der große Gatsby wird das Ei des Kolumbus allerdings wie folgt erwähnt: „Twenty miles from the city a pair of enormous eggs, identical in contour and separated only by a courtesy bay […] They are not perfect ovals – like the egg in the Columbus story, they are both crushed flat at the contact end […]“ (20 Meilen weit weg von der Stadt [stehen] zwei enorm große Eier, identisch in ihrer Form und getrennt nur von einem Höflichkeitsabstand […] Sie sind nicht perfekt eiförmig, sondern wie in der Geschichte über das Ei des Kolumbus sind sie am Berührungsende eingedrückt […])
Auch in Mary Shelleys Vorwort zu Frankenstein findet das Ei des Kolumbus Erwähnung: „Invention […] does not consist in creating out of void, but out of chaos. […] In all matters of discovery and invention, even of those that appertain to the imagination, we are continually reminded of the story of Columbus and his egg.“ (Erfindung […] besteht nicht darin, aus dem Nichts heraus zu erschaffen, sondern aus dem Chaos. […] Bei allen Entdeckungen und Erfindungen, auch wenn sie der Phantasie angehören, werden wir ständig an die Geschichte von Kolumbus und seinem Ei erinnert.)[3]
In Paul Austers Roman City of Glass, dem ersten Buch der New York Trilogy, wird das Ei des Kolumbus ebenfalls erwähnt – und zwar als etwas weithin Bekanntes: 'I’m speaking of Columbus’s egg.' – 'Ah, yes. Of course.' – 'You know the story?' – 'Everyone does.' ('Ich spreche von Kolumbus’ Ei." – 'Ah ja. Natürlich.' – 'Du kennst die Geschichte?' – 'Jeder tut es.')[4]
Kunst
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Anekdote vom Ei des Kolumbus ist seit dem 17. Jahrhundert verschiedentlich in Graphiken und Miniaturen verewigt worden. Unter anderen[5] besonders bekannt geworden ist die Radierung von William Hogarth, die auch mehrfach nachgestochen wurde.[6][7] Der Schweizer Baumeister und Architekturtheoretiker Daniel Hartmann verarbeitete das Motiv vom Ei des Kolumbus 1673 mit der Redensart „Und das könten wir alle“[8] zu einer Allegorie auf die Anwendbarkeit seines eigenen Lehrbuchs.
Denkmäler
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In Sevilla heißt das 45 Meter hohe und 1995 eingeweihte Kolumbus-Denkmal Nacimiento de un Hombre Nuevo im Volksmund Huevo de Colón („Ei des Kolumbus“).[9][10] Ein weiteres Denkmal des Kolumbus-Eis steht in Sant Antoni auf Ibiza.[11]
Im Museum Reichenfels in Hohenleuben wird als Kuriosität ein „Ei des Kolumbus“ gezeigt, das 1893 auf der Weltausstellung in Chicago an den 400. Jahrestag der Entdeckung Amerikas erinnern sollte.[12]
Motormodell
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Anlässlich der Columbian World Exhibition zum 400. Jahrestag der Entdeckung Amerikas entwickelte Nikola Tesla für den Stand der Westinghouse Electric einen Induktionsmotor, dessen Rotor aus einem Metallei besteht. Durch die schnelle Rotationsbewegung kann das Ei wie ein Kreisel auch ohne den „Trick des Kolumbus“ auf der Spitze stehen. Das Experiment kann im Belgrader Nikola-Tesla-Museum betrachtet werden.
Spielzeug
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Es gibt Zaubertricks und Spielzeuge (Trickei, mit einer unsymmetrischen Sanduhr im Innern), die ein Ei auf die Spitze stellen.[13] So kann man nach einem Zauberbuch aus dem Jahr 1702 (S. Witgeest, Natürliches Zauberbuch, Nürnberg 1702) ein wirkliches Ei auf die Spitze stellen, ohne es zu zerbrechen, indem man das Innere schüttelt, bis der Dotter sich verteilt und das Ei dann vorsichtig ausrichtet. Nach Christian Ucke funktioniert das auch, wahrscheinlich weil die Eiform nicht perfekt ist und man doch kleine ebene Aufsatzflächen bilden kann, über denen sich der Schwerpunkt anordnen lässt.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Lutz Röhrich: Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. 2. Auflage. Band 2: Easy–Holzweg. Herder, Freiburg / Basel / Wien 1995, ISBN 3-451-4400-5 (defekt), S. 354–359, hier S. 356 f.. Korrekte ISBN 3-451-04400-5.
- Andreas Venzke: Der Entdecker Amerikas – Aufstieg und Fall des Christoph Kolumbus. Zürich 1991, ISBN 3-545-34091-0.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Murielle Schlup: Das Ei des Kolumbus Im Blog des Schweizerischen Nationalmuseums vom 16. Februar 2022
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b Ei des Kolumbus – Woher stammt der Begriff? In: www.Ei-des-Kolumbus.de. Archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 5. Mai 2006; abgerufen am 19. März 2004.
- ↑ Naoshi Fukushima: Columbus' Egg. In: Bulletin d'Information. Nr. 71. Bureau Gravimetrique International, Toulouse 1992, S. 113–116 (englisch, Download [PDF; 8,7 MB; abgerufen am 25. Mai 2024]). Abrufbar unter BGI Bulletin (2002 – 1963). Bureau Gravimetrique International (englisch).
- ↑ Mary Shelley: Frankenstein. In: Four Gothic Novels. Oxford University Press, Oxford 1994, ISBN 0-19-282331-0, S. 455 (englisch).
- ↑ Paul Auster: City of Glass. In: New York Trilogy. Faber and Faber, London 2004, S. 82
- ↑ Vgl. etwa Murielle Schlup: Das Ei des Kolumbus. In: Blog. Schweizer Nationalmuseum, 26. Februar 2022, abgerufen am 24. Mai 2024. Oder Ernst Penzoldt, Ludwig Rosenberger: Das Ei des Columbus. Mit Zeichnungen von Ludwig Rosenberger. Heimeran, München 1937, DNB 575893907 (Bild des Covers [abgerufen am 25. Mai 2024]).
- ↑ Columbus wie er ein Ei auf die Spitze stellt. In: Museum-digital. Abgerufen am 24. Mai 2024.
- ↑ Das Ei des Kolumbus. The Egg of Colombus. In: buchfreund.de. Abgerufen am 24. Mai 2024 (Verkleinerte und seitenverkehrte Kopie der Hogarth-Redierung durch Ernst Ludwig Riepenhausen).
- ↑ Daniel Hartmann: Burgerliche Wohnungs-Baw-Kunst oder: Gründlicher Bericht, wie auff einem vorgegebenen Platz, ein wolgestelltes Wohnhauß, neben dessen Losamentern, die Schälung des Kreutzgewölbten Kellers, Stiegen, Schnecken, deren krummen und breiten Tritten, Schreg-fenstern, Verbürstungen des Kopffs und Handhaben, wie solche am zier- und längständigsten mögen gebawet werden. Richter, Basel 1688, nach Seite 16. (Digitalisat)
- ↑ Huevo de Colón. In: Google Maps. Abgerufen am 24. Mai 2024.
- ↑ Ein Ei, Kolumbus und Amerika. In: artlandyablog.wordpress.com. 12. Oktober 2018, abgerufen am 24. Mai 2024.
- ↑ Das "Ei des Christoph Kolumbus" steht in Sant Antoni ... In: ibizainfos.net. Abgerufen am 24. Mai 2024.
- ↑ Was macht ein Ei auf der Weltausstellung? Museum Reichenfels, 16. November 2020, abgerufen am 24. Mai 2024.
- ↑ Christian Ucke, Hans Joachim Schlichting: Stehaufmännchen, Kolumbus-Eier und ein Gömböc. In: Physik in unserer Zeit. Band 44, Nr. 4, 2013, S. 190–194 (Download [PDF; 1,1 MB; abgerufen am 25. Mai 2024]). Abrufbar in Publications/Lectures. Christian Ucke, 2. Juli 2021 .