Freie Lie-Algebra
In der mathematischen Theorie der Lie-Algebren ist eine freie Lie-Algebra bzw. frei erzeugte Lie-Algebra eine Lie-Algebra, die frei in der Kategorie der Lie-Algebren und Lie-Homomorphismen ist. Damit lassen sich Lie-Algebren mit vorgegebenen Erzeugern und Relationen konstruieren.
Definition
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Wir betrachten einen festen Körper als Koeffizientenbereich. Zu einer vorgegebenen Menge sei die frei erzeugte assoziative K-Algebra über , sei die Inklusionsabbildung. Durch die Lie-Klammer
wird zu einer Lie-Algebra. Darin sei
der Durchschnitt aller enthaltenden Lie-Unteralgebren von . Dies ist nicht der Durchschnitt über eine leere Menge, denn ist eine Lie-Unteralgebra, die enthält.
heißt freie Lie-Algebra über .[1]
Nach Konstruktion ist , das heißt wir können auch als Inklusionsabbildung auffassen.
Universelle Eigenschaft
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die freie Lie-Algebra über erfüllt folgende universelle Eigenschaft:
Sei eine Abbildung von in eine Lie-Algebra . Dann gibt es genau einen Lie-Algebren-Homomorphismus mit .[2]
Dies rechtfertigt die Bezeichnung freie Lie-Algebra.
Alternative Konstruktion
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bei Bourbaki findet sich eine alternative Konstruktion der freien Lie-Algebra. Für eine nicht-leere Menge sei das freie Magma über und der frei über erzeugte -Vektorraum mit der linear von fortgesetzten Multiplikation. Darin betrachte das Ideal , das von allen Ausdrücken der Form
erzeugt wird. Dann heißt die frei über erzeugte Lie-Algebra.[3] Durch den Übergang zur Quotientenalgebra werden die aufgezählten Elemente zum Nullelement, denn sie liegen ja definitionsgemäß im Ideal . Daher gelten in die Antikommutativität und Jacobi-Identität, das heißt man erhält eine Lie-Algebra. Von dieser wird gezeigt, dass sie obige universelle Eigenschaft erfüllt.[4] Da je zwei Lie-Algebren, die dieselbe universelle Eigenschaft in Bezug auf erfüllen, isomorph sein müssen, kann diese Konstruktion als Alternative zur oben angegebenen betrachtet werden.
Beispiele
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ist einelementig, so ist isomorph zur kommutativen Polynomalgebra aller Polynome in der Unbestimmten . Als Lie-Algebra ist daher abelsch, das heißt jeder Untervektorraum ist eine Lie-Unteralgebra. Damit ist definitionsgemäß der kleinste Untervektorraum, der enthält, und das ist . Also ist
- die triviale eindimensionale Lie-Algebra.[5]
Die universelle einhüllende Algebra der freien Lie-Algebra ist isomorph zur freien assoziativen Algebra über , in Formeln .[6]
Erzeuger und Relationen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Konstruktion
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Sei wieder eine nicht-leere Menge. Ein Lie-Wort über ist eine endliche Linearkombination von endlichen Lie-Monomen, das heißt endlichen Lie-Produkten von Elementen aus . Ein Beispiel für ein Lie-Monom ist
- ,
ein Beispiel für ein Lie-Wort ist
- .
Für eine Menge von Lie-Wörtern über sei das von erzeugte Lie-Ideal. Dann heißt die Quotientenalgebra
die von der Menge und den Relationen erzeugte Lie-Algebra.
Wie bei der in der Gruppentheorie betrachteten Präsentation einer Gruppe kann man auch hier Lie-Algebren mit vorgegebenen Eigenschaften konstruieren, genauer wird jedes Lie-Wort zu einer Gleichung in .
Beispiele
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- , denn das von der leeren Menge erzeugte Ideal ist .
- Sei die Menge aller Lie-Wörter . Dann ist die von erzeugte abelsche Lie-Algebra, das heißt der von frei erzeugte K-Vektorraum mit der Nullmultiplikation als Lie-Klammer.
- Es seien und gewisse reelle Konstanten, die bei verschiedenen Indizes kleiner gleich 0 sind.
- Es sei dann die Menge der Relationen
- für
- mit und Vorkommen von
- mit und Vorkommen von
- Dann spielt die Lie-Algebra eine wichtige Rolle im Beweis des Existenzsatzes für halbeinfache Lie-Algebren. Sind die die Koeffizienten einer Cartan-Matrix, so ist eine endlich-dimensionale Lie-Algebra mit ebendieser Cartan-Matrix. Das ist Serre’s Beweis des Existenzsatzes.[7][8] Genau diese Techniken werden auch für die Definition von Kac-Moody-Algebren verwendet.[9]
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Roger Carter: Lie Algebras of Finite and Affine Type, Cambridge studies in advanced mathematics 96 (2005), ISBN 978-0-521-85138-1, Kapitel 9.3: Free Lie algebras
- ↑ Roger Carter: Lie Algebras of Finite and Affine Type, Cambridge studies in advanced mathematics 96 (2005), ISBN 978-0-521-85138-1, Satz 9.9
- ↑ N. Bourbaki: Lie Groups and Lie Algebras: Chapters 1-3, Springer Verlag (1989), ISBN 3-540-64242-0, Kapitel II, §2.2: Construction of the free Lie algebra
- ↑ N. Bourbaki: Lie Groups and Lie Algebras: Chapters 1-3, Springer Verlag (1989), ISBN 3-540-64242-0, Kapitel II, §2.2, Satz1
- ↑ N. Bourbaki: Lie Groups and Lie Algebras: Chapters 1-3, Springer Verlag (1989), ISBN 3-540-64242-0, Kapitel II, §2.2, Bemerkung auf Seite 123
- ↑ Roger Carter: Lie Algebras of Finite and Affine Type, Cambridge studies in advanced mathematics 96 (2005), ISBN 978-0-521-85138-1, Satz 9.10
- ↑ Roger Carter: Lie Algebras of Finite and Affine Type, Cambridge studies in advanced mathematics 96 (2005), ISBN 978-0-521-85138-1, Beispiel 9.12
- ↑ James E. Humphreys: Introduction to Lie Algebras and Representation Theory, Springer-Verlag (1972), ISBN 0-387-90052-7, Kapitel 18.3: Serre’s Theorem
- ↑ Roger Carter: Lie Algebras of Finite and Affine Type, Cambridge studies in advanced mathematics 96 (2005), ISBN 978-0-521-85138-1, Kapitel 14: Generalized Cartan matrices and Kac-Moody algebras