Grüneberg (Gesetzeskommentar)

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Der Grüneberg (bis zur 80. Auflage 2021 Palandt) ist ein Kurzkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und einigen Nebengesetzen, benannt nach dem Richter am Bundesgerichtshof Christian Grüneberg. Der erstmals 1938 und in aktualisierter Auflage zwischen 1949 und 2021 unter dem Namen „Palandt“ veröffentlichte, jährlich erscheinende Kommentar zählt zu den wichtigsten Standardwerken der deutschen Rechtswissenschaft und zum ständigen Handwerkszeug fast aller Juristen im Zivilrecht.

Verlegt wird der Grüneberg im Verlag C. H. Beck als 7. Band in der Beck’schen Kurzkommentar-Reihe. In wissenschaftlich umstrittenen Einzelfragen beschränkt sich der Grüneberg oft auf die Wiedergabe der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung, was seinem primären Einsatzzweck als einbändiges Handbuch für Praktiker Rechnung trägt. Der Grüneberg ermöglicht den schnellen Einblick in das jeweils interessierende Rechtsgebiet, ist sehr aktuell und inhaltlich breit angelegt. Andererseits bietet er als Kurzkommentar auf Grund seines begrenzten Umfangs nur ein Mindestmaß an Information, weshalb er häufig lediglich für den Einstieg in eine Falllösung ausreicht. Neben seiner Popularität auf Grund der weiten Verbreitung gilt er als Grundstein im Rahmen der Juristenausbildung und ist in den meisten Bundesländern als Hilfsmittel im zweiten juristischen Staatsexamen zugelassen.

Der Verlag C.H. Beck hat den zuvor nach Otto Palandt benannten „Palandt“ mit der im Dezember 2021 erschienenen 81. Auflage in „Grüneberg“ umbenannt.[1] Neuer Namensgeber ist der Koordinator der Autoren, der Richter am Bundesgerichtshof Christian Grüneberg.[2]

Im Dezember 2024 brachte der Verlag C. H. Beck in Kooperation mit einem Softwareunternehmen aus München eine KI-Version zum „Grüneberg“ heraus. Die KI-Version wird als Chat-Book „Frag den Grüneberg“[3] vermarktet und stellt eine auf großen Sprachmodellen basierende Erschließung des Werks dar. Benutzerinnen und Benutzern wird damit erstmalig die Möglichkeit gegeben, Fragen (sowie komplette Dialoge) in natürlicher Sprache an den „Grüneberg“[4] zu stellen und „Frag den Grüneberg“ generiert daraufhin eine Antwort auf Basis der Werksinhalte.[5]

Um möglichst viel Information in nur einem Band unterbringen zu können, bedient sich der Kommentar seit jeher einer Kodierung, die fast jedem längeren Wort eine Abkürzung zuweist. Trotzdem hat die 82. Auflage einen Umfang von 3270 Seiten im Dünndruck.

Beispiel

Abgekürzte Formulierung:

„Formzwang. Er ergreift grdsätzl jede Änderg u jede Verlängerg des MietVertr, wenn der Vertr (unter Einschl der Änd) noch länger als ein J laufen soll (hM), […]“

63. Aufl., Kommentierung zum BGB § 550 Rn. 16

Ausgeschriebene Formulierung:

„Der Formzwang ergreift grundsätzlich jede Änderung und jede Verlängerung des Mietvertrags, wenn der Vertrag (unter Einschluss der Änderungen) noch länger als ein Jahr laufen soll (so die herrschende Meinung), […]“

Die Abkürzung gängiger Begriffe ist auch in anderen Kurzkommentaren üblich. Die Besonderheit beim Grüneberg ist jedoch die Menge der Abkürzungen. Beim Zitieren entsprechender Passagen wird üblicherweise die ausgeschriebene Formulierung verwendet.

Entstehungsgeschichte

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Vorgänger des Palandt in der Reihe Kurzkommentare, Band 7, BGB, Loening – Basch – Straßmann, bereits vom Verlag C.H.Beck übernommen, ca. ab 1933 (innen: Ausgabe Verlag Otto Liebmann 1931).
Palandt, BGB, Beck’sche Kurzkommentare Band 7, 7. Auflage 1949

Das Werk entstand in der Zeit der NS-Diktatur. Die Beck’schen Kurz-Kommentare basieren auf den vom Verleger Otto Liebmann[6] begründeten Liebmann’schen Taschen- bzw. Kurz-Kommentaren. Band 7 zum BGB stammt von drei Berliner Richtern: Otto Loening, Landgerichtsdirektor, sowie James Basch und Ernst Straßmann, beide Landgerichtsräte.[7] Liebmann, der jüdischer Herkunft war, war nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zur Aufgabe seines Verlags gezwungen und verkaufte diesen und damit auch die Reihe „Kurz-Kommentare“ im Dezember 1933 an C.H. Beck.[8][6][9]

C.H. Beck setzte an die Stelle des früheren BGB-Kommentars ein neues Werk aus der Feder von acht Autoren. Kurz vor Veröffentlichung verstarb 1938 bei einem Autounfall der vom Beck-Verlag als Herausgeber vorgesehene Gustav Wilke, persönlicher Referent Franz Schlegelbergers. Ihn ersetzte Otto Palandt, Präsident des Reichsjustizprüfungsamtes und Mitglied der Akademie für Deutsches Recht, der zu dem nach ihm benannten Werk in den ersten zehn Auflagen die Einleitung verfasste und die Generalredaktion übernahm. Die erste Auflage, die im Jahr 1939 in 5.000 Exemplaren erschien, verbuchte „einen in der Geschichte des juristischen Verlagsbuchhandels einzig dastehende[n] Erfolg.“[7] Die zweite Auflage folgte noch im selben Jahr.

Nach 1945 wurde der Palandt konzeptionell unverändert und ohne größere personelle Brüche weitergeführt; von der NS-Ideologie geprägte Passagen wurden in den ersten Nachkriegsauflagen korrigiert. So wurden in der 4. Auflage von 1941 in der Vorbemerkung zu der gemäß § 1 BGB gewährten Rechtsfähigkeit Einschränkungen derselben gemäß

„nat=soz Rechtsauffassung von der Verschiedenheit der Menschen (insbes ihrer erbbiologischen Verschiedenh, Rasse, Erbgesundheit)“

begründet. Noch in der 7. Auflage (Erste Nachkriegsauflage von 1949) bleibt die Vorbemerkung vor § 1 BGB weitgehend wortgleich, es gibt aber in der Begründung keinen Verweis mehr auf den Nationalsozialismus:

„[…] gewisse Rechtsstellungen setzen ein bestimmtes Geschlecht, ein gewisses Alter, früher auch z. B. die Zugehörigkeit zu einer Zunft […] voraus.“

Am Namen hielt der Verlag trotz Kritik lange fest. Ab 2018 wurde in einem Vorwort über den Namensgeber sowie dessen nationalsozialistische Vergangenheit und seine von dieser Ideologie geprägten Auffassungen informiert. Ab der 81. Auflage 2022 erscheint der Kommentar nun unter dem Namen des aktuell für die Koordination zuständigen Autors, Christian Grüneberg. Auch andere Werke aus dem Verlag, wie die Gesetzessammlung „Habersack“ (ehemals Schönfelder) und der Grundgesetzkommentar „Dürig/Herzog/Scholz“ (ehemals Maunz/Dürig) wurden umbenannt.

Inhalt der 82. Auflage (2023):

Bearbeiter (Autoren)

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Aktuelle Bearbeiter:

Ausgeschiedene Bearbeiter:

Initiative zur Umbenennung

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Reichsjustizprüfungsamt – Urkunde und Unterschrift von Otto Palandt – Berlin 12. April 1937

Die Benennung des Gesetzeskommentars nach dem NS-Juristen Palandt wurde von der Initiative Palandt Umbenennen seit Mitte 2017 kritisiert. Sie forderte, den Titel des Werks zu ändern.[10][11][12][13] Als alternative Namensgeber wurden unter anderem Otto Liebmann als Herausgeber des ursprünglichen Kurzkommentars[6] sowie Otto Loening, James Basch und Ernst Straßmann als anfängliche Mitverfasser vorgeschlagen.[14]

In Reaktion auf die Einwände stellt der Beck-Verlag seit der 77. Auflage (2018) dem Verzeichnis der ausgeschiedenen Bearbeiter einen Hinweis auf den kritischen Diskurs über die Person Otto Palandt und dessen Propagierung einer Interpretation des BGB im Sinne des Nationalsozialismus voran. Die Homepage zum Palandt enthält darüber hinaus eine Literaturliste auch mit kritischen Beiträgen zu den Anfängen des Palandts. Nachdem der Verlag zunächst am Namen des Kommentars festgehalten hatte, wurde zur 81. Auflage eine Änderung des Namens in Grüneberg angekündigt.[15]

Nachdem der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion im Oktober 2018 ankündigte, den Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages mit dem Problem befassen zu wollen,[16] forderten die grünen Justizminister von Hamburg, Thüringen und Berlin vom Beck-Verlag die Umbenennung.[17]

Der Arbeitskreis Kritischer Jurist*innen (AKJ) an der Ludwig-Maximilians-Universität München hat Anfang 2020 nach Erscheinen der 78. Auflage verstärkt die Streichung von Palandts Namen als Herausgeber des Standardwerks gefordert. Anfang 2020 machten die AKJ-Aktivisten in München auf das Problem aufmerksam und versahen mehrere Exemplare des BGB-Kommentars in der Bibliothek mit einem alternativen Umschlag. Auf ihm wurde Otto Liebmann als Herausgeber genannt.[18]

Ähnliche Kritik gab es an der Benennung des Schönfelders[19][20] und dem Grundgesetzkommentar Maunz/Dürig, der den Namen des Staatsrechtlers Theodor Maunz trägt. Er trat 1964 nach Bekanntwerden seiner NS-Vergangenheit als bayerischer Kultusminister zurück, veröffentlichte aber bis zu seinem Tod 1993 unter Pseudonym Artikel in der rechtsextremen Nationalzeitung.[18]

Nach einer Anfrage durch den rechtspolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion im Bayerischen Landtag Toni Schuberl,[21] in der er die besondere Verantwortung der bayerischen Staatsregierung aufgrund ihrer Benennung des Palandt und des Schönfelder als Hilfsmittel im juristischen Staatsexamen aufzeigte, startete der bayerische Justizminister Georg Eisenreich eine weitere Initiative,[22] die letztlich zum Erfolg führte.

Im Jahr 2021 kündigte der Verlag gleichzeitig mit der Umbenennung des Palandts auch eine Umbenennung des Schönfelders in Habersack und des Maunz/Dürig in Dürig/Herzog/Scholz an.[23]

Literatur (nach Erscheinungsjahr)

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Einzelnachweise

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  1. Grüneberg (vormals Palandt) | Bürgerliches Gesetzbuch: BGB. Abgerufen am 9. Dezember 2021.
  2. Pressemitteilung. Beck, 27. Juli 2021, abgerufen am 27. Juli 2021.
  3. GrünHome | Grüneberg - Bürgerliches Gesetzbuch. Abgerufen am 6. Dezember 2024.
  4. VerlageCHBeckVahlen: FRAG DEN GRÜNEBERG: Nutzen Sie die Chancen KI-basierten Arbeitens. 10. Oktober 2024, abgerufen am 6. Dezember 2024.
  5. Michael Beurskens, Wer dumme Fragen stellt, bekommt auch dumme Ant­worten, Legal Tribune Online vom 13. Dezember 2024.
  6. a b c Jonas Höltig: Nachdem der Palandt Palandt bleibt - Wer war eigentlich Otto Liebmann? Ein beeindruckendes Lebenswerk. In: Legal Tribune Online. 18. Dezember 2017, S. 1, abgerufen am 29. Juli 2021.
  7. a b Elena Barnert: Von Station zu Station. Anm zu Otto Palandt (umstr) uam aAnl seines 130. Gebtags (mwN). In: myops. 1/2007, S. 56 ff. (S. 59).
  8. Stefan Rebenich: C.H. BECK 1763–2013. Der kulturwissenschaftliche Verlag und seine Geschichte. C.H. Beck, München 2013, ISBN 978-3-406-65400-8, S. 371.
  9. Jonas Höltig: Nachdem der Palandt Palandt bleibt - Wer war eigentlich Otto Liebmann? Absturz in die völlige Vergessenheit. In: Legal Tribune Online. 18. Dezember 2017, S. 2, abgerufen am 29. Juli 2021.
  10. Janwillem van de Loo: Den Palandt umbenennen – Ein Beitrag zu juristischer Erinnerungskultur in Deutschland. In: JZ. Band 72, Nr. 17, 2017, S. 827 ff.
  11. Kommentar zu den Hintergründen der Hamburger Kampagne von Janwillem van de Loo im SWR2-Podcast vom 5. November 2021 [1]
  12. Martin Rath: Wegen NS-Geschichte: Palandt umbenennen? In: Legal Tribune Online. 17. September 2017 (Online [abgerufen am 1. November 2017]).
  13. Christoph Fuchs: Streit um den Palandt: Ein Nazi ist bis heute Namensgeber für ein juristisches Standardwerk | BR.de. Hrsg.: Bayerischer Rundfunk. 26. Oktober 2017 (Online [abgerufen am 7. November 2017]).
  14. Initiative Palandt Umbenennen: Alternativen. Abgerufen am 1. November 2017 (amerikanisches Englisch).
  15. Pressemitteilung vom 27.07.2021. Abgerufen am 27. Juli 2021.
  16. Manuel Göken: Palandt-Diskussion im Rechtsausschuss? Legal Tribune Online vom 24. Oktober 2018
  17. acr/LTO-Redaktion: Zeit für einen „würdigen Namen“ Legal Tribune Online vom 30. Oktober 2018 lto.de
  18. a b NS-Jurist auf dem Umschlag, Jüdische Allgemeine, 2. März 2020. Abgerufen am 2. März 2020.
  19. Alexander Pyka: Nazi-Erbe lebt bis heute im deutschen Recht. In: Welt. 5. März 2013, abgerufen am 24. Januar 2019.
  20. Petition der Woche – Weg mit den NS-Juristen. In: taz. 20. Oktober 2017, abgerufen am 24. Januar 2019.
  21. Landtagsdrucksache 18/11458
  22. Debatte um Umbenennung von Justiz-Standardwerken geht weiter. In: Zeit.de. 28. Januar 2021, abgerufen am 27. Juli 2021.
  23. Pressemitteilung vom 27.07.2021. Abgerufen am 27. Juli 2021.