Kelainai

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Kelainai (altgriechisch Κελαιναί) war eine der bedeutendsten antiken Städte Kleinasiens, insbesondere in der Achämenidenzeit. An den Quellen des Mäander und am Kreuzungspunkt mehrerer wichtiger Straßen gelegen, darunter der persischen Königsstraße, war die phrygische Stadt vermutlich bereits in der Bronzezeit ein regionales Handelszentrum und entwickelte sich, nachdem sie unter Antiochos I. in Apameia umbenannt worden war, bis in römische Zeit neben Ephesos zum größten Markt Kleinasiens, wie Strabon berichtete.[1] In byzantinischer Zeit verlor die Stadt an Bedeutung, wurde aber vermutlich nie ganz aufgegeben. Die heutige Stadt Dinar überbaut einen Teil des antiken Stadtgebietes, archäologische Überreste sind nur noch wenige zu sehen.

Lage und Topographie

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Kelainai lag an den Quellen des Mäander, heute liegt an ihrer Stelle die Stadt Dinar (Provinz Afyon). Kelainai war, wie heute Dinar, ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt im Grenzgebiet zwischen Lydien und Phrygien und wird von vielen antiken Autoren erwähnt. Die Heerzüge von Xerxes I., dem jüngeren Kyros[2], Alexander dem Großen[3] sowie dem römischen Konsul Gnaeus Manlius Vulso[4] marschierten hier durch. In Kelainai trafen vier wichtige Routen zusammen; vermutlich passierte auch die persische Königsstraße die Stadt. Die schilfreichen Mäanderquellen bei Kelainai, die durch den nahegelegenen See Aulotrene unterirdisch gespeist werden, sind Hintergrund für eine alte, vielschichtige Mythenbildung.

Der älteste, bronzezeitliche Siedlungskern lag auf dem heute weitgehend unbebauten Üclerce Tepe im Nordosten Dinars. Von dort breitete sich das Stadtgebiet vermutlich bis in römische Zeit insbesondere nach Westen hin aus, weitläufige Nekropolen mit zum Teil beachtlich großen Fels- und Hügelgräbern geben einen Eindruck seiner ehemaligen Ausdehnung[5]. Im Umland fanden sich verstreut weitere große Grabhügel, die vermutlich im Zusammenhang mit der Stadt stehen. Der bekannteste darunter ist der Tumulus von Tatarlı.

Marsyas-Darstellung vom Theater von Perge

Die bekannteste Legende, die mit Kelainai in Zusammenhang steht, ist die des Wettbewerbs zwischen Apollon und Marsyas; Marsyas findet sich häufig auf Münzprägungen der Stadt wiedergegeben. Der Ort der Marter des Satyrs ist den älteren Überlieferungen zufolge in Kelainai bei der Quelle des Flusses Marsyas. Dieser entspringt nach einer Version dem geschundenen Körper des Marsyas, nach einer anderen Version entsteht er durch die Tränen der Satyrn und Nymphen, die Marsyas' schreckliches Schicksal beweinen. Eine weitere Version, die von Plinius[6] berichtet und von Solinus[7] übernommen wird, lässt den Wettbewerb im Tal der Aulotrene stattfinden, das etwa acht Kilometer von der Stadt entfernt liegt.

Ein weiterer Legendenkreis, der in Kelainai angesiedelt ist, steht mit einem anderen berühmten Phrygier im Zusammenhang, dem König Midas. Mehrere Quellen[8] nennen Kelainai als die Hauptstadt seines Königreichs und sagen, dass Marsyas ursprünglich als Quelle des Midas bezeichnet wurde: Sie entsprang auf Wunsch des phrygischen Königs durch Dionysos’ Hilfe.[9] Kallisthenes gab die zweifellos lokal tradierte Legende wieder, nach der Zeus Idaios einen Abgrund in Kelainai sich öffnen ließ, der mehrere Häuser mit ihren Bewohnern verschlang.[10] Ein Orakel hatte Midas geweissagt, dass sich der Abgrund erst wieder schließe, wenn er sein wertvollstes Gut hineinwerfe. Schließlich stürzte sich sein Sohn Anchurus reitend in den Schlund, der sich daraufhin wieder schloss. An seiner Stelle ließ Midas einen goldenen Altar für Zeus Idaios errichten.

Einem dritten in Kelainai-Apameia angesiedelten Mythos entsprechend soll hier der Berg Ararat zu lokalisieren sein, auf dem die Arche Noah nach der Sintflut aufgesetzt hat. Diese Lokalisierung ist erstmals in den Sibyllinischen Orakeln (1, 261) bezeugt und in der Folge bei Julius Africanus und anderen byzantinischen Autoren.[11] Auf verschiedenen Münzen des 3. Jahrhunderts aus Apameia findet sich Noah mit seiner Arche abgebildet.[12] Sie zeigen, dass es sich vorwiegend um eine lokale Überlieferung handelt, die sicher mit der großen jüdischen Gemeinde in Apameia in Zusammenhang steht.

Frühgeschichte und Perserzeit

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Aufgrund seiner hervorragenden geographischen Lage gehen die urbanen Wurzeln Kelainais bis in die Bronzezeit zurück. Im 6. Jahrhundert v. Chr. geriet die Stadt unter lydischen Einfluss und trat mit griechischen und ionischen Städten in intensiven Handelskontakt. In kurzer Zeit avancierte sie zu einem wichtigen Handelszentrum. In der ersten literarischen Erwähnung der Stadt ist von dem in Kelainai ansässigen Lyder Pythios die Rede, der an Reichtum nur vom Großkönig Xerxes übertroffen worden sein soll.[13] Er hatte bereits an Dareios I., den Vater des Xerxes, kostbare Geschenke gesandt und es ist anzunehmen, dass sich seine Familie bereits in vorachämenidischer Zeit in Kelainai niedergelassen hatte, als die Stadt unter lydischer Herrschaft stand.

In achämenidischer Zeit wurde Kelainai zur persischen Königsresidenz, wohl der einzigen Kleinasiens. Nach Xenophon[14] ließ Xerxes unmittelbar nach seiner Niederlage bei Salamis (479 v. Chr.) am Fuß der Oberstadt einen Palast bauen. An den Quellen des Mäander ließ der jüngere Kyros eine weitere Palastanlage errichten, die von einem großen paradeisos, einem Jagdgarten voll mit Wildtieren, umgeben war.[15] In seiner Residenzstadt sammelte er im Jahr 401 v. Chr. seine Armee zum Schlag gegen seinen Bruder Artaxerxes II. Die Armee vereinigte sich hier mit 10.000 Griechischen Söldnern, die aus Sardeis kamen (Anabasis, Zug der Zehntausend, Xenophon).

Sicher war Kelainai auch phrygischer Satrapensitz, auch wenn hiervon keine Überlieferungen bekannt sind.[16] Bei Kelainai ließ der Satrap Pharnabazos Alkibiades ermorden (404 v. Chr.), während dieser als Flüchtling in Phrygien weilte. Alkibiades hatte sich nördlich von Kelainai in einem Ort namens Melissa niedergelassen, wo auch sein bis in die Kaiserzeit verehrtes Grab errichtet war.[17] Im Jahr 333 v. Chr. erreichte Alexander der Große mit seinen Armeen Kelainai und setzte Antigonos als Satrapen von Phrygien ein.[18] Die Stadt war sodann seleukidisch.

Hellenistische Zeit

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Antiochos I. Soter (324–261 v. Chr.) gründete später die Stadt neu und gab ihr, nach seiner Mutter, den Namen Apameia.[19] Nach Strabon[20] siedelte Antiochos Bewohner von Kelainai nach Apameia um, dennoch wurde der Name Kelainai offenbar nicht ganz aufgegeben: Dion Chrysostomos (35) hielt z. B. seine Rede nicht in Apameia, sondern in Kelainai. Vermutlich wurde daher allenfalls im Rahmen einer Stadterweiterung der Siedlungsschwerpunkt nach Süden hin verschoben. Wie Kelainai diente auch Apameia als Residenzstadt mit einer wichtigen seleukidischen Palastanlage. Hier residierte Antiochos III. zwischen 193 und 188 v. Chr. und hier wurde 188 v. Chr. der Friede zwischen der Römischen Republik und dem Seleukidenreich geschlossen.[21] Apameia war danach Teil des pergamenischen Königreichs und wurde im Jahr 133 v. Chr. zusammen mit den anderen pergamenischen Besitzungen römisch. Im Jahr 129 v. Chr. wurde die Stadt an Mithridates V. von Pontos abgetreten und nach dessen Tod 120 v. Chr. für frei erklärt.

Trotz der offensichtlichen römischen Präsenz in der Stadt wurde sie erst im Jahr 84 v. Chr. in die Provinz Asia aufgenommen. Im Lauf der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. wurde Apameia mehrmals der Provinz Kilikien zugeordnet und ging dann wieder an Asia zurück. Auch in römischer Zeit behielt die Stadt ihre wirtschaftliche Bedeutung und war nach Ephesos der größte Marktort in Kleinasien[22] und der Hauptort eines Conventus.[23] Häufige Darstellungen der Arche Noah auf den kaiserzeitlichen Prägungen der Stadt weisen auf einen beträchtlichen jüdischen Bevölkerungsanteil hin. Erst in der byzantinischen Epoche ging die Bedeutung der Stadt deutlich zurück, wenngleich sie bis ins 9. Jahrhundert Bischofssitz blieb. Noch heute besteht ein Titularbistum Apamea in Bithynia.

  • Francis Vyvyan Jago Arundell: Discoveries in Asia Minor; including a description of the ruins of several ancient cities, and especially Antioch of Pisidia. Band 1. Richard Bentley, London 1834, S. 172–227 (Digitalisat).
  • Gustav Hirschfeld: Über Kelainai – Apameia Kibotos (= Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin). Akademie der Wissenschaften, Berlin 1875, S. 1–26 (Digitalisat).
  • David George Hogarth: Notes upon a Visit to Celaenae – Apamea. In: The Journal of Hellenic Studies. Band 9, 1888, S. 343–349.
  • William Mitchell Ramsay: The Historical Geography of Asia Minor. John Murray, London 1890, S. 403–404.
  • Georg Weber: Dinair (Gueïkler) – Célènes – Apamée Cibotos. Delagrange-Louys, Besançon 1892 (Digitalisat).
  • Philippe-Ernest Legrand, Joseph Chamonard: Inscriptions de Phrygie. In: Bulletin de correspondance hellénique. Band 17, 1893, S. 241–293 (Digitalisat).
  • William Mitchell Ramsay: Cities and Bishoprics of Phrygia, being an essay of the local history of Phrygia from the earliest times to the Turkish conquest. Band 1, Teil 2: West and West-Central Phrygia. Clarendon Press, Oxford 1897, S. 396–483, S. 667–676 (Digitalisat).
  • Wiliam Hepburn Buckler, William Moir Calder: Monuments and Documents from Phrygia and Caria (= Monumenta Asiae Minoris Antiqua. Band 4). Manchester University Press, Manchester 1939, S. XIV-XV, 64–88, 145–148 (Digitalisat).
  • Thomas Drew-Bear, Werner Eck: Kaiser-, Militär- und Steinbruchinschriften aus Phrygien. In: Chiron. Band 6, 1976, S. 289–318.
  • Thomas Drew-Bear: Nouvelles inscriptions de Phrygie. (= Studia Amstelodamensia ad epigraphicam, ius antiquum et papyrologicam pertinenta. Band 16). Terra, Zutphen 1978.
  • Michel Christol, Thomas Drew-Bear: Un castellum romain près d’Apamée de Phrygie (= Tituli Asiae Minoris. Ergänzungsband 12). Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien 1987.
  • Ahmet Topbaş: Un sarcophage d’Apamée de Phrygie. In: Revue archéologique. Neue Serie, Band 2, 1987, S. 361–374.
  • Klaus Belke, Norbert Mersich: Phrygien und Pisidien (= Tabula Imperii Byzantini. Band 7). Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien 1990, S. 188–189.
  • Pierre Chuvin: Mythographie et géographie dionysiaques : recherches sur l’œuvre de Nonnos de Panopolis. Adosa, Clermont-Ferrand 1991, S. 111–125.
  • Thomas Corsten, Thomas Drew-Bear: Sur deux inscriptions d’Eumeneia et d’Apameia en Phrygie. In: Epigraphica Anatolica. Band 20, 1992, S. 135–142.
  • Ahmet Topbaş: Dinar Tiyatro kazısı. In: Müze kurtarma kazıları sonuçları. Ankara 1993, S. 16–25.
  • Ronald Syme: Anatolica. Studies in Strabo. Clarendon Press, Oxford 1995, S. 335–339.
  • Ian A. Carradice: The Dinar Hoard of Persian Sigloi. In: Richard Ashton, Silvia Hurter (Hrsg.) Studies in Greek Numismatics in Memory of Martin Jessop Price. Spink London 1998, S. 65–81 Taf. 17–20.
  • Dietmar Müller: Topographischer Bildkommentar zu den Historien Herodots. Kleinasien und angrenzende Gebiete mit Südostthrakien und Zypern. Wasmuth, Tübingen 1997, S. 129–148 s. v. Kelainai.
  • Johannes Nollé: Beiträge zur kleinasiatischen Münzkunde und Geschichte 4–5. In: Gephyra. Band 3, 2006, S. 49–131 (Digitalisat).
  • Lâtife Summerer, Askold Ivantchik, Alexander von Kienlin (Hrsg.): Kelainai – Apameia Kibôtos: Développement urbain dans le contexte anatolien. Stadtentwicklung im anatolischen Kontext. Actes du colloque international (= Kelainai I). Ausonius, Bordeaux 2011.
  • Askold Ivantchik, Lâtife Summerer, Alexander von Kienlin (Hrsg.): Kelainai-Apameia Kibotos: eine achämenidische, hellenistische und römische Metropole – Kelainai-Apameia Kibotos / Une métropole achéménide, hellénistique et romaine (= Kelainai. Band 2). Ausonius, Bordeaux 2016.

Einzelnachweise

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  1. Strabon, Geographie 12,8,15.
  2. Xenophon, Anabasis 1,2,7–8.
  3. Arrian, Anabasis 1,29,1; Quintus Curtius Rufus, Historia Alexandri Magni 3,1.
  4. Titus Livius, Ab urbe condita 38,13.
  5. [1].
  6. Plinius, Naturalis historia 16, 89.
  7. Solinus, Collectanea rerum memorabilium 40,7–8.
  8. Kallimachos, Aetia, fr. 75; Sositheos fr. 2.
  9. Pseudo-Plutarch, De fluv. 10.
  10. Kallisthenes, Die Fragmente der griechischen Historiker (FGrHist), Nr. 124 F 56.
  11. Johannes Malalas, Chronographia 1,4; Georgios Synkellos, Weltchronik 2; Georgios Kedrenos, Weltchronik 1,20 etc.
  12. [2].
  13. Herodot, Historien 7,27–29. Dazu Paul Kübler, Konrat Ziegler: Pythios 4. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band XXIV, Stuttgart 1963, Sp. 567 f. (Digitalisat).
  14. Xenophon, Anabasis 1,2,8.
  15. Xenophon, Hellenika 4,1,15.
  16. Vgl. Livius, Ab urbe condita 38,13: caput Phrygiae.
  17. Diodor, Bibliotheke 14,11; Plutarch, Alkibiades 39; Athenaios, Deipnosophistai 13,574–575.
  18. Arrian, Anabasis 1,29,3; Quintus Curtius Rufus, Historia Alexandri Magni 3, 1, 8; Marcus Iunianus Iustinus, Epitoma historiarum Philippicarum Pompei Trogi 13, 4, 14; Diodor, Bibliotheke 18, 52, 1–2. 19, 69, 2; Plutarch, Demetrios 6, 5.
  19. Strabon, Geographie 12,8,15; Livius, Ab urbe condita 38,13.
  20. Strabon, Geographie 12,8,15.
  21. Livius, Ab urbe condita 35,15; 37,44; 38,15.
  22. Strabon, Geographie 12,8,15.
  23. Plinius, Naturalis historia 5,105.

Koordinaten: 38° 4′ N, 30° 10′ O