Lukardis von Oberweimar
Lukardis von Oberweimar OCist (* zwischen 1262 und 1276 vermutlich in Erfurt; † 22. März 1309 in Oberweimar) war eine deutsche Zisterzienserin und Mystikerin. Sie wird in der römisch-katholischen Kirche als Selige verehrt.
Leben und Legende
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das wenige, das über das Leben der Lukardis bekannt ist, entstammt einer wohl bald nach ihrem Tod verfassten, hagiographischen Vita aus der Hand eines Unbekannten. Sie ist vollständig lediglich in einem Manuskript aus dem 14. Jahrhundert erhalten. Die auf Pergament gefertigte, nur 9,75 × 8,5 cm große Handschrift befindet sich unter der Inventarnummer 2754 in der Schönbornschen Bibliothek auf Schloss Weißenstein in Pommersfelden, wohin sie aus der Bibliothek des Petersklosters in Erfurt kam. Die Vita füllt die Folia 1–88 der 194 Blätter umfassenden Handschrift.[1] Eine zweite Fassung befindet sich in der Staatsbibliothek zu Berlin.[2]
Das einzig konkrete Datum, das der Vita zu entnehmen ist, ist das ihres Todes am undecimo Kalendas Aprilis, das heißt am 22. März, des Jahres 1309.[3] Aus der zuvor mitgeteilten Angabe, Lukardis habe die 33-jährige Leidenszeit Jesu wiederholt,[4] schloss man allgemein, dass auch ihr Leben nur 33 Jahre währte, sie mithin im Jahr 1276 geboren worden sein müsste.[5] Weit verbreitet ist zudem eine Datierung ihrer Geburt in das Jahr 1274.[6] Demgegenüber hat Aviad M. Kleinberg darauf hingewiesen, dass sich diese Angabe nicht auf die Lebenszeit, sondern auf die Leidenszeit der Lukardis bezieht – diese habe im Jahr 1276 begonnen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Lukardis dem Zisterzienserinnenkloster Oberweimar bereits ein halbes Jahr als Krankenmeisterin (magistra infirmarum) gedient – eine Aufgabe, von der sie als Folge ihrer aufgetretenen Kränklichkeit entbunden wurde.[7] Kleinberg setzt bei seinem Ansatz des Geburtsjahres voraus, dass die mit zwölf Jahren – eine weitere Angleichung an das Leben Jesu und den Tempelbesuch des Zwölfjährigen –[8] dem um 1244 gegründeten Konvent Beigetretene[9] nicht unmittelbar mit dieser Aufgabe betraut worden war. Er vermutet, dass Lukardis zunächst ein einjähriges Noviziat absolvieren musste und ein weiteres Jahr der Klostergemeinschaft angehörte, bevor sie zur Krankenmeisterin berufen wurde. Ihr Geburtsjahr müsse daher um 1262, ihr Eintritt in den Konvent um 1274 anzusetzen sein.[10] Dem folgt die neuere Forschung zunehmend.[11]
Über Herkunft, Familie und Kindheit gibt die wohl im Auftrag des Klosters geschriebene Vita der „Hausheiligen“ kaum Auskunft.[12] Aus dem wenigen kann man schließen, dass Lukardis nicht aus ärmlichen Verhältnissen kam.[13] Anlässlich des bald nach ihrer Einkleidung eingetretenen Todes der Mutter in Erfurt, über den sie von ihrer leiblichen Schwester im Kloster unterrichtet wurde, erfährt man von diesbezüglichen Feierlichkeiten[14] und sie selbst hatte in ihrer Zelle ein Marienbild, das aus dem Besitz der heiligen Elisabeth von Thüringen stammte.[15] An Personen, die aus dem klösterlichen Umfeld mit Lukardis verbunden waren, nennt die Vita ihre Beichtväter: einen noch zu Lebzeiten Lukardis’ verstorbenen Heinrich von Mühlhausen und einen Bruder Eberhard. Dieser war Mitglied des Dominikanerordens, was wahrscheinlich auch für jenen zutrifft, da die Frauenseelsorge (cura monialium) seit den diesbezüglichen Anweisungen des Hermann von Minden aus den Jahren 1286 und 1290 zu den Aufgaben des Ordens zählte.[16] Einzig namentlich erwähnte Mitschwester war eine Agnes, die dem Leidensweg Lukardis’ folgte.[17]
Mystisch begabt, vertiefte Lukardis sich in die Passion Christi. So wird in der Vita berichtet, sie habe ausgedehnt in Kreuzform gestanden und gelegen.[18] Schließlich habe sie Stigmata empfangen, zunächst unsichtbar, mit der Zeit aber durch Selbstverletzung auch äußerlich zum Vorschein gebracht. Während der Selbstbeibringung der Stigmata, die durch krampfhaftes Schlagen mit dem Finger einer Hand durchgeführt wurde, sollen auch andere Personen wie metallisch klingende Geräusche wahrgenommen haben.[19] Ihren Visionen gegenüber skeptisch, soll sie die Stigmata anfänglich versteckt gehalten haben. Gott bestärkte sie jedoch und Lukardis zeigte sie offen.[20] Darüber hinaus wird von mystischen Visionen berichtet, die Lukardis bei der Betrachtung der Empfängnis und Geburt Jesu Christi erfahren habe und die sie die Schwangerschaft Mariae körperlich haben erleben lassen.[21] Die äußeren Umstände der Visionen riefen eine starke Verehrung der Mystikerin hervor, der auch übernatürliche Heilungen zugeschrieben wurden.
Nach ihrem Tod hielt die Verehrung Lukardis’ an. Infolge der Reformation ging die Verehrung unter. Auf ihr Grab gibt es heute in der ehemaligen Klosterkirche keine Hinweise mehr.[22]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Vita
- Vita venerabilis Lukardis monialis ordinis Cisterciensis in superiore Wimaria, herausgegeben von Joseph de Backer. In: Analecta Bollandiana. Band 18, 1899, S. 305–367 (Vita, einzig erhalten in einer Handschrift des 14. Jahrhunderts; Digitalisat).
- Michael Wieland: Die selige Lukardis, Cistercienserin zu Oberweimar. In: Cistercienser-Chronik. Band 10, 1898, S. 193–199 (christlich geprägte, deutsche Paraphrasierung der Vita; Digitalisat).
Allgemein
- Peter Dinzelbacher: ‚Lukardis von Oberweimar‘ OCist. In: Verfasserlexikon. Band 5, 1985, Sp. 1045 f. (zur lateinischen Biografie der Lukardis).
- Peter Dinzelbacher (Hrsg.): Körper und Frömmigkeit in der mittelalterlichen Mentalitätsgeschichte. Schöningh, Paderborn 2007, ISBN 978-3-506-75613-8.
- Peter Dinzelbacher: Deutsche und niederländische Mystik des Mittelalters. Ein Studienbuch. De Gruyter, Berlin/Boston 2012, ISBN 978-3-11-022137-4, S. 134–136.
- Sandra Gelbe: Lukardis von Oberweimar OCist (1274–1309). Verehrt – vergessen – wiederentdeckt. In: Cistercienser-Chronik. Band 128, Nr. 1, 2021, ISSN 0379-8291, S. 17–26.
- Aviad M. Kleinberg: Prophets in Their Own Country. Living Saints and the Making of Sainthood in the Later Middle Ages. Chicago University Press, Chicago 1992, S. 101–121.
- Paul Mitzschke: Lukard (Lukardis). In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 52, Duncker & Humblot, Leipzig 1906, S. 135.
- Piroska Nagy: Sharing Charismatic Authority by Body and Emotions: The Marvellous Life of Lukardis von Oberweimar (c. 1262–1309). In: Veerle Fraeters, Imke De Gier (Hrsg.): Mulieres religiosae. Shaping Female Spiritual Authority (Europe, 12th–19th Century). Brepols, Turnhout 2014, S. 109–126 (Digitalisat).
- Kurt Ruh: Geschichte der abendländischen Mystik. Band 2: Frauenmystik und Franziskanische Mystik. C. H. Beck, München 1993, ISBN 3-406-34499-2, S. 131 f. (online).
- Ekkart Sauser: Lukardis. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 22, Bautz, Nordhausen 2003, ISBN 3-88309-133-2, Sp. 800 .
- Bardo Weiß: Jesus Christus bei den frühen deutschen Mystikerinnen. Paderborn 2009, ISBN 978-3-506-76693-9 (online).
Weblink
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Michael Wieland: Die selige Lukardis, Cistercienserin zu Oberweimar. In: Cistercienser-Chronik. Band 10, 1898, S. 193–199, hier S. 193 Anm. 1; Vita venerabilis Lukardis monialis ordinis Cisterciensis in superiore Wimaria, herausgegeben von Joseph de Backer. In: Analecta Bollandiana. Band 18, 1899, S. 305 (im Folgenden als Vita mit Seitenangabe zitiert).
- ↑ Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, MS theol. oct. 188, Teil II; siehe Piroska Nagy: Sharing Charismatic Authority by Body and Emotions: The Marvellous Life of Lukardis von Oberweimar (c. 1262–1309). In: Veerle Fraeters, Imke De Gier (Hrsg.): Mulieres religiosae. Shaping Female Spiritual Authority (Europe, 12th–19th Century). Brepols, Turnhout 2014, S. 109–126, hier S. 109 Anm. 2.
- ↑ Vita S. 365.
- ↑ Vita S. 313.
- ↑ So etwa Vita venerabilis Lukardis monialis ordinis Cisterciensis in superiore Wimaria, herausgegeben von Joseph de Backer. In: Analecta Bollandiana. Band 18, 1899, S. 310 Anm. 3; Kurt Ruh: Geschichte der abendländischen Mystik. Band 2: Frauenmystik und Franziskanische Mystik. C. H. Beck, München 1993, S. 131 (1275/76); Peter Dinzelbacher: Diesseits der Metapher: Selbstkreuzigung und -stigmatisation als konkrete Kreuzesnachfolge. In: Revue Mabillon. Band 68, 1996, S. 157–181, hier S. 157 (PDF).
- ↑ So etwa Michael Wieland: Die selige Lukardis, Cistercienserin zu Oberweimar. In: Cistercienser-Chronik. Band 10, 1898, S. 193–199, hier S. 193; Paul Mitzschke: Lukard (Lukardis). In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 52, Duncker & Humblot, Leipzig 1906, S. 135. Ekkart Sauser: Lukardis. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 22, Bautz, Nordhausen 2003, ISBN 3-88309-133-2, Sp. 800 . Sandra Gelbe: Lukardis von Oberweimar OCist (1274–1309). Verehrt – vergessen – wiederentdeckt. In: Cistercienser-Chronik. Band 128, Nr. 1, 2021, S. 17–26, hier S. 17.
- ↑ Vita S. 312.
- ↑ Piroska Nagy: Sharing Charismatic Authority by Body and Emotions: The Marvellous Life of Lukardis von Oberweimar (c. 1262–1309). In: Veerle Fraeters, Imke De Gier (Hrsg.): Mulieres religiosae. Shaping Female Spiritual Authority (Europe, 12th–19th Century). Brepols, Turnhout 2014, S. 109–126, hier S. 113.
- ↑ Vita S. 310.
- ↑ Aviad M. Kleinberg: Prophets in Their Own Country. Living Saints and the Making of Sainthood in the Later Middle Ages. Chicago University Press, Chicago 1992, S. 101 Anm. 2.
- ↑ So etwa Peter Dinzelbacher: Deutsche und niederländische Mystik des Mittelalters. Ein Studienbuch. De Gruyter, Berlin/Boston 2012, S. 134; Piroska Nagy: Sharing Charismatic Authority by Body and Emotions: The Marvellous Life of Lukardis von Oberweimar (c. 1262–1309). In: Veerle Fraeters, Imke De Gier (Hrsg.): Mulieres religiosae. Shaping Female Spiritual Authority (Europe, 12th–19th Century). Brepols, Turnhout 2014, S. 109–126, hier S. 109, ausdrücklich S. 113; Christian Krötzl, Katariina Mustakallio, Jenni Kuuliala (Hrsg.): Infirmity in Antiquity and the Middle Ages: Social and Cultural Approaches to Health, Weakness and Care. Ashgate, Farnham (Surrey)/Burlington (VT) 2015, S. 129.
- ↑ Kurt Ruh: Geschichte der abendländischen Mystik. Band 2: Frauenmystik und Franziskanische Mystik. C. H. Beck, München 1993, S. 131.
- ↑ Michael Wieland: Die selige Lukardis, Cistercienserin zu Oberweimar. In: Cistercienser-Chronik. Band 10, 1898, S. 193.
- ↑ Vita S. 311.
- ↑ Vita S. 336; siehe auch Peter Dinzelbacher: Religiöses Erleben vor bildender Kunst in autobiographischen und biographischen Zeugnissen des Hoch- und Spätmittelalters. In: Søren Kaspersen, Ulla Haastrup (Hrsg.): Images of Cult and Devotion. Function and Reception of Christian Images in Medieval and Post-Medieval Europe. Chicago University Press, Chicago 2004, S. 61–88, hier S. 75.
- ↑ Kurt Ruh: Geschichte der abendländischen Mystik. Band 2: Frauenmystik und Franziskanische Mystik. C. H. Beck, München 1993, S. 131; Peter Dinzelbacher: Deutsche und niederländische Mystik des Mittelalters. Ein Studienbuch. De Gruyter, Berlin/Boston 2012, S. 134.
- ↑ Vita S. 337 f.; siehe Piroska Nagy: Sharing Charismatic Authority by Body and Emotions: The Marvellous Life of Lukardis von Oberweimar (c. 1262–1309). In: Veerle Fraeters, Imke De Gier (Hrsg.): Mulieres religiosae. Shaping Female Spiritual Authority (Europe, 12th–19th Century). Brepols, Turnhout 2014, S. 109–126, hier S. 122.
- ↑ Vita S. 317. 327 f. 354; siehe Peter Dinzelbacher: Diesseits der Metapher: Selbstkreuzigung und -stigmatisation als konkrete Kreuzesnachfolge. In: Revue Mabillon. Band 68, 1996, S. 157–181, hier S. 161 (PDF; = Dinzelbacher: Körper und Frömmigkeit, 2007, S. 55).
- ↑ Vita S. 314–316. 353; Kurt Ruh: Geschichte der abendländischen Mystik. Band 2: Frauenmystik und Franziskanische Mystik. C. H. Beck, München 1993, S. 131; Peter Dinzelbacher: Diesseits der Metapher: Selbstkreuzigung und -stigmatisation als konkrete Kreuzesnachfolge. In: Revue Mabillon. Band 68, 1996, S. 157–181, hier S. 166 f. (= Dinzelbacher: Körper und Frömmigkeit, 2007, S. 60 f.); Peter Dinzelbacher: Deutsche und niederländische Mystik des Mittelalters. Ein Studienbuch. De Gruyter, Berlin/Boston 2012, S. 134 f.
- ↑ Vita S. 316; Peter Dinzelbacher: Diesseits der Metapher: Selbstkreuzigung und -stigmatisation als konkrete Kreuzesnachfolge. In: Revue Mabillon. Band 68, 1996, S. 157–181, hier S. 167.
- ↑ Vita S. 333; Peter Dinzelbacher: Die Gottesgeburt der Seele im Körper. Von der somatischen Konsequenz einer theologischen Metapher. In: Thomas Kornbichler, Wolfgang Maaz (Hrsg.): Variationen der Liebe. Historische Psychologie der Geschlechterbeziehung (= Forum Psychohistorie. Band 4). Edition Diskord, Tübingen 1995 S. 94–128, hier S. 120 (= Dinzelbacher: Körper und Frömmigkeit, 2007, S. 102); derselbe: Die Psychohistorie der Unio mystica. In: Jahrbuch für psychohistorische Forschung. Band 2, 2002, S. 45–76, hier S. 51 (PDF; = Dinzelbacher: Körper und Frömmigkeit, 2007, S. 118).
- ↑ Die selige Lukardis von Oberweimar (1276–1309). Kurzbiografie auf der Website der evang.-luth. Kirchengemeinde Oberweimar-Ehringsdorf. Abgerufen am 13. Juli 2023.
Personendaten | |
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NAME | Lukardis von Oberweimar |
KURZBESCHREIBUNG | Zisterzienserin und christliche Mystikerin |
GEBURTSDATUM | zwischen 1262 und 1276 |
GEBURTSORT | unsicher: Erfurt |
STERBEDATUM | 22. März 1309 |
STERBEORT | Oberweimar |