Oberster Gerichtshof für die Britische Zone
Der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone (OGHBrZ, gängiger OGH) war ein 1947 von der britischen Militärregierung[1] eingerichtetes letztinstanzliches Revisionsgericht im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Zivil- und Strafsachen). Es bestand von März 1948 bis September 1950 und hatte seinen Sitz in Köln[2] im Justizgebäude Reichenspergerplatz (Saal 301). Sein Präsident wurde 1949 Ernst Wolff, Generalstaatsanwalt war Karl Schneidewin.
Der Zuständigkeitsbereich des OGH umfasste die vier Bundesländer Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen bzw. die acht OLG-Bezirke Schleswig, Hamburg, Braunschweig, Celle, Oldenburg, Düsseldorf, Hamm und Köln.
Das Gericht fungierte gewissermaßen als zeitliches Bindeglied zwischen dem Reichsgericht (RG) und dem Bundesgerichtshof (BGH), wenn auch mit beschränkter territorialer Zuständigkeit. In der amerikanischen und der französischen Besatzungszone gab es keinen vergleichbaren obersten Gerichtshof. Der OGH wurde mit der Gründung des BGH aufgelöst, der ab dem 1. Oktober 1950 zuständig war.[3]
Organisation
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Beim OGH bestanden zunächst ein Zivil- und ein Strafsenat; zum 16. September 1948 wurde ein zweiter Zivilsenat, zum 1. Januar 1950 ein zweiter Strafsenat gebildet. Den Vorsitz führten im ersten Zivilsenat Ernst Wolff, im zweiten Zivilsenat Erich Pritsch, im ersten Strafsenat Curt Staff und im zweiten Strafsenat Alfred Groß.
Registerzeichen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ZS = Revisionen in Zivilsachen
- ZB = Beschwerden in Zivilsachen
- BLw = Beschwerden in Landwirtschaftssachen
- PZS = Plenarentscheidungen in Zivilsachen
- ZA = Armenrechtssachen
- StS = Revisionen in Strafsachen
- StB = Beschwerden in Strafsachen
- PStS = Plenarentscheidungen in Strafsachen
Mit Einrichtung eines zweiten Senats wurde zur Aktenzeichenbildung jeweils dem Registerzeichen die Nummer des jeweiligen Senats vorangestellt, für Zivilsachen in römischen, für Strafsachen in arabischen Ziffern (Beispiele: II ZS 3/48; 1 StS 86/50).
Die sieben Bände umfassende Entscheidungssammlung des OGHBrZ[4] wird noch heute von Juristen herangezogen.
Ahndung von NS-Verbrechen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Eine der Erwägungen zur Einrichtung des OGH war, dass die Alliierten und hier vor allem die Briten der Ansicht waren, sie müssten dafür sorgen, dass die von Deutschen an Deutschen begangenen Verbrechen während der NS-Zeit bis 1939 einer gerechten Bestrafung zugeführt werden müssten. Die Verbrechen, die hier gemeint waren, wurden im Kontrollratsgesetz Nr. 10, Artikel II 1c erläutert. Es handelte sich unter anderem um „Mord, Ausrottung, Versklavung, Zwangsverschleppung, Freiheitsberaubung, Folterung, Vergewaltigung oder andere an der Zivilbevölkerung begangene unmenschliche Handlungen, sowie Verfolgung aus politischen, rassischen und religiösen Gründen.“[5] Die Briten wollten den Deutschen die Durchführung dieser Prozesse übertragen, aber sie befürchteten, dass die Deutschen diese Prozesse nicht ernsthaft führen würden. Daher beschlossen sie, in ihrer Zone ein Revisionsgericht einzuführen, auf dessen Zusammensetzung sie Einfluss nahmen. Als nahezu einziges Gericht in den westlichen Besatzungszonen gab es an diesem Gericht keine ehemaligen Nationalsozialisten. Die Richter, die dort eingesetzt wurden, waren entweder Verfolgte des Nationalsozialismus, Emigranten oder Personen, die gegen den NS-Staat oppositionell eingestellt gewesen waren. Auffällig an diesem Modell, welches sich von allen Obergerichten in den anderen militärischen Zonen unterschied, war, dass die britischen Besatzungsbehörden den bestehenden Mangel an juristischer Kompetenz befürchteten und auf pragmatische Abhilfe suchten. Sie beabsichtigten nicht, Justizbehörden und Gerichte mit politisch zuverlässigen Richtern (die beispielsweise in der sowjetisch besetzten Zone innerhalb weniger Monate ausgebildet und als so genannte Volksrichter eingesetzt wurden) zu besetzen, sondern, da sie einen daraus entstehenden Mangel an rechtswissenschaftlicher Basis befürchteten, ein Quotensystem zu installieren, in welchem eine bestimmte Anzahl (politisch) belasteter Richter mit einer Anzahl Unbelasteter zusammen die Spruchkörper bildeten. Dies geschah in der Erwartung, dass die Richterpersonen sich gegenseitig überwachen würden. Der Erfolg war nicht von der Hand zu weisen.
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Martin Grieß: „Im Namen des Rechts“ – Der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone als Höchstgericht in Zivilsachen zwischen Tradition und Neuordnung (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts. Band 86). Mohr Siebeck, 2015, ISBN 978-3-16-153980-0 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Ulrike Homann: Die verleugnete Alternative – Der Oberste Gerichtshof für die britische Zone. In: Recht und Politik, 37. Jahrgang 2001, Heft 4, S. 210ff.
- Gerhard Pauli: Ein hohes Gericht – Der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone und seine Rechtsprechung zu Straftaten im Dritten Reich. In: Juristische Zeitgeschichte NRW, Band 5: 50 Jahre Justiz in NRW. 1996, S. 95ff.
- Juliane Ohlenroth: Der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone und die Aufarbeitung von NS-Unrecht. Unter besonderer Berücksichtigung der Bedeutung für die Fortentwicklung der Strafrechtsdogmatik. In: Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts. Nr. 112. Mohr Siebeck, Tübingen 2020, ISBN 978-3-16-159170-9 (Dissertation, Universität Augsburg, 2019).
- Hinrich Rüping: Das „kleine Reichsgericht“. Der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone als Symbol der Rechtseinheit. In: NStZ 2000, S. 355ff.
- Werner Schubert: Oberster Gerichtshof für die Britische Zone (1948-1950). Nachschlagewerk Strafsachen-Nachschlagewerk Zivilsachen-Präjudizienbuch der Zivilsenate (= Rechtshistorische Reihe. Band 402). Peter Lang, 2010, ISBN 978-3-653-00256-0 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Michael Stolleis: Oberster Gerichtshof für die Britische Zone und Deutsches Obergericht für die Bizone – Justizpolitische Weichenstellungen in der Phase des Übergangs. In: Das Parlament, 37. Jahrgang 1987, Nr. 32 vom 8. August 1987.
- Maik Wogersien (Red.): Verbrechen gegen die Menschlichkeit – Der Oberste Gerichtshof der Britischen Zone. (Juristische Zeitgeschichte Nordrhein-Westfalen, Band 19) Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2011.
- Wolfgang Form: Der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone: Gründung, Besetzung und Rechtsprechung in Strafsachen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. In: Verbrechen gegen die Menschlichkeit – Der Oberste Gerichtshof der Britischen Zone. Juristische Zeitgeschichte Nordrhein-Westfalen Bd. 19. Hrsg. vom Justizministerium des Landes NRW. Düsseldorf 2012, S. 8–63.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Literatur von und über Oberster Gerichtshof für die Britische Zone im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone (OGH-BZ) auf olg-koeln.nrw.de
- OGH Britisch besetzte Zone Deutschlands – Rechtsprechung auf dejure.org
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Verordnung Nr. 98 der britischen Militärregierung vom 1. September 1947 (ABl.MR(B) Nr. 20 S. 572) mit Durchführungsverordnung des Zentral-Justizamts vom 17. November 1947 (VOBl.BZ S. 149).
- ↑ Der Bundesgerichtshof. (PDF, 219 KB) S. 8, archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 26. Februar 2018; abgerufen am 26. Januar 2012. (Zugriff bezieht sich auf ursprünglichen Link)
- ↑ vgl. Art. 8 II Nr. 65 im Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 20. September 1950 (BGBl. S. 455, 508); Entwurf und Begründung: BT-Drs. 01/530, dort Art. 8 II Nr. 59
- ↑ Zivilsachen (OGHZ, 4 Bände): ZDB-ID 216312-3; Strafsachen (OGHSt, 3 Bände): ZDB-ID 216311-1
- ↑ Maik Wogersien (Red.): Verbrechen gegen die Menschlichkeit - Der Oberste Gerichtshof der Britischen Zone. Hrsg.: Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) und Internationales Forschungs- und Dokumentationszentrum Kriegsverbrecherprozesse der Philipps-Universität Marburg, Düsseldorf 2011. S. 16ff.