Paarbildung (Physik)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Unter Paarbildung, auch Paarerzeugung, versteht man in der Teilchenphysik die Bildung eines realen, beobachtbaren Teilchen-Antiteilchen-Paares. Die stets vorhandenen virtuellen, nur indirekt beobachtbaren Paare (siehe Vakuumpolarisation) sind mit dem Begriff im Allgemeinen nicht gemeint.

Im engeren Sinn wird unter Paarbildung die – historisch zuerst bekannte – Erzeugung eines Elektron-Positron-Paares aus einem energiereichen Photon verstanden. Heute sind jedoch beispielsweise auch die Bildung von Myon-Antimyon- oder Proton-Antiproton-Paaren bekannt. In jedem Fall tritt der Vorgang nur dann auf, wenn die verfügbare Energie mindestens gleich der Summe der Ruheenergien der zu erzeugenden Teilchen ist.

Den entgegengesetzten Prozess, bei dem ein Teilchen-Antiteilchen-Paar vernichtet wird, nennt man Annihilation.

Elektron-Positron-Erzeugung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Blasenkammeraufnahme am DESY; eine Paarbildung ist farbig markiert. Die grüne Bahn des Photons ist nicht direkt beobachtet, sondern aus den spiralförmigen Bahnen der Ladungen rekonstruiert.
Die charakteristische Spur der Paarbildung in der oben abgebildeten Blasenkammer­aufnahme. In einem starken Magnetfeld wird die Bahn der beiden Ladungen zu Spiralen mit entgegengesetztem Drehsinn geformt.

Die Erzeugung eines Elektron-Positron-Paares aus einem energiereichen Photon wurde 1933 als erster Paarbildungsprozess experimentell durch Irène Curie und Frédéric Joliot nachgewiesen. Diese Paarbildung stellt einen wichtigen Prozess der Wechselwirkung von Photonen mit Materie dar. Sie führt z. B. in Blasenkammern zu charakteristischen Spuren. Man unterscheidet zwei Fälle: Die Paarbildung kann durch Wechselwirkung eines Photons mit dem elektrischen Feld eines Atomkerns oder eines Hüllenelektrons stattfinden.

Wechselwirkung eines Photons mit einem Atomkern

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Findet die Paarbildung im Feld eines Atomkerns statt, wird nahezu die gesamte Energie des Photons in die Masse der beiden entstehenden Teilchen und ihre kinetische Energie umgewandelt. Die Energie des Photons muss somit mindestens der Summe der Ruheenergien von Elektron und Positron entsprechen. In eine genaue Energiebilanz geht zusätzlich noch der Rückstoß des Atomkerns ein, in dessen Feld die Paarbildung abläuft. Die Schwellenenergie für die Paarerzeugung beträgt daher

mit als Masse des wechselwirkenden Kerns, als Masse des Elektrons und als Lichtgeschwindigkeit. Der Term kann häufig vernachlässigt werden. Bei der Gammaspektroskopie mit einem Germanium-Detektor ergibt sich mit der Masse des Germaniumkerns beispielsweise

.

beträgt somit näherungsweise 1,022 MeV (Gammastrahlung). Besitzt das Photon eine höhere Energie, so wird diese in die kinetische Energie von Elektron und Positron umgewandelt. Die Wahrscheinlichkeit der Paarbildung steigt dabei proportional zur Ordnungszahl des Atomkerns und zum Logarithmus der Photonenenergie.

Dass die Bildung eines Elektron-Positron-Paares nur bei Wechselwirkung des Photons mit einem Teilchen (hier dem Atomkern), aber nicht im Vakuum beobachtet wird, lässt sich mit der allgemeingültigen Impulserhaltung erklären. Dazu folgendes Gedankenexperiment für den Grenzfall einer Photonenenergie von gerade , womit die kinetische Energie der erzeugten Teilchen null ist: Im Ruhesystem der beiden durch Paarbildung entstandenen Teilchen haben diese zusammengenommen einen Impuls von null. Ein Photon hat aber in jedem Bezugssystem dieselbe Geschwindigkeit c und in diesem System auch einen Impuls der Größe . Daher können die beiden Teilchen mit ihrem Gesamtimpuls null nicht die einzigen nach dem Prozess vorhandenen Teilchen sein. Vielmehr erfolgt die Paarbildung nur, wenn ein zusätzliches Teilchen, in diesem Fall der Atomkern, den Impuls aufnimmt.

Wechselwirkung eines Photons mit einem Elektron

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Findet die Paarbildung im elektrischen Feld eines Elektrons der Atomhülle statt, wird dieses Elektron mit seiner geringen Masse durch den übertragenen Impuls stark beschleunigt und aus dem Atom gelöst. Wegen der drei freien Teilchen (zwei Elektronen und ein Positron) wird dieser Prozess auch Triplettbildung genannt.[1]

Die notwendige Schwellenenergie lässt sich aus der Energie-Impuls-Beziehung

herleiten. Unter der Annahme, dass sich alle drei Teilchen nach der Paarerzeugung mit der gleichen Geschwindigkeit in die gleiche Richtung bewegen, sich relativ zueinander also in Ruhe befinden, entspricht die Ruheenergie des Systems mit gerade der Ruheenergie der drei Teilchen. Da sich die Gesamtenergie vor der Paarbildung aus der Energie des Photons und aus der Ruheenergie des gebundenen Elektrons zusammensetzt, folgt

Wird die Gleichung nach aufgelöst, ergibt sich die Schwellenenergie

Davon wird der Betrag für die Bildung des Elektron-Positron-Paares benötigt, während sich die übrige Energie von ebenfalls als kinetische Energie auf die drei Teilchen überträgt.

Wechselwirkung zwischen Photonen

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auch durch Stöße sehr energiereicher Photonen untereinander können reale Elektron-Positron-Paare erzeugt werden (Breit-Wheeler-Effekt). Dies wurde erstmals 1997 mit einem Experiment im Stanford Linear Accelerator Center nachgewiesen. Die Photonen eines Nd:Glas-Lasers wurden dazu durch Streuung an Elektronen von 47 Gigaelektronvolt (GeV) ihrerseits auf GeV-Energien gebracht.[2][3] Eine solche Erzeugung von Materie durch Photon-Photon-Stöße wird für einige Sternentstehungen angenommen.

Innere Paarbildung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Beim Übergang eines angeregten Atomkerns in einen Zustand geringerer Energie kann bei genügender Energiedifferenz auch eine Innere Elektron-Positron-Bildung auftreten. Sie ist insbesondere bei leichten Nukliden beobachtbar, falls ein Gammaübergang aufgrund der Drehimpulserhaltung unmöglich ist (Beispiel: in 16O und in 90Zr haben sowohl der Grundzustand als auch der erste angeregte Zustand Spin und Parität 0+) oder durch große Drehimpulsdifferenz erschwert („verboten“) ist.[4][5][6]

Quantenmechanische Beschreibung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Quantenmechanisch lässt sich die Paarerzeugung durch einen vierfach differentiellen Streuquerschnitt beschreiben.[7] Durch Integration über zwei Winkel[8] erhält man einen zweifach differentiellen Streuquerschnitt, der gut in Monte-Carlo-Simulationen verwendet werden kann.

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. J.H. Hubbell: Electron–positron pair production by photons: A historical overview. In: Radiation Physics and Chemistry, Volume 75, Issue 6, 2006, Pages 614–623. 2006, doi:10.1016/j.radphyschem.2005.10.008 (englisch).
  2. D. L. Burke et al.: Positron Production in Multiphoton Light-by-Light Scattering. Physical Review Letters Band 79 (1997) Seite 1626–1629. [1]
  3. Home Page des SLAC-Experiments
  4. Hans Bucka: Nukleonenphysik, Walter de Gruyter, 1981, S. 392ff
  5. https://people.nscl.msu.edu/~witek/Classes/PHY802/EMdecay.pdf
  6. D.K. Jha, Radioactivity And Radioactive Decay, Chapter 4.5, S. 146ff
  7. H. Bethe, W. Heitler: On the Stopping of Fast Particles and on the Creation of Positive Electrons. In: Proceedings of the Royal Society of London. Series A. Band 146, Nr. 856, 8. Januar 1934, S. 83–112, doi:10.1098/rspa.1934.0140.
  8. Christoph Köhn, Ute Ebert: Angular distribution of Bremsstrahlung photons and of positrons for calculations of terrestrial gamma-ray flashes and positron beams. In: Atmospheric Research. doi:10.1016/j.atmosres.2013.03.012 (In Press, Accepted Manuscript).