Placenta (Wort für Gebäck)
Placenta war eine Bezeichnung für Gebäck im antiken Rom. Der antiken Überlieferung zufolge handelte es sich meist um süße Einzelstücke und Kuchen, deren Rezepturen und Namen von Region, Zeit, Mode und Zweck abhingen.[1]
Als Kuchen (meistens placenta, aber auch libum, scriblita usw. genannt) wurde jedes Gebäck bezeichnet, welches außer den Zutaten für Brot noch andere wie Süßungsmittel, Milch, Fett, Eier oder Gewürze enthielt.[2] Im spezifischeren Sinn war ein Kuchen mit runder Form gemeint, der flach, aber auch tortenförmig sein konnte.[3]
Das älteste überlieferte Placenta-Rezept stammt von Cato dem Älteren und beschreibt einen aus vielen Teigschichten aufgebauten Kuchen von rund 30 cm Durchmesser, gefüllt mit einer Mischung aus Käse und Honig, der auf einer Unterlage aus Lorbeerblättern gebacken und dann mit Honig überzogen wurde.[4][5] Catos placenta war eine sehr große, schwere Schichttorte aus feinem Mehl, eingeweichten Graupen, frischem Schafkäse und Honig. Boden und Zwischenböden wurden aus Mehl- und Graupenteig hergestellt, die nach dem Trocknen mit Olivenöl bestrichen und mit einer Füllung aus mit Honig gesüßtem, passiertem Käse gefüllt wurden.[3] Auf den ausgebreiteten Kuchenboden wurden diese „Fladen“ mit dem Käse aufgebaut und am Ende der Bodenteig um und über die ganze „Torte“ geschlagen.[6] Die in Olivenöl getränkten Lorbeerblätter unter der Placenta sollten ein Anbrennen verhindern. Das Ergebnis wurde mit einem irdenen Gefäß bedeckt und langsam sub testo gebacken.[3][7]
Diese Art der Nachspeise wird in griechischen Texten von Archestratos von Gela und Antiphanes erwähnt, dort plakous (altgriechisch πλακοῦς) genannt.[5] Es wird oft als Vorgänger von Baklava und Börek gesehen.[4]
Etymologie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das lateinische Wort placenta[8] leitet sich vom griechischen plakous (altgriechisch πλακοῦς, Genitiv πλακοῦντος plakountos) für dünne, geschichtete Fladen ab,[9] das auch Basis für das Wort plakounta für einen griechischen Kuchen aus vielen Teigblättern, gefüllt mit Käse und Honig war.[10] Eine Wortverwandtschaft mit lateinisch placere („gefallen, gefällig sein, eben sein, hübsch sein“) und placare („ebnen“) ist möglich.[11]
Laut Athenaios wurde das griechische Wort vom Adjektiv πλακόεις plakoeis, deutsch ‚flach‘ abgeleitet.[12] Zudem konnte der griechische Begriff auch die allgemeine Bedeutung „Kuchen“ haben, von dem sich zum Beispiel das griechische Wort für „Kuchenbäcker“ (πλακουντοποιός plakuntopoiós) ableitete.[13]
Der Begriff Plazenta für den sich während der Schwangerschaft von Säugetieren entwickelnden Mutterkuchen wurde 1559 von Realdo Colombo[14] und möglicherweise auch von Gabriele Falloppio in die Anatomie eingeführt.[15]
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Allgemein wird angenommen, dass die placentae auf Rezepte aus dem antiken Griechenland zurückgehen. Im 5. Jahrhundert v. Chr. berichtet Philoxenos von Kythera in seinem Gedicht „Der Schmaus“, dass die Gastgeber zum letzten Gang einer Mahlzeit ein Gericht aus Käse, Milch und Honig servierten, das zu einem Kuchen gebacken wurde.[16]
Eine frühe griechische Erwähnung von plakous als Nachspeise (oder Zwischenmahlzeit) stammt aus den Gedichten des im 4. Jahrhundert v. Chr. wirkenden Archestratos von Gela. Er beschreibt, dass plakous mit Nüssen und Trockenfrüchten serviert wird, und lobt die mit Honig getränkte Athener Version von plakous.[5]
Sein Zeitgenosse, der griechische Komödiendichter Antiphanes, lieferte eine kunstvolle, in ein Rätsel gehüllte Beschreibung des plakous mit Honig, Ziegenkäse und Weizenmehl als Hauptzutaten:[5][17]
„A: ‚Der flinken Biene Flüssigkeit aber gemischt mit dem geronnenen Ausfluss der meckernden Ziege, ausgelegt auf flacher Form und reichlich bedeckt von der rein-jungfräulichen Tochter der Deo mit fein gemahlenen Gewürzen‘, soll ich sagen, oder ganz eindeutig einfach ‚Kuchenfladen‘ [plakounta]? B: Kuchenfladen, bitte!“.[18]
Später, im Jahr 160 v. Chr., lieferte Cato der Ältere in seinem Werk De agri cultura ein Rezept für placenta. Dieses sieht der Kulturhistoriker Andrew Dalby zusammen mit Catos anderen Dessertrezepten als in der „griechischen Tradition“ stehend und möglicherweise aus einem griechischen Kochbuch kopiert an.[19]
„[…] und forme die Placenta. Einzelne Fladen lege zuerst über den ganzen Kuchenboden: hierauf bestreiche die Fladen aus der Schüssel, gib die Fladen einzeln hinzu, bestreiche sie ebenfalls solange, bis du allen Käse samt dem Honig aufgebraucht hast. Auf die Oberfläche lege einzelne Fladen, hernach ziehe den Boden zusammen und richte ihn her […]; den Herd ... temperiere ihn gut, dann setze die Placenta darauf; bedecke sie mit einer warmen Schüssel, bedecke sie oben und ringsum mit Kohlen. […] Wenn sie gebacken ist, nimm sie heraus und bestreiche sie mit Honig.“ (Cato der Ältere, De agri cultura)[20]
Erbe
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einige Wissenschaftler vermuten, dass die oströmischen (byzantinischen) Nachfahren der griechisch-römischen Nachspeise, mittelgriechisch πλακοῦς τετυρωμένος plakous tetyroménos, deutsch ‚käsiger Kuchen‘ und mittelgriechisch κοπτοπλακοῦς koptoplakous, deutsch ‚Kuchen aus zerstoßenen Zutaten‘, die Vorfahren der modernen Tyropita oder Baniza sind.[4][21]
Über ihren byzantinisch-griechischen Namen plakounta wurde die Süßspeise in die armenische Küche als plagindi, plagunda und pghagund, allesamt „Kuchen aus Brot und Honig“, übernommen.[22] Aus dem letztgenannten Begriff entstand der spätere arabische Name iflaghun, der im mittelalterlichen arabischen Kochbuch Wusla ila al-habib als Spezialität der kilikischen Armenier erwähnt wird, die sich im südlichen Kleinasien und in den benachbarten Kreuzfahrerkönigreichen Nordsyriens niedergelassen hatten.[22] Das Gericht könnte also im Mittelalter über die Armenier in die Levante gelangt sein, von denen viele nach dem ersten Auftauchen der türkischen Stämme im mittelalterlichen Anatolien dorthin migrierten.[23]
Andere Varianten des griechisch-römischen Gerichts überdauerten bis in die Neuzeit in Form der rumänischen plăcintă (ein gebackenes, flaches Gebäck mit Käse) und der österreichischen Palatschinken[5] (ein sehr dünner kreppartiger Pfannkuchen; auch im Balkan, in Mittel- und Osteuropa verbreitet).
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Gertrud Herzog-Hauser: Placenta. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band XX,2, Stuttgart 1950, Sp. 1894–1897 (Digitalisat).
- Ludwig Alfred Moritz: Kuchen. In: Der Kleine Pauly (KlP). Band 3, Stuttgart 1969, Sp. 371 (Digitalisat).
- Andreas Gutsfeld: Gebäck. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 4, Metzler, Stuttgart 1998, ISBN 3-476-01474-6, Sp. 817–818 (Digitalisat).
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Andreas Gutsfeld: Gebäck. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 4, Metzler, Stuttgart 1998, ISBN 3-476-01474-6, Sp. 817–818 (Digitalisat).
- ↑ Ludwig Alfred Moritz: Kuchen. In: Der Kleine Pauly (KlP). Band 3, Stuttgart 1969, Sp. 371.
- ↑ a b c Gertrud Herzog-Hauser: Placenta. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band XX,2, Stuttgart 1950, Sp. 1894–1897 (hier Sp. 1895).
- ↑ a b c Patrick Faas: Around the Roman Table: Food and Feasting in Ancient Rome. Hrsg.: Patrick Faas. University of Chicago Press, 2005, ISBN 0-226-23347-2, S. 184–185.
- ↑ a b c d e Darra Goldstein: The Oxford Companion to Sugar and Sweets. Oxford University Press, 2015, ISBN 978-0-19-931339-6 (google.com [abgerufen am 4. November 2024]): „The next cake of note, first mentioned about 350 B.C.E. by two Greek poets, is plakous. [...] At last, we have recipes and a context to go with the name. Plakous is listed as a delicacy for second tables, alongside dried fruits and nuts, by the gastronomic poet Archestratos. He praises the plakous made in Athens because it was soaked in Attic honey from the thyme-covered slopes of Mount Hymettos. His contemporary, the comic poet Antiphanes, tells us the other main ingredients, goat’s cheese and wheat flour. Two centuries later, in Italy, Cato gives an elaborate recipe for placenta (the same name transcribed into Latin), redolent of honey and cheese. The modern Romanian plăcintă and the Viennese Palatschinke, though now quite different from their ancient Greek and Roman ancestor, still bear the same name.“
- ↑ Marcus Porcius Cato: Vom Landbau. Fragmente. Lateinisch-deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Otto Schönberger. 2. Auflage. Artemis & Winkler, Düsseldorf/Zürich 2000, ISBN 3-7608-1723-8, S. 480–481 Anm. 76.
- ↑ Dieses Garen sub testo setzt Jacques André mit dem Einsatz des glockenförmigen Thermospodium gleich, das in Rezepten des Kochbuchs De re coquinaria für manche Pasteten vorgeschrieben war und mit glühenden Kohlen umgeben sowie bedeckt wurde; siehe Jacques André (Hrsg.): Apicius, L’art culinaire. De re coquinaria. C. Klincksieck, Paris 1965, und Barbara Santich: Testo, Tegamo, Tiella, Tian. The Mediterranean Camp Oven. In: Tom Jaine (Hrsg.): The Cooking Pot (= Oxford Symposium on Food & Cookery, 1988 Proceedings). Prospect Books, London 1989, ISBN 978-0-907325-42-0, S. 139–142, hier S. 139.
- ↑ Charlton T. Lewis, Charles Short: A Latin Dictionary. Clarendon Press, Oxford 1879, s. v. placenta.
- ↑ Henry George Liddell, Robert Scott, Henry Stuart Jones: A Greek-English Lexicon. 9. Auflage. Clarendon Press, Oxford 1940, S. 1411 s. v. πλακοῦς; Charlton T. Lewis, Charles Short: A Latin Dictionary. Clarendon Press, Oxford 1879, s. v. placenta; Angus Stevenson, Maurice Waite: Concise Oxford English Dictionary: Luxury Edition. OUP Oxford, 2011, ISBN 978-0-19-960111-0, S. 1095 (google.com [abgerufen am 4. November 2024]).
- ↑ Clairève Grandjouan: Hellenistic Relief Molds from the Athenian Agora (= Hesperia. Supplement 23). Vollendet von Eileen Markson und Susan I. Rotroff. American School of Classical Studies, Princeton 1989, ISBN 978-0-87661-523-2, S. 58–66.
- ↑ Gertrud Herzog-Hauser: Placenta. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band XX,2, Stuttgart 1950, Sp. 1894–1897 (hier Sp. 1894).
- ↑ Athenaios, Gastmahl der Gelehrten 14,644b; Henry George Liddell, Robert Scott, Henry Stuart Jones: A Greek-English Lexicon. 9. Auflage. Clarendon Press, Oxford 1940, S. 1411 s. v. πλακόεις.
- ↑ Sally Grainger: Cato's Roman Cheesecakes: The Baking Techniques. In: Harlan Walker (Hrsg.): Milk – Beyond the Dairy: Proceedings of the Oxford Symposium on Food and Cookery. Oxford Symposium, 2000, ISBN 978-1-903018-06-4, S. 168–175.
- ↑ Michael L. Power, Jay Schulkin: The Evolution of the Human Placenta. Johns Hopkins University Press, Baltimore 2012, ISBN 978-1-4214-0870-5, S. 35.
- ↑ Ephraim Joshua Field, Richard John Harrison: Anatomical Terms: Their Origin and Derivation. W. Heffer & Sons, Cambridge 1968, ISBN 978-0-85270-001-3, S. 148.
- ↑ Philoxenos bei Athenaios, Gastmahl der Gelehrten 14,643c.
- ↑ Andrew Dalby: Cato. On Farming. De Agricultura: A Modern Translation with Commentary. Prospect Books, Totnes 1998, ISBN 978-0-907325-80-2, S. 155: „Placenta ist ein griechisches Wort (plakounta, Akkusativform von plakous ‚Kuchen‘).“
- ↑ Antiphanes bei Athenaios, Gastmahl der Gelehrten 10,449b–c; Übersetzung nach Luisa Schneider: Untersuchungen zu antiken griechischen Rätseln. Band 2: Materialsammlung (= Beiträge zur Altertumskunde. Band 371/2). De Gruyter, Berlin/Boston 2020, S. 301.
- ↑ Andrew Dalby: Cato. On Farming. De Agricultura: A Modern Translation with Commentary. Prospect Books, Totnes 1998, ISBN 978-0-907325-80-2, S. 21.
- ↑ Cato, De agri cultura 76; Übersetzung nach: Marcus Porcius Cato: Vom Landbau. Fragmente. Lateinisch-deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Otto Schönberger. 2. Auflage. Artemis & Winkler, Düsseldorf/Zürich 2000, ISBN 3-7608-1723-8, S. 93–95.
- ↑ Rena Salaman: The Case of the Missing Fish, or Dolmathon Prolegomena. In: Oxford Symposium on Food & Cookery 1984 & 1985. Cookery: Science, Lore & Books. Proceedings. Prospect Books, London 1986, ISBN 0-907325-33-5, S. 184–187, hier S. 184 (Online-Vorschau); Speros Vryonis: The Decline of Medieval Hellenism in Asia Minor: And the Process of Islamization from the Eleventh Through the Fifteenth Century. University of California Press, 1971, ISBN 978-0-520-01597-5, S. 482 (google.com [abgerufen am 4. November 2024]).
- ↑ a b Arthur John Arberry: Medieval Arab Cookery. Prospect Books, 2001, ISBN 978-0-907325-91-8, S. 143 (google.com [abgerufen am 4. November 2024]).
- ↑ Richard G. Hovannisian, Simon Payaslian: Armenian Cilicia. Mazda Publishers, 2008, ISBN 978-1-56859-154-4, S. 68 (google.com [abgerufen am 4. November 2024]).