Polterabend

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Keramikscherben am Polterabend

Unter einem Polterabend versteht man einen vor allem in Deutschland verbreiteten Hochzeitsbrauch, einem Brautpaar vor dessen Heirat durch das Zerbrechen von Steingut und Porzellan ein Gelingen der Ehe zu wünschen. Der Begriff ist auch in Polen, Österreich, in der Schweiz und in nordischen Ländern wie Dänemark und Finnland bekannt, bezeichnet dort aber meist den ausgelassenen Abschied vom Ledig-Sein, der in Deutschland unter dem Begriff Junggesellenabschied und im angelsächsischen Raum als Stag Party bzw. Hen Night bekannt ist.[1]

Geschichte und Deutung

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Der historische Ursprung des Polterabends ist nicht geklärt; es gibt für den deutschsprachigen Raum wenig Literatur, besser ist die volkskundliche Forschungslage in Skandinavien.[2] Laut der Volkskundlerin Annette Remberg ist der Brauch seit Anfang des 16. Jahrhunderts bezeugt, jedoch laut dem Historiker Hans Dunker aus dem 16. und 17. Jahrhundert jedenfalls für Schleswig-Holstein „nicht berichtet“, was er angesichts der im Volks-Aberglauben verwurzelten Tradition erwartet hätte.[3] Die ersten Aufzeichnungen derartiger Bräuche finden sich im Spätmittelalter; die Bezeichnung ist Ende des 17. Jahrhunderts erstmals überliefert, als Polternacht („hymenalia“) allerdings schon im Anhalter Trochus (1517).[4] Die Tradition des Polterabends im Zusammenhang mit Polterabend-Scherzen sowie Spielen ist vielfach seit dem 19. Jahrhundert belegt.[5] Grimms Wörterbuch beschreibt den Polterabend im 19. Jahrhundert als den „durch schmaus, tanz und allerlei scherz gefeierte[n] vorabend einer hochzeit“.[6]

In der zur Schau gestellten, rituellen Vernichtung von Eigentum haben die Soziologen Peter von Haselberg und Heinz Abels einen Überrest des als Potlatch bekannten anthropologischen Phänomens der demonstrativen Verschwendung gesehen.[7] Es handelt sich demnach um einen Opfergabe-Ritus. Solche Riten haben im germanischen Brauchtum, wie auch in zahllosen anderen Kulturen, eine tiefe Verwurzelung. Im Zerstören des Alten lässt sich auch ein Übergangsritus aus dem Kreis der Unverheirateten in das Eheleben sehen;[8][9] Achim von Arnim schrieb zu Beginn des 19. Jahrhunderts in seinem Roman Die Kronenwächter, dass „die alten Töpfe zerschmissen werden, um ein neues Leben anzufangen“.[10] Der Medizinhistoriker Oskar Scheuer hat den Brauch als symbolische Vorwegnahme der Defloration in der Hochzeitsnacht gedeutet und einen Bezug zur volkskulturellen Keuschheitsprobe hergestellt.[11]

Der Lärm sollte nach der verbreitetsten Deutung als Abwehrzauber Geister und Dämonen vom Brautpaar fernhalten,[12] vergleichbar mit dem Feuerwerks-Lärm in der Silvesternacht. Auf diese Deutung bezieht sich etwa Johann Heinrich Voß in seinem Gedicht Luise: Ein ländliches Gedicht in drei Idyllen, in dem der Pfarrer vor der Hochzeit zum Lärmen auffordert: „Alle geklingt mir! / Alle mit lauter Musik! Daß nicht in der bräutlichen Kammer / Hämisch ein Nachtkobold sie beleidige oder Asmodi!“[13] Der Rechtshistoriker Karl Frölich vermutet zudem eine rechtliche Funktion: durch den Lärm der allgemeinen Öffentlichkeit die Eheschließung bekannt zu machen.[12] Schwierigkeiten des Polterabends mit der öffentlichen Ordnung sind in der Straßenpolizei-Ordnung für die Residenzstadt Braunschweig des 19. Jahrhunderts dokumentiert, die in § 112 bestimmte: „Das Topfwerfen auf der Straße bei Polterabenden ist verboten.“[14]

Andrea Graf weist darauf hin, dass seit dem Ende der 1980er Jahre die Tradition des Polterabends verändert und zurückgedrängt wird, unter anderem deshalb, weil „Berge von Müll auf dem Hof des Brautpaares abgeladen“ wurden. Die traditionelle Form besteht weiter fort, wird aber zunehmend durch die globalisierte, aus dem angloamerikanischen Kulturraum stammende Form des Junggesellenabschieds ersetzt oder ergänzt, was sie als „postmodernes Übergangsritual“ deutet.[15] Der Volkskundler Gunther Hirschfelder sieht in dem neuen Ritual keinen reinen Kulturimport, da es sich zu vielgestaltig zeige, und erklärt es aus der gesunkenen Einbindung von Menschen in ihre lokale Gemeinschaft, der geringeren Bedeutung der Eheschließung im Lebenslauf und der alltagskulturellen Entwicklung hin zu einer „Eventkultur“.[16]

Elemente des Brauchs

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Am Polterabend mit Baumstämmen zugebauter Ausgang (Königsfeld (Oberfranken), 2007)

Der Polterabend findet in der Regel vor dem Haus der Braut bzw. ihrer Eltern statt. Das Brautpaar gibt lediglich den Termin bekannt, lädt aber niemanden im Einzelnen ein. Manch ein Brautpaar sieht darin die Möglichkeit, viele Personen, die zur Hochzeit selber nicht eingeladen werden können, so teilhaben zu lassen.

Der Kern dieses Brauches ist das Zerbrechen durch Hinwerfen von mitgebrachtem Porzellan. Aber auch Steingut, Blumentöpfe oder Keramikartikel wie Fliesen, Waschbecken und Toilettenschüsseln sind gern verwendete Wurfgegenstände. Auch metallene Gegenstände, wie Blechbüchsen, Kronkorken und Konservendeckel, sind zum Poltern verbreitet. Verboten hingegen sind Gläser (Glas steht für Glück, das nicht zerstört werden soll) oder gar Spiegel (ein zerbrochener Spiegel steht für sieben Jahre Pech). Das Brautpaar muss dann gemeinsam den Scherbenhaufen entsorgen. Dies soll ein erster symbolischer Akt für das von nun an gemeinsame Anpacken/Arbeiten darstellen, vergleichbar mit dem gemeinsamen Zersägen eines Holzstammes nach der Trauung.

Besonders im norddeutschen Raum ist im Rahmen des Polterabends der Brauch verbreitet, um Mitternacht die Hose des Bräutigams zu verbrennen, um symbolisch die Junggesellenzeit zu beenden. Die Asche wird dann zusammen mit einer Schnapsflasche (häufig Kornbrand) vergraben. Nach einem Jahr wird die Flasche dann wieder ausgegraben und gemeinsam getrunken. Zusätzlich werden die Schuhe der Braut an einen Baum genagelt, dahinter steckt die Idee, die Braut vorm „Davonlaufen“ abzuhalten. In einigen Regionen wird stattdessen auch der BH der Braut verbrannt.[17][18]

Der Polterabend wird traditionell am Vorabend der kirchlichen oder standesamtlichen Trauung gefeiert. Findet der Polterabend direkt am Vorabend der Hochzeit statt, ist es dem Brautpaar durchaus gestattet, sich vorzeitig von der Feier zu entfernen, um am nächsten Tag nicht verkatert zu sein. Inzwischen ist es üblich geworden, den Polterabend Wochen vor dem Hochzeitstag zu veranstalten.[19]

Vergleichbare Bräuche

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Eine dem Polterabend ähnliche Tradition ist der Hielich, ein Heischebrauch im Bergischen Land und in der Eifel, bei dem vor der Hochzeit ebenso geschossen und getrunken wurde wie beim Polterabend.[20] Auch die Letsch ist ein im Rheinland verbreiteter, ähnlicher Brauch.[15] In Bremen ist ein entsprechender Brauch das Kranzbinden.

Eine ähnliche Tradition des Lärmens und Scherzens vor Hochzeiten namens Charivari gibt es nur für Wiederverheiratete in Frankreich, darunter als bekanntes Beispiel den Bal des Ardents 1393.

In muslimischen Kulturen wird der Abend vor der Hochzeit als Henna-Nacht bezeichnet.

  • Annette Remberg: Wandel des Hochzeitsbrauchtums im 20. Jahrhundert dargestellt am Beispiel einer Mittelstadt. Eine volkskundlich-soziologische Untersuchung (= Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland. Band 90). Waxmann, Münster 1995, ISBN 3-89325-361-0, Kapitel C: Polterabend, S. 113–125 (Vorschau).
  • Polterabend, m. In: Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Hrsg.): Deutsches Wörterbuch. Band 13: N, O, P, Q – (VII). S. Hirzel, Leipzig 1889 (woerterbuchnetz.de).
Commons: Polterabend – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Polterabend – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. Zum finnischen polttarit bzw. polterabend und dem schwedischen Pendant siehe Beth Montemurro: Something Old, Something Bold: Bridal Showers and Bachelorette Parties as Traditions of Transition. Rutgers University Press, New Brunswick NJ 2006, ISBN 978-0-8135-3810-5, S. 184–188, und Anna-Maria Äström: Polterabend. Symbols and Meanings in a Popular Custom of Aristocratic and Bourgeois Origin. In: Ethnologica Scandinavica, Band 19, 1989, S. 83–106.
  2. Annette Remberg: Wandel des Hochzeitsbrauchtums im 20. Jahrhundert dargestellt am Beispiel einer Mittelstadt. Eine volkskundlich-soziologische Untersuchung (= Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland. Bd. 90). Waxmann, Münster 1995, ISBN 3-89325-361-0, S. 113.
  3. Hans Dunker: Werbungs-, Verlobungs- und Hochzeitsgebräuche in Schleswig-Holstein. Philosophische Dissertation, Universität Kiel 1930, S. 77.
  4. Karl von Bahder: Mundartliche Benennungen des Polterabends. In: Zeitschrift für deutsche Mundarten. Jg. 1910, S. 193–199, und Julius Leithaeuser: Polterabend. In: ebda., S. 316 f., Textarchiv – Internet Archive.
  5. Darunter: P. F. Lembert: Polterabend=Scherze mit und ohne Verlarvung. Eine Sammlung von Gedichten, Anreden, Dialogen und anderen Polterabend=Scenen. In: R. L. Methus. Müller (Hrsg.): Zeitung für die elegante Welt. Leipzig 1830, Spalte 1913, Textarchiv – Internet Archive. Caroline Hausberg: Polterabend Scherze. 9 S. beschrieben von alter Hand. Privatdruck, 1880 (mit Beiträgen wie Die Zauberinn, Bei Ueberreichung von Löffeln, Die Zuckerzange, Das alte Mütterchen). Julius Bauer: Polterabend-Scherze. Dem Brautpaare Isabella Geiringer und Victor Herz gewidmet von Julius Bauer. Vorgetragen am 17. März 1894 von Alexander Girardi. 1. Wiener Zeitungs-Gesellschaft, Wien 1894.
  6. Polterabend, m. In: Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Hrsg.): Deutsches Wörterbuch. Band 13: N, O, P, Q – (VII). S. Hirzel, Leipzig 1889 (woerterbuchnetz.de).
  7. Peter von Haselberg: Funktionalismus und Irrationalität. Studien über Thorstein Veblens „Theory of the Leisure Class“ (= Frankfurter Beiträge zur Soziologie. Bd. 12). Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1962, S. 24; Heinz Abels: Kleider machen Leute, aber wollen wir das eigentlich? (= Coesfelder Vorlesungen zur Soziologie. Nr. 11). Oktober 2011 (PDF) (PDF) S. 10.
  8. Redaktion: Warum der Polterabend heutzutage eigentlich sinnlos ist. In: DerWesten.de. 6. Januar 2016, abgerufen am 26. August 2023 (deutsch).
  9. Andrea Graf (Dissertationsprojekt) — Universität Bonn. 15. Juni 2015, archiviert vom Original; abgerufen am 26. August 2023.
  10. Achim von Arnim: Die Kronenwächter. Berthold’s erstes und zweites Leben (= Sämtliche Werke. Band 3). Maurer, Berlin 1817, S. 182, Textarchiv – Internet Archive.
  11. O. F. Scheuer: Polterabend. In: Max Marcuse (Hrsg.): Handwörterbuch der Sexualwissenschaft. Enzyklopädie der natur- und kulturwissenschaftlichen Sexualkunde des Menschen. Neuausgabe mit einer Einleitung von Robert Jütte. Walter de Gruyter, Berlin, New York 2001, S. 563.
  12. a b Karl Frölich: Rechtsgeschichte und Volkskunde im niederdeutschen Eheschließungsbrauchtum. In: Nachrichten der Giessener Hochschulgesellschaft. Band 20, 1951, S. 102–138, hier S. 122 f. uni-giessen.de (PDF; 1,6 MB)
  13. Johann Heinrich Voß: Luise. Ein ländliches Gedicht in drei Idyllen. Universitäts-Buchhandlung, Königsberg 1826, S. 315.
  14. Zitiert nach: Richard Andree: Braunschweiger Volkskunde. 2. vermehrte Auflage. Vieweg und Sohn, Braunschweig 1901, S. 304.
  15. a b Andrea Graf: Erste Ergebnisse der Erhebung zum JunggesellInnenabschied im Rheinland. „Der letzte Tag in Freiheit?“ In: Alltag im Rheinland. Mitteilungen der Abteilungen Sprache und Volkskunde des LVR-Instituts für Landeskunde und Regionalgeschichte (ILR). Jg. 2012, S. 18–24, hier S. 20 f. rheinische-landeskunde.lvr.de (Memento des Originals vom 4. März 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.rheinische-landeskunde.lvr.de (PDF)
  16. Junggesellenabschied. Party statt Poltern. In: Süddeutsche Zeitung, 17. Mai 2010.
  17. Wenn Hose und BH Feuer fangen Beschreibung des Brauchs "Hose verbrennen auf polteridoo.de
  18. Ein unvergesslicher Tag – Polterabend (Memento vom 15. März 2015 im Internet Archive) Beschreibung auf www.ein-unvergesslicher-tag.de
  19. P. Brauers: Hochzeitsbräuche. Das etwas andere Sachbuch zur Hochzeit. 3. Auflage. Books on Demand, Norderstedt 2011.
  20. Diese Verbindung stellt her Julius Leithaeuser: Polterabend. In: Zeitschrift für deutsche Mundarten. Jg. 1910, S. 316 f., Textarchiv – Internet Archive.