Rheinische Tapetenfabrik

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Rheinische Tapetenfabrik 2018

Die Rheinische Tapetenfabrik war ein Industriebetrieb im Bonner Ortsteil Beuel-Ost. Das 1893 gegründete Unternehmen war nach einer Fusion nach der Jahrhundertwende kurzzeitig der größte Tapetenhersteller Deutschlands. 1980 kam es nach kontinuierlichen Auftragsrückgängen zum Konkurs, seit 1984 wird das Fabrikgelände in der Auguststraße als Kultur- und Gewerbepark genutzt. Teile der Anlage, dabei besonders die Fassaden, sind als eingetragenes Baudenkmal geschützt.[1]

Der Gründer der Tapetenfabrik war August Schleu, der ein Tapetengeschäft am Münsterplatz in der Bonner Innenstadt betrieb. Da er seine Tapeten zu sehr niedrigen Preisen abgab, verweigerten seine Lieferanten zum Schutz anderer Einzelhändler den weiteren Verkauf ihrer Produkte an ihn. Auch um selbst Tapeten zum Verkauf produzieren zu können, übernahm Schleu 1893 die Fabrikationsanlagen der Stereos-Teppichfabrik R. Bovermann[2] in Beuel.[3]

Zwei Jahre nach der Übernahme der Stereos-Fabrik erfolgte 1895 der Einstieg von Emil Tilger als Teilhaber in das Unternehmen. Es kam zur Umfirmierung in Rheinische Tapetenfabrik Tilger & Co.,[4] der eine Expansion folgte. Neue Gebäude für Dampfkesselanlagen, Dampfmaschinen und die Stromversorgung wurden erstellt. In den Fabrikräumen wurden Leimdrucksäle (Kollographie) für Druckmaschinen, Rollsäle für die Tapetenkonfektion, Lagerhallen und eine Schlosserei angelegt. Im Jahr 1901 zog auch die Verwaltung in ein größeres Gebäude um. Die zwischen 1901 und 1905 errichteten Produktions- und Lagerhallen, ein Atelier sowie ein Pförtnerhaus entstanden nach Plänen des Bonner Architekten Carl Edler.[5][6] 1904 kam es zur Übernahme einer Papierfabrik in Hoffnungsthal.

Wechselhafte Zeiten

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Zwei Jahre später erfolgte die Fusion mit der 1843 gegründeten Mannheimer Tapetenfabrik Engelhard, die von Emil Engelhard geführt wurde; das Unternehmen firmierte nun als Rheinische Tapeten- und Papierfabriken Engelhard & Schleu KG und war zu dieser Zeit der größte Hersteller in ganz Deutschland. 350 Arbeiter und Angestellte produzierten rund 120.000 Tapetenrollen am Tag. Da viel exportiert wurde, entstanden in Berlin und Paris Warenlager. Doch bereits 1908 führten Absatzprobleme zum Beitritt des Unternehmens zum Kartell Tapeten-Industrie-Aktiengesellschaft (TIAG), das aus zwölf Unternehmen bestand.[7] Eine Ordnung des Marktes und Beendigung des ruinösen Preiskampfes zwischen den Herstellern misslang aber[7] und so wurde die TIAG im Jahr 1910 wieder aufgelöst; 1911 wurde die Rheinische Tapetenfabrik erneut unabhängig. Erst nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich die Auftragslage unter Geschäftsführer Adolph Hoffmann wieder besser. 1919 erfolgte die Firmierung als Aktiengesellschaft der Familien Hoffmann und Schleu. „Er-Te“-Tapeten (das Kürzel stand als Abkürzung für Rheinische Tapetenfabrik) wurden in ganz Deutschland zum Synonym für moderne Qualitätstapeten.[8]

Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten erhielt das Unternehmen die Rechtsform einer Offenen Handelsgesellschaft und wurde von Johannes Schleu und Erich Hoffmann geleitet.

Krieg und Nachkriegszeit

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Im Zweiten Weltkrieg wurde die Produktion eingestellt. Rund 40 Prozent der Anlagen wurden am 18. Oktober 1944 durch einen Luftangriff zerstört. Der Neubeginn wurde durch den Kohlemangel und die Abstimmung mit den Besatzungsbehörden erschwert. Zunächst wurde die Herstellung der traditionellen Handdrucktapeten wieder aufgenommen, 1947 wurden täglich 25.000 Tapetenrollen produziert. In den Jahren des Wirtschaftswunders konnte die Produktion wegen der steigenden Nachfrage schnell wieder ausgeweitet werden. 1957 wurde die an der Auguststraße gegenüberliegenden Gebäude der Rheinischen Möbelfabrik gekauft. In dem erworbenen Ensemble, das durch eine gedeckte Fußgängerbrücke über der Auguststraße mit der Tapetenfabrik verbunden wurde, fanden die Buchbinderei für die Musterbücher, das Papierlager und der Filmdruck Unterkunft. 1959 wurden 205 Mitarbeiter beschäftigt.

Der zunehmende Ersatz der Tapete durch Raufaser, Paneelen und Kacheln in den 1970er Jahren führte zum Niedergang und dem schließlichen Konkurs des Unternehmens im Jahr 1980.

Heutige Nutzung

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1984 ersteigerte der Beueler Bauunternehmer Werner Quadt die Tapetenfabrik. Er und seine Nachfolger sanierten das Industriedenkmal behutsam.[9] Die Fassade wurde gestrichen und die Räume der stillgelegten Fabrik wurden zum Gewerbezentrum Q-Center mit einer Nutzfläche von 16.000 Quadratmetern umgebaut. Zu den ersten Mietern zählten ein Antikgroßmarkt und eine Familienbildungsstätte. Ab 1989 wird hier auch das Fitnesscenter Sportfabrik betrieben. Verschiedene Ateliers und Kunstbetriebe zogen in die Fabrik ein,[10] darunter auch die Popfarm, eine private Musikschule.[11] Seit 1998 befindet sich in der Tapetenfabrik auch eine Modelleisenbahnanlage im Maßstab 1:32.[12] Historische Produktionsmaschinen werden als Kunstbestandteile gezeigt. Teile des Walzenkellers und des Maschinensaales können nach Absprache besichtigt werden.[9]

Viele Künstler gestalteten für die Fabrik Tapeten. So entwarf Heinz Trökes Tapeten mit Vogeldarstellungen.[13] Auch Ernst Meurer (ab 1911) war hier tätig.[14] Von Fritz August Breuhaus stammten verschiedene Entwürfe[15] und Hans Finsler entwickelte das Tapetenmotiv „Paquita“.[16] Gertrud Kauffmann-Schlüter schuf in den 1960er Jahren Entwürfe für Tapeten.[17]

Die denkmalgeschützten Fassaden der Fabrikgebäude entlang der Auguststraße, die um die Jahrhundertwende entstanden, sind im typischen Gründerzeit-Stil mit neugotischer Putzfassade und Backsteingliederung ausgeführt. Das ehemalige Pförtnerhaus mit seinem Fachwerkgiebel und Stuckverzierungen im malerischen Stil (damals bei Landhäusern und Villen verbreitet) ist ebenfalls denkmalgeschützt.[18] Auch das in den 1950er Jahren errichtete, im Bauhaus-Stil gehaltene Verwaltungsgebäude im Hof steht unter Denkmalschutz.

Die Fassade vor dem Klavierhaus ist dagegen ein Nachbau. Beide Schornsteine wurden aus Sicherheitsgründen gekürzt. Der eine verlor das Wort „Rheinische“, es blieb nur noch die untere Hälfte mit dem Wort „Tapetenfabrik“.[8] Die Tapetenfabrik ist Teil des Denkmalpfades im Stadtbezirk Beuel.

Commons: Rheinische Tapetenfabrik – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Denkmalliste der Stadt Bonn (Stand: 15. Januar 2021), S. 9, Nummer A 3717
  2. In einer Ausgabe der Chemiker-Zeitung von 1885 wird die Stereos-Fabrik als Teppich-Fabrik bezeichnet, gem. Chemiker-Zeitung, Band 9, Teil 2, Verlag der Chemiker-Zeitung, 1885, S. 1443 (Snippet). In einer Anzeige der Zeitung des Vereins Deutscher Eisenbahn-Verwaltungen wird von der in Beuel ansässigen R. Bovermann & Cie. ein Bedachungsstoff „Stereos“ angeboten, gem. Zeitung des Vereins Deutscher Eisenbahn-Verwaltungen, Verein Mitteleuropäischer Eisenbahnverwaltungen und Verein Deutscher Eisenbahn-Verwaltungen (Hrsg.), ebenfalls Snippet
  3. Fabrikgeschichte auf der Website der Tapetenfabrik Bonn-Beuel (Quadt Immobilien GmbH & Co.KG)
  4. Heimatchronik des Landkreises Bonn, Band 3: Heimatchroniken der Städte und Kreise des Bundesgebietes, Heinrich Neu Verlag, Archiv für Deutsche Heimatpflege, 1953, S. 207 (Snippet)
  5. Informationstafel an der ehemaligen Rheinischen Tapetenfabrik (Drucksäle), auf Wikimedia Commons
  6. Informationstafel an der ehemaligen Rheinischen Tapetenfabrik (Altes Pförtnerhaus), auf Wikimedia Commons
  7. a b Heinz Schmidt-Bachem, Aus Papier: Eine Kultur- und Wirtschaftsgeschichte der Papier verarbeitenden Industrie in Deutschland, ISBN 978-3-11-023608-8, Walter de Gruyter, 2011, S. 182 ff in der Google-Buchsuche
  8. a b Rainer Schmidt, Denkmäler in Beuel: Alte Dame mit Industriecharme, 14. Dezember 2015, Bonner General-Anzeiger
  9. a b Tapetenfabrik Beuel, Kulturserver NRW, Stiftung kulturserver.de gGmbH
  10. Tapetenfabrik lädt zur Besichtigung, 10. Juli 2007, Kölner Stadt-Anzeiger
  11. Philipp Schumacher, Kunst!Rasen: Popfarm in Beuel lädt zum Schülerkonzert, 2. Juli 2013, Bonner Rundschau
  12. Nicolas Ottersbach, Tapetenfabrik in Beuel: Modelleisenbahnclub vergrößert seine Anlage, 29. April 2013, Bonner General-Anzeiger
  13. Walter Borchers, Tapetenbilder alt und neu, 7. Juni 1951, Die Zeit
  14. Michael E. Hümmer, Künstlerprofil Ernst Meurer (1883 – 1956), Treffpunkt Kunst, (www.treffpunkt-kunst.net)
  15. Tilo Richter, Das Geschäft mit der Ästhetik. Der Architekt Fritz August Breuhaus (1883–1960) als Publizist, Dissertation an der ETH Zürich, 2005–2008
  16. Breuhaus-Tapete, Kunstmuseum Moritzburg, Halle/Saale, bei: Museum-digital
  17. Jutta Beder, Kauffmann (-Schlüter), Gertrud, in: Lexikon der Textildesigner 1950 – 2000, Universität Paderborn
  18. Betina Köhl, Stadtspaziergang: Erst weiße Wäsche, dann Fabrikschlote, 4. April 2013, Bonner General-Anzeiger

Koordinaten: 50° 44′ 32,6″ N, 7° 7′ 38,5″ O