Ronen Steinke
Ronen Steinke (* 1983 in Erlangen) ist ein deutscher Journalist, Sachbuchautor und Jurist.
Leben
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Steinke wuchs in Nürnberg als Sohn jüdischer Eltern[1] auf und studierte Rechtswissenschaft an der Bucerius Law School in Hamburg sowie in Tokio. Im Anschluss arbeitete er in Anwaltskanzleien und am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien.
2011 wurde Steinke mit einer völkerstrafrechtlichen Studie über die politische Funktion von Kriegsverbrechertribunalen seit 1945 promoviert. Darin argumentiert er, hinter menschenrechtlicher Rhetorik wie jener der deutschen Regierung, die den Internationalen Strafgerichtshof unterstützt, verbärgen sich dennoch machtpolitische Interessen. Die Untersuchung wurde von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als „Meisterstück“ gelobt.[2][3][4]
Anschließend kam Steinke zur Süddeutschen Zeitung, zunächst als Redakteur im Ressort Außenpolitik, wo er über Völkerrecht schrieb. Steinke interviewte den Kriegsverbrecher Radovan Karadžić[5] und berichtete als erster Journalist aus dem Inneren des UN-Gefängnisses in Scheveningen.[6] Seit 2017 schreibt er als rechtspolitischer Korrespondent der SZ[7] mit Sitz in Berlin vor allem über Rechtspolitik, Sicherheitsbehörden und Extremismus.
2012/13 war er Gastwissenschaftler am Fritz-Bauer-Institut zur Geschichte und Wirkung des Holocaust (Frankfurt am Main). Seit 2023 ist er unter Matthias Jahn Lehrbeauftragter am Institut für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie der Goethe-Universität Frankfurt am Main.[8]
In seinem Buch „Der Muslim und die Jüdin“ rekonstruiert er, wie der Berliner Mohamed Helmy einer Jüdin das Leben rettete und dafür als erster Araber geehrt wurde als „Gerechter unter den Völkern“.
Steinke ist Mitglied der Jüdischen Gemeinde Berlin.[9]
Werk
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Fritz Bauer
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]2013 erschien Steinkes Biografie Fritz Bauer. Oder: Auschwitz vor Gericht[10] über den jüdischen Juristen, der in der Nachkriegszeit gegen große Widerstände gekämpft hatte, um NS-Täter vor Gericht zu bringen. Das Buch, das der Schriftsteller Daniel Kehlmann „grandios“ nannte,[11] wurde zur Grundlage für den preisgekrönten Kinofilm „Der Staat gegen Fritz Bauer“. Steinke erhielt als bis dato jüngster Redner die Einladung, die traditionelle Neujahrsansprache im Bundesjustizministerium zu halten.[12] Erardo Cristoforo Rautenberg, brandenburgischer Generalstaatsanwalt, kritisierte allerdings in seiner Rezension das Buch und provozierte damit eine Kontroverse.[13]
Antisemitismus
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle 2019 veröffentlichte Steinke, der selbst jüdisch ist, eine Kritik an dem, was er das systematische Versagen des Staates im Umgang mit antisemitischer Gewalt nannte.[14] Das Buch, das sich mit Polizei und Justiz auseinandersetzt, wurde auf Platz 2 der Sachbuch-Bestenliste von Zeit und Deutschlandfunk Kultur gewählt.[15] Auf die Frage, ob Juden überlegen sollten, nach Israel auszuwandern, sagte Steinke in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk:
„Ich bin absolut dafür, dass Menschen wegen des grassierenden Antisemitismus aus Deutschland auswandern. Allerdings sollten bitte nicht die Juden auswandern, sondern die Antisemiten. Auf dem Nordpol ist noch Platz.“[16]
Darauf folgte 2020 ein Essay in Buchlänge, in dem Steinke antisemitische Wendungen in der heutigen deutschen Sprache kritisierte.[17]
Jüdische Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In Kairo, New York und Berlin recherchierte Steinke die Geschichte des ägyptischen Arztes Mohamed Helmy, der als Teil eines Netzwerks von Arabern während der NS-Zeit Juden rettete.[18] Daraus entstand 2017 das Buch Der Muslim und die Jüdin: Die Geschichte einer Rettung in Berlin.[19] Als erster Araber überhaupt wurde Mohamed Helmy von Yad Vashem als Gerechter unter den Völkern ausgezeichnet. Die englische Übersetzung des Buches wurde durch den Guardian zum „Book of the week“ ernannt.[20]
Rechtsextremismus
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Gemeinsam mit anderen Juristen und Journalisten rief Steinke 2020 eine jährliche Dokumentation unter dem Titel „Recht gegen rechts“ ins Leben, um zu beobachten, wie sich staatliche Stellen mit dem erstarkenden Rechtsextremismus auseinandersetzen.[21] Die Herausgeber des Jahrbuchs, zu denen auch der Rechtsprofessor Andreas Fischer-Lescano und die Opferanwältin Kati Lang gehören, schalteten sich etwa in die Kontroverse um den sächsischen AfD-Richter Jens Maier ein.[22]
Klassenjustiz
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die soziale Schieflage zwischen Armen und Reichen vor der Strafjustiz machte Steinke zum Thema einer langfristigen Recherche, die er 2022 unter dem Titel Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich veröffentlichte.[23] Steinke zeigt darin auf, dass arm und prekär lebende Menschen bei gleicher Schuld schneller in Haft genommen werden, seltener eine Chance auf eine Aussetzung einer Haftstrafe zur Bewährung haben und häufiger unter verschärfte Strafrahmen gefasst werden.[24] Vor allem löste sein Buch eine Diskussion um die in Deutschland sehr häufige Ersatzfreiheitsstrafe für Zahlungsunfähige aus. Justizminister Marco Buschmann kündigte 2022 an, die Haftstrafen für Menschen, die ihre Geldstrafe nicht bezahlen können, halbieren zu wollen.[25] Jochen Zenthöfer warf Steinke in der FAZ das Weglassen wichtiger Details vor.[26]
Positionen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Während des Israel-Gaza-Krieges ab 2023 veröffentlichte der nicht-jüdische Autor und Unternehmer Tobias Huch in der Jüdischen Allgemeinen einen Meinungsbeitrag, in dem er der Zivilbevölkerung im Gazastreifen eine kollektive Mitverantwortung für die Taten der militant-islamistischen Hamas und des Massakers vom 7. Oktober 2023 attestierte; die Zivilisten im Gazastreifen seien daher „nicht unschuldig“.[27] Ronen Steinke zeigte sich in einer ebenfalls in der JA erschienenen Erwiderung irritiert, „wie die Jüdische Allgemeine dazu kommt, eine derart menschenverachtende Polemik ins Blatt zu heben“, mit der unausgesprochen die „ganze Bevölkerung von mehr als zwei Millionen Menschen“ zum legitimen Kriegsziel erklärt und damit ihre physische Auslöschung gerechtfertigt werde.[28]
Steinke plädiert für ein Parteiverbotsverfahren gegen die AfD.[29]
Mitgliedschaften
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ronen Steinke gehört dem Kuratorium des Max-Planck-Instituts für Strafrecht in Freiburg, dem Freundeskreis des Leo Baeck Instituts, dem Netzwerk Recherche und dem PEN Berlin an.
Auszeichnungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- 2013: Wächterpreis der deutschen Tagespresse
- 2020: Nominierung Reporterpreis
- 2020: Shortlist Henri-Nannen-Preis
- 2022: Otto-Brenner-Preis
- 2022: Journalist des Jahres (Kategorie Politik), 2. Platz
- 2023: Shortlist Deutscher Sozialpreis
- 2024: Nominierung Egon-Erwin-Kisch-Preis
Schriften
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- The politics of international criminal justice: German perspectives from Nuremberg to the Hague (= Studies in international law. Nr. 41). v. 41. Hart, Oxford ; Portland, Or 2012, ISBN 978-1-84946-313-3 (englisch, Zugl.: Hamburg, Univ., Diss., 2011 unter dem Titel: Germany's politics of international criminal justice. A case study on cosmopolitan ideals and national interests).
- Fritz Bauer. Oder: Auschwitz vor Gericht. Piper, München 2013, ISBN 978-3-492-30709-3.[30][31][32]
- Der Muslim und die Jüdin. Die Geschichte einer Rettung in Berlin. Berlin Verlag, Berlin 2017, ISBN 978-3-8270-1351-4.
- Terror gegen Juden. Wie antisemitische Gewalt erstarkt und der Staat versagt. Eine Anklage. Berlin Verlag, Berlin 2020, ISBN 978-3-8270-1425-2.
- Antisemitismus in der Sprache. Warum es auf die Wortwahl ankommt. Bibliographisches Institut – Duden, Berlin 2020, ISBN 978-3-411-74375-9.
- Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich. Die neue Klassenjustiz. Berlin Verlag, Berlin 2022, ISBN 978-3-8270-1415-3.
- Verfassungsschutz. Wie der Geheimdienst Politik macht. Berlin Verlag, Berlin, München 2023, ISBN 978-3-8270-1471-9.
- Mit Nora Markard: Jura not alone. 12 Ermutigungen, die Welt mit den Mitteln des Rechts zu verändern. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2024, ISBN 978-3-593-51850-3.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Website von Ronen Steinke
- Literatur von und über Ronen Steinke im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Rezensionen zu Werken von Ronen Steinke bei Perlentaucher
- Ronen Steinke bei IMDb
- Autorenseite bei der Süddeutschen Zeitung
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Ronen Steinke: „Ich bin dafür, keinen Millimeter zu weichen“. 3. Juli 2020, abgerufen am 2. März 2024.
- ↑ „Konzise und ungemein dichte Untersuchung … detailgenau und meinungsstark“: Alexandra Kemmerer, Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 30. Juni 2012.
- ↑ „Überzeugend und wichtig, gerade weil sie eine allzu idealistische und idealisierende Sichtweise der Entwicklung des Völkerstrafrechts … mit guten Gründen relativiert“: Eckart Conze, Historische Zeitschrift, Bd. 297, 2013.
- ↑ „A very worthy and stimulating contribution to an overlooked subject“: Steven C. Roach, Political Studies Review, Vol. 11, Nr. 3.
- ↑ Malte Herwig, Ronen Steinke: Radovan Karadzic – das erste Interview seit 18 Jahren. 12. Mai 2014, abgerufen am 18. August 2022.
- ↑ Bei den Warlords: Ein exklusiver Besuch im UNO-Gefängnis. Abgerufen am 18. August 2022.
- ↑ Autorenseite SZ. 12. April 2023, abgerufen am 11. April 2023.
- ↑ Goethe-Universität — Lehrbeauftragte. Abgerufen am 19. April 2024.
- ↑ Ronen Steinke: Berlin: Diese Wahl stinkt zum Himmel. 7. September 2023, abgerufen am 10. März 2024.
- ↑ „Fesselnd“: Neue Zürcher Zeitung v. 5. Oktober 2013. „Eindrucksvoll (…). Steinke zeichnet nicht nur das einseitige Bild eines mutigen Helden, der sich gegen den Zeitgeist stellt. Er legt auch dessen Schwächen offen“: Deutschlandradio Kultur, 3. November 2013. „Eine ähnlich zugängliche, packende und intellektuell anregende Biographie lässt sich schwerlich finden. Es dürfte auf Jahre das ideale Geschenk für angehende Juristinnen und Juristen sein“: Boris Burghardt, Journal der Juristischen Zeitgeschichte 2017, 15–26.
- ↑ Daniel Kehlmann: Kommt Geister: Frankfurter Vorlesungen. Rowohlt, Reinbek 2015, S. 11.
- ↑ Rechtspolitischer Neujahrsempfang 2014 im BMJV. Abgerufen am 18. August 2022.
- ↑ Jan Thiessen, Fritz Bauer – zur schwierigen Rezeption eines Lebenswerks. In: JuristenZeitung, 22(2015), S. 1070., der Text
- ↑ Bedrohung und Staatsversagen. In: Jüdische Allgemeine, 2. Juli 2020.
- ↑ Leseempfehlungen: Die Sachbuch-Bestenliste für September 2020. Abgerufen am 18. August 2022.
- ↑ nachtlinie | Talk : Von altem und neuem Antisemitismus. Abgerufen am 18. August 2022.
- ↑ Antisemitismus in der Sprache: Mauscheln, Mischpoke, Semit*innen: Wie judenfeindlich ist unsere Sprache? | ze.tt. In: Die Zeit. Abgerufen am 19. August 2022.
- ↑ Ronen Steinke, Wie ein Muslim eine Jüdin vor den Nazis rettete, Süddeutsche Zeitung v. 10. Januar 2015.
- ↑ „Selten sind die Nazis so häufig und geradezu filmreif übertölpelt worden – und selten ist man so versucht, am Ende eines ernsten Buches befreit in die Hände zu klatschen“: Christian Schmidt-Häuer, Die Zeit v. 24. August 2017. „Einfühlsam und bewegend“: Johannes C. Bockenheimer, Der Tagesspiegel v. 19. Oktober 2017. „Fesselnde Erzählung mit Gespür für das historische Detail“: Ozan Keskinkilic, qantara.de, 16. Oktober 2017.
- ↑ Anna & Dr Helmy by Ronen Steinke review – the Schindler of the surgery room. 26. Dezember 2021, abgerufen am 18. August 2022 (englisch).
- ↑ deutschlandfunkkultur.de: "Recht gegen rechts. Report 2020" – Bestandsaufnahme der Justiz. Abgerufen am 18. August 2022.
- ↑ Ronen Steinke: Dammbruch in Sachsen. 10. Februar 2022, abgerufen am 18. August 2022.
- ↑ Von Houellebecq bis Yanagihara – das sind die besten Bücher für den Jahresbeginn (stern+). Abgerufen am 19. August 2022.
- ↑ Ronen Steinke über Klassenjustiz: Gleich, gleicher, Rechtsstaat? In: Die Tageszeitung: taz. 3. Januar 2022, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 19. August 2022]).
- ↑ tagesschau.de: Buschmann will kürzere Ersatzfreiheitsstrafe. Abgerufen am 19. August 2022.
- ↑ Jochen Zenthöfer: Wie der SZ-Justizspezialist Ronen Steinke Dinge zuspitzt. In: FAZ.NET. 14. September 2023, ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 14. September 2023]).
- ↑ Die Zivilisten in Gaza sind nicht unschuldig, Jüdische Allgemeine (juedische-allgemeine.de), Ursprungsfassung des Artikels, WebArchive.org, 18. Januar 2024, abgerufen am 23. Januar 2024.
- ↑ Zivilisten sind Zivilisten, auch in Gaza | Jüdische Allgemeine (juedische-allgemeine.de), 21. Januar 2024, abgerufen am 21. Januar 2024.
- ↑ Ronen Steinke (pro) & Sabine Rennefanz (contra): Debatte – Pro und Contra: Sollte die AfD verboten werden? In: verdi publik – die Mitgliederzeitung. 21. März 2024, S. 3, abgerufen am 31. März 2024 (Ausgabe 2/2024).
- ↑ Rezension von Ralf Oberndörfer: Ronen Steinke: Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht. Vorgänge. Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik Nr. 205 (Heft 1/2014), S. 98 ff. und Forschungsjournal Soziale Bewegungen, Heft 4/2015, S. 372 f.
- ↑ Darauf bezugnehmend Kurt Nelhiebel: Die Nestbeschützer. In: Der Tagesspiegel, 8. Dezember 2014. Dazu Richtigstellung der Tagesspiegel-Redaktion am 15. Dezember 2014 sowie Erwiderung durch Helmut Kramer Ein großes Vorbild, ein Mensch in Der Tagesspiegel, 22. Dezember 2014.
- ↑ Rezension von Erardo Cristoforo Rautenberg: Die Demontage des Generalstaatsanwalts Dr. Fritz Bauer. Nicht nur eine Kritik der Biographie von Ronen Steinke. Neue Justiz, Heft 9/2014, S. 369 ff. Dazu Erwiderung von Ronen Steinke: Wissenschaftliche Standards verletzende Polemik. Eine Antwort auf Erardo C. Rautenberg. Neue Justiz, Heft 12/2014, S. 513–515. Dazu Erardo Cristoforo Rautenberg: Die Antwort von Ronen Steinke auf meine Besprechung seines Buches „Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht“: Eine Replik. Forschungsjournal Soziale Bewegungen, Heft 4/2015, S. 374 ff.
Personendaten | |
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NAME | Steinke, Ronen |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Journalist und Buchautor |
GEBURTSDATUM | 1983 |
GEBURTSORT | Erlangen |