Russische Philosophie und soziales Denken von der Aufklärung bis zum Marxismus
Russische Philosophie und soziales Denken von der Aufklärung bis zum Marxismus (polnisch Rosyjska filozofia i myśl społeczna od oświecenia do marksizmu) ist eine bedeutende philosophiegeschichtliche Arbeit über die Geschichte des russischen Denkens, die von dem polnischen Historiker Andrzej Walicki (1930–2020) verfasst wurde und zuerst 1973 in Warschau bei Wiedza Powszechna erschien. Eine englische Übersetzung erschien unter dem Titel A History of Russian Thought from the Enlightenment to Marxism (Eine Geschichte des russischen Denkens von der Aufklärung bis zum Marxismus) (1979[1]).
Kurzeinführung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Walicki, Professor am Institut für Philosophie und Soziologie der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau und eine große Autorität auf dem Gebiet der russischen Philosophie, bietet darin eine umfassende Darstellung der Entwicklung des russischen Denkens von der Zeit Katharinas II. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, dem Vorabend der Revolution von 1905. Sein Name ist mit der Wiederaufnahme von Analysen des russischen philosophischen Denkens und der russischen Kultur im 20. Jahrhundert nach dem Zweiten Weltkrieg verbunden.
Die Arbeit behandelt verschiedene Strömungen und Einflüsse, darunter die Aufklärung, die Verwestlichung Russlands, die religiös-philosophische Renaissance und die Beziehung russischer Denker zu westlichen Philosophien und Ideen. Besonders wird auf die Kontroversen und Debatten des 19. Jahrhunderts eingegangen, wie den Kampf zwischen den Slawophilen und den Westlern sowie den Auseinandersetzungen zwischen den Populisten und den Marxisten. Walicki untersucht auch die Auswirkungen europäischer Ideen sowie die Wiederentdeckung einheimischer Formen und Traditionen auf die intellektuelle Elite Russlands. Dabei wird betont, wie archaische und moderne Elemente in der sozialen Struktur und im Denken koexistierten und sowohl neue Ideen als auch Widerstand gegen sie hervorbrachten.
Er lieferte eine Synthese der russischen Geistesgeschichte, die nicht nur die philosophischen Entwicklungen, sondern auch die politischen, sozialen und kulturellen Einflüsse beleuchtet, die das intellektuelle Leben Russlands geprägt haben.
Sein Werk entwickelte sich insbesondere auch durch die englische Übersetzung zu einem Standardwerk zur russischen Philosophiegeschichte. Das Werk gilt als wichtiges Referenzwerk.[2]
Gliederung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Werk ist in 18 Abschnitte untergliedert: 1. Tendenzen des aufklärerischen Denkens, 2. Der Höhepunkt der Aufklärung in Russland: Alexander Radischtschew, 3. Adelige Konservative und adlige Revolutionäre, 4. Antiaufklärerische Tendenzen im frühen 19. Jahrhundert, 5. Pjotr Tschaadajew, 6. Die Slawophilen, 7. Die russischen Hegelianer – Von der „Versöhnung mit der Wirklichkeit“ zur „Philosophie des Handelns“, 8. Belinski und die verschiedenen Varianten des Westernismus, 9. Die Petraschewzen, 10. Die Ursprünge des „Russischen Sozialismus“, 11. Nikolai Tschernyschewski und die „Aufklärer“ der 1860er Jahre, 12. Populistische Ideologien, 13. Anarchismus, 14. Ideologien der Reaktion nach den Reformen, 15. Zwei prophetische Schriftsteller, 16. Varianten des Positivismus, 17. Wladimir Solowjow und der metaphysische Idealismus, 18. Vom Populismus zum Marxismus.
Das Werk ist folgendermaßen untergliedert (in ungefährer deutscher Übersetzung):[3]
Inhalt
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Inhaltsübersicht
Inhalt
Vorwort zur englischen Übersetzung
Vorwort zur Originalausgabe
1 Tendenzen des aufklärerischen Denkens
Katharina II. und die Aufklärungsphilosophie
Das Aufkommen der russischen Aufklärungsphilosophie
Nikolai Nowikow und die Freimaurerei
Die aristokratische Opposition
2 Der Höhepunkt der Aufklärung in Russland: Aleksandr Radischtschew
Radischtschews Leben
Radischtschews Sozialphilosophie
Radischtschews Ansichten zu Ethik und Bildung
Radikale Reform oder Revolution?
Die Abhandlung über die Unsterblichkeit
3 Adelige Konservative und adlige Revolutionäre
Nikolai Karamsin
Die Dezembristen
4 Antiaufklärerische Tendenzen im frühen 19. Jahrhundert
Mystik
Die Weisheitsliebenden und der russische Schellingianismus
5 Pjotr Tschaadajew
Tschaadajew Metaphysik und Geschichtsphilosophie
Russlands Vergangenheit und Zukunft
Tschaadajews Platz in der russischen Geistesgeschichte
6 Die Slawophilen
Die Geschichtsphilosophie und die sozialen Ideale der Slawophilen
Das Konzept der „Integralen Persönlichkeit“ und „Neue Prinzipien in der Philosophie“
Die slawophile Ekklesiologie
Der Slawophilismus als konservativer Utopianismus
Der Zerfall des Slawophilismus
7 Die russischen Hegelianer - Von der „Versöhnung mit der Wirklichkeit“ zur „Philosophie des Handelns“
Nikolai Stankewitsch
Michail Bakunin
Wissarion Belinski
Alexander Herzen
8 Belinski und die verschiedenen Varianten des Westernismus
Belinskis Westernismus
Die liberalen Westler
9 Die Petraschewzen
Die sozialen und politischen Ideen der Petraschewzen
Die philosophischen Ideen der Petraschewzen
10 Die Ursprünge des „Russischen Sozialismus“
Die Entwicklung von Herzens Ansichten
Nikolai Ogarjow
11 Nikolai Tschernyschewski und die „Aufklärer“ der 1860er Jahre
Tschernyschewskis anthropologischer Materialismus
Nikolai Dobroljubow und der Streit um die „Überflüssigen“
Dmitri Pissarew und der „Nihilismus“
Kritiker der „Aufklärer“: Apollon Grigorjew und Nikolai Strachow
12 Populistische Ideologien
Einleitung
Vom „Geh zum Volk“ zum „Volkswillen“
Pjotr Lawrow
Pjotr Tkatschow
Nikolai Michailowski
13 Anarchismus
Michail Bakunin
Pjotr Kropotkin
14 Ideologien der Reaktion nach den Reformen
Nikolai Danilewski
Konstantin Pobedonoszew
Konstantin Leontjew
15 Zwei prophetische Schriftsteller
Fjodor Dostojewski
Lew Tolstoi
Dostojewski und Tolstoi: Ein Vergleich
16 Varianten des Positivismus
Einleitung
Dogmatischer Positivismus: Grigori Wyrubow
Kritischer Positivismus: Wladimir Lessewitsch
Positivismus und Psychologie
Positivismus und Soziologie
17 Wladimir Solowjow und der metaphysische Idealismus
Solowjows Religionsphilosophie
Alexei Koslow und der Panpsychismus
Boris Tschicherin und die Hegelianer in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
18 Vom Populismus zum Marxismus
Einleitung
Zwischen Populismus und Marxismus
Plechanow und die „rationale Wirklichkeit“
Plechanows Literaturkritik und Ästhetik
Legaler Populismus
Legaler Marxismus
Lenins frühe Schriften
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Geschichte der russischen Philosophie (Losski)
- Geschichte der russischen Philosophie (Senkiwskyj)
- Russische Philosophie des 9.–19. Jahrhunderts (Nikandrow/Galaktionow)
- Geschichte der russischen Philosophie (Jakowenko)
- Liste russischer Philosophen
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Andrzej Walicki: Rosyjska filozofia i myśl społeczna. Od Oświecenia do marksizmu. Warszawa, Wiedza Powszechna 1973 (publikacja ta została wznowiona i znacznie poszerzona: Zarys myśli rosyjskiej. Od Oświecenia do renesansu religijno-filozoficznego, Kraków 2005) [Russische Philosophie und soziales Denken. Von der Aufklärung zum Marxismus, Warschau 1973 (diese Publikation wurde neu aufgelegt und stark erweitert: Grundzüge des russischen Denkens. Von der Aufklärung zur religiös-philosophischen Renaissance, Krakau 2005)]
- Andrzej Walicki: A History of Russian Thought. From the Enlightenment to Marxism. Translated from the Polish by Hilda Andrews-Rusiecka. Stanford University Press, 1979 (Online-Teilansicht)
- A. Walicki: A History of Russian Thought: From the Enlightenment to Marxism. Oxford Clarendon Press, 1979
- Andrzej Walicki: The Flow of Ideas: Russian Thought from the Enlightenment to the Religious-Philosophical Renaissance. Peter Lang, 2015, ISBN 3631636687, ISBN 9783631636688
- Wilhelm Goerdt:*
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise und Fußnoten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Bisweilen wird auch das Jahr 1980 als Ersterscheinungsjahr der englischen Übersetzung genannt.
- ↑ vgl. z. B. Wilhelm Goerdt (1984/1989)
- ↑ vgl. A History of Russian Thought from the Enlightenment to Marxism