Satzmodell (Musik)
Eine Kombination gemeinsamer Merkmale von Klangverbindungen, die als Element der musikalischen Sprache eines Komponisten oder einer Epoche gelten kann, wird in der Musiktheorie als Satzmodell bezeichnet. Zu solchen mehrstimmigen Konstrukten zählen also u. a. alle Arten von Kadenzen, Sequenzen, Kanons und andere Satzstrukturen, die durch ein relativ einfaches Prinzip bestimmt sind, sowie weitere Wendungen, die häufiger zu bestimmten Zwecken wie z. B. einer Modulation, der Eröffnung eines Abschnitts oder der Ankündigung eines Abschlusses verwendet werden. Die verstärkte Beachtung von Satzmodellen im musiktheoretischen Diskurs hat zu einem veränderten Verständnis von kreativen Vorgängen wie Improvisation und Komposition und von ästhetischen Vorstellungen wie Tonalität und Originalität, sowie zur Entwicklung neuer Unterrichtsmethoden beigetragen.[1]
Begriffsverwendung, Definition
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Gängig ist der Begriff in der deutschsprachigen Musiktheorie spätestens seit den 1980er Jahren.[2] Als Synonyme wurden zuvor und werden seitdem auch Bezeichnungen wie ‚Satzmuster‘, ‚Formel‘, ‚Satztyp‘, ‚Typus‘ oder ‚Topos‘ verwendet.[3] Erste Definitionsversuche gab es in jüngerer Zeit. Oliver Schwab-Felisch bezieht sich auf die Modelltheorie Herbert Stachowiaks und definiert Satzmodelle als musikalische Modelle, die
- durch den Aspekt Tonhöhe bestimmt und
- mehrstimmig sind,
- das Regelsystem des Kontrapunkts voraussetzen,
- auf Beziehungen zwischen verschiedenen Stücken beruhen („Intertextualität“; motivische Beziehungen innerhalb eines Stücks begründen keine Satzmodelle),
- auf einer ausreichend großen Anzahl solcher Stücke und nicht allzu individuellen Gemeinsamkeiten basieren (andernfalls läge ein Zitat oder eine Entlehnung vor),
- diminuiert (im Sinne von: umspielt) werden können,
- sich nur auf Ausschnitte einer Komposition, nicht auf eine Komposition insgesamt, beziehen lassen („lokale Ausdehnung“).[4]
In der angelsächsischen Musiktheorie ist insbesondere durch Robert Gjerdingen der Begriff Schema verbreitet. Dieser Begriff stammt aus der Psychologie und stellt wahrnehmungspsychologische und erkenntnistheoretische Aspekte musikalischer Modelle generell sowie die von Satzmodellen im Besonderen in den Vordergrund:
“Schema is thus a shorthand for a packet of knowledge, be it an abstracted prototype, a well-learned exemplar, a theory intuited about the nature of things and their meanings, or just the attunement of a cluster of cortical neurons to some regularity in the environment. Knowing relevant schemata allows one to make useful comparisons or, as the saying goes, to avoid ‚comparing apples with oranges‘.”[5]
Um den Großteil der etwa 50 Schemata, die Robert Gjerdingen in seinem Buch Music in the Galant Style beschreibt, gegenüber diesem sehr allgemeinen Modellbegriff genauer einzugrenzen, hat David Temperley für sie die Bezeichnung „scale degree schemata“ eingeführt, da Gjerdingen die meisten von ihnen durch den Ort ihrer Gerüsttöne auf der jeweils zugrunde liegenden Dur- oder Moll-Skala definiert.[6]
Beispiele
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Cadenza doppia
- Fauxbourdon / Sextakkordkette
- Folia
- Fonte
- Horngang
- Karussell
- Lamentobass
- Monte
- Motivo di cadenza
- Oktavregel
- Omnibus
- Parallelismus
- Passamezzo antico
- Ponte
- Quintanstiegssequenz
- Rhythm Changes
- Romanesca
- Voglerscher Tonkreis / Teufelsmühle
Unterscheidungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In welchem Maße Satzmodelle voneinander abgegrenzt und auf welche Weise sie klassifiziert werden sollten, ist abhängig vom jeweiligen Zweck, der mit einer Differenzierung bzw. Klassifizierung verbunden sein soll. So wird es in manchen Situationen ausreichend sein, das folgende Beispiel aufgrund der Grundtonfolge c-f-h-e-... als Quintfallsequenz einzustufen. In anderen Situationen kann es hingegen sinnvoll erscheinen, dieses Sequenzmuster etwa als ‚2-6-Sequenz‘ von der ‚7-7-Sequenz‘ zu unterscheiden, wie dies z. B. Georg Friedrich Händel in seinen Generalbassübungen (implizit) tut:[7]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Hans Aerts: ›Modell‹ und ›Topos‹ in der deutschsprachigen Musiktheorie seit Riemann. In: Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 4/1-2 (2007), S. 143–158, (online).
- Hartmut Fladt: Satztechnische Topoi. In: Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 2/2-3 (2005), S. 189–196, (online).
- Robert Gjerdingen: Music in the Galant Style. Oxford University Press, Oxford 2007, ISBN 978-0-19-531371-0.
- Ludwig Holtmeier, Johannes Menke, Felix Diergarten: Solfeggi, Bassi e Fughe. Georg Friedrich Händels Übungen zur Satzlehre. Wilhelmshaven: Florian Noetzel Verlag 2013, ISBN 978-3-7959-0906-2.
- Markus Jans: Alle gegen Eine. Satzmodelle in Note-gegen-Note-Sätzen des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Basler Jahrbuch für historische Musikpraxis 10, Winterthur: Amadeus Verlag 1986, ISBN 3-905049-41-4, S. 101–120.
- Ulrich Kaiser: Gehörbildung. Satzlehre, Improvisation, Höranalyse. Bärenreiter, Kassel 1998, Bd. 1 (Grundkurs) ISBN 3-7618-1159-4, Bd. 2 (Aufbaukurs) ISBN 3-7618-1160-8.
- Ulrich Kaiser: Was ist ein musikalisches Modell? In: Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 4/3 (2007), S. 275–289, (online).
- Ulrich Kaiser: Vom Satzmodell zum Modell In: Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 13 (2016), S. 135–153, (online).
- Oliver Schwab-Felisch: Umriss eines allgemeinen Begriffs des musikalischen Satzmodells. In: Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 4/3 (2007), S. 291-304, (online).
- Oliver Schwab-Felisch: Art. Satzmodell. In: Lexikon der Systematischen Musikwissenschaft. (= Handbuch der Systematischen Musikwissenschaft 6), Laaber: Laaber-Verlag 2010, ISBN 978-3-89007-566-2, S. 415–419.
- David Temperley: [Rezension von Robert Gjerdingen: Music in the Galant Style]. In: Journal of Music Theory 50, 2006, S. 277–290.
- Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie. Themenheft Satzmodelle 4/1-2 (2007), ISSN 1862-6742 (online).