Schia

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Staaten mit einem islamischen Bevölkerungsanteil von mehr als 5 %
Grün: sunnitische Gebiete; Rot: schiitische Gebiete; Blau: Ibaditen (Oman)

Die Schia (arabisch الشيعة asch-schīʿa, DMG aš-šīʿa ‚Anhängerschaft, Partei, Gruppe von Gefolgsleuten‘), im Deutschen auch Schiitentum oder Schiismus genannt, ist nach dem Sunnitentum die zweitgrößte religiöse Strömung innerhalb des Islams. Heute wird der Begriff häufig in verallgemeinernder Weise für die Zwölfer-Schia verwendet, die die zahlenmäßig größte Gruppe innerhalb der Schia darstellt. Allerdings umfasst die Schia noch mehrere andere Gruppierungen wie die Ismailiten, die Zaiditen, die Aleviten und die Alawiten.

Der Begriff Schia steht verkürzt für den arabischen Ausdruck Schīʿat ʿAlī (šīʿat ʿAlī, „Partei ʿAlīs“), womit die Anhängerschaft des vierten Kalifen ʿAlī ibn Abī Tālib (reg. 656–661) und seiner Nachkommen gemeint ist. Dieser Begriff kam während des ersten innermuslimischen Krieges auf, der zeitgleich mit ʿAlīs Kalifat stattfand, und unterschied ʿAlīs Anhänger von der Schīʿat ʿUthmān, den Anhängern des ermordeten dritten Kalifen ʿUthmān ibn ʿAffān, die sich gegen ʿAlī stellten.[1] Die gläubigen Schiiten, also diejenigen Muslime, die dieser Gruppe zugehören, betrachten ʿAlī ibn Abī Tālib, der auch Schwiegersohn und Vetter des Propheten Mohammed war, als dessen rechtmäßigen Nachfolger und verehren ihn als ihren ersten Imam. Nach dem schiitischen Glauben kann das Imamat auch nur von einem Aliden, also einem Nachfahren ʿAlīs, übernommen werden, da allein diese göttlich legitimiert sind. In den Jahrhunderten nach dem Tod des Propheten Mohammed haben sich innerhalb der Schia verschiedene Strömungen herausgebildet, die sich vor allem hinsichtlich ihrer Imamatslehre unterscheiden. Außerdem haben sich verschiedene schiitische Rechtsschulen herausgebildet.

Nach einer neueren Schätzung stellen die Schiiten ca. 13,8 % der Muslime weltweit. 80 Prozent davon sind Zwölfer-Schiiten, die restlichen 20 Prozent verteilen sich auf die anderen schiitischen Denominationen.[2] Die Staaten, in denen die Schiiten die Mehrheit stellen oder eine einflussreiche Minderheit sind, werden manchmal unter dem Begriff schiitischer Halbmond zusammengefasst.

Zulfikar, das Schwert des ʿAlī ibn Abī Tālib, gilt als Identifikationssymbol vieler Schiiten

Heutige Strömungen der Schia

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Zwölfer-Schiiten

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Der größten schiitischen Strömung gehören die Zwölferschiiten an, die einer Reihe von zwölf Imamen folgen. Sie leben hauptsächlich in Iran, Aserbaidschan, im Irak, in Bahrain, im Libanon, in Kuwait, Pakistan, Afghanistan, Syrien, Indien sowie in der östlichen Provinz Saudi-Arabiens. Wenn man die absolute Zahl betrachtet, leben in Iran und im Irak die meisten Zwölferschiiten. Dort stellen sie auch einen Großteil der politischen Führungsschicht. In den anderen großen Ländern spielen Schiiten eine eher untergeordnete Rolle im politischen Leben, da sie in der Minderheit sind (so in Pakistan, Indien, Saudi-Arabien, Afghanistan). In Saudi-Arabien ist die Religionsausübung der Zwölferschiiten teilweise eingeschränkt, doch besteht seit 1993 ein Abkommen zwischen der saudischen Führung und der schiitischen Gemeinschaft, und Schiiten sind auch im Konsultativrat vertreten.[3] Im Libanon stellen die Zwölferschiiten etwa 30 % der Bevölkerung. Die Zwölferschiiten werden auch als Imamiten bezeichnet, allerdings ist dieser Begriff unpräzise, weil er nach der klassischen islamischen Doxographie noch andere historische schiitische Gruppierungen umfasst.

Die zweite Gruppe sind die Ismailiten, die einer anderen Imamreihe folgen, die über Ismāʿīl ibn Dschaʿfar führt. Sie leben heute vor allem in Pakistan, Indien, Syrien, Afghanistan und im Pamir-Hochland in Tadschikistan. Die heutigen Ismailiten sind in mehrere Gruppen aufgespalten, von denen die Nizariten und die Mustaʿlī-Taiyibiten die wichtigsten sind. Während die meisten Nizariten den Agha Chan als ihren Imam betrachten, werden die Mustaʿlī-Taiyibiten von einem Ober-Dāʿī angeführt. Die ismailitische Lehre ist sehr stark vom gnostischen und neuplatonischen Denken beeinflusst. In der Vergangenheit sind mehrere revolutionär-ismailitische Gruppen aufgetreten, wie zum Beispiel die Assassinen in der Levante oder die Fatimiden, wobei Letztere mehr als 200 Jahre in Ägypten herrschten. Die Drusen, deren Hauptsiedlungsgebiete in Syrien, Libanon und Israel liegen, gingen aus der ismailitischen Schia hervor.

Die dritte (und kleinste) schiitische Gruppe sind die Zaiditen, bei denen die Anzahl der Imame nicht begrenzt ist. Sie leben heute überwiegend im nördlichen Jemen. Die Zaiditen sind aufgrund ihrer religiös-politischen Ausrichtung auf ʿAlī ibn Abī Tālib der Schia zuzuordnen, unterscheiden sich jedoch in ihrer Imamatslehre von den Zwölferschiiten und haben eine eigene Rechtsschule. Da sie das Kalifat der ersten drei Kalifen Abū Bakr, ʿUmar ibn al-Chattāb und ʿUthmān ibn ʿAffān anerkennen, stehen sie den Sunniten näher als die anderen Schiiten.

Aleviten werden ihrem Ursprung nach den Schiiten zugeordnet, da auch bei ihnen die Verehrung der 12 Imame und insbesondere von ʿAlī (Aleviten < arab. ʿalawī) im religiösen Leben bekannt ist. Die Kerngebiete der Aleviten liegen in der Türkei und in den ehemals osmanisch beherrschten Balkangebieten. Der Anteil der Aleviten unter den Muslimen in der Türkei beträgt etwa 15 bis 20 Prozent. Da dort bei Volkszählungen innerhalb der Religionszugehörigkeit „Islam“ jedoch keine konfessionelle Differenzierung stattfindet, handelt es sich dabei lediglich um unsichere Schätzungen.[4] Heute sind Aleviten durch Emigration von Türken auch in Europa und Nordamerika verbreitet. In Deutschland liegt ihr Anteil unter den türkischstämmigen Muslimen bei rund 17 %.[5] Gemessen an der Gesamtzahl der in Deutschland lebenden Muslime sind dies etwa 13 %.[6] Aleviten verehren den islamischen Heiligen Hadschi Bektasch Wali, von dem eine Anthologie und zahlreiche Anekdoten überliefert sind. Um ihn herum gründete sich der Derwisch-Orden der Bektaschi-Tariqa.

Alawiten oder Nusairier

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Die Alawiten, die auch Nusairier genannt werden, sind nicht zu verwechseln mit der größeren Gruppe der Aleviten. Die Alawiten leben vor allem in Syrien, daneben auch im Libanon, in Jordanien, in Israel sowie in Adana, Mersin, Tarsus und der Provinz Hatay in der Türkei. Die Gruppierung entstand im späten 9. Jahrhundert im Irak und geht auf den extremen Schiiten Muhammad ibn Nusair zurück, der sich im Umfeld der Imame ʿAlī al-Hādī und Hasan al-ʿAskarī aufhielt und deren Göttlichkeit verkündete. Während der Herrschaft von Salah Dschadid (1966–70) und der al-Asad-Familie (1971–2024) bildeten die Alawiten die politische und militärische Führungsschicht in Syrien.

Ursprünge und frühe Entwicklung der Schia

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Nach der Auffassung schiitischer Autoritäten wie al-Qummī, der vor 905 ein wichtiges doxographisches Werk verfasste, begann die Geschichte der Schia schon zu Lebzeiten des Propheten. In dieser Zeit soll sich unter seinen Gefährten eine „Partei“ (šīʿa) herausgebildet haben, die ʿAlī zuneigte und ihm treu ergeben war. Zu dieser „Partei ʿAlīs“ (šīʿat ʿAlī) gehörten nach al-Qummī die Prophetengefährten Miqdād ibn al-Aswad al-Kindī, Salmān al-Fārisī, Abū Dharr al-Ghifārī und ʿAmmār ibn Yāsir.[7]

Der arabische Begriff šīʿa kommt auch schon im Koran vor, allerdings ohne Bezug zu ʿAlī ibn Abī Tālib. So wird in Sure 15:10 mitgeteilt, dass Gott schon vor Mohammed zu den „Gruppen der Früheren“ (šiyaʿ al-auwalīn) Gesandte schickte. Und in Sure 37:83 heißt es, dass Abraham zur Gruppe (šīʿa) Noahs gehörte.

Der Nachfolgestreit

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Eigentlicher Ausgangspunkt für die Geschichte der Schia war der Nachfolgestreit nach dem Tode des Propheten Mohammed im Jahr 632 n. Chr., also die Auseinandersetzung über die Frage, wer nach Mohammeds Tod dessen legitimer Nachfolger sein sollte. In einer Überraschungsaktion, bei der ʿUmar ibn al-Chattāb eine führende Rolle zukam, wurde kurz nach Mohammeds Hinscheiden Abū Bakr, sein Schwiegervater, zum Nachfolger Mohammeds ausgerufen, während ʿAlī und seine Familie noch mit der Bestattung des Propheten beschäftigt waren. Mehrere Prophetengefährten waren allerdings mit der Proklamation Abū Bakrs zum neuen Oberhaupt nicht einverstanden und bekundeten in dieser Situation, dass sie ʿAlī ibn Abī Tālib favorisierten, weil dieser zuvor bereits vom Propheten zum Nachfolger ernannt worden sei. ʿUmar sorgte in dieser Situation jedoch dafür, dass fast alle Bewohner Medinas Abū Bakr den Treueeid leisteten.[8]

Zu einer Konfrontation zwischen Abū Bakr, ʿUmar und der Prophetenfamilie führte wenig später der Streit um das von Juden bewirtschaftete Landgut des Propheten in Fadak im nördlichen Hedschas. Als dessen Tochter Fātima, Alīs Frau, Ansprüche auf dieses Landgut erhob, hielten die beiden ihr entgegen, dass der Prophet sein gesamtes Eigentum als Sadaqa der Gemeinschaft der Muslime vermacht habe. Da Fātima keinen ausreichenden Beweis dafür vorbringen konnte, dass der Prophet ihr das Landgut schon zu Lebzeiten geschenkt hatte, zog Abū Bakr es ein. Fātima brach daraufhin den Kontakt zu Abū Bakr vollständig ab. Sie verblieb in diesem Zustand zu Abū Bakr und starb sechs Monate später. Nach sunnitischer Auffassung leistete ʿAlī nach ihrem Tod dem Kalifen den Treueeid. Damit war die Nachfolgefrage vorläufig geklärt.[9]

Politische Polarisierung unter ʿUthmān ibn ʿAffān

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Während des Kalifats von ʿUthmān ibn ʿAffān (644–656) kam es innerhalb des islamischen Reiches zu einer gesellschaftlichen Polarisierung. Gründe hierfür waren Nepotismus und die Selbstbereicherung der umayyadischen Verwandtschaft des Kalifen. Gegen die neu eingetretenen Umstände, Haltungen und Denkweisen in den aristokratischen Führungskreisen des Reiches bildete sich eine religiös-politische Oppositionsbewegung, die von verschiedenen Kreisen getragen wurde. Eine wichtige Rolle in dieser Oppositionsbewegung spielte Abū Dharr al-Ghifārī, der bei seiner Auseinandersetzung mit ʿUthmān von ʿAlī unterstützt wurde. Außerdem entstand in Kufa eine Volksbewegung zugunsten ʿAlīs. Ihre Sprecher forderten die Absetzung ʿUthmāns und riefen zur Loyalität gegenüber ʿAlī auf. Einer von ihnen, Mālik al-Aschtar, führte einen Aufstand an, der zum Sturz von ʿUthmāns Statthalter Saʿīd b al-ʿĀs und der Einsetzung von Abū Mūsā al-Aschʿarī an seiner Stelle führte.[10]

Die Orte, von denen aus 656 die Unzufriedenen nach Medina zogen.

Verschiedene Quellen berichten davon, dass in dieser Zeit ʿAbdallāh ibn Saba' zum Sturz des Kalifen aufrief, mit dem Argument, dass allein ʿAlī die Führung der islamischen Gemeinschaft zustehe.[11] Diejenigen, die in dieser Weise Partei für ʿAlī nahmen, wurden als „Partei ʿAlīs“ (šīʿat ʿAlī) bezeichnet, diejenigen, die zu ʿUthmān hielten, ʿUthmāniten (ʿUṯmānīya) genannt.[12] Nach dem Bericht des Saif ibn ʿUmar geschah es auch auf Initiative von ʿAbdallāh ibn Saba', dass arabische Beschwerdeführer nach Medina zogen und ʿUthmāns Absetzung forderten. Nach einer Erzählung, die von Hischām ibn al-Hakam auf eine Reihe von Gelehrten unter ʿAlīs Gefährten zurückgeführt wird, war ʿAbdallāh ibn Saba' ein zum Islam konvertierter Jude. Er sei der erste gewesen, der den Glauben an die religiöse Notwendigkeit der Anerkennung des Imamats von ʿAlī verbreitete, seine Feinde öffentlich anprangerte, seine Gegner bloßstellte und sie zu Ungläubigen erklärte. Er soll dabei ʿAlī mit Josua, dem Sohn Nuns verglichen haben. Das war nach Hischām ibn al-Hakam der Grund dafür, dass die Gegner der Schiiten behaupteten, dass der Ursprung des Schiitentums im Judentum liege.[13] Tatsächlich gibt es von dem kufischen Gelehrten asch-Schaʿbī (gest. 721–29) einen sehr bekannten Ausspruch, in dem dieser auf ʿAbdallāh ibn Saba' Bezug nimmt und anschließend die Schiiten als „Juden dieser Umma“ verflucht.[14] Zeitgleich mit den ägyptischen Beschwerdeführern zogen auch Gruppen aus Basra und Kufa nach Medina. Die kufische Gruppe wurde dabei von Mālik al-Aschtar angeführt, allerdings sich nicht beteiligten sie sich nicht an der Belagerung des Kalifenhauses.[15]

ʿAlīs Kalifat und die Schia

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Nach der Ermordung ʿUthmāns 656 wurde ʿAlī in der Moschee von Medina zum vierten Kalifen proklamiert, doch wurde sein Kalifat nicht allgemein anerkannt. Weder die Witwe des Propheten ʿĀ'ischa bint Abī Bakr noch Muʿāwiya ibn Abī Sufyān, früherer Sekretär des Propheten und jetzt Statthalter von Syrien, waren bereit, sich seiner Herrschaft zu unterwerfen. Diejenigen, die ʿAlī bei den Kämpfen mit diesen Gegnern unterstützten, werden in den arabischen Quellen als „die Schia“ bezeichnet.[16] Sowohl bei der Machtsicherung ʿAlīs gegen den rivalisierenden Herrschaftsanspruch von Talha ibn ʿUbaidallāh als auch später bei der Mobilisierung der Unterstützung ʿAlis gegen ʿĀʾischa, Talha und az-Zubair ibn al-ʿAuwām in der Kamelschlacht spielte Mālik al-Aschtar eine führende Rolle.[15]

Darstellung der Designation ʿAlīs am Ghadīr Chumm in einer ilchanidischen Handschrift

Nach der Schlacht von Siffin erwuchsen ʿAlī mit den Charidschiten neue Feinde. In der Auseinandersetzung mit ihnen berief sich ʿAlī zum ersten Mal darauf, dass ihn Mohammed vor seinem Tod auf der Rückkehr von seiner letzten Wallfahrt in der Oase Ghadīr Chumm als Nachfolger designiert habe. Die Worte, die Mohammed zu ihm gesprochen haben soll, lauten: „Jeder, dessen Herr ich bin, der hat auch ʿAlī zum Herrn“ (man kuntu maulā-hu fa-ʿAlī maulā-hu).[17] ʿAlī lud diejenigen Gefährten, die diese Aussage des Propheten in Ghadīr Chumm gehört hatten, ein, dies auf dem Platz vor der Moschee von Kufa zu bezeugen. Bis heute wird diese Aussage von den Schiiten als implizite Ernennung ʿAlīs zum Nachfolger bei der Führung der Gemeinschaft der Muslime verstanden. Die Anhänger und Beamten ʿAlīs feierten ihn während seines Kalifats als den herausragendste Muslim nach dem Propheten und priesen ihn in Gedichten und Lobreden als den Vermächtnisnehmer (waṣī) Mohammeds.[15] Allerdings doch konnte dies nicht verhindern, dass Muʿāwiya immer mächtiger wurde und sich im Mai 658 in Jerusalem von seinen Truppen als Kalif huldigen ließ.

Der Übergang von einer politischen zu einer religiösen Bewegung

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Als ʿAlī im Frühjahr 661 von einem Charidschiten ermordet wurde, soll ʿAbdallāh ibn Saba' behauptet haben, er sei nicht wirklich gestorben, sondern zum Himmel aufgefahren wie Jesus.[18] Auf ihn wird auch eine eigene extrem-schiitische Sekte zurückgeführt, die Saba'īya genannt wird. In einer murdschi'itischen Quelle aus dem frühen 8. Jahrhundert wird berichtet, dass die Anhänger dieser Sekte behaupteten, der Prophet habe ihnen ein verborgenes Wissen mitgeteilt, das er den übrigen Muslimen vorenthalten habe. Neun Zehntel der Offenbarung seien davon betroffen.[19]

Nach der Ermordung ʿAlīs wählten seine Anhänger zwar seinen Sohn al-Hasan zum Kalifen, doch verzichtete dieser, als Muʿāwiya mit seinen Truppen aus Syrien heranzog, auf eine Konfrontation mit ihm, dankte gegen eine großzügige Abfindung ab und zog sich nach Medina zurück. Damit ging die Führung des arabisch-islamischen Reiches auf Muʿāwiya über, der wie der dritte Kalif ʿUthmān der Familie der Umayyaden angehörte. Die Führung der „Partei ʿAlīs“ (šīʿat ʿAlī) übernahm Hudschr ibn ʿAdī, ein früherer Kommandeur ʿAlīs. Ziyād ibn Abīhi lieferte ihn nach einem Aufstand mit seinen engsten Gefährten an Muʿāwiya in Syrien aus. Da sie nicht bereit waren, sich von ʿAlī loszusagen und ihn zu verfluchen, wurden sie von Muʿāwiya hingerichtet. Mit Hudschrs Märtyrertod vollzieht sich der Übergang der „Partei ʿAlīs“ von einer politischen zu einer religiösen Bewegung. Hudschrs Interesse an der Frage, wer Kalif sein solle, hatte nichts mit politischen oder ökonomischen Erwägungen zu tun. Vielmehr glaubte er an besondere von Gott der Familie des Propheten übertragene Qualitäten und war auch bereit, dafür zu sterben.[20]

Schlacht bei Kerbela

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Als Muʿāwiya später (680) starb, nachdem er seinen Sohn Yazīd als Erben eingesetzt hatte, stieß dieser Schritt auf Ablehnung unter vielen Muslimen. Dagegen erhob sich ʿAlīs und Fātimas zweiter Sohn, der dritte Imam al-Husain. Im Jahr 680 führte Ḥusain seine Familie und seine Anhänger gegen die Armee des Kalifen Yazīd an, nachdem er von den Schiiten zu Kufa per Brief zu einem solchen Aufstand gebeten worden war. Husain wurde, nachdem ihn die Schiiten aus Kufa im Stich gelassen hatten, bei Kerbela in der irakischen Wüste von der Armee des umayyadischen Gouverneurs im Irak gestellt und am 10. Muharram 61/680 mit 72 Verbliebenen, darunter Frauen und Kinder, ermordet. Husains Kopf wurde aufgespießt und als Warnung an andere Rebellen nach Damaskus gebracht. Schon kurz nach dem Ereignis bildete sich unter den Notabeln der arabischen Stämme von Kufa ein Kreis von Leuten, die ihre Mitschuld am Untergang al-Husains durch tätige Reue mit dem Schwert in der Hand sühnen wollten; sie sind als tawwābūn („Büßer“) bekannt geworden.[21]

Der Verrat an Husain durch die kufischen Schiiten gilt den Schiiten bis heute als kollektive, historische Schuld. Yazīd als Symbol für das Böse und der Märtyrertod des Prophetenenkels al-Husain wurden zu einem wichtigen Teil der schiitischen Gefühlswelt. Die Zwölferschiiten gedenken der Schlacht von Kerbela am Aschura-Tag.

Schiitischer Aufstand des Muchtār und die Kaisānīya

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Karte des Vorderen Orients während während der Zweiten Fitna (ca. 686). Das Gebiet, das unter der Herrschaft von al-Muchtār stand, ist grün gekennzeichnet.

Nach dem Tod al-Husains kam es zu einer erneuten Aufspaltung der Muslime. In Mekka errichtete ʿAbdallāh ibn az-Zubair ein eigenes Kalifat. Als er Abgesandte nach Kufa schickte, um die Stadt in Besitz zu nehmen, leisteten die dortigen Schiiten Widerstand. Ihre Hoffnungen richteten sich seit 683 auf einen dritten Sohn ʿAlīs, Muhammad ibn al-Hanafīya. Seine Mutter war nicht die Prophetentochter Fātima, sondern eine andere Frau ʿAlīs aus dem Stamm der Hanīfa. Dieser Muhammad ibn al-Hanafīya lebte in Medina und hatte an dem, was in Kufa in seinem Namen geschah, keinerlei Anteil. Als sein selbsternannter Sachwalter trat im Irak al-Muchtār ibn Abī ʿUbaid auf. Er bezeichnete Muhammad ibn al-Hanafīya als den „Rechtgeleiteten“ (Mahdi) und erhob sich in dessen Namen im Oktober 685 gegen den von Ibn az-Zubair entsandten Statthalter Kufas. Obwohl al-Muchtār die Stadt in seine Gewalt bringen konnte, weigerte sich Muhammad ibn al-Hanafīya, nach Kufa zu kommen und das Erbe seines Vaters ʿAlī anzutreten. Über ein Jahr konnte sich al-Muchtār gegen die gegnerischen Kräfte behaupten, im April 687 beendeten jedoch ʿAbdallāh ibn az-Zubairs Truppen seine Herrschaft über Kufa. Nach dem Tod von Muhammad ibn al-Hanafīya verbreitete ein Klient al-Muchtārs mit dem Namen Kaisān, dass Muhammad ibn al-Hanafīya nicht gestorben sei, sondern sich versteckt in den Schluchten des Radwā-Berges aufhalte, dort von Tigern und Löwen bewacht werde und in naher Zukunft aus seinem Versteck hervortreten werde. Auf diesen Kaisān wird die schiitische Sekte der Kaisaniten zurückgeführt, die allerdings nicht lange bestanden hat.[22]

Die Schiiten im spätumayyadischen Staat

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Ab 723 wirkte Bukair ibn Māhān als Oberhaupt der kufischen Schiiten. Er beteiligte sich an der Daʿwa-Bewegung, die für die Ablösung der Umayyaden durch den Clan der Haschimiten kämpfte, dem auch die Aliden angehörten. Eine andere Gruppe von Schiiten scharte sich um die beiden in Medina lebenden Husainiden Muhammad al-Bāqir (gest. 735) und Dschaʿfar as-Sādiq (gest. 765). Sie enthielten sich jeglicher politischer Betätigung und konzentrierten sich auf die Vermittlung religiöser Lehren. Unter den kufischen Anhängern der Aliden gab es einige Persönlichkeiten, die das Imamat mystisch überhöhten und gnostische Vorstellungen vertraten. Zu ihnen gehörte zum Beispiel al-Mughīra ibn Saʿīd, der für sich sogar das Prophetentum in Anspruch nahm. Er behauptete auch, den „größten Gottesnamen“ (ism Allāh al-aʿẓam) zu kennen und damit Tote zum Leben erwecken zu können. 737 wurde er in Kufa von Hischāms irakischem Statthalter Chālid al-Qasrī auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Sein extremes Schiitentum zeigte sich darin, dass er die beiden Kalifen Abū Bakr und ʿUmar zu Ungläubigen erklärte, weil sie ʿAlī nach dem Tode des Propheten davon abgehalten hatten, sein Kalifat anzutreten.[23]

Eine weitere schiitische Gruppe dieser Zeit war die Butriyya, die auf einen gewissen Kathīr an-Nawwāʾ mit dem Beinamen al-Abtar zurückgeführt wird (gest. 754). Die Butriten vertraten hinsichtlich der islamischen Frühgeschichte sehr gemäßigte Ansichten: ʿAlī hielten sie zwar nach dem Propheten für den besten (al-afḍal) aller Muslime, doch erkannten sie das Kalifat Abū Bakrs und ʿUmars als rechtmäßig an, da ʿAlī ihnen gehuldigt hatte.[24] Ähnliche Ansichten vertrat der in Medina lebende Husainide Zaid ibn ʿAlī. Als er sich im Jahre 739 nach Kufa begab und die Schiiten zur Rebellion gegen die Umayyaden aufrief, kam es dort innerhalb der schiitischen Gemeinde zum Konflikt. Zaid konnte zwar zunächst mehrere Tausend Schiiten hinter sich versammeln, doch fielen die meisten von ihm wieder ab, als sie sahen, dass er nicht bereit war, die beiden ersten Kalifen zu schmähen. Zaids Aufstand gegen den Kalifen Hischām im Jahre 740 wurde zwar von einer anderen schiitischen Gruppe, den sogenannten Dschārūditen, unterstützt, doch reichte diese Unterstützung nicht aus, um ihm zum Sieg zu verhelfen. Zaid fiel in Kufa im Straßenkampf gegen die Truppen des Statthalters. Zaids Aufstand gab Anstoß zur Entstehung einer ausgesprochen militanten Form des Schiismus, die als zaiditisch bezeichnet wird und in scharfem Kontrast zu dem politisch passiven Schiismus der Aliden Muhammad al-Bāqir und Dschaʿfar as-Sādiq stand.[25]

Aufspaltung der Schia in Zaiditen, Imamiten und Ghulāt

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Die sich in der späten Umayyadenzeit abzeichnende Aufgliederung der Schiiten in verschiedene Untergruppen verfestigte sich in der frühen Abbasidenzeit. Insgesamt bildeten sich drei Blöcke, denen wiederum verschiedene Untergruppen angehörten:

  • Die Butriten und die Dscharuditen verschmolzen zur Zaidiyya, die als politische Gruppierung für die Vorherrschaft der Aliden kämpfte und in der zweiten Hälfte eigene Imamat-Staaten in Iran und im Jemen errichtete. Hierbei meinten die Zaiditen, dass sowohl al-Hasans als auch al-Husains Nachkommen für das Imamat qualifiziert seien, jedoch nur derjenige von ihnen Unterstützung verdiene, der die für das Imamat erforderlichen charakterlichen Eigenschaften und Kenntnisse besitze und sich mit dem Schwert durchsetze.[26] Innerhalb der Zaidīya setzte sich die butritische Auffassung durch, wonach das Imamat der beiden ersten Kalifen Abū Bakr und Umar ibn al-Chattab rechtmäßig war.
  • Eine andere Gruppe von Schiiten beschränkte das Imamat auf die husainidischen Aliden, verhielt sich auf politischer Ebene quietistisch, erkannte jedoch die drei ersten Kalifen Abū Bakr, ʿUmar und ʿUthmān ibn ʿAffān nicht an. Da diese Gruppe der Auffassung war, dass die Welt keinen Augenblick lang ohne einen Imam sein kann, der „entweder bekannt, oder verborgen“ (immā mašhūr wa-immā mastūr) ist, wurden sie Imamiten genannt.[27] Eine andere eher pejorative Bezeichnung für diese Gruppe ist Rāfiditen. Aus der Traditionslinie der Imamiten ist später die Zwölfer-Schia hervorgegangen.
  • Eine dritte Gruppe schließlich folgte ebenfalls der husainidischen Imam-Linie, sprach diesen Imamen jedoch göttliche Eigenschaften zu. Die Schiiten dieser Gruppe werden in der islamischen Doxographie als Ghulāt („Übertreiber“) bezeichnet. Hierzu gehörten zum Beispiel al-Mughīra ibn Saʿīd und Abū Mansūr al-ʿIdschlī, die beide in der spätumaiyadischen Zeit hingerichtet wurden, sowie der kufische Stoffhändler Abū l-Chattāb, der Dschaʿfar as-Sādiq als eine Inkarnation Gottes verehrte. Sie alle gründeten eigene Ghulāt-Sekten. Aus dieser Traditionslinie sind später die Nusairier hervorgegangen. Mit den Ghulāt waren die Mufauwida verwandt. Damit sind solche Schiiten gemeint, die den Propheten und die Imame als Personen mit übernatürlichen, halbgöttlichen oder vollkommen göttlichen Eigenschaften betrachteten. Sie wurden deshalb Mufauwida genannt, weil sie meinten, dass dem Propheten und den Imamen diese Eigenschaften durch göttliche Fügung (tafwīḍ) verliehen wurden.[28]

Um die Wende zum 10. Jahrhundert verfasste der imamitische Gelehrte al-Hasan ibn Mūsā an-Naubachtī eine Abhandlung über die verschiedenen Sekten der Schia. Für die weitere Entwicklung der Schia siehe die einzelnen Artikel zu Imamiten, Zwölfer-Schia, Ismailiten, Zaiditen, Alawiten und Aleviten.

Grafische Darstellung der Herausbildung der verschiedenen schiitischen Gruppen

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7. Jh.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Schia
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
8. Jh.
 
Butrīya
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Anhänger der
Husainiden
 
 
 
 
 
 
 
 
Kaisānīya
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
9. Jh.
 
Zaiditen
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Ismailiten
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Imamiten /
Rāfiditen
 
 
 
 
 
Nusairīya
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
10. Jh.
 
 
 
 
 
 
Qarmaten
 
 
 
 
 
 
 
 
 
fatimidische
Ismailiten
 
 
 
 
 
Zwölfer-
Schia
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
11. Jh.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Drusen
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
12. Jh.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Nizāriten
 
Taiyibiten
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
15. Jh.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Kizilbasch
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
17. Jh.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Usūlīya
 
Achbārīya
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Heute
 
Zaiditen
 
 
 
 
 
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Alawiten

Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Lehre

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Der Glaube an das Imamat ist allen Schiiten gemeinsam. Unterscheidungsmerkmale der drei bzw. vier Gruppen sind in erster Linie die Anzahl der „anerkannten“ Imame und die Position, die diese im Heilsdenken einnehmen. So werden bei den Ghulāt und den Alawiten die Imame als göttliche Inkarnationen betrachtet. Alle anderen Schiiten betrachten die Imame als menschliche Wesen. Für die Imamiten sind die Imame allerdings unfehlbar, womit sie in dieser Hinsicht den Propheten gleichgestellt sind. Die Hüterschaft des Imamats verspricht dem Gläubigen das Heil, denn ohne einen Imam, der das göttliche Licht vermittelt, könne die Schöpfung nicht existieren. Nur ein solcher Vermittler, der durch prophetisches Wort oder das Wort seines Vorgängers göttlich designiert sei, kann nach den Imamiten die Nachfolge des Propheten und der Imame vor ihm und die Führerschaft der Muslime übernehmen. Dagegen ist nach der zaiditischen Lehre jeder Nachkomme von ʿAlī ibn Abī Tālib und Fātima bint Muhammad für das Imamat qualifiziert, allerdings muss er seinen Herrschaftsanspruch mit der Waffe in der Hand durchsetzen. Während die Zwölfer-Schiiten lehren, dass sich der zwölfte Imam in der Verborgenheit befindet, verehren die nizaritischen Ismailiten einen „anwesenden Imam“ (imām ḥāḍir), der unter ihnen weilt.

Die Familie des Propheten

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Die Reinheit der Familie des Propheten, der Ahl al-bait (Koran 33:33), gibt dem Gläubigen emotionale Vorbilder, zu denen er aufschauen kann. Nur sie seien wirklich rein. Als Archetyp dieses emotionalen Begriffes kann man Fātima sehen, die das familiäre Element am konkretesten repräsentiert/verkörpert. Eine wichtige Grundlage für die schiitische Verehrung der Prophetenfamilie ist der „Hadith von den beiden Lasten“ (ḥadīṯ aṯ-ṯaqalain). Demnach hat der Prophet vor seinem Tod gesagt: „Ich hinterlasse euch etwas, durch das ihr nie in die Irre gehen werdet, wenn ihr euch daran haltet: das Buch Gottes und meine nächsten Nachkommen, die Angehörigen meines Hauses (ahl baitī).“[29]

Die Israeliten als Präfiguration der Schia

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Eine sehr wichtige Rolle spielen in der schiitischen Tradition auch die koranischen Erzählungen über die Israeliten (Banū Isrāʾīl, wörtlich „Kinder Israels“), da sie als Präfiguration der Schia verstanden werden. Die Schiiten setzten zum Beispiel in Sure 40:25 Pharao, der die Söhne der Israeliten tötete, mit den Umaiyaden gleich, die al-Husain und seine Anhänger bei Kerbela massakrierten. Schiitische Koranexegeten erklären, dass die im Koran (z. B. Sure 2:47) als auserwähltes Volk beschriebenen Israeliten eigentlich für die Schiiten stehen. Dies basiert auf der Vorstellung, dass Isrā'īl einer von Mohammeds Namen ist, und somit die die „Kinder Israels“ Mohammeds Nachkommen, d. h. die Imame, sind. Die Zwölfer-Schiiten gingen sogar noch weiter, indem sie die Zwölf Stämme Israels mit ihren Obmännern (siehe Sure 5:12) als Präfigurationen der zwölf Imame interpretierten.[30]

Auch ʿAlī ibn Abī Tālib wird zum Gegenstand dieser Art von typologischer Koranauslegung. So soll schon ʿAbdallāh ibn Saba' die Lehre vertreten haben, dass er sich so zu Mohammed verhält wie Josua, der Sohn Nuns, zu Mose.[31] Später diente den Schiiten jedoch Aaron und nicht Josua als Präfiguration von ʿAlī in seinem Verhältnis zu Mohammed.[32] Andere schiitische Traditionen verbanden ʿAlī mit dem biblischen Propheten Elija und maßen ihm deswegen eine apokalyptische Rolle zu.[33]

Ein auf die Imamiten einschließlich der Zwölfer-Schiiten beschränktes Rechtsinstitut ist die Mutʿa-Ehe. Ebenfalls allein auf die Imamiten beschränkt ist das Prinzip der Taqīya, die Verheimlichung des eigenen Glaubens bei Gefahr. Die Zaiditen lehnen dieses Prinzip dagegen ab.

Allen Schiiten gemeinsam ist jedoch der Zusatz zum Gebetsruf: „Auf zum besten Tun!“ (ḥaiya ʿalā ḫair al-ʿamal). Die Schiiten werfen dem zweiten Kalifen Umar ibn al-Chattab vor, diese ursprüngliche Formel willkürlich abgeschafft zu haben.[34]

Schiitische Dynastien und Staaten in der Geschichte

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Schiiten in Deutschland

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Von den rund vier Millionen in Deutschland lebenden Muslimen gehören etwa 7[35] bis 9 % der Schia an.[36] Die meisten Schiiten stammen aus Iran, dem Libanon und dem Irak und sind daher aus Gründen der Flucht oder des Studiums nach Deutschland eingewandert. Unter den Muslimen in Deutschland haben die Schiiten mit Abstand das höchste Bildungsniveau (56 % mit hoher Bildung, 36,7 % der Sunniten mit hoher Bildung).[37] Der offizielle schiitische Dachverband ist die Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands (IGS), die sich als Vertreter von ca. 150 schiitischen Moscheen, Gemeinden und Gruppen versteht. Das wohl bekannteste Mitglied der IGS war das im Juli 2024 verbotene Islamische Zentrum Hamburg, das zu den ältesten islamischen Institutionen in Europa gehörte. Bei der jährlichen Veranstaltung zum höchsten schiitischen Fest Ghadīr Chumm, bei der die Schiiten die Ernennung Alis durch den Propheten Mohammed zu seinem Nachfolger feiern, empfing die IGS über 1000 deutsche Schiiten.[38] Dieses bereits zum zweiten Mal in Mainz veranstaltete Fest gehört zu den größten schiitischen Veranstaltungen in Deutschland.[39][40]

  • Sean W Anthony: The Caliph and the Heretic: Ibn Sabaʾ and the Origins of Shīʿism. Brill, Leiden [u. a.] 2012.
  • Rainer Brunner: Die Schia und die Koranfälschung. Würzburg 2001.
  • Wilfried Buchta: Schiiten. Kreuzlingen/München 2004.
  • Wilfried Buchta: Die iranische Schia und die islamische Einheit 1979–1996. Dt. Orient-Institut, 1997.
  • Najam Iftikhar Haider: The origins of the Shīʿa: identity, ritual, and sacred space in eighth-century Kūfa. Cambridge 2011.
  • Heinz Halm: Die islamische Gnosis. Die extreme Schia und die Alawiten. Zürich/München 1982.
  • Heinz Halm: Die Schia. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1988, ISBN 3-534-03136-9.
  • Heinz Halm: Der schiitische Islam. München 1994.
  • Heinz Halm: Die Schiiten. München 2005.
  • S. Husain M. Jafri: Origins and early development of Shiʿa Islam. Longman, London, 1979.
  • Etan Kohlberg, “Some Shīʿī Views of the Antediluvian World,” in Studia Islamica 52 (1980) 41–66.
  • Harald Löschner: Die dogmatischen Grundlagen des si'itischen Rechts. Eine Untersuchung zur modernen imamitischen Rechtsquellenlehre. Köln (u. a.) 1971.
  • Wilferd Madelung: “Shīʿa” in The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden 1996. Bd. IX, S. 420–424.
  • Wilferd Madelung: The succession to Muḥammad. A study of the early caliphate. Cambridge University Press, Cambridge, 1997.
  • Ahmad Naderi: Shia geopolitics and political Islam in the Middle East. WeltTrends, Potsdam 2015.
  • Seyyed Vali Reza Nasr: The Shia Revival. How Conflicts Within Islam Will Shape the Future. Norton & Company, 2006.
  • Stephan Rosiny: The Tragedy of Fāṭima Al-Zahrā in the debate of two shiite theologians in Lebanon. In: The Twelver Shia in modern times. Leiden 2001, S. 207–219.
  • Uri Rubin: “Prophets and Progenitors in the Early Shīʿa Tradition,” in Jerusalem Studies in Arabic an Islam 1 (1979) 41–65.
  • Abdulaziz Sachedina: Al-Khums: The Fifth in the Imāmī Shīʿī legal system. In: Journal of Near Eastern Studies 39, 1980, 4, S. 275–289
  • Muhammad Husain Tabataba'i: Die Schia im Islam. Übersetzt von Farsin Banki. Islamisches Zentrum Hamburg (IZH), 1996.
  • William F. Tucker: Mahdis and millenarians. Shi’ite extremists in early Muslim Iraq. Cambridge 2011.
  • Steven Wasserstrom: “‘The Šīʿīs are the Jews of our Community’: An Interreligious Comparison within Sunnī Thought,” in Israel Oriental Studies 14 (1994) 297–324.
Wiktionary: Schia – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. Madelung: “Shīʿa” 1996, S. 420a.
  2. Moojan Momen: Shi'i Islam. A Beginner's Guide. Oneworld, London, 2016. S. 219.
  3. Vgl. Mamoun Fandy: Saudi Arabia and the Politics of Dissent. Palgrave, New York, 1999. S. 198.
  4. Cemal Karakas: Türkei: Islam und Laizismus zwischen Staats-, Politik- und Gesellschaftsinteressen. Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-937829-45-6 (Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (Hrsg.): HSFK-Report 1/2007) S. 5.
  5. Sonja Haug, Stephanie Müssig, und Anja Stichs: (2009). Muslimisches Leben in Deutschland: im Auftrag der Deutschen Islam-Konferenz. (Forschungsbericht für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Forschungszentrum Migration, Integration und Asyl (FZ), Nr. 6). Nürnberg: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Forschungszentrum Migration, Integration und Asyl, 2009. Online auf: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-68146-7, abgerufen am 21. April 2023
  6. Haug / Müssig / Stichs 2009, S. 98.
  7. Vgl. Saʿd ibn ʿAbdallāh al-Ašʿarī al-Qummī: Kitāb al-Maqālāt wa-l-firaq. Hrsg. von Muḥammad Ǧawād Maškūr. Maṭbaʿat-i Ḥaidarī, Teheran 1963. S. 15.
  8. Madelung: The succession to Muḥammad. 1997, S. 43.
  9. Vgl. Madelung: The succession to Muḥammad. 1997, S. 50–52.
  10. Madelung: “Shīʿa” 1996, S. 420.
  11. Vgl. dazu Anthony: The Caliph and the Heretic. 2012.
  12. Vgl. dazu Patricia Crone: Art. ʿUṯmāniyya in The Encyclopaedia of Islam. New Edition Bd. X, S. 952a–954b.
  13. Anthony: The Caliph and the Heretic. 2012, S. 152.
  14. Anthony: The Caliph and the Heretic. 2012, S. 171.
  15. a b c Madelung: “Shīʿa” 1996, S. 420b.
  16. Abū Saʿīd Našwān al-Ḥimyarī: al-Ḥūr al-ʿīn ʿan kutub al-ʿilm aš-šarāʾif dūna n-nisāʾ al-ʿafāʾif. Dār Āzāl, Beirut, 1985. S. 234.
  17. Madelung: The succession to Muḥammad. 1997, S. 253.
  18. Vgl. Halm: Die islamische Gnosis. Die extreme Schia und die Alawiten. 1982, S. 33–43.
  19. Der Text ist wiedergegeben bei Josef van Ess: Theologie und Gesellschaft im 2. und 3. Jahrhundert der Hidschra. Eine Geschichte des religiösen Denkens im frühen Islam. 6 Bände, De Gruyter, Berlin 1991–97, Bd. V, S. 10.
  20. Jafri: Origins and early development of Shiʿa Islam. 1979, S. 165.
  21. Halm 1988, 21.
  22. Vgl. dazu Halm: Die islamische Gnosis. Die extreme Schia und die Alawiten. 1982. S. 43–84.
  23. Vgl. zu ihm Tucker: Mahdis and millenarians. Shi’ite extremists in early Muslim Iraq. 2011, S. 52–71.
  24. Wilferd Madelung: “Batriyya odr Butriyya” in The Encyclopaedia of Islam. New Edition Bd. XII, S. 129f.
  25. Haider: The origins of the Shīʿa: identity, ritual, and sacred space in eighth-century Kūfa. 2011, S. 13.
  26. Vgl. Abū Saʿīd Našwān al-Ḥimyarī: al-Ḥūr al-ʿīn ʿan kutub al-ʿilm aš-šarāʾif dūna n-nisāʾ al-ʿafāʾif. Dār Āzāl, Beirut, 1985. S. 235.
  27. Vgl. Abū Saʿīd Našwān al-Ḥimyarī: al-Ḥūr al-ʿīn ʿan kutub al-ʿilm aš-šarāʾif dūna n-nisāʾ al-ʿafāʾif. Dār Āzāl, Beirut, 1985. S. 235.
  28. Hossein Modarressi: Crisis and Consolidation in the formative period of Shiʿite Islam. Abū Jaʿfar ibn Qiba al-Rāzī and his contribution to Imāmite Shīʿite thought. Darwin Press, Princeton NJ 1993. S. 21–29.
  29. Zit. nach Josef van Ess: Theologie und Gesellschaft im 2. und 3. Jahrhundert der Hidschra. Eine Geschichte des religiösen Denkens im frühen Islam. 6 Bände, De Gruyter, Berlin 1991–97. Bd. V, S. 55. Vgl. dort die Erklärungen auf S. 56.
  30. Uri Rubin: “Children of Israel” in Jane Dammen McAuliffe (Hrsg.): Encyclopaedia of the Qurʾān. Brill, Leiden 2001. S. 303–307. Hier S. 306f.
  31. Rubin: “Prophets and Progenitors in the Early Shīʿa Tradition”. 1979, S. 51f.
  32. Anthony: The Caliph and the Heretic. 2012, S. 83.
  33. Anthony: The Caliph and the Heretic. 2012, S. 221.
  34. Vgl. Halm 1988, 175.
  35. Sonja Haug, Stephanie Müssig, Anja Stichs: Muslimisches Leben in Deutschland. Im Auftrag der Deutschen Islam Konferenz. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Hrsg.), Nürnberg 2009, ISBN 978-3-9812115-1-1. S. 97.
  36. Wolfgang Frindte, Klaus Boehnke Jacobs, Henry Kreikenbom, Wolfgang Wagner: Lebenswelten junger Muslime in Deutschland. Bundesministerium des Innern. Berlin 2011, ISBN 978-3-00-037434-0, S. 125.
  37. Haug/Müssig/Stichs 2009, S. 211.
  38. Ghadeer Khumm 2013/2014. IGS Deutschland. Archivierte Kopie (Memento vom 10. Juli 2015 im Internet Archive)
  39. Allgemeine Zeitung. Rhein Main Presse: Gläubige aus ganz Deutschland. JAHRESFEST Schiitische Gemeinde gedenkt des Propheten Mohammed und seines Nachfolgers. http://www.allgemeine-zeitung.de/lokales/mainz/stadtteile-mainz/weisenau/glaeubige-aus-ganz-deutschland_13571129.htm
  40. ZDF Forum am Freitag (2014): Das Aschura-Fest der Schiiten. http://www.zdf.de/ZDF/zdfportal/programdata/e29d79f8-e709-3109-b84c-461f034fb2ef/20369401?generateCanonicalUrl=true