Wasserleiche

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Die Unbekannte aus der Seine, Totenmaske einer durch Adipocire konservierten Wasserleiche

Als Wasserleiche bezeichnet man die sterblichen Überreste eines Menschen, die in einem natürlichen Gewässer oder einem von Menschen angelegten Wasserreservoir gefunden wurden.[1]

Die Todesursache der meist in Bauchlage gefundenen Leichen kann dabei natürlich oder unnatürlich sein, wobei sowohl Tod durch Ertrinken, als auch ein Badetod, ein Suizid oder ein Tötungsdelikt bzw. ein Unfall außerhalb des Wassers in Frage kommen.[2]

Post-mortale Diagnostik

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei der Identifikation von Leichen, die im Wasser aufgefunden werden können unter anderem die Kleidung, das Zahnschema, vorhandenen Narben, Tätowierungen etc. oder eine DNA-Analyse hilfreich sein.

Bestimmung des Todeszeitpunktes

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ist die Leichenliegezeit einer Wasserleiche durch eine Obduktion zu ermitteln, so sind folgende Aspekte zu berücksichtigen:

Bestimmung der Todesursache

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Tod im Wasser, ohne Fremdeinwirkung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Um 170 nach Christus hatte der berühmte Arzt Galenos von Pergamon noch angenommen, Ertrinkende würden durch die große Menge an verschlucktem Wasser zu Tode kommen. Der österreichische Gerichtsmediziner Arnold Paltauf (1860–1893), stellte 1888 fest, dass es sich vielmehr um eine Erstickung aufgrund von Aspiration handelt.[4]

Ist der Mensch bei Bewusstsein und grundsätzlich in der Lage zu schwimmen, so ist das typische Ertrinken aus Erschöpfung als Kampf gegen das Untergehen mit mehrmaligem Auftauchen in Kombination mit dem Schnappen nach Luft deutlich beobachtbar. Das Einatmen von Luft (Inspiration) wechselt sich dabei mit dem Einatmen von Wasser (Aspiration) ab.[4]

Beim Tod im Wasser gelangt Wasser in die Atemwege, so löst der Körper einen Schutzreflex, den Stimmritzenkrampf aus, der verhindern soll, dass Wasser in die Lunge gerät. Dem Körper fehlt es in Folge dieses Reflexes an Sauerstoff und der Mensch verliert das Bewusstsein. Kommt es zusätzlich zum Atemstillstand, ertrinken die Betroffenen.

In kaltem Wasser kommt auch die Unterkühlung bzw. Hypothermie als Todesursache in Frage.[6] Jedoch können auch unterkühlte Personen, wenn ihre Atmung nicht beeinträchtligt wird (weil sie z. B. eine Rettungsweste tragen), je nach Körpergewicht, bei einer Wassertemperatur oberhalb von 10 Grad Celsius mehrere Stunden überleben.[7]

Der Badetod ist dagegen ein natürlicher Tod, der aufgrund eines Herz-Kreislaufstillstandes oder durch Vorerkrankungen bedingt, zufällig im Wasser aufgetreten ist.[4]

Ein gewaltsames Ertränken ist für Rechtsmediziner auch post mortem erkennbar (Encyclopædia Britannica, 1911)

Tod im Wasser, mit Fremdeinwirkung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das eigentliche Ertränken ist unter anderem durch Schaum vor Mund und Nase gekennzeichnet. Ein sogenannter Schaumpilz entsteht nur, wenn die Person im Wasser zum Zeitpunkt des Ertrinkens weder tot noch bewusstlos war.[4]

Um Fremdeinflüsse auszuschließen bzw. nachzuweisen ist es notwendig zu unterscheiden, wann mögliche Verletzungen aufgetreten sind. Postmortale Verletzungen, wie Treibspuren, Verletzungen durch Schiffsschrauben, Tierfraß, oder Bergungsverletzungen sind gegen die Spuren von Einwirkungen abzugrenzen, die zu Lebzeiten, bzw. vor einer Ablage im Wasser, erfolgt sind. Insbesondere auf mögliche Abwehrverletzungen, die als Hinweis auf eine gewalttätige Auseinandersetzung dienen können, sollte dabei verstärkt geachtet werden.[1][2]

Bei äußerlich unversehrten Wasserleichen kann durch eine toxikologische Untersuchung festgestellt werden, ob Medikamente, Drogen oder Alkohol beim Eintreten des Todes eine Rolle gespielt haben könnten.[2]

Im Falle eines Suizids ist darauf zu achten, ob ggf. ein Abschiedsbrief vorhanden ist, oder ob sonstige Planungsschritte von nahe stehenden Personen und/oder Angehörigen im Nachhinein als solche erkannt wurden. Ist kein Schaumpilz vorhanden, so sollte auch eine Tötung (oder Selbsttötung) durch Strom in Betracht gezogen werden.[2] Aus rechtsmedizinischer Sicht ist im Falle von Suiziden auch eine bewusste Verschleierung durch eine Veränderung der Auffindesituation denkbar. Wird bei einem Tod in der Badewanne, etwa das Badewasser abgelassen oder ein elektrisches Gerät entfernt, welches als Stromquelle diente, so wird dies ohne Obduktion nicht zwingend deutlich.[4]

Leichen-Dumping

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei einem Tod außerhalb des Wassers kommt es vor, dass eine Leiche post mortem im Wasser abgelegt wird, um das Auffinden zu verzögern und ggf. einen Tod durch Ertrinken vorzutäuschen. Hierbei ist nicht immer ein Gewaltverbrechen die Ursache, auch Unfallopfer können zur Verschleierung des Vorfalls im Wasser abgelegt werden. Je länger der Tod beim Auffinden zurückliegt, desto schwieriger wird eine exakte Ermittlung der Todesumstände.[2][4] Dies gilt insbesondere für unvollständige Leichen. In diesem Zusammenhang zählen (je nach Bestattungsgesetz) auch Körperteile als Leiche, ohne die ein Mensch nicht lebensfähig wäre (wie der Kopf oder der Rumpf), während andere Gliedmaßen, rechtsmedizinisch betrachtet, als „Leichenteile“ gelten.[8]

Forensische Erforschung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein kanadisches Forscherteam führte Versuchsreihen mit Schweinekadavern durch, die im Meer befestigt und dann durch Kameras überwacht wurden, um so Aussagen über die Zersetzung menschlicher Wasserleichen machen zu können. Der Sauerstoffgehalt unter Wasser spielt in diesem Zusammenhang nachweislich eine entscheidende Rolle bei der Zersetzung der Leichen. Bei normalem Sauerstoffgehalt waren Schweinekadaver innerhalb eines Monats von Tieren gefressen worden. An Orten mit sehr geringem Sauerstoffgehalt dauerte dieser Vorgang deutlich länger, da die dort lebenden Organismen kleiner sind und somit unversehrte Leichen nicht ohne weiters öffnen können. Alle Versuche zeigten darüber hinaus, dass Meerestiere Kadaver, die sich im Wasser befinden, stets von den Extremitäten ausgehend anfressen, während der Kopf immer bis zuletzt unversehrt blieb. Aus diesem Grund handelt es sich bei angespülten, menschlichen Leichenteilen meist um Füße.[9][10]

Literarische und künstlerische Bearbeitung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Tod im Wasser wird in Kunst und Literatur oft romantisiert dargestellt und ist Gegenstand zahlreicher literarischer Werke, Bühnenstücke, Kunstwerke etc.

John Everett Millais, Ophelia, 1851–52

In der Literatur treten Wasserleichen insbesondere im Zusammenhang mit Tragödien, Suiziden und Liebesgeschichten auf. Die Mehrzahl der Verstorbenen ist weiblich.

Eine Auswahl:

Autor Jahr Werk Figur oder Vorbild Quelle
Ovid 1. Jahrhundert v. Chr. Heroides (XIX) Leander [11]
William Shakespeare 1603 Hamlet Ophelia [12]
Jean de La Fontaine (Hrsg.) 1668 Die ertrunkene Frau Eine unbekannte Ehefrau [13]
Victor Hugo 1862 Die Elenden Inspektor Javert [14]
Thomas Hardy 1878 The Return of the Native (Dt. Die Heimkehr, Die Rückkehr, u. a.) Eustacia Vye [15]
Kate Chopin 1899 Das Erwachen Edna Pontellier [16]
Georg Heym 1910 Die Tote im Wasser und Ophelia Eine Unbekannte, Ophelia [17]
Bertolt Brecht 1899 Vom ertrunkenen Mädchen Eine Unbekannte [18]
Ödön von Horváth 1987 Die Unbekannte aus der Seine Die Unbekannte aus der Seine [19]

Bekannte Todesfälle durch Ertrinken

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Wiktionary: Wasserleiche – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. a b c Medizin und Recht. Rechtsmedizin. Wasserleiche. Pschyrembel; abgerufen am 10. Dezember 2021
  2. a b c d e Thomas Sigrist: Rechtsmedizin. Scriptum. (PDF; 1,3 MB) Institut für Rechtsmedizin am Kantonsspital St. Gallen; abgerufen am 10. Dezember 2021
  3. Randolph Penning: Rechtsmedizin systematisch. Springer, Berlin; 2007. ISBN 978-3-89599-157-8
  4. a b c d e f g W. Huckenbeck, M. Tsokos, C.-M. Muth: Der Tod im Wasser. Universitätsklinikum Düsseldorf; abgerufen am 10. Dezember 2021
  5. Michael Tsokos: Dem Tod auf der Spur. Ullstein, Berlin 2009, ISBN 978-3-548-37347-8, S. 225 ff.
  6. Tödliche Kälte. Unterkühlung und Kälteschäden beim Menschen. Scinexx, abgerufen am 10. Dezember 2021
  7. Ursachen. Ertrinken. Pathogenese (Krankheitsentstehung). gesundheits-lexikon.com; abgerufen am 10. Dezember 2021
  8. Michael Tsokos: Dem Tod auf der Spur. Ullstein, Berlin 2009, ISBN 978-3-548-37347-8, S. 111 ff.
  9. Forensik. Wie schnell verschwinden Leichen im Meer? vom 24. Oktober 2014 Deutschlandfunk Nova, abgerufen am 17. Februar 2023
  10. G. Anderson & L. Bell (2014): Deep Coastal Marine Taphonomy: Investigation into Carcass Decomposition in the Saanich Inlet, British Columbia Using a Baited Camera. Deep Coastal Marine Taphonomy doi:10.1146/annurev-marine-010213-135144
  11. Hero und Leander. Die Sage von Hero und Leander in der Dichtung. deutsche-liebeslyrik.de; abgerufen am 10. Dezember 2021
  12. Jo Richards: Ophelia in Hamlet by William Shakespeare. In: The British Journal of Psychiatry, Volume 201 , Issue 5 , November 2012, S. 359; doi:10.1192/bjp.bp.112.120501
  13. La Fontaine. Die Fabeln. (PDF; 1,6 MB) creighton.edu; abgerufen am 10. Dezember 2021
  14. Frei im Nirgendwo. FAZ, Rezension. Belletristik; abgerufen am 10. Dezember 2021
  15. Eustacia Vye’s Drowning: Defiance versus Convention von Dixie Lee Larson. In: The Thomas Hardy Journal; abgerufen am 10. Dezember 2021
  16. Victor Hugo. Die Elenden. Boer Verlag; abgerufen am 10. Dezember 2021
  17. Die Tote im Wasser. Georg Heym. Archiv klassischer Werke; abgerufen am 10. Dezember 2021
  18. Bertolt Brecht – Vom ertrunkenen Mädchen. (PDF; 105 kB) is.muni.cz; abgerufen am 10. Dezember 2021
  19. Eine Unbekannte aus der Seine und andere Stücke. Gesammelte Werke in 14 Bänden. Band 7. Suhrkamp Verlag; abgerufen am 10. Dezember 2021
  20. Retro News: James Murray: Mensch der Masse. filmreporter.de; abgerufen am 11. Dezember 2021
  21. Virginia Woolf: Ein Leben. Deutschlandfunk; abgerufen am 11. Dezember 2021
  22. Neue Rätsel um Natalie Wood Tod in der Blaue-Höhlen-Bucht. Spiegel Online; abgerufen am 11. Dezember 2021