Wikipedia:Redaktion Geschichte/Archiv/2024/Dez

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Letzter Kommentar: vor 10 Tagen von Enzian44 in Abschnitt Erste urkundliche Erwähnung
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Erste urkundliche Erwähnung

Wenn in einer im Jahr 1400 angefertigten Abschrift einer Urkunde aus dem Jahr 1100 ein Ort erwähnt wird - gilt dann das Jahr 1100 als "urkundliche Erwähnung/Nennung" dieses Ortes? Gibt es unter Historikern eine Diskussion, ob das Original besser ist als die Abschrift? Besteht in diesem Zusammenhang zwischen den Begriffen Nennung, Erwähnung, Nachricht usw. ein Unterschied? Was bedeutet hier Urkunde, damit ist doch jedes uralte Schriftstück gemeint. --Tärkein kampa (Diskussion) 12:57, 2. Dez. 2024 (CET)

Eine ziemlich gute Frage. Zunächst: "Nennung, Erwähnung, Nachricht" werden in diesem Kontext weitgehend synonym gebraucht, das ist kein Unterschied. Wichtig ist, was eine Urkunde ist und warum sie als gute (vertrauenswürdige) Quelle für diese Art Frage gilt.
Eine nur abschriftlich bekannte Urkunde ist einerseits immer noch eine Urkunde, die Ersterwähnung wäre in Deinem Beispiel also immer noch mit "1100" anzugeben. Aber das große Vertrauen, das Urkunden in diesem Kontext genießen, hängt schon zum guten Teil daran, dass es sich um sorgfältig erstellte Rechtsdokumente handelt und eben nicht "jedes uralte Schriftstück" eine Urkunde ist. Eine solche wurde vielmehr nach bestimmten Regeln erstellt und beglaubigt; zur Freude der Historiker sind Urkunden zudem fast immer tagesgenau datiert. Weil die Ausfertigung einer Urkunde aufwändig war und der genaue Wortlaut für die Beteiligten große Bedeutung hatte, schenken wir dem Wortlaut solcher Urkunden meist großes Vertrauen.
Dafür muss aber der Wortlaut und die Echtheit der Urkunde sicher feststehen. Das ist bei Originalen leichter und mit größerer Sicherheit überprüfbar als bei Abschriften, und bei beglaubigten Abschriften leichter als bei unbeglaubigten. Bei Letzteres, zumal wenn sie sehr viel jünger sind als das Original, kann man schon Zweifel haben, ob die Originalurkunde wirklich am angegebenen Datum ausgefertigt wurde, ob der Ortsname damals wirklich so und nicht anders geschrieben wurde, und vielleicht auch, ob die "verlorene" Urkunde nicht doch eine spätere Fälschung ist. Wenn das Datum nicht stimmt, die Orthographie keine sichere Identifikation erlaubt oder das ganze Dokument vielleicht nie existiert hat, ist die schönste Ersterwähnung hinfällig.
In diesem Sinne ist das Original in der Tat "besser" als jede Abschrift, und eine beglaubigte Abschrift besser als eine nicht beglaubigte, weil es jeweils mehr Möglichkeiten gibt, die Echtheit und den unsprünglichen Wortlaut sicher festzustellen. Mehr zum Thema unter Diplomatik (zu den Methoden) und Vidimus (als Beispiel einer beglaubigten Abschrift). Gruß --CRolker (Diskussion) 00:52, 3. Dez. 2024 (CET)
Für den Praxisfall wäre das dann sowas wie: "In der Urkunde XYZ von 1100 wird Ort erwähnt, die Urkunde ist nur in der Abschrift ABC von 1400 erhalten. (Beleg)". Oder aber: "Ort ist in der Urkunde ABC von 1400 erwähnt, die wohl eine Abschrift einer Urkunde XYZ von 1100 ist (Beleg)". Je nach dem, wie das im eigentlichen Beleg angegeben ist. Es wäre hilfreich zu wissen, um welches Dokument es hier überhaupt geht. --62.158.254.200 (ohne (gültigen) Zeitstempel signierter Beitrag von 62.158.254.200 (Diskussion) 01:54, 3. Dez. 2024 (CET))
Prominentes Beispiel auf das sich so manche "Ersterwähnung" doch bezieht. Allein an der Kontroverse darum sieht man schon, wie schwer die Beurteilung im Einzelfall sein kann, wenn das Original nicht mehr vorliegt oder nie vorlag oder in der wiedergegebenen Form nie existiert hat. Grüße --Sebastiano Mugnaio (Diskussion) 01:57, 3. Dez. 2024 (CET)
Früheren, wieder gelöschten Beitrag wieder reinkopiert und leicht überarbeitet: --2003:E4:5F3D:8500:6404:4975:883E:939C 09:09, 3. Dez. 2024 (CET)
Vorab die Bitte an die echten Historiker, meine Antwort brutal zu widerlegen ... habe keine AHnung, so antwortet es sich nämlich freier.
Eine Abschrift einer Urkunde belegt allgemein das Jahr der ursprünglichen Urkunde für die Erwähnung des Ortes. Da ein Original etwas "besser" ist als eine Abschrift (beim Abschreiben können Fehler unterlaufen), wird in wissenschaftlichen Veröffentlichungen normalerweise angegeben, ob es sich um eine Abschrift handelt und aus welchem Jahr die Abschrift ist. Bei einer Fälschung kommt es drauf an: Streng genommen belegt diese nur das Jahr, in dem die gefälschte Urkunde entstanden ist. Normalerweise entstanden Fälschungen aber nicht ohne Grundlage, d.h. in vielen Fällen handelt es sich um "ergänzte " Abschriften oder die Fälschung ergibt nur dann Sinn, wenn der Ort tatsächlich zu dem angeblichen Urkundendatum bereits existiert hat. Deshalb kann in manchen Fällen sogar eine gefälschte Urkunde der Beleg für dies Existenz eines Ortes zur angeblichen, aber gefälschten Zeit der Urkunde sein. "Erste urkundliche Erwähnung" wird landläufig für alles benutzt, auch wenn es sich nicht um eine Urkunde im engeren Sinn handeln sollte. Häufig sind die Schriftstücke mit Ersterwähnungen von Orten aber tatsächlich Urkunden, z.B. eine Schenkungsurkunde von Besitztümern in einer ganzen Reihe von namentlich aufgeführten Orten z.B. an ein Kloster, oder eine Kauf- oder Verpfändungsurkunde, eine Art Friedensvertrag o.a., oft mit etlichen unterzeichnenden Zeugen. Eine Erwähnung z.B. in einem Traditionsbuch oder einem Bedeverzeichnis könnte man allgemeiner als schriftliche Erwähnung bezeichnen. Man kann davon ausgehen, dass es im frühen Mittelalter und Hochmittelalter, aus dem die meisten Ersterwähnungen stammen, nicht ganz billig war, dauerhafte aufwendige Schriftstücke anzufertigen. Das hat man nicht für jeden Mist gemacht, für einfachere schriftliche Kommunikation hat man eher wiederbeschreibbare Materialien verwendet und kein dauerhaftes Pergament, und einfachere Schriften sind dann auch oft nicht genau datiert. Deshalb sind eben nur bestimmte Dinge als Schriftstücke erhalten, wie z.B. Bibelausgaben, andere wichtige religiöse Schriften oder eben Urkunden. Eine Ersterwähnung von Orten in religiösen oder poetischen Werken o.ä. dürfte eher selten sein - die Wahrscheinlichkeit, dass eine schriftliche Ersterwähnung eines Ortes tatsächlich auf einer Urkunde erscheint, ist sehr hoch. In Urkunden gibt es mehrere Arten der Nennung von Ortsnamen: Manchmal werden einfach nur ganz viele Orte nacheinander aufgezählt, manchmal steht jeweils dabei, welche Anteile oder Rechte an welchem Dorf weitergegeben wurden oder welche anderen rechte unberührt blieben, so dass man manchmal auch daraus schließen kann, ob es da eine Pfarrkirche gab oder so. Ob es eine Konvention für den Sprachgebrauch bezüglich der Worte "Nennung", "Erwähnung" usw. gibt, weiß ich nicht, das ist für mich weitgehend synonym, ich lerne aber gern dazu. --2003:E4:5F3D:8500:41D3:96DB:32A0:FE60 16:48, 2. Dez. 2024 (CET)
Mir wurde im Pro-Seminar Mittelalter erzählt, dass auch Abschriften üblicherweise als brauchbare Quelle behandelt werden, und sogar nachgewiesene Fälschungen, was man ohnehin nicht immer überprüfen könne. Ansonsten wurde generell auf die aufwendig erstellten Quelleneditionen und -sammlungen verwiesen. --Universal-InteressierterDisk.Arbeit 09:51, 3. Dez. 2024 (CET)
Solche Fragen kann sicher @Enzian44: gut beantworten. Es dürfte da wenig versiertere Personen geben. --Marcus Cyron Wikipedia – Mitläufer gesucht, Autoren verachtet, Haltung unerwünscht. 21:31, 4. Dez. 2024 (CET)
CRolker und Sebastiano Mugnaio haben eigentlich schon dargestellt, was ich auch hätte schreiben können. --Enzian44 (Diskussion) 11:40, 8. Dez. 2024 (CET)

Die einfache Antwort ist: Es gibt keine einfachen Antworten. Es ist Aufgabe der Diplomatik, eine solche Frage für eine Urkunde in jeglicher Überlieferungsform (das ist hier das Stichwort) zu klären - und manchmal geht das eben nur bis zu einem gewissen Punkt. Man kommt also um weiteres Einlesen nicht herum: Einschlägig ist Theo Kölzer, siehe hier, zu St. Maximin; das ist der Einstieg ins Thema. --Sebastiano Mugnaio (Diskussion) 10:35, 3. Dez. 2024 (CET)

Es geht nicht um eine konkrete Urkunde. Dennoch war mein Ausgangspunkt die prima fundatio aus 1112, die nur als undatierte Abschrift erhalten ist. Der Inhalt wurde nie in Frage gestellt und passt auch zu anderen, erhaltenen Urkunden. Nachdem ich mehrmals Erstnennungen in Artikel eingefügt habe, hat mich auch die Urkunde selbst interessiert und habe dabei festgestellt, das es diese im Original nicht mehr gibt. Und die Abschrift wurde von Historikern nicht mit der gleichen Aufmerksamkeit behandelt wie andere Originale aus der Zeit. Im Archiv wird die prima fundatio unter "Abschriften der Gründungsurkunde" geführt, die aber nur eine Urkunde mit 7 Blättern umfasst, kurz: "Die älteste Abschrift aus dem Ende des 13. Jh.". Auch die Bezeichnung prima fundatio dürfte sehr inoffiziell sein und nur auf dem Satz "Nota Iste decime Subscripte Attinent Monaterio Sancti Georgy de prima fundaccione 1112." beruhen. Dennoch hat es der Begriff der prima fundatio in die Heimatbücher ganzer Landstriche geschafft, andererseits werden bei manchen Orten auch spätere Nennungen als Erstnennung angegeben, obwohl der Ortsname in der prima fundatio klar genannt wurde. --Tärkein kampa (Diskussion) 16:24, 3. Dez. 2024 (CET)

Schon klar, es geht um eine kompilierte Sammlung, die in Klöstern ganz oft zu finden ist. Das ist ein gutes Beispiel für eine solche Urkundensammlung, die irgendwie zusammengestellt worden ist, mal mit, mal ohne "Nachbesserungen" (die manchmal einfach klösterliche Notwehr gegen weltliche Übergriffe waren). Das Problem daran ist, dass sich seit 1853 (hier die erste Edition) methodisch viel getan hat und man die weitere Überlieferung prüfen müsste. Dabei kommen, siehe St. Maximin oder Codex Eberhardi, ganz interessante Resultate heraus, manchmal aber auch gar nichts. Im Grunde bleibt die Aufgabe dieselbe: Hat man Gründe, an der Überlieferung zu zweifeln? Und dann bleiben solche Fragen nach einer "gerechtfertigten Ersterwähnung"/Nachricht/Nennung des Ortsnamens einstweilen ungeklärt - das älteste Datum, auch wenn es nur aus zweiter Hand überliefert ist, bleibt der Stand der Forschung. Grüße --Sebastiano Mugnaio (Diskussion) 17:03, 3. Dez. 2024 (CET)
Archivierung dieses Abschnittes wurde gewünscht von: Tärkein kampa (Diskussion) 16:24, 3. Dez. 2024 (CET)