Xenotropic murine leukemia virus-related virus
„Xenotropic murine leukemia virus-related virus“ | ||||||||||
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XMRV Virionen, EM | ||||||||||
Systematik | ||||||||||
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Taxonomische Merkmale | ||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||
„Xenotropic murine leukemia virus-related virus“ | ||||||||||
Kurzbezeichnung | ||||||||||
„XMRV“ | ||||||||||
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„Xenotropic murine leukemia virus-related virus“ (wissenschaftlich „Xenotropic MLV-related virus“, „Xenotropic MuLV-related virus“, „XMRV“) ist eine vorgeschlagene Virusspezies in der Gattung Gammaretrovirus, die erstmals im Jahr 2006 als offenbar neuartiges menschliches Pathogen in Gewebeproben von Männern mit Prostatakrebs beschrieben wurde.[1][2] Erste Berichte hatten das Virus fälschlicherweise mit Prostatakrebs und später mit dem Chronischen Fatigue-Syndrom (heute: ME/CFS) in Verbindung gebracht. Nachfolgende Untersuchungen ergaben, dass XMRV tatsächlich eine Laborkontamination und kein neuartiger Erreger war.[3][4]
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]„XMRV“ wurde in einem Labor der University of California, San Francisco unter Joseph DeRisi, und Robert Silverman und Eric Klein (Cleveland Clinic) entdeckt. Silverman vermutete, dass die mutmaßliche Verbindung von RNase-L-Variationen und erhöhtem Krebsrisiko eine erhöhte Anfälligkeit gegenüber einem verursachenden Virus reflektieren könnte.[5] Dies führte zur Entdeckung von „XMRV“. Inzwischen ist bekannt, dass es sich bei „XMRV“ um ein nicht in der Natur vorkommendes Virus handelt, da die XMRV-Sequenz nur von wenigen Arbeitsgruppen nachgewiesen werden konnte, dabei – bei RNA- und Retroviren einzigartig – nur sehr geringe Unterschiede in der Genomsequenz auftraten. Weiterhin existierte auch keine Dosis-Wirkungsbeziehung und ein Nachweis von Virionen (z. B. per TEM oder MALDI-TOF) oder von Immunreaktionen (z. B. per ELISA, ELISPOT oder Western Blot) wurde nicht erbracht. Zuletzt konnten die zugrundeliegenden Versuchsergebnisse mehrfach nicht von anderen Arbeitsgruppen wiederholt werden (siehe Reproduzierbarkeit). Daher wurden bereits Veröffentlichungen bezüglich der Pathogenese des Chronischen Fatigue-Syndroms durch den Verlag zurückgezogen (siehe Abschnitt Diskussion über Erkrankungen).
Klassifikation und Genom
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]„XMRV“ gehört zur Familie der Retroviren und zum Genus der Gammaretroviren. Es hat ein doppelsträngiges RNA-Genom und reproduziert sich durch eine DNA-Kopie. Sein Name bezieht sich auf die nahe Verwandtschaft zum Murinen Leukämievirus. Das Genom, mit einer geschätzten Länge von 8100 Nukleotiden ist zu 93–94 % identisch mit einigen exogenen Mausviren.[6]
Einige XMRV-Gensequenzen wurden bereits veröffentlicht. Diese Sequenzen sind fast identisch, was ungewöhnlich ist, da Retroviren ihr Genom mit relativer Ungenauigkeit replizieren; dies führt normalerweise – wie beim Beispiel HIV – zu hohen Mutationsraten.[7][8]
Übertragung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]„XMRV“ ist nahe verwandt mit einigen bekannten xenotropischen Mäuseviren. Diese Viren erkennen und infizieren Zellen von Nicht-Nagern mittels des Rezeptors XPR1 (xenotropic and polytropic murine leukemia virus receptor). Einige Autoren spekulieren das Virus könne sexuell übertragbar sein,[9][10][11] jedoch wurde die Übertragung von Mensch zu Mensch, falls überhaupt vorhanden, nicht untersucht.[7] Sowohl zelluläre als auch zellfreie Übertragung konnte in vitro beobachtet werden.[12]
Pharmakologie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Eine 2010 in der Public Library of Science veröffentlichte Studie kam zu dem Schluss, dass vier Aidsmedikamente auch die Replikation von „XMRV“ unterdrücken könnten.[13] Dabei handelte es sich um zwei retrovirale Integraseinhibitoren (Raltegravir, L-000870812), und zwei Nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (Tenofovir und Zidovudin). Auch wurden synergetische Effekte bei der gemeinsamen Verwendung dieser Medikamente beobachtet.
Diskussion über Erkrankungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Es wurden Zusammenhänge zwischen XMRV-positiven Proben und Prostatakrebs bei Patienten mit einer Mutation der RNase L (R462Q) oder dem Chronischen Fatigue-Syndrom aufgestellt, welche sich inzwischen als Erkenntnisse aufgrund von Laborkontaminationen herausgestellt haben. Zwei Studien brachten das Virus in Zusammenhang mit Prostatakrebs,[14][15] während andere Studien keine Zusammenhänge feststellen konnten.[7][16][17][18][19][20][21][22]
Auch bezüglich der möglichen Verbindung zum Chronischen Fatigue-Syndrom wurden die ursprünglichen Beobachtungen[12] durch mehrere Studien widerlegt.[23][24][25][26][27]
Aufgrund der in Science berichteten Verbindung von „XMRV“ und Chronischem Fatigue-Syndrom sahen sich das Kanadische Gesundheitsministerium,[28][29] die Neuseeländischen Blutbanken,[30] und das Australische Rote Kreuz[31] 2010 vorübergehend dazu veranlasst, ein Blutspendeverbot von Menschen mit Chronischem Fatigue-Syndrom zu verhängen. Am 18. Juni 2010 empfahl auch die amerikanische AABB provisorisch keine Blutspenden mehr anzunehmen.[32]
Da zum Nachweis des Retrovirus ausschließlich extrem empfindliche Nachweismethoden verwendet wurden (PCR oder nested PCR), ist der Verdacht geäußert worden, dass die Nachweise auf Laborkontaminationen beruhen könnten. Mehrere Arbeiten unterstützen diese Ansicht, da sie die Kontamination von kommerziellen Kits mit Maus- (muriner) DNA nachgewiesen haben, und die gefundenen DNA-Sequenzen zum Teil auf die in vielen Laboren verwendete Prostatakarzinom-Zelllinie 22Rv1 zurückführen konnten.[33][34][35][36][37]
Im September 2011 zogen die Autoren der ursprünglichen Studie, die einen vermeintlichen Zusammenhang zwischen „XMRV“ und Chronischem Fatigue-Syndrom herstellte, wesentliche Teile ihrer Veröffentlichung zurück.[38] Im Dezember 2011 wurde die gesamte Veröffentlichung vom Magazin Science widerrufen.[39][40]
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- XMRV Fact Sheet ( vom 30. März 2013 im Internet Archive) AABB.org (formerly American Association of Blood Banks) (PDF; 117 kB), 18. Juni 2010
- DHHS Center for Disease Control and Prevention: XMRV Overview
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ XMRV (Xenotropic Murine Leukemia Virus-related Virus) | CDC. In: www.cdc.gov. Abgerufen am 17. April 2018 (amerikanisches Englisch).
- ↑ A. Urisman, R. J. Molinaro, N. Fischer, S. J. Plummer, G. Casey, E. A.Klein, K. Malathi, C. Magi-Galluzzi, R. R. Tubbs, D. Ganem, J. L. DeRisi: Identification of a novel Gammaretrovirus in prostate tumors of patients homozygous for R462Q RNASEL variant. In: PLoS Pathog. 2. Jahrgang, Nr. 3, 2006, S. e25, doi:10.1371/journal.ppat.0020025, PMID 16609730, PMC 1434790 (freier Volltext). (Eingezogen, siehe doi:10.1371/annotation/7e2efc01-2e9b-4e9b-aef0-87ab0e4e4732)
- ↑ NCI's Vinay K. Pathak on the "De-Discovery" of a Retrovirus-Disease Link, Science Watch, Fast Breaking Papers, 2012, 16. November 2015
- ↑ Tobias Paprotka, Krista A. Delviks-Frankenberry, Oya Cingöz, Anthony Martinez, Kung Hsing-Jien, Clifford G. Tepper, Hu Wei-Shau, Matthew J. Fivash Jr., John M. Coffin, Vinay K. Pathak: Recombinant origin of the retrovirus XMRV. In: Science. 333. Jahrgang, Nr. 6038, 1. Juli 2011, ISSN 0036-8075, S. 97–101, doi:10.1126/science.1205292, PMID 21628392, PMC 3278917 (freier Volltext), bibcode:2011Sci...333...97P. via EBSCO login
- ↑ J. Carpten, N. Nupponen, S. Isaacs et al: Germline mutations in the ribonuclease L gene in families showing linkage with HPC1. In: Nature Genetics. Band 30, Nr. 2, Februar 2002, S. 181–184, doi:10.1038/ng823, PMID 11799394.
- ↑ A. Urisman, R. J. Molinaro, N. Fischer, S. J. Plummer, G. Casey, E. A. Klein, K. Malathi, C. Magi-Galluzzi, R. R. Tubbs, D. Ganem, R. H. Silverman, J. L. DeRisi: Identification of a novel Gammaretrovirus in prostate tumors of patients homozygous for R462Q RNASEL variant. In: PLoS Pathog. 2(3), 2006, Art. Nr. e25. PMID 16609730.
- ↑ a b c K. Lee, K. S. Jones: The path well traveled: using mammalian retroviruses to guide research on XMRV. In: Molecular Interventions. Band 10, Nr. 1, Februar 2010, S. 20–24, doi:10.1124/mi.10.1.5, PMID 20124560, PMC 2895355 (freier Volltext).
- ↑ V. Voisin, E. Rassart: Complete genome sequences of the two viral variants of the Graffi MuLV: phylogenetic relationship with other murine leukemia retroviruses. In: Virology. Band 361, Nr. 2, Mai 2007, S. 335–347, doi:10.1016/j.virol.2006.10.045, PMID 17208267.
- ↑ S. Hong, E. A. Klein, J. Das Gupta u. a.: Fibrils of prostatic acid phosphatase fragments boost infections with XMRV (xenotropic murine leukemia virus-related virus), a human retrovirus associated with prostate cancer. In: Journal of Virology. Band 83, Nr. 14, Juli 2009, S. 6995–7003, doi:10.1128/JVI.00268-09, PMID 19403677, PMC 2704761 (freier Volltext).
- ↑ V. Brower: Is a retrovirus implicated in familial prostate cancer? In: Journal of the National Cancer Institute. Band 101, Nr. 10, Mai 2009, S. 700–701, doi:10.1093/jnci/djp137, PMID 19436028.
- ↑ Peggy Eastman: Prostate Cancer: New Data Help Refine Risk Stratification. In: Oncology Times. Band 31, Nr. 2, Januar 2009, S. 32–33, doi:10.1097/01.COT.0000345494.12042.f8 (lww.com).
- ↑ a b V. C. Lombardi, F. W. Ruscetti, J. Das Gupta et al.: Detection of an infectious retrovirus, XMRV, in blood cells of patients with chronic fatigue syndrome. In: Science. Band 326, Nr. 5952, Oktober 2009, S. 585–589, doi:10.1126/science.1179052, PMID 19815723.
- ↑ Ila R. Singh, John E. Gorzynski, Daria Drobysheva, Leda Bassit, Raymond F. Schinazi: Raltegravir Is a Potent Inhibitor of XMRV, a Virus Implicated in Prostate Cancer and Chronic Fatigue Syndrome. In: PLOS ONE. Band 5, Nr. 4, S. e9948, doi:10.1371/journal.pone.0009948.
- ↑ R. H. Silverman: A scientific journey through the 2-5A/RNase L system. In: Cytokine & Growth Factor Reviews. Band 18, Nr. 5-6, 2007, S. 381–388, doi:10.1016/j.cytogfr.2007.06.012, PMID 17681844, PMC 2075094 (freier Volltext).
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- ↑ O. Hohn, K. Strohschein, A. U. Brandt, S. Seeher, S. Klein, R. Kurth, F. Paul, C. Meisel, C. Scheibenbogen, N. Bannert: No evidence for XMRV in German CFS and MS patients with fatigue despite the ability of the virus to infect human blood cells in vitro. In: PloS one. Band 5, Nummer 12, 2010, Art. Nr. e15632, ISSN 1932-6203. doi:10.1371/journal.pone.0015632. PMID 21203514. PMC 3008728 (freier Volltext).
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- ↑ Robert H. Silverman, Jaydip Das Gupta, Vincent C. Lombardi, Francis W. Ruscetti et al.: Partial Retraction. In: Science Express. (ePub ahead of print), http://www.sciencemag.org/content/early/2011/09/21/science.1212182
- ↑ B. Alberts: Retraction. In: Science. 334(6063), 2011, S. 1636. PMID 22194552
- ↑ Begründung zur Rücknahme des Artikels. Abgerufen am 18. Februar 2012.