Afrovenator

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Afrovenator

Skelettrekonstruktion von Afrovenator

Zeitliches Auftreten
Mitteljura (Bathonium) bis ? Oberjura (Oxfordium)
168 bis ? 157 Mio. Jahre
Fundorte
Systematik
Echsenbeckensaurier (Saurischia)
Theropoda
Tetanurae
Spinosauroidea
Megalosauridae
Afrovenator
Wissenschaftlicher Name
Afrovenator
Sereno et al., 1994

Afrovenator ist eine Gattung großer, relativ basaler Theropoden, die im späten Mittel- oder möglicherweise auch frühen Oberjura im nördlichen Afrika lebte. Die einzige bisher beschriebene Art ist Afrovenator abakensis.

Der Gattungsname ist zusammengesetzt aus der Vorsilbe afro- (mit der Bedeutung ‚Afrika betreffend, zu Afrika gehörig, afrikanisch‘) und dem lateinischen Wort venator, das soviel bedeutet wie ‚Jäger‘. Das Epitheton der Typusart abakensis leitet sich ab aus dem Namen ‚In Abaka‘, der Tuareg-Bezeichnung für die Gegend, in der die Fossilien des Holotyps der Art entdeckt worden waren (siehe Material und Fundlokalität).

Material und Fundlokalität

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das bekannte Fossilmaterial von Afrovenator beschränkt sich bislang auf den Holotyp der Typusart (Sammlungs-Nummer: MNN TIG1[1] vormals UC OBA 1), ein relativ vollständiges Skelett, das einen partiellen Oberschädel (Cranium) ohne Prämaxillare, Frontale, Parietale und Quadratojugale umfasst sowie ein Präartikulare (nicht-zahntragender hinterer Unterkieferknochen), beide Oberarmknochen, beide fast vollständigen Hände, das fast komplette Becken, die Beine und Teile der Hals-, Rumpf- und Schwanzwirbelsäule.

Diese Überreste wurden in der Fossillokalität Tamerát, ca. 100 km westsüdwestlich von Agadez[2] in der Tiouarén-Formation des Iullemmeden-Beckens im Niger entdeckt und 1994 von Paul Sereno, Jeffrey Wilson, Hans Larsson, Didier Dutheil und Hans-Dieter Sues wissenschaftlich erstbeschrieben.

Die Sedimente der Fundschicht repräsentieren eine Schwemmebene in semihumidem oder humidem Klima. Traditionell als frühkreidezeitlich erachtet, was Afrovenator abakensis zum Zeitpunkt der Erstbeschreibung zum ersten relativ vollständigen Theropoden aus der Kreide Afrikas machte[3], wurde die Tiouarén-Formation 2009 auf Grundlage der enthaltenen Dinosaurierfauna auf ein spätmittel- bis maximal frühoberjurassisches Alter (Bathon-Callov, ? Oxford) neu datiert.[4]

Schädelrekonstruktion mit Abdunkelung der unbekannten Knochen. Das bekannte, aber an der Innenseite des Unterkiefers liegende Präarticulare ist nicht mit dargestellt, ebenso nicht das relativ kleine Promaxillarfenster.

In der Erstbeschreibung (Sereno et al., 1994) werden folgende Merkmale als diagnostisch für die Art Afrovenator abakensis und die durch sie typisierte Gattung Afrovenator angegeben: lobenförmiger vorderer Rand der Antorbitalfossa; dritter Halswirbel mit niedrigem, rechteckigem Dornfortsatz; „annähernd halbmondförmiger“ Handwurzelknochen (engl. “semilunate” carpal; Ergebnis der Verschmelzung der beiden distalen Carpalia und charakteristisch für die weniger basalen Theropoden[5]) sehr flach ausgebildet; Metacarpale I mit breitem „Flügel“ für die Gelenkung mit Metacarpale II.

Der (rekonstruierte) Schädel ist im Vergleich zu anderen großköpfigen Theropoden wie Allosaurus niedrig und langgestreckt. Ebenso sind Knochenkämme und -wülste nur schwach ausgebildet. Der niedrige, rundlich geformte Lacrimalkamm ist pneumatisiert. Das „Maxillarfenster“ * liegt relativ weit hinten und das Promaxillarfenster ist schlitzförmig. Das Maxillare weist 14 Alveolen für dolchartige Zähne auf, wobei die hinterste Zahnposition näher zur Schnauzenspitze liegt als das vordere Ende der Augenöffnung. Das Quadratum ist mit einer dorsoventralen Länge von mehr als der Hälfte der Schädelhöhe im Bereich der Augenhöhle relativ hoch.

Mit einer geschätzten Gesamtlänge von 7 bis 9 Metern[3][6][7] gehörte Afrovenator zu den großen (aber nicht größten) Theropoden. Die Proportionen der Langknochen deuten auf ein recht schlank und leicht gebautes Tier hin. Gemäß der Erstbeschreibung weisen die Zentren der Halswirbel tiefe seitliche pneumatische Aussparungen (engl. pleurocoel cavities) auf. Die Halswirbel bilden, miteinander gelenkend, eine Aufwärtsbiegung, durch die der Kopf zu Lebzeiten über die Rückenlinie gehoben wurde. Das Becken ist ähnlich dem von Allosaurus: Beim Ilium sind sowohl der Quergrat oberhalb der Fassung für den Gelenkkopf des Oberschenkelknochens (engl. supraacetabular crest) als auch die Mulde an der Unterseite der hinteren Partie des Knochens (engl. brevis fossa) moderat ausgebildet; beim Ilium ist der Oburatorfortsatz (mehr oder weniger auffälliger Fortsatz am unteren Rand des vorderen/oberen Teils des Knochens) trapezförmig und das hintere/untere (distale) Ende ist verdickt (engl. „distal foot“); das Pubis hat einen schlanken Schaft und ein vergleichsweise schwach verdicktes vorderes/unteres (distales) Ende (d. h., es bildete keinen sogenannten „pubic boot“, wie bspw. das Pubis von Allosaurus). Der Oberschenkelknochen (Femur) ist nur unwesentlich länger als das „Schienbein“ (Tibia) und hat einen breiten, flügelförmigen vorderen Trochanter („kleiner Trochanter“; prominente, außenseitig-vorn am oberen Ende des Femurschaftes gelegene Ansatzstelle für Muskulatur). Der Astragalus (einer der beiden großen Fußwurzelknochen) zeigt Überreste eines niedrigen Processus ascendens, und das (rekonstruierte) Fußskelett ist allgemein schlank und langgestreckt.

* 
Die Verwendung der Bezeichnung „Maxillarfenster“ („maxillary fenestra“) bei Sereno et al. (1994) ist etwas irreführend, denn die Autoren bezeichnen damit anscheinend keinen Durchbruch im Knochen, also kein Fenster i. e. S., sondern lediglich eine rundliche Vertiefung (Fossa) im vorderen Teil der Antorbitalfossa.[1]

Lebensweise und Habitat

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Lebendrekonstruktion

Sein Lebensraum bestand aus üppig bewaldeten Gebieten in der Nähe von Seen oder Flüssen[7]. Er koexistierte mit dem ursprünglichen Macronarier Jobaria, dessen Jungtiere er gejagt haben könnte.

Über sein Sozialverhalten ist aufgrund des geringen vorhandenen Fossilmaterials nichts bekannt. Durch Analogie zu ähnlichen, besser bekannten Theropoden (Allosaurus, Mapusaurus) lässt sich jedoch mutmaßen, dass er möglicherweise in Rudeln gelebt und dann sogar ausgewachsene Sauropoden gejagt hat.

Das Ergebnis der im Rahmen der Erstbeschreibung (Sereno et al., 1994) durchgeführten kladistischen Analyse zeigt Afrovenator als Vertreter der umfassenden Theropoden-Klade Tetanurae. Innerhalb dieser Klade erscheint er als basalster Vertreter der basalsten Tetanurae-Klade „Torvosauroidea“ (Spinosauroidea, Megalosauroidea), die neben Afrovenator noch die Spinosauridae und Torvosauridae (Megalosauridae) einschließt, wobei die beiden letztgenannten Taxa sich von Afrovenator durch die Präsenz eines charakteristisch-sichelförmigen letzten (distalen) Gliedes des ersten Fingers der Hand unterscheiden. Tetanurae-Synapomorphien des Schädels von Afrovenator schließen in diesem Analyseergebnis die Präsenz einer Maxillarfossa und die Lage der hintersten Zahnposition vor dem Vorderrand der Augenhöhle ein, Tetanurae-Synapomorphien des postcranialen Skeletts sind das „semilunate“ Carpale, der (vermutlich) atrophierte dritte Finger, der flügel- oder klingenartige vordere Trochanter des Femur und der niedrige Processus ascendens des Astragalus (vgl. Merkmale).

Die Ergebnisse nachfolgender Analysen bestätigen zumeist die Position von Afrovenator als basalen Tetanuren bzw. Spinosauroiden/Megalosauroiden im Wesentlichen,[8] wenngleich mit variablen Beziehungen zu den Spinosauridae und Megalosauridae. Ferner ergeben sich darin durch Modifikation und zunehmende Größe der Datensätze (sowohl hinsichtlich der Anzahl der Merkmale als auch hinsichtlich der Anzahl der inkludierten Taxa) und auch durch Revision der Merkmalscodierungen ** teils andere Synapomorphien für die Tetanurae und deren Unterkladen *** als die in der Erstbeschreibung genannten.

** 
So codieren Benson (2010)[9] und Carrano et al. (2012)[10] in ihren Datenmatritzen das Jugale von Afrovenator entgegen der Angaben bei Sereno et al. (1994) als unpneumatisiert (Merkmale 34 bzw. 52 jeweils mit Merkmalszustand 0) und auch beim flügelförmigen vorderen Trochanter entspricht die Codierung (Benson, 2010: Merkmal 191, Zustand 0; Carrano et al. (2012: Merkmal 308, Zustand 0) nicht den Angaben bei Sereno et al. (1994), obwohl Benson (2010)[11] explizit angibt, dass er die Daten zu Afrovenator aus dessen Erstbeschreibung bezogen hat. Zudem gibt Benson (2010) explizit an, dass Megalosaurus die einzige Gattung innerhalb der Megalosauridae sei, die ein pneumatisiertes Jugale habe. Ein pneumatisiertes Jugale ist deshalb hier nicht als Merkmal von Afrovenator gelistet.
*** 
Beispielsweise ist die Präsenz einer großen Maxillarfossa bei Benson (2010: Merkmal 15, Zustand 1) eine Synapomorphie der gemeinsamen Klade von Ceratosauria und Tetanurae (= Neotheropoda; 0→1) und die Präsenz eines „echten“ Maxillarfensters (Merkmal 15, Zustand 2) eine Synapomorphie der Neotetanurae (1→2; jeweils nur unter ACCTRAN-Prämisse) oder der etwas weniger inklusiven gemeinsamen Klade von Allosauroidea + Coelurosauria (0→2; nur unter DELTRAN-Prämisse).[12] Bei Carrano et al. (2012)[13] ist hingegen ein „echtes“ Maxillarfenster eine Synapomorphie der Tetanurae, während bei den Megalosauroidea (inkl. Afrovenator) als relativ basaler Klade der Tetanurae eine Umkehr (engl. reversal) dieses Zustandes hin zur Maxillarfossa erfolgt. Die Präsenz eines vergrößerten Endgliedes des ersten Fingers der Hand ist bei Benson (2010: Merkmal 159, Zustand 1) zwar eine Synapomorphie seiner „New clade B“ (im Wesentlichen Spinosauridae + Megalosauridae), jedoch steht in dieser Hypothese Afrovenator innerhalb dieser Klade (und zwar innerhalb der Megalosauridae) in einem Schwestergruppenverhältnis mit Dubreuillosaurus, das sich hinsichtlich dieses Merkmals durch ein Reversal auszeichnet (also, anders als bei Sereno et al., 1994, sekundärer Verlust innerhalb der Megalosauridae statt plesiomorpher Zustand innerhalb der Megalosauroidea, wenngleich nur unter ACCTRAN-Prämisse).[12] Bei Carrano et al. (2012) verhält es sich ähnlich. Bei ihm umfasst die innerhalb der Megalosauridae stehende, durch das Reversal (Merkmal 259, Zustand 0, nur unter ACCTRAN-Prämisse) gekennzeichnete Ingroup, der Afrovenator angehört, und die er Afrovenatorinae nennt, jedoch mehr als nur zwei terminale Taxa.[13]
  • Roger B. J. Benson: A description of Megalosaurus bucklandii (Dinosauria: Theropoda) from the Bathonian of the UK and the relationships of Middle Jurassic theropods. Zoological Journal of the Linnean Society. Bd. 158, Nr. 4, 2010, S. 882–935, doi:10.1111/j.1096-3642.2009.00569.x.
  • Matthew T. Carrano, Roger B. J. Benson, Scott D. Sampson: The phylogeny of Tetanurae (Dinosauria: Theropoda). In: Journal of Systematic Palaeontology. Bd. 10, Nr. 2, 2012, S. 211–300, doi:10.1080/14772019.2011.630927.
  • Paul C. Sereno, Jeffrey A. Wilson, Hans C. E. Larsson, Didier B. Dutheil, Hans-Dieter Sues: Early Cretaceous Dinosaurs from the Sahara. In: Science. Bd. 266, Nr. 5183, 1994, S. 267–271, doi:10.1126/science.266.5183.267 (alternativer Volltextzugriff: University of Michigan PDF 1,4 MB).

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. a b M. T. Carrano et al.: The phylogeny of Tetanurae (Dinosauria: Theropoda). 2012 (siehe Literatur), S. 222 f.
  2. vgl. Abb. 1A in Paul C. Sereno, Allison L. Beck, Didier B. Dutheil, Hans C. E. Larsson, Gabrielle H. Lyon, Bourahima Moussa, Rudyard W. Sadleir, Christian A. Sidor, David J. Varricchio, Gregory P. Wilson, Jeffrey A. Wilson: Cretaceous sauropods from the Sahara and the uneven rate of skeletal evolution among dinosaurs. In: Science. Bd. 286, Nr. 5443, 1999, S. 1342–1347, doi:10.1126/science.286.5443.1342 (alternativer Volltextzugriff: University of Washington PDF 320 kB).
  3. a b P. C. Sereno et al.: Early Cretaceous Dinosaurs from the Sahara. 1994 (siehe Literatur).
  4. Oliver W. M. Rauhut, Adriana López-Arbarello: Considerations on the age of the Tiouaren Formation (Iullemmeden Basin, Niger, Africa): Implications for Gondwanan Mesozoic terrestrial vertebrate faunas. In: Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeoecology. Bd. 271, Nr. 3–4, 2009, S. 259–267, doi:10.1016/j.palaeo.2008.10.019
  5. vgl. Kurzdiskussion in Jerald D. Harris: A reanalysis of Acrocanthosaurus atokensis, its phylogenetic status, and paleobiogeographic implications, based on a new specimen from Texas. New Mexico Museum of Natural History and Science Bulletin. Bd. 13, 1998 (online), S. 69 (Appendix 2)
  6. Thomas R. Holtz Jr.: Dinosaur Genus List. (PDF; 704 kB) (Version vom 12. Januar 2012). In: Supplementary Information to “Dinosaurs: The Most Complete, Up-to-Date Encyclopedia for Dinosaur Lovers of All Ages”. Abgerufen am 3. Oktober 2013.
  7. a b Gregory S. Paul: The Princeton Field Guide to Dinosaurs. Princeton University Press, Princeton NJ 2010, ISBN 978-0-691-13720-9.
  8. vgl. Kladogramme in M. T. Carrano et al.: The phylogeny of Tetanurae (Dinosauria: Theropoda). 2012 (siehe Literatur), S. 216 ff., 247 ff.
  9. R. B. J. Benson: A description of Megalosaurus bucklandii. 2010 (siehe Literatur), Supplementärmaterial (Appendix S3: Merkmalscodierungen)
  10. M. T. Carrano et al.: The phylogeny of Tetanurae (Dinosauria: Theropoda). 2012 (siehe Literatur), Supplementärdatei Nr. 3 (Quellcode der Nexus-Datei, die u. a. die Merkmalsmatrix enthält).
  11. R. B. J. Benson: A description of Megalosaurus bucklandii. 2010 (siehe Literatur), Supplementärmaterial (Appendix S1: Taxon-Liste und Quellenangaben für die Merkmalszustände)
  12. a b R. B. J. Benson: A description of Megalosaurus bucklandii. 2010 (siehe Literatur), Tabelle 6 und Supplementärmaterial (Appendix S2: Merkmalsbeschreibungen)
  13. a b M. T. Carrano et al.: The phylogeny of Tetanurae (Dinosauria: Theropoda). 2012 (siehe Literatur), Supplementärdatei Nr. 2 (Merkmalsbeschreibungen).
Commons: Afrovenator – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien