Bauhaus-Debatte 1953
Die Bauhaus-Debatte 1953 oder auch Rudolf-Schwarz-Debatte heißt eine 1953 öffentlich geführte Auseinandersetzung um die Ziele und Motive des Neuen Bauens und der Architekturmoderne in Westdeutschland nach 1945. Sie wurde durch das Pamphlet Bilde Künstler, rede nicht des Kölner Architekten Rudolf Schwarz ausgelöst, das im Januar 1953 in der Zeitschrift Baukunst und Werkform erschien und an den Bauhaus Streit der 1920er Jahre anknüpfte.[1][2][3]
Anlass
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Schwarz, Meisterschüler von Hans Poelzig und selbst ein Wegbereiter des Neuen Bauens, erörterte in seinem Artikel die seiner Meinung nach „fehlgeleitete Entwicklung der modernen Architektur, wonach das Bauhaus durch die Abkehr von der Architekturtradition eine Kluft schuf, die das ‚abendländische Gespräch‘ zum Verstummen brachte.“ Er wertete den von Walter Gropius vertretenen Dessauer Bauhausstil[4] als einen vom Rationalismus, mechanischen Materialismus und Technizismus beherrschten Formalismus (Fordismus)[5] aus der Vorkriegszeit und forderte für die Zeit nach 1945 stattdessen eine geschichtsbewusste Moderne.[3]
Wirkung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Schwarz fand für seine Auffassung wenig Verständnis und öffentliche Zustimmung, auch wenn Theodor W. Adorno bereits vor ihm Zweifel am Bauhaus geäußert hatte.[6] Die oft polemischen Auseinandersetzungen vernachlässigten wesentliche Fragen nach einer den Belangen des Wiederaufbaus angemessenen Neuausrichtung der Moderne. So warf Schwarz beispielsweise Walter Gropius vor „nicht denken zu können.“[7] Ironisch sprach er von den „verschiedensten Kundgebungen, mit denen das Bauhaus die Erde beglückt.“ Er kritisierte das Fagus-Werk und das Bauhaus-Gebäude und beschrieb seine erklärten Gegner aus dem Bauhaus als „übertreibende ästhetische Technizisten, als unbrauchbare Ideologen sowie vorlaute und aufgeregte Terroristen.“[3][1]
Die Debatte zog sich über sieben Ausgaben der Baukunst und Werkform hin und wurde in Folge auch von anderen Zeitschriften und Zeitungen wie Die Neue Zeitung aufgegriffen: Rudolf Steinbach bemühte sich, die Gedanken von Rudolf Schwarz zu vermitteln; Walter Gropius wurde von Hermann Mäckler in einem Brief vom 25. Februar 1953 über die Bauhauskritik in Kenntnis gesetzt. Er vertrat im Briefwechsel mit Paul Klopfer, Richard Döcker und Heinrich König seinen Standpunkt in dieser Auseinandersetzung[3][1][8], an dem sich dann Hubert Hoffmann, Guido Remszhardt, Peter Röhl, Louis Schoberth, Rudolf Hillebrecht, Martin Wagner, Hermann Baur, Gottfried Böhm, Theodor Heuss, Rudolf Pfister, Friedrich Lehmann und Emil Steffann beteiligten.
Bedeutung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]„Auf die Schwarz-Debatte (…) wurde zwar (…) immer wieder (…) verwiesen, der größere Zusammenhang aber, die Frage nach einer anderen Moderne neben dem geometrischen und wirtschaftlichen ‚Bauhausstil‘ wurde erst wieder diskutiert, als das sogenannte Wirtschaftswunder die Unwirtlichkeit der Städte schon unwiderruflich besorgt hatte.“[9] Mit diesem Satz verknüpfte Winfried Nerdinger 1994 die Bauhaus-Debatte mit der Großstadt-Debatte, die Alexander Mitscherlich 1969 mit seinem Pamphlet Die Unwirtlichkeit unserer Städte, Anstiftung zum Unfrieden eröffnete.
Die Bauhaus-Debatte 1953 nahm nach Meinung von Thilo Hilpert unmittelbar Einfluss auf das Wettbewerbsverfahren Nationaltheater Mannheim (1953), zu dem Ludwig Mies van der Rohe eingeladen wurde und an dem auch Rudolf Schwarz teilnahm. Im Katalog der Ausstellung Mies van der Rohe im Nachkriegsdeutschland – Das Theaterprojekt Mannheim 1953, die Hilpert 2002 in den Meisterhäusern Kandinsky/Klee in Dessau zeigte, schlussfolgerte er im Kapitel II Die Bauhaus-Polemik 1953, dass der Angriff von Schwarz auf den ‚Glaswürfel‘ zwar Gropius galt, jedoch ungewollt das gläserne Theaterprojekt für Mannheim von Mies van der Rohe, womöglich dessen Rückkehr nach Deutschland, verhinderte; denn Schwarz habe Mies van der Rohe mehr als modernen Klassizisten und weniger als experimentierenden Baumeister wahrgenommen.[10][11] Was Hilpert in diesem Zusammenhang nicht erwähnte, das war der Reimport des Symbols „Bauhaus“ ins kriegszerstörte Westdeutschland durch Gropius, der 1928 mit seinem Abschied vom Bauhaus Dessau seine Marke „Bauhaus“ mitnahm und weltweit als die Moderne vertrat – ganz im Gegensatz zu dessen Nachfolgern Hannes Meyer und Mies van der Rohe. Abgesehen davon war die Bauhaus-Debatte auch ein Angriff auf die Baukunst im Dritten Reich (Architektur im Nationalsozialismus). Sie wurde im Düsseldorfer Architektenstreit von Josef Lehmbrock, Bernhard Pfau u. a. weitergeführt und prägte die westdeutsche Nachkriegsmoderne.
In der Nachfolge der Bauhaus-Debatte 1953 erörterten die Behnisch-Sterling- und Behnisch-Ungers-Debatten, die Stuttgart-21-Debatte, die Debatten um den Palast der Republik und das Berliner Schloss sowie um die Rekonstruktion des Frankfurter Römerbergs und der Meisterhäuser Dessau den Sinn und Unsinn des Bauens, was nicht zuletzt auch für eine Erinnerungskultur mit ihrem Anliegen gilt, Geschichte zu überliefern, zu wahren und zu verantworten wie Hilpert es 2015 rückblickend feststellte:
„Schwarz war nach 1945 für junge Architekten wie (Paul) Schneider-Esleben der erste Architekt, der sie auf die Leistungen der Moderne aufmerksam machte. Er war auch der einzige prominente Architekt der – dafür bei den Darmstädter Gesprächen ‚Mensch und Raum‘ 1951 von Eiermann verspottet – dem Verschwinden der kleinteiligen alten Städte nachtrauerte. (…) Dabei ging es dem konservativen Schwarz (…) um die verlorenen Labyrinthe der Stadt.“[12]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Ulrich Conrads, Magdalena Droste, Winfried Nerdinger, Peter Neitzke: Die Bauhaus-Debatte 1953. Dokumente einer verdrängten Kontroverse (Bauwelt Fundamente, Band 100). Vieweg, Braunschweig, Wiesbaden 1994, ISBN 3-7643-6375-4.
- Brigitte Braun: Verpaßte Chance? Rudolf Schwarz und die Bauhaus-Debatte von 1953. In: Neues Heim, Neue Heimat. Vom Bauhaus zur Produkt- und Objektkultur. 2000, S. 85–92.
- Christian Borngräber: Die Rudolf-Schwarz-Debatte. In: ARCH+. Nr. 56, 1981.
- Rudolf Schwarz: Bilde Künstler, rede nicht. In: Baukunst und Werkform. 1953, S. 9 ff.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b c 1953: Der Bauhaus-Streit - Rudolf Schwarz contra Bauhaus. Deutscher Werkbund NW e.V., archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 25. Februar 2017; abgerufen am 25. Februar 2017.
- ↑ Wolfgang Pehnt: Industrielles Gartenreich. In: Der Spiegel. 28. März 1994, abgerufen am 25. Februar 2017.
- ↑ a b c d Öznur Takıl: Gürzenich Köln / Die Bauhaus-Debatte 1953. In: Nachkriegsarchitektur in Nordrhein-Westfalen. Kunstgeschichtliches Institut der Ruhr-Universität Bochum, abgerufen am 25. Februar 2017.
- ↑ Adolf Stock: Das Gropius Prinzip. Deutschlandradio Kultur, 14. Mai 2008, abgerufen am 26. Februar 2017.
- ↑ Manfred Sundermann: Mechanische Stadt? In: Manfred Sundermann (Hrsg.): Junkers.Dessau, Mechanische Stadt? Anhalt Edition, Dessau 2002, ISBN 3-936383-06-5, S. 153.
- ↑ Theodor W.Adorno, Minima Moralia, Asyl für Obdachlose, Frankfurt 1951, S. 57, ISBN 3-518-41300-7.
- ↑ Florian Fischer: Was man darf oder können muss. Baumeister - Das Architektur Magazin, 13. Oktober 2015, abgerufen am 26. Februar 2017.
- ↑ Hermann Mäckler, Walter Gropius u. a.: Die Bauhaus-Debatte 1953. Hrsg.: Ulrich Conrads... 1994, S. 52 eff.
- ↑ Winfried Nerdinger: Das Bauhaus zwischen Mythisierung und Kritik. In: Ulrich Conrads u. a. (Hrsg.): Die Bauhaus-Debatte 1953, Dokumente einer verdrängten Kontroverse. Vieweg, Braunschweig/Wiesbaden 1994, ISBN 3-528-06100-6, S. 7 f.
- ↑ Thilo Hilpert: Mies van der Rohe im Nachkriegsdeutschland – Das Theaterprojekt Mannheim 1953. E.A.Seemann, Leipzig 2001, ISBN 3-363-00770-1, S. 125 f.
- ↑ Rudolf Bertig: Das Theaterprojekt. Mies van der Rohe Haus Aachen e.V., archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 4. März 2017; abgerufen am 8. März 2017. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Thilo Hilpert: Century of Modernity, Das Jahrhundert der Moderne, Architektur und Städtebau, Essays und Texte. Springer-Vieweg, Wiesbaden 2015, ISBN 978-3-658-07042-7, S. 248 f.: Rudolf Schwarz, Ruinenästhetik und Barock.