Gaslighting

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Als Gaslighting (Gerundium von englisch gaslight, ‚Gasbeleuchtung‘) wird in der Psychologie eine Form von psychischer Manipulation bezeichnet, mit der Opfer gezielt desorientiert, verunsichert und in ihrem Realitäts- und Selbstbewusstsein allmählich beeinträchtigt werden.

Mit dem Begriff wird in englischsprachigen Ländern seit den 1960er-Jahren umgangssprachlich und in der Psychologie der Versuch beschrieben, eine andere Person an ihrer Wahrnehmung der Realität zweifeln zu lassen.[1] Die Täter werden auch als Gaslighter bezeichnet.[2] Auch in der psychologischen Kriegsführung dient Gaslighting als Methode der Meinungsmanipulation und Propaganda.[3][4]

Insbesondere Personen mit dissozialer, narzisstischer oder psychopathischer Persönlichkeitsstörung wenden in manchen Fällen Methoden des Gaslightings an, ohne sich dessen bewusst zu sein.[5] In den meisten anderen Fällen wird hingegen von einer gezielten Anwendung ausgegangen. Motiv der Täter ist häufig Machtausübung gegenüber dem Opfer.[2][6]

Charles Boyer, Ingrid Bergman und Joseph Cotten im Film Das Haus der Lady Alquist (1944)

Gaslighting ist nach dem Theaterstück Gas Light des britischen Autors Patrick Hamilton aus dem Jahr 1938 benannt, welches durch die Verfilmungen Gaslight (GB, 1940) und insbesondere Das Haus der Lady Alquist (USA, 1944)[7] bekannt wurde. In dem Stück verunsichert der Protagonist seine Ehefrau, indem er behauptet, Dinge nicht zu sehen, die sie wahrnimmt, unter anderem die wechselnde Helligkeit einer Gaslaterne, die er selber manipuliert. Schließlich zweifelt die Frau an ihrer eigenen Wahrnehmung und fürchtet, verrückt zu werden, bevor zuletzt die Täuschung aufgedeckt wird.

Verlauf und Wirkung

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Die Wahrnehmung der Realität wird beim Opfer durch die Vortäuschung falscher Tatsachen durch eine oder mehrere andere Personen in Frage gestellt. Das kann durch Verleugnung von real existierenden Dingen, Verhaltensweisen oder Ereignissen geschehen, seltener auch durch eine bewusste Inszenierung derselben. Dabei ist eine Grundvoraussetzung, dass zwischen Täter und Opfer ein Vertrauensverhältnis besteht, damit das Opfer dem Täter und seinen manipulierenden Aussagen glaubt. Mit der Zeit beginnen die Opfer, an ihrem Gedächtnis, ihrer Wahrnehmung und unter Umständen ihrem Verstand zu zweifeln. In Sonderfällen werden die Opfer bewusst isoliert, so dass die manipulativen Aussagen nicht im Gespräch mit anderen Menschen aufgedeckt werden können.[2] Oder Menschen aus dem sozialen Umfeld des Opfers werden ebenfalls manipuliert, um den Standpunkt oder die Aussagen des Täters zu bestätigen bzw. die Wahrnehmungen des Opfers anzuzweifeln und so unwissentlich in der „Inszenierung“ des Täters mitwirken. Hierdurch kann in kurzer Zeit das Selbstvertrauen des Opfers beeinträchtigt und eine soziale Isolierung erreicht werden.[8]

Gaslighting kann von den Auswirkungen her mit DARVO (Deny, Attack and Reverse Victim and Offender) verglichen werden.

In der Literatur werden die Auswirkungen des Gaslightings durch Vorgesetzte mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung beschrieben.[9][10] Auch im Bereich des sexuellen Kindesmissbrauchs, anderen Missbrauchsformen wie dem Grooming (Pädokriminalität)[11][12] sowie emotionalem Missbrauch[8][2] verwenden die Täter Methoden des Gaslightings, um die Opfer während der Tat und danach gezielt zu manipulieren und/oder ein Abhängigkeitsverhältnis herzustellen.[13]

Ähnliche Methoden werden von totalitären Regimen und Sekten als Mittel zur Gehirnwäsche, „Zersetzung“ (Stasi), Manipulation und Indoktrination angewendet und führen beim Opfer unter anderem zu tiefgreifender und nachhaltiger, teilweise existenzieller Verunsicherung und Verwirrung, zur Schwächung und Schädigung von Selbstbewusstsein, Persönlichkeit und Widerstandskraft, zur Herbeiführung von Angst- und Panikzuständen bis hin zu Wahnvorstellungen und psychotischen Zuständen.[8]

Gaslighting funktioniert häufig nach ähnlichem Schema und mit ähnlichen Techniken:

  • Absprechen der Berechtigung oder Uminterpretation der Gefühle des Opfers
  • Behaupten, das Opfer habe etwas getan oder gesagt, was nicht der Realität entspricht
  • Behaupten bzw. leugnen, selbst etwas Bestimmtes getan oder gesagt zu haben
  • Bestreiten, dass ein bestimmtes Ereignis stattgefunden habe
  • Manipulation von Dingen in der Wohnung oder im Umfeld des Opfers (in Abwesenheit des Opfers werden Kleinigkeiten in der Wohnung verändert, Gegenstände werden an ungewöhnliche Orte gelegt, Alltagsgegenstände oder Dokumente versteckt, das Radio eingeschaltet, die Wohnungstür nicht abgeschlossen, das Auto des Opfers umgeparkt etc.) und Beschuldigung des Opfers, es sei zerstreut oder desorganisiert
  • Dem Opfer unzutreffende Realitätswahrnehmung oder falsche Realitätsbeurteilung vorwerfen
  • Dem Opfer die Schuld geben für Streit, Schwierigkeiten in der Beziehung, das Scheitern von Freundschaften, Probleme am Arbeitsplatz, Lebensprobleme usw.
  • Dem Opfer die Worte im Mund herumdrehen oder ihm Worte in den Mund legen
  • Dem Opfer unangemessenes Verhalten, Körpersprache oder Bekleidung vorwerfen
  • Dem Opfer einreden, dass dieses etwas nicht könne, nicht gut genug oder unqualifiziert sei
  • Andere Menschen im Umfeld des Opfers (ggf. auch durch Manipulation) instrumentalisieren und im Rahmen einer „Inszenierung“ veranlassen, in Gesprächen Partei gegen das Opfer zu ergreifen oder falsche Aussagen zu bestätigen
  • Der sozialen Isolation des Opfers (bzw. auch dessen Abhängigkeit oder Bindung an den Täter) Vorschub leisten, indem etwa das Vertrauensverhältnis des Opfers zu Freunden und Verwandten untergraben wird
  • Sein wahres Gesicht als Gaslighter allenfalls dem Opfer gegenüber zeigen, jedoch nicht anderen Menschen gegenüber oder in Gesellschaft.[5][6][14]

Filme wie Der schwarze Spiegel, Wiegenlied für eine Leiche, Er kam nur nachts, Rosemaries Baby, The Girl on the Train, Die Truman Show und die Verfilmungen des Romans 1984 behandeln das Thema.[15]

Psychische Folgen

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Gaslighting kann komplexe (chronische, floride oder progrediente) psychische Erkrankungen wie Depression, Angst-, Panik- oder wahnhafte Zustände auslösen. Die Opfer können eine Posttraumatische Belastungsstörung, Dissoziative Störung oder aufgrund der vom Täter wiederholt genährten Selbstzweifel eine selbstunsicher-vermeidende Persönlichkeitsstörung entwickeln. Das Opfer kann das Gefühl entwickeln, wahnsinnig geworden zu sein und sein Leben nicht mehr im Griff zu haben.[16] Weitere Begleiterkrankungen, auch psychosomatischer Art, sind möglich.[8][6]

Eine Herausforderung im Umgang mit dem Opfer ist, dass das Manipulationsmuster des Gaslightings oft erst mit einem gewissen Abstand erkannt wird. Es kann Jahre oder Jahrzehnte dauern, bis ein Opfer versteht, dass nicht mit ihm selber etwas nicht in Ordnung ist, sondern dass es von einer anderen Person manipuliert wurde und die Folgen emotional verarbeitet.[16] Oft erfordert es eine lange therapeutische Unterstützung, bis sich das Opfer psychisch stabilisiert und sein Selbstvertrauen wiedergewinnt.[17]

In einem im März 2017 auf Spiegel Online erschienenen Kommentar bezeichnet der Journalist Marc Pitzke den Umgang des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump mit Fakten als Gaslighting.[18]

Am 18. April 2019 bezeichnete der Präsidentensohn Donald Trump Jr. auf Twitter wiederum den Umgang vieler Medien mit Trumps sogenannter Russland-Affäre als Gaslighting.[19]

Gaslighting stammt zwar aus dem Kontext persönlicher Beziehungen, ist aber im Berufsleben ebenso hoch relevant. Die verursachten psychischen Probleme wirken sich negativ auf Produktivität, Arbeitsleistung und Karriere aus. Gaslighting verschlechtert das Arbeitsklima, erhöht Teamspannungen und steigert die Fluktuation[20].

Gaslighter ist der Titelsong eines Albums von The Chicks, in welchem dem Ex-Partner Gaslighting vorgeworfen wird.[21]

2022 ernannte Merriam-Webster „Gaslighting“ zum Wort des Jahres, da die Zahl der Kanäle und Technologien, die zur Irreführung verwendet werden, enorm zugenommen habe und das Wort für Wahrnehmungstäuschungen immer häufiger verwendet werde.[22]

Einzelnachweise

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  1. A. J. Larner: A Dictionary of Neurological Signs. 4. Auflage. Springer International Publishing, Cham 2016, ISBN 3-319-29821-6, S. 139.
  2. a b c d Strategie „Gaslighting“: Wie bewusste Manipulation der Realität Menschen krank macht. In: Welt Online. 3. Februar 2017, abgerufen am 21. September 2022.
  3. Bryant Welch: State of Confusion: Political Manipulation and the Assault on the American Mind. Thomas Dunne Books, New York 2018, ISBN 978-1-9829-5766-7.
  4. G. Alex Sinha: Lies, Gaslighting and Propaganda. In: Buffalo law review, 2020, 68, S. 1037.
  5. a b Kira Cossa: Töchter narzisstischer Mütter: Gaslighting. In: Narzissmus.org. Abgerufen am 21. September 2022.
  6. a b c Gaslighting ist subtiler psychischer Missbrauch. In: Jetzt. 9. März 2021, abgerufen am 21. September 2022.
  7. Julius Stucke: Häusliche Gewalt im Kino – Der Stoff, aus dem die Thriller sind: Drehli Robnik im Gespräch. (MP3-Audio; 8 MB; 8:42 Minuten) In: Deutschlandfunk-Kultur-Sendung „Kompressor“. 19. September 2022, abgerufen am 19. September 2022.
  8. a b c d Sandra Berthaler: Psycho-Terror in Beziehungen: Manipulation bis in den Wahnsinn: So missbrauchen „Gaslighter“ ihre Opfer. In: Focus Online. 19. November 2017, abgerufen am 21. September 2022.
  9. Granville King III: Narcissism and effective crisis management: A review of potential problems and pitfalls. In: Journal of Contingencies and Crisis Management. 15.4, 28. November 2007, S. 183–193, abgerufen am 21. September 2022 (englisch).
  10. Roy Lubit: The long-term organizational impact of destructively narcissistic managers. In: Academy of Management Perspectives. 16.1, 2002, S. 127–138, abgerufen am 21. September 2022.
  11. Anita Heiliger: Täterstrategien bei sexuellem Missbrauch und Ansätze der Prävention. (PDF; 76 kB) In: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis. 56/57, 2001, S. 71–82, abgerufen am 21. September 2022.
  12. Grooming. In: dillingen.de. Abgerufen am 21. September 2022.
  13. Florence Rush: The best-kept secret: sexual abuse of children. Human Services Institute, Bradenton (Florida) 1992, ISBN 0-8306-3907-1.
  14. Bärbel Wardetzki: Gaslighting: Die vollkommene Verunsicherung – „Ich dachte, ich werde verrückt“. (PDF; 538 kB) In: Lea. 27. Dezember 2016, abgerufen am 21. September 2022.
  15. Christine Makepeace: Westworld, The Truman Show, and Gaslighting. In: filmschoolrejects. 20. Dezember 2016, abgerufen am 21. September 2022 (englisch).
  16. a b Melanie Wolfmeier: „Für Gaslighting-Opfer ist Beziehung Manipulation“. In: Jetzt. 5. November 2016, abgerufen am 21. September 2022 (Interview mit Bärbel Wardetzki).
  17. Julia Naue: Wenn andere unsere Wahrnehmung manipulieren. In: Badische Zeitung. 6. Februar 2017, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 23. Februar 2018; abgerufen am 21. September 2022.
  18. Marc Pitzke: Im Spiegelkabinett der Lügen. In: Der Spiegel (online). 21. März 2017, abgerufen am 21. September 2022.
  19. Donald Trump Jr.: A reminder for @CNN and the rest of those in the mainstream media gaslighting. In: Twitter. 18. April 2019, abgerufen am 19. April 2019 (englisch).
  20. Priyam Kukreja, Jatin Pantey: Workplace gaslighting: Conceptualization, development, and validation of a scale. Abgerufen am 12. April 2024.
  21. Dieter Kassel: The Chicks: „Gaslighter“ – Das Trio mit dem progressiven Country ist zurück: Fabian Wolff im Gespräch. (MP3-Audio; 5,2 MB; 5:42 Minuten) In: Deutschlandfunk-Kultur-Sendung „Studio 9“. 17. Juli 2020, abgerufen am 22. September 2022.
  22. Word of the Year 2022. Abgerufen am 10. Dezember 2022 (englisch).
  23. Jan Drees: Rezensorium: Sandbergs Liebe. In: lesenmitlinks.de. Abgerufen am 14. Juni 2020.
    Katrin Schumacher: „Sandbergs Liebe“: Roman über die Zerstörungskraft einer manipulativen Liebesbeziehung. In: MDR Kultur. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 3. Februar 2019; abgerufen am 22. September 2022 (Interview mit Jan Drees).