Gießen-Test
Der Gießen-Test (GT)[1] ist ein psychologisches Testverfahren aus dem Bereich der Persönlichkeitstests. Autoren sind die Psychologen Dieter Beckmann, Elmar Brähler und Horst-Eberhard Richter, die an der Universität Gießen lehrten.
Hintergrund
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Entwicklung des Gießen-Tests begann bereits 1964. Die erste Version des Verfahrens wurde 1972 publiziert.[2] Die letzte Auflage datiert aus dem Jahr 1991.[1] 2012 erschien unter dem Namen „GT-II. Der Gießen-Test II“ eine überarbeitete Version, die sich vor allem durch die Aufnahme neuer Normwerte, einer Modernisierung des Layouts, vereinfachte Auswertungsmodilitäten sowie der Ergänzung neuer Studien im Manual auszeichnet.[3]
Es handelt sich um ein sehr verbreitetes Verfahren der Persönlichkeitsdiagnostik. Den Gießen-Test gibt es in zahlreichen fremdsprachigen Versionen, z. B. in Englisch, Französisch, Russisch, Schwedisch, Tschechisch oder Japanisch.[4] In die Entwicklung des Verfahrens flossen psychoanalytische, lerntheoretische, interaktionistische und sozialpsychologische Konzepte und Theorien ein.[4][5][6] Der Gießen-Test unterscheidet sich damit von den Persönlichkeitstests der sogenannten Big Five.
Der Test kann bei Personen ab 18 Jahren und einem Intelligenzquotienten größer 80 eingesetzt werden.[5] Mit diesem Verfahren kann sowohl das Selbst- und Idealbild der eigenen Person als auch das Fremdbild anderer Personen erfasst werden. Die Durchführung ist als Einzel- oder Gruppenuntersuchung möglich. Die Beantwortung der Fragen dauert ca. 10 bis 15 Minuten, die Auswertung etwa 5 bis 10 Minuten.[4] Der Gießen-Test ist als Computerversion im Hogrefe TestSystem verfügbar.
Der Gießen-Test verfügt über ein breites Einsatzspektrum, etwa in der Psychotherapieforschung, der klinischen Psychologie, differentiellen Psychologie, Psychiatrie oder Psychosomatik. Er ermöglicht individuelle Vergleiche zwischen Selbst- und Fremdbild, Selbst- und Idealbild, Vergleiche zwischen verschiedenen Personen und die Veränderungsmessung der Persönlichkeitseigenschaften im Zeitverlauf. Der Gießen-Test kann auch zur Paardiagnostik herangezogen werden.[7]
Skalen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die 40 Fragen des Gießen-Tests sind den folgenden sechs Skalen zugeordnet:
- Soziale Resonanz
- Dominanz
- Kontrolle
- Grundstimmung
- Durchlässigkeit
- Soziale Potenz
In der Kontrollskala M werden weiterhin die Fragen erfasst, die mit Null beantwortet wurden. Die Skala E erfasst die Ankreuzungen der Extremwerte (Zahl Drei).[4] Alle Fragen des Verfahrens sind als bipolare Aussagen formuliert, zu denen auf einer siebenstufigen Skala die Zustimmung zur links- bzw. rechtsstehenden Formulierung zu treffen ist:
1 | Ich habe den Eindruck, ich bin eher ungeduldig | 3 2 1 0 1 2 3 | eher geduldig. |
10 | Ich glaube, ich habe zu anderen Menschen eher besonders viel | 3 2 1 0 1 2 3 | besonders wenig Vertrauen. |
40 | Ich fühle mich im Umgang mit dem anderen Geschlecht unbefangen | 3 2 1 0 1 2 3 | sehr befangen. |
Gütekriterien
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Objektivität
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Objektivität des Verfahrens ist durch die Standardisierung der Durchführung (z. B. festgelegtes Frageschema und Antwortformat) und der Auswertung (Festlegung der Skalenzuordnung) gegeben.
Reliabilität
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Reliabilität des Verfahrens wurde in vielen Studien gezeigt. Die mittlere Stabilität (Interne Konsistenz) der Skalen beträgt .86. Die Retest-Reliabilität lag bei N = 204 Versuchspersonen nach sechs Wochen zwischen r = .65 und r = .76.[4][6]
Validität
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Zahlreiche Untersuchungen belegen die Validität des Verfahrens. Die Items des Gießen-Tests sind inhaltsvalide. Faktorenanalysen zeigten die weitgehende Unabhängigkeit der sechs Skalen (Ausnahme: Skala Soziale Potenz).[4] Vergleiche mit anderen Verfahren der Persönlichkeitsdiagnostik wurden in verschiedenen Studien vorgenommen, etwa in Bezug zum Fragebogen zum erinnerten elterlichen Erziehungsverhalten (FEE) oder dem Inventar zur Erfassung interpersoneller Probleme (IIP-D).[8] Neuere, deutschlandrepräsentative Daten belegen die Gültigkeit des Verfahrens im Vergleich zum Neo-Fünf-Faktoren-Inventar (NEO-FFI).[9]
Normen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Handbuch sind Werte einer Normierungsstudie aus dem Jahr 1989 dokumentiert (nur alte Bundesländer).[1] Für den Gießen-Test liegen neuere, deutschlandrepräsentative Normwerte vor, die 1994[8] und 2006[3][10] erhoben wurden. Die Ausprägung der Skalenwerte ist abhängig von Geschlecht, Alter und Wohnsitz (Ost-/Westdeutschland). Für ältere Personen über 60 Jahre sind separate Normwerte verfügbar.[11]
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Fragebogen
- Testtheorie (Psychologie)
- Klassische Testtheorie
- Gütekriterien psychodiagnostischer Verfahren
- Psychologische Diagnostik
- Qualitätssicherung in der Psychologischen Diagnostik
- Persönlichkeitseigenschaft
- Persönlichkeitsfragebogen
- Minnesota Multiphasic Personality Inventory
- Freiburger Persönlichkeitsinventar
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Bibliographie zum Gießen-Test Stand 30. November 1998, abgerufen am 26. Februar 2011
- Gießen-Test im Hogrefe Testsystem, abgerufen am 26. Februar 2011
- Der Gießen-Test II von Dieter Beckmann, Elmar Brähler, Horst-Eberhard Richter Verlag Hans Huber Bern 2012 (Weiterentwicklung).
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b c Beckmann, D., Brähler, E. & Richter, H.-E. (1991). Der Gießen-Test (GT). (4. erweiterte und überarbeitete Auflage mit Neustandardisierung 1990). Bern: Huber.
- ↑ Beckmann, D. & Richter, H. E. (1972). Der Gießen-Test (GT). Bern: Huber.
- ↑ a b Beckmann, D., Brähler, E. & Richter, H.-E. unter Mitarbeit von Spangenberg, L. (2012). GT-II Der Gießen-Test II. Bern: Huber.
- ↑ a b c d e f Klaiberg, A. (2002). GT. Gießen-Test. In E. Brähler, J. Schumacher & B. Strauß (Hrsg.), Diagnostische Verfahren in der Psychotherapie (S. 172–175). Göttingen: Hogrefe.
- ↑ a b Soeder, U. (2003). GT. Der Gießen-Test. In H. Berth & F. Balck (Hrsg.), Psychologische Tests für Mediziner (S. 56–57). Heidelberg: Springer.
- ↑ a b Wischmann, T. (2002). Gießen-Test (GT). In E. Brähler, H. Holling, D. Leutner & F. Petermann (Hrsg.), Brickenkamp. Handbuch psychologischer und pädagogischer Test. Band 1. 3. Aufl. (S. 661–662). Göttingen: Hogrefe.
- ↑ Brähler, E. & Brähler, C. (1993). Paardiagnostik mit dem Gießen-Test. Bern: Huber.
- ↑ a b Brähler, E., Schumacher, J. & Brähler, C. (1999). Erste gesamtdeutsche Normierung und spezifische Validitätsaspekte des Gießen-Tests. Zeitschrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie, 20, 231–243.
- ↑ Roth, M., Körner, A. & Herzberg, P.Y. (2008). Typological and dimensional approach at comparing the Giessen Test (GT) with the NEO-Five-Factor-Inventory (NEO-FFI). GMS Psychosoc Med 2008;5:Doc06.
- ↑ Spangenberg, L. & Brähler, E. (2011). Bevölkerungsrepräsentative Neunormierung des Gießen-Tests (14–92 Jahre). Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie, 61, efirst doi:10.1055/s-0031-1271639.
- ↑ Gunzelmann, T., Schumacher, J. & Brähler, E. (2002). Normierung des Gießen-Tests für über 60-Jährige. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 35, 13–20.