Hypertrichose
Klassifikation nach ICD-10 | |
---|---|
L68 | Hypertrichose
Inkl.: Verstärkter Haarwuchs Exkl.: Angeborene Hypertrichose Exkl.: Persistierende Lanugobehaarung |
L68.1 | Hypertrichosis lanuginosa acquisita |
L68.2 | Lokalisierte Hypertrichose |
L68.8 | Sonstige Hypertrichose |
L68.9 | Hypertrichose, nicht näher bezeichnet |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Als Hypertrichose, Hypertrichosis (altgriechisch ὑπέρ: über, θρίξ: Haar) oder Polytrichie bezeichnet man das Symptom einer über das übliche Maß hinausgehenden Haardichte bzw. Behaarung, die weder dem Altern noch dem Geschlecht oder der ethnischen Herkunft entsprechen.[1] Es wird zwischen angeborenen und erworbenen Formen unterschieden, sowie zwischen generalisierter, lokalisierter und symptomatischer Hypertrichose.[2]
Generalisierte Hypertrichose betrifft den gesamten Körper mit Ausnahme der Fußsohlen und Handflächen. Die seit früheren Jahrhunderten bekannten und so genannten Haarmenschen waren bzw. sind hiervon betroffen.
Von der Hypertrichose abzugrenzen sind alle Formen hormonell bedingter Änderungen des geschlechtsspezifischen Behaarungstypes, bei Frauen als Hirsutismus bezeichnet.
Erscheinungsformen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Angeboren, lokal
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Hypertrichose kann von Geburt an und lokal begrenzt auftreten, beispielsweise als behaarter Naevus pilosus (Tierfellnävus), oder auch als verstärkte, teilweise der Kopfbehaarung ähnliche Behaarung über dem Kreuzbein bei Erkrankungen, bei denen das Neuralrohr in der Embryonalentwicklung nicht vollständig geschlossen wurde (sogenannte Dysraphien), beispielsweise der Spina bifida.
Angeboren, generalisiert
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Es gibt vererbte, angeborene generalisierte Formen, siehe unter Kongenitale generalisierte Hypertrichose.
Erworben, generalisiert
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die den Fötus bedeckende Lanugobehaarung kann nach der Geburt als erworbene Form neu auftreten (Hypertrichosis lanuginosa acquisita); dies ist sehr selten im Rahmen von Krebserkrankungen als sogenanntes paraneoplastisches Syndrom besonders bei Eingeweidetumoren der Fall (Herzberg-Potjan-Gebauer-Syndrom).
Einige Medikamente können eine generalisierte Hypertrichose auslösen. Ein Beispiel ist das Blutdruckmedikament Minoxidil, das bei äußerlicher Anwendung auch zur Therapie eines umschriebenen Haarausfalls verwendet wird.[3]
Komorbidität
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bei verschiedenen Erkrankungen kann eine Hypertrichose wesentliches Merkmal sein, so beim Amaurose-Hypertrichose-Syndrom, Barber-Say-Syndrom, Gorlin-Chaudhry-Moss-Syndrom und beim Wiedemann-Steiner-Syndrom. Das Online-Informationsportal für seltene Erkrankungen Orphanet unterscheidet insgesamt 15 Störungen, die mit Hypertrichose einhergehen. Nur eine Form, die generalisierte kongenitale, X-chromosomale Hypertrichose, ist dabei an das X-Chromosom gebunden.[4]
Geschichte der „Haarmenschen“
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In früheren Jahrhunderten waren sogenannte Haarmenschen in vielen Fällen der Schaulust ihrer Umgebung ausgesetzt; sie nutzten ihre körperliche Besonderheit teils aber auch, mehr oder weniger freiwillig, als Quelle ihres Lebensunterhaltes.[5]
In der Renaissance lebten Haarmenschen an den königlichen Höfen Frankreichs, Italiens und der Niederlande, wo sie unterrichtet wurden und als menschliche Kuriositäten Teil des Hofstaates waren. Bekannt in der Überlieferung wurde zum Beispiel der Affenmensch Petrus Gonsalvus (1537–1618), der eine Zeitlang am Hof des französischen Königs Heinrich II. lebte. Vier seiner sieben Kinder, darunter auch seine Tochter Tognina Gonsalvus, erbten die Hypertrichose.[6]
Einige berühmte Haarmenschen arbeiteten als Freaks sowie „bärtige Frauen“ auf den Jahrmärkten oder begleiteten Side Shows des 19. Jahrhunderts,[7] wie etwa Julia Pastrana (1834–1860), Krao Farini (1876–1926) und Lionel der Löwenmensch (1890–1932).
Seit 2010 gilt die Thailänderin Supattra Sasupan (* 5. August 2000) im Guinness-Buch der Rekorde als das haarigste Mädchen der Welt.[8][9]
Kultur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Mythen und Volksmärchen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Mythos des Werwolfs hängt möglicherweise mit der Erkrankung Hypertrichose zusammen, angeblich auch das Volksmärchen Die Schöne und das Biest.
Filme
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Human Nature, USA 2001
- Fell – Eine Liebesgeschichte, USA 2006
- Milo, Niederlande 2012[10]
- Moon of Desire, Philippinen 2014[11]
- The True Adventures of Wolfboy, USA 2019[12]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Was uns die Waldmenschen erzählen. In: Die Gartenlaube. Heft 3, 1874, S. 59–61 (Volltext [Wikisource] – mit Abb.).
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Diagnostik und Therapie Dermatologie. Hypertrichose Thieme, aufgerufen am 31. Oktober 2021
- ↑ Erkrankungen der Haare. Hypertrichosen Springer Medizin, aufgerufen am 31. Oktober 2021
- ↑ A. W. Lucky u. a.: A randomized, placebo-controlled trial of 5% and 2% topical minoxidil solutions in the treatment of female pattern hair loss. In: J Am Acad Dermatol. 2004 Apr; 50(4), S. 541–553 PMID 15034503
- ↑ Eintrag zu Hypertrichose, generalisierte kongenitale, X-chromosomale. In: Orphanet (Datenbank für seltene Krankheiten), abgerufen am 22. Mai 2021.
- ↑ Roberto Zapperi: Der wilde Mann von Teneriffa. Die wundersame Geschichte des Pedro Gonzalez und seiner Kinder. C.H. Beck, München 2004.
- ↑ Haarmensch, Petrus Gonsalvus (geboren 1556), Pedro Gonsales Europeana, aufgerufen am 31. Oktober 2021
- ↑ Leslie Fiedler: Freaks. Myths and Images of the Secret Self. New York 1978.
- ↑ Wolfskind Supattra Sasupan: Diese Elfjährige ist das haarigste Mädchen der Welt. In: Berliner Kurier, 12. Juli 2011.
- ↑ Supatra Sasuphan: Meet the world's hairiest girl (engl.) Briefly, aufgerufen am 31. Oktober 2021
- ↑ IMDb: Milo
- ↑ IMDb: Moon of Desire
- ↑ IMDb: The True Adventures of Wolfboy