Riboflavin

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Strukturformel
Struktur von Riboflavin
Allgemeines
Trivialname Vitamin B2
Andere Namen
  • Riboflavin
  • Lactoflavin
  • 7,8-Dimethyl-10-(D-ribo-2,3,4,5-tetrahydroxypentyl)-3H,10H-benzo[g]pteridin-2,4-dion (IUPAC)
  • 7,8-Dimethyl-10-(D-ribit-1-yl)-isoalloxazin (WHO)
  • E 101[1]
  • RIBOFLAVIN[2], LACTOFLAVIN (INCI)[3]
Summenformel C17H20N4O6
CAS-Nummer 83-88-5
PubChem 1072
ATC-Code

A11HA04

DrugBank DB00140
Kurzbeschreibung bitter schmeckender, gelb bis orangefarbener Feststoff[4]
Vorkommen Leber, Hefe, Weizenkeime
Physiologie
Funktion Vorstufe für Flavin-Coenzyme (FAD, FMN)
Täglicher Bedarf 1,5–1,7 mg
Folgen bei Mangel Entzündungen der Haut (Exantheme, Hautrisse), Störungen des Wachstums, der Blutbildung (etwa mit hypochromer Laktoflavinmangelanämie[5]) und neurologischer Art
Überdosis nicht bekannt
Eigenschaften
Molare Masse 376,37 g·mol−1
Aggregatzustand fest
Schmelzpunkt

278–282 °C (Zersetzung)[6]

Löslichkeit
Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[6]
keine GHS-Piktogramme
H- und P-Sätze H: keine H-Sätze
P: keine P-Sätze[6]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Riboflavin, auch Lactoflavin oder Vitamin B2, frühere Bezeichnung Vitamin G, ist ein Vitamin aus dem B-Komplex. Riboflavin ist Bestandteil bei Flavin-Adenin-Dinukleotid (FAD) sowie Flavinmononukleotid (FMN), die wiederum Cofaktoren zahlreicher Dehydrogenasen und Oxidoreduktasen sind.

1879 isolierte der englische Chemiker Alexander Wynter Blyth eine wasserlösliche, gelb-grünlich fluoreszierende Verbindung aus Milch, die er „Lactochrom“ bezeichnete.[7] Blyth war aber nicht in der Lage, dessen Struktur aufzuklären oder weitere chemische Eigenschaften zu bestimmen.

In den 1910er und 1920er Jahren wurden verschiedene essentielle Stoffe, insbesondere die in Milch, in Fütterungsstudien an Tieren durch Frederick Gowland Hopkins, Elmer McCollum, Marguerite Davis und Cornelia Kennedy untersucht.[7] Hierbei nahm McCollum an, dass Nahrungsmittel einen fettlöslichen Faktor A (z. B. in Butterfett, Eigelb und Fischöl) und einen wasserlöslichen Faktor B (in Milch, Eigelb oder Getreidekeim) enthält. Zur ähnlichen Zeit hatte der Mediziner Joseph Goldberger bei der Untersuchung der Krankheit Pellagra herausgefunden, dass insbesondere eine Supplementation von Eiern, Milch und Fleisch diese heilen und verhindern konnte. Er postulierte 1927, dass dieser Pellagra-verhindernde Faktor derselbe sei, der von McCollum als der „wasserlösliche Faktor B“ identifiziert wurde – tatsächlich handelt es sich aber um Vitamin B3.

Hariette Chick und Margaret Honora Roscoe schlugen 1927 vor, dass jener wasserlösliche Faktor B in Wirklichkeit aus mindestens zwei Faktoren bestand: das antineuritische (Beriberi-verhindernde) Vitamin B1 sowie das ebenfalls wasserlösliche Vitamin B2.[7] In den 1930er Jahren untersuchte Paul Gyorgy den Vitamin B-Komplex bei Ratten. Hierbei nahm er zunächst an, dass dieser aus den Vitaminen B1 (der antineuritische Faktor), B4 (das Koordinationsverluste und Ataxien verhinderte) sowie das Pellegra-verhindernde B2. Jedoch vermutete er auch 1932, dass sich „B2“ in zwei weitere Faktoren aufteilen müsse: ein Faktor, der Pellegra verhindert und einer, der hauptsächlich das Wachstum förderte. Richard Kuhn gelang 1933 die Isolation aus Milch („Lactoflavin“), es hatte dieselben Charakteristika wie von Blyth isoliertes Lactochrom.[7] Das aus Eiklar isolierte Riboflavin wurde analog als „Ovoflavin“ (auch „Ovaflavin“), das aus der Leber als „Hepatoflavin“ bezeichnet.[7]

Die Struktur des Riboflavins wurde schließlich 1934/35 unabhängig durch Kuhn und Paul Karrer aufgeklärt; bei Lactoflavin, Ovoflavin und Hepatoflavin handelte es sich um dieselbe Substanz.[7] Zudem konnten Gyorgy, Thomas William Birch und Leslie Julius Harris (unabhängig von der Arbeitsgruppe um Conrad Elvehjem) 1935 zeigen, dass der Pellegra-verhindernde Faktor sich tatsächlich von Riboflavin unterschied. Der Name „Riboflavin“ wurde 1937 vorgeschlagen und auch angenommen. Vorher war Riboflavin auch unter der Bezeichnung „Vitamin G“[8] aufgrund seiner grünlich fluoreszierenden Eigenschaften unter UV-Licht bekannt.[9]

Weitere Arbeiten von William Henry Sebrell und Roy Edwin Butler bestätigten 1939 die essentielle Natur Riboflavins.

Riboflavin enthält einen Ribityl-Rest („Ribo“) und ein gelbes Chromophor („Flavin“). Das Flavin ist ein Derivat des Heterozyklus Isoalloxazin, ein tricyclisches stickstoffhaltiges Ringsystem. An dessen Positionen 7 und 8 befinden sich Methylgruppen, an Position 10 liegt der 1’-Ribitylrest. Modifikationen verschlechtern erheblich die Wirkung als Vitamin.[10] Isoriboflavin, D-Araboflavin, D-Galactoflavin, 7,8-Diethyl- sowie 7,8-Dichlor-10-(D-1’-ribityl)-Isoalloxazin sind Vitamin B2-Antagonisten.

Riboflavin zählt – obwohl wenig in Wasser löslich – zu den wasserlöslichen Vitaminen. Es ist licht- bzw. insbesondere UV-empfindlich, unter sauren bzw. alkalischen Bedingungen bildet sich hierbei photolytisch das biologisch inaktive Lumichrom bzw. Lumiflavin.[11] Dies kann sich bei Milch in Klarglasflaschen nachteilig auf den Vitamin B2-Gehalt auswirken.

Dagegen ist es so stabil gegen Hitze und Sauerstoff[4], dass die Verluste beim Kochen bei etwa 20 % liegen.[11]

Pflanzen und viele Mikroorganismen stellen Riboflavin ausgehend aus GTP und Ribulose-5-phosphat her.[12] GTP wird in eine Serie von Reaktionen zu 5-Amino-6-(D-ribitylamino)uracil konvertiert, die Ribulose in L-3,4-Dihydroxy-2-butanon-4-phosphat. Beide kondensieren dann mit Hilfe der Lumazinsynthase zu 6,7-Dimethyl-8-ribityllumazin. Zwei dieser Moleküle werden schließlich zu Riboflavin umgesetzt, was eine Riboflavinsynthase in einer Disproportionierungsreaktion unter Abspaltung von 5-Amino-6-(D-ribitylamino)uracil katalysiert.

Industrielle Herstellung

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Organische Synthese

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Die organische Synthese wird ausgehend von D-Ribose gestartet. Alternativ kann auch D-Glucose verwendet werden. Dabei wird die D-Glucose über Oxidation, Epimerisierung der Hydroxygruppen und anschließender Reduzierungen zu D-Ribose umgewandelt.

Die D-Ribose wird mit 3,4-Xylidin bei 50–80 °C in Methanol gelöst. Dabei wird Wasserstoff unter einem Druck von 3 bar an einen Palladium-Kohle-Katalysator zugeströmt, wodurch der doppelt gebundene Sauerstoff zwei Wasserstoffatome aufnehmen kann und sich somit Wasser aus der Verbindung abspalten kann. Diese Abspaltung ist die Triebkraft für die Bildung des Zwischenprodukts N-D-Ribityl-3,4-xylidin.

Dieses Zwischenprodukt wird im Folgenden mit einem Anilinderivat, zum Beispiel Phenyldiazoniumchlorid, in Essigsäure gegeben, wobei sich 1-D-Ribitylamino-3,4-dimethyl-6-phenylazobenzol bildet. Diese elektrophile aromatische Substitutionsreaktion, bei der das Diazoniumsalz mit dem aktivierten Aromaten reagiert, wird Azokupplung genannt. Dabei wird das positiv geladene Stickstoffatom des Diazoniumsalzes von der ortho-Position des N-D-Ribityl-3,4-xylidins angegriffen, wobei unter Abspaltung von Chlorwasserstoffsäure 1-D-Ribitylamino-3,4-dimethyl-6-phenylazobenzol entsteht.

Zuletzt wird das 1-D-Ribitylamino-3,4-dimethyl-6-phenylazobenzol in Eisessigsäure und Dioxan gelöst und Barbitursäure zugegeben. Ein doppelt gebundener Sauerstoff der Barbitursäure wird dabei Protonen aufnehmen und unter der Abspaltung von Wasser (Kondensationsreaktion) das Ringsystem öffnen. Das Intermediat bindet dann an das 1-D-Ribitylamino-3,4-dimethyl-6-phenylazobenzol, wobei es unter Abspaltung von Anilin einen intramolekularen Ringschluss vollzieht.

Das entstandene Produkt ist Riboflavin und kann anschließend aufgereinigt werden.[13]

Mikrobielle Produktion

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Die Herstellung mittels Mikroorganismen begann in den 1940er-Jahren mittels Clostridium acetobutylicum.[14][13] Hierbei machte man sich die Aceton-Butanol-Ethanol-Gärung zu Nutze, bei der Riboflavin als Nebenprodukt gebildet wird. Filamentöse Pilze wie Eremothecium ashbyi oder Ashbya gossypii erzeugen natürlicherseits große Mengen an Riboflavin und wurden in den Folgejahren und ‑jahrzehnten eingesetzt. Lange Zeit waren diese der chemischen Herstellung aber unterlegen, so beendeten 1968 drei Firmen die Herstellung mittels Fermentation wieder drei Jahre nach begonnener Produktion.[13]

Dies änderte sich erst 1990, als Vitamin B2 biotechnologisch mit Hilfe von A. gossypii hergestellt werden konnte.[15] Denn durch genetische Modifikationen wurden Varianten erzeugt, die Vitamin B2 überexprimieren. Der Wildtyp von A. gossypii produziert etwa 5 g Riboflavin pro Liter Kultur, heutige Produktionsstämme dagegen liefern mehr als 15 g/l.[14] 1990 begann BASF mit der Großproduktion, die parallel betriebene chemische Synthese wurde 1996 schließlich zugunsten der mikrobiellen Produktion aufgegeben.[13]

Alternativ wird Riboflavin auch durch gentechnisch veränderte Stämme von Bacillus subtilis (14 g/l) oder Candida famata var. flareri (20 g/l) produziert.[15][14] Die einstufige mikrobielle Produktion übertrifft mittlerweile die mehrstufigen chemischen Verfahren.

In der Fermenterkultur führt die geringe Löslichkeit Riboflavins zur Kristallisation, was die Aufarbeitung nach Pasteurisierung erheblich mittels (mehrstufiger) Zentrifugation erleichtert.[15] Das damit erhaltene Roh-Riboflavin (Reinheitsgrad 85 %) wird gewaschen, was in einem Reinheitsgrad von mindestens 96 % resultiert. Dieses wird als Futtermittel verwendet. Für Lebensmittel oder zur Verwendung in der pharmazeutischen Industrie wird ein höherer Reinheitsgrad von mindestens 98 % benötigt, was mittels Umkristallisation erfolgt.

Riboflavin dient als Vorstufe für Flavin-Koenzyme (FAD, FMN), die insbesondere in Oxidoreduktasen, z. B. NADH-Dehydrogenase, eine große Rolle spielen. Dadurch nimmt es im Stoffwechsel eine zentrale Rolle ein.

Aufnahme und Metabolismus

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Vitamin B2 in Nahrungsmitteln ist üblicherweise an Proteine gebunden und wird im Magen zunächst in Form von FAD oder FMN freigesetzt.[16] Beide werden durch intestinale Pyrophosphatasen bzw. Phosphatasen zu Riboflavin umgesetzt, dies geschieht an der Bürstensaummembran der Epithelzellen des Dünndarms. In dessen proximalen Bereich wird freies Riboflavin schließlich durch einen ATP- und natriumionenabhängigen Transports in die Mukosazellen absorbiert, was durch Gallensäuren erleichtert wird. Eine passive Diffusion ist bei hohen Dosen ebenfalls möglich. Dagegen vermindern Kupfer, Zink, Eisen, Coffein, Theophyllin, Saccharin, Tryptophan, Niacin und Ascorbinsäure die Aufnahme.[10]

Nach Aufnahme in den Mukosazellen erfolgt eine ATP-abhängige Rephosphorylierung mittels einer Flavokinase zu FMN.[16] Dieses gelangt in den Blutkreislauf und wird dort – wie auch Riboflavin selbst – in gebundener Form (lose an Albumin, fester gebunden an Immunglobulinen oder auch spezifische riboflavinbindende Proteine gerade in der Schwangerschaft) transportiert.[10] Durch die Pfortader gelangen diese in die Leber und werden dort größtenteils aufgenommen, es liegt ein starker First-Pass-Effekt vor.

Im Organismus liegt Riboflavin überwiegend in phosphorylierter Form vor.[16] FMN selbst ist zum kleinen Teil an spezifische Apoenzyme gebunden, wird aber größtenteils in FAD durch FAD-Synthetasen überführt, was in fast allen Geweben erfolgt (insbesondere in der Leber, den Nieren und im Herzmuskel). Daher sind diese Organe Vitamin B2-reich. FMN und FAD sind die Hauptspeicherformen für das Vitamin.

Findet FAD keine weiteren Apoenzyme zur Bindung bzw. übersteigt die Vitamin B2-Aufnahme den physiologischen Bedarf, wird es über die Nieren, dort durch aktive tubuläre Sekretion, wieder ausgeschieden.[16] Im Urin findet sich größtenteils Riboflavin, ferner in der Leber gebildetes 7-α- und 8-α-Hydroxyriboflavin sowie weitere Abbauprodukte.

Vitamin-B2-Gehalte in Lebensmittel[16]
Lebensmittel mg / 100 g
Schweineleber 3,17
Camembertkäse 0,6
Quark 0,3
Hühnerei 0,28
Cashewnuss 0,26
Rindfleisch, mager 0,26
Spinat 0,23
Brokkoli 0,18
Erbsen 0,16
Kuhmilch, 3,5 % Fett 0,18
Jogurt 0,15
Kartoffel 0,05
Weizenmehl (Type 405) 0,03
Apfel 0,03

Vitamin B2 liegt in der Nahrung meistens als FMN oder FAD gebunden an Eiweißen vor (in Form von Flavoproteinen).[16] In freier oder glykosylierter Form (Riboflavinyl-Glycosid) ist es seltener verbreitet.

Es kommt insbesondere in Lebensmitteln tierischen Ursprungs vor (Milch und Milchprodukte), aber auch in Vollkornprodukten sowie Gemüse wie Broccoli, Spargel oder Spinat. Riboflavin ist insbesondere im Keimling und in der Kleie enthalten, dagegen weist Weißmehl ca. ein Drittel des Ausgangswertes auf.[10] Daher ist bei Getreide der Ausmahlungsgrad bestimmend.

Die Bioverfügbarkeit wird bei über 60 % für Milch und Spinat angegeben.[11]

Empfohlene Zufuhr von Vitamin B2[17]
Altersgruppe D-A-CH (2019)

mg / Tag

EFSA (2017)

(Population Reference Intake)

mg / Tag

Kleinkinder (4–7 Jahre) 0,8 0,7
Kinder (7–10 Jahre) 1,0 (♂); 0,9 (♀) 1,0 (< 11 Jahre)
Jugendliche (10–13 Jahre) 1,1 (♂); 1,0 (♀) 1,4 (≥ 11 Jahre)
Jugendliche (13–15 Jahre) 1,4 (♂); 1,1 (♀)
Adoleszente (15–19 Jahre) 1,6 (♂); 1,2 (♀) 1,6 (< 18 Jahre)
Erwachsene 1,3–1,4 (♂)

1,0–1,1 (♀)

1,6 (≥ 18 Jahre)
Schwangere

2. Trimester 3. Trimester

1,3

1,4

1,9
Stillende 1,4 2,0

Von den D-A-CH-Gesellschaften wurden Zufuhrempfehlungen für Vitamin B2 abgeleitet, abhängig vom Alter und Geschlecht (vgl. Tabelle). Die von der EFSA abgeleiteten Zufuhrreferenzwerte ähneln denen der D-A-CH-Gesellschaften.

Aus Basis vorhandener Daten legt das BfR keine Höchstmenge für Nahrungsergänzungsmittel oder zur Anreicherung von Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs fest.[17]

Der tägliche Bedarf wird üblicherweise durch die normale Nahrungsaufnahme mit etwa 1,5 mg / Tag (Frauen) bzw. 1,9 mg / Tag (Männer) gedeckt bzw. überschritten.[16]

Bei ausreichender Versorgung zirkulieren etwa 100 mg Vitamin B2 im Körper, der Bedarf kann dadurch für mehrere Wochen gedeckt sein.[16]

Mangelerscheinungen

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Ausgrätschen infolge Riboflavinmangels bei einem Küken
Klassifikation nach ICD-10
E53.0 Riboflavinmangel
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ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Bei normaler Ernährung treten keine Mangelerscheinungen auf. Allerdings kann es bei Schwangeren, Alkoholkranken, Personen mit Resorptionsstörungen (chronische Gastroenteritis, Zöliakie, Antibiotikatherapie oder Einnahme von Antazida[16]) oder Lebererkrankungen zu Mangelerscheinungen kommen.[18] Häufig tritt eine Unterversorgung zusammen mit anderen B-Vitaminen auf.[16]

Eine Besonderheit ist der als „metabolic trapping“ bezeichnete Effekt.[16] Da Riboflavin größtenteils in proteingebundener Form (FAD) vorliegt, führt ein Proteinmangel, beispielsweise als Folge einer Unterernährung, gleichzeitig zu einem Absinken des Riboflavinbestandes. Ohne gleichzeitige Zufuhr von Proteinen wird selbst bioverfügbares Riboflavin nicht mehr aufgenommen; daher geht ein Proteinmangel mit einem Vitamin B2-Mangel einher.

Klinisch manifestiert sich ein solcher Mangel eher unspezifisch in Exanthemen, Hautrissen (insbesondere an den Lippen bzw. allg. im Mundwinkel und speziell dort als Cheilosis), Zungenentzündung, Atrophie und Trockenheit der Rachenschleimhaut und der Speiseröhre.[16] Hautveränderungen im Bereich vom Gesicht (seborrhoische Dermatitis) können sich auf andere Körperbereiche wie den Anus, die Vulva oder Vagina, erstrecken. Nägel werden hart, glanzlos und brüchig (Koilonychie). Außerdem wurde eine Lichtüberempfindlichkeit beobachtet, bei den Augen kommt es zu Lid- und Bindehautentzündungen. Zudem treten Befindlichkeitsstörungen, insbesondere neurotische Symptome wie Hypochondrie, Depression und Hysterie auf.[16]

Diese Hypovitaminose heißt Ariboflavinose oder B2-Avitaminose.[18][19] Zur Früherkennung eines Riboflavin-Mangels kann der EGRAC bestimmt werden.

Akuter Riboflavin-Mangel betrifft auch Menschen, die unter dem Brown-Vialetto-van-Laere-Syndrom leiden, da der Riboflavin-Transport bei ihnen durch einen Gendefekt gestört ist.[20] Bei Neugeborenen kann ein Riboflavinmangel durch eine Phototherapie zur Behandlung einer Hyperbilirubinämie auftreten – Riboflavin ist lichtempfindlich und wird durch das Licht zerstört.[21]

Wegen der unzureichenden Datenlage ist eine verlässliche Risikobewertung bei einer Überdosierung nicht möglich; ein Tolerable Upper Intake Level (UL) wurde daher nicht abgeleitet.[17] Vitamin B2-abhängige unerwünschte Wirkungen wurden durch eine Überdosierung nicht nachgewiesen.[11] Die Einnahme größerer Mengen des Vitamins führt allenfalls zu einer intensiven Gelbfärbung des Urins.[16]

Durch die begrenzte Löslichkeit, Absorption und rasche Eliminierung wird die (akute oder chronische) Toxizität einer Überdosierung als gering betrachtet.[16] Aus physiologischen Gründen ist die Einnahme hoher Dosen jedoch wenig sinnvoll.

Die Verfügbarkeit Riboflavins wird durch einen Urintest ermittelt – ein Mangel liegt bei Werten von unter 40 µg/g Kreatinin vor.[22] Zudem ist die Glutathionreduktaseaktivität in den Erythrozyten ein empfindliches Maß.

Das wasserlösliche, hitzestabile und lichtempfindliche Riboflavin wurde 1962 als einer der ersten Lebensmittelzusatzstoffe durch die Richtlinie des Rats zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für färbende Stoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen in der EWG zugelassen und erhielt die E-Nummer E 101. Auch in der aktuellen Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 wird es aufgeführt und ist dadurch in der EU und den anderen Ländern des EWR als Lebensmittelfarbstoff zugelassen. In der Verordnung wird auch geregelt, dass eine Verwendung nur in bestimmten Lebensmitteln zulässig ist. Riboflavin darf dabei ohne Mengebegrenzung (quantum satis) verwendet werden. In der Schweiz ist die Verwendung sinngemäß durch die Zusatzstoffverordnung geregelt.[23]

Neben der Verwendung als Lebensmittelfarbstoff wird industriell hergestelltes Vitamin B2 für Vitaminpräparate genutzt. Zudem fließen etwa 70 %[14] der weltweiten Produktion als Futtermittelergänzung in die Tierhaltung, wodurch die Tiermast gesteigert wird.[15]

Die industrielle Produktion betrug 2002 weltweit 4000 Tonnen pro Jahr, 2015 steigerte sich diese auf 9000 Tonnen pro Jahr.[14] Weltweite Produzenten sind BASF, DSM, Hubei Guangji Pharmaceuticals und Shanghai Acebright Pharmaceuticals. Größtenteils wird Riboflavin biotechnologisch mittels A. gossypii, C. famata var. flareri und B. subtilis erzeugt.

Riboflavin wird ferner zur Kontrolle von Reinigungsprozessen (Flächen, Hände etc.) in der Pharmaindustrie eingesetzt, da es auch in geringer Konzentration bei UV-Licht leuchtet und damit gut sichtbar ist.

In der Medizin kann es auch als Photosensibilisator eingesetzt werden. So wird es beispielsweise zur Quervernetzung von Kollagen in der menschlichen Hornhaut verwendet, was als Behandlung von Keratokonus dienen kann.[24] Zudem findet es auch als Compliancemarker für Medikamente Verwendung, da überschüssiges Riboflavin den Urin intensiv gelblich verfärbt.[10]

Gemäß S1-Leitlinie für Diagnostik und Therapie in der Neurologie der DGN kann eine Kombinationstherapie von hochdosiertem Vitamin B2 (Tagesdosis von 2 × 200 mg), Magnesium und Ubichinon-10 die Schwere der Migräneattacken, allerdings nicht die Häufigkeit reduzieren.[25] Aussagen zu einer Migräneprophylaxe sind nur mit geringerer wissenschaftlicher Evidenz behaftet.

Einzelnachweise

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  1. Eintrag zu E 101: Riboflavins in der Europäischen Datenbank für Lebensmittelzusatzstoffe, abgerufen am 16. Juni 2020.
  2. Eintrag zu RIBOFLAVIN in der CosIng-Datenbank der EU-Kommission, abgerufen am 18. September 2021
  3. Eintrag zu LACTOFLAVIN in der CosIng-Datenbank der EU-Kommission, abgerufen am 28. Dezember 2020.
  4. a b c d Eintrag zu Riboflavin. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 9. Dezember 2014.
  5. Konrad Bingold, Walther Stich: Diagnose und Therapie der Hämoglobinstoffwechselstörungen. In: Münchener Medizinische Wochenschrift. Band 95, Nr. 1, 2. Januar 1953, S. 76–79, hier: S. 77.
  6. a b c d Eintrag zu Riboflavin in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 25. Juni 2017. (JavaScript erforderlich)
  7. a b c d e f Christine A. Northrop-Clewes, David I. Thurnham: The discovery and characterization of riboflavin. In: Annals of Nutrition & Metabolism. Band 61, Nr. 3, 2012, S. 224–230, doi:10.1159/000343111, PMID 23183293 (englisch).
  8. Harold Levine, Roe E. Remington: The Vitamin G Content of Some Foods. In: The Journal of Nutrition. Band 13, Nr. 5, Mai 1937, S. 525–542, doi:10.1093/jn/13.5.525 (englisch).
  9. John Thomas Pinto, Richard Saul Rivlin: Riboflavin (Vitamin B2). In: Janos Zempleni et al. (Hrsg.): Handbook of Vitamins. 5. Auflage. CRC Press, 2014, ISBN 978-1-4665-1557-4, S. 194, doi:10.1201/b15413 (englisch).
  10. a b c d e Vitamin B2 – nötig für Oxidations- und Reduktionsvorgänge. Basiswissen Ernährung (Folge 10). In: Deutsche Apotheker Zeitung. 31. Januar 2007, abgerufen am 4. Dezember 2022.
  11. a b c d Vitamin B2 zur Nahrungsergänzung – ist es das Geld wert? In: Klartext Nahrungsergänzung. Verbraucherzentrale, 23. Februar 2022, abgerufen am 26. November 2022.
  12. Adelbert Bacher et al.: Biosynthesis of Vitamin B 2 (Riboflavin). In: Annual Review of Nutrition. Band 20, Nr. 1, Juli 2000, S. 153–167, doi:10.1146/annurev.nutr.20.1.153, PMID 10940330 (englisch).
  13. a b c d Klaus-Peter Stahmann et al.: Three biotechnical processes using Ashbya gossypii, Candida famata, or Bacillus subtilis compete with chemical riboflavin production. In: Applied Microbiology and Biotechnology. Band 53, Nr. 5, 15. Mai 2000, S. 509–516, doi:10.1007/s002530051649, PMID 10855708 (englisch).
  14. a b c d e Liudmila A. Averianova et al.: Production of Vitamin B2 (Riboflavin) by Microorganisms: An Overview. In: Frontiers in Bioengineering and Biotechnology. Band 8, 2020, S. 570828, doi:10.3389/fbioe.2020.570828, PMID 33304888, PMC 7693651 (freier Volltext) – (englisch).
  15. a b c d Klaus-Peter Stahmann, Hans-Peter Hohmann: Vitamine, Nukleotide und Carotinoide. In: Hermann Sahm et al. (Hrsg.): Industrielle Mikrobiologie. 1. Auflage. Springer, Berlin, Heidelberg 2013, ISBN 978-3-8274-3040-3, S. 132–139, doi:10.1007/978-3-8274-3040-3_7.
  16. a b c d e f g h i j k l m n o Helmut Heseker, Anna Stahl: Vitamin B2 (Riboflavin). (PDF) In: Ernährungs-Umschau. Oktober 2008, abgerufen am 26. November 2022.
  17. a b c Höchstmengen für Vitamin B1, Vitamin B2 und Pantothensäure in Lebensmitteln inklusive Nahrungsergänzungsmitteln. (PDF) In: Bundesinstitut für Risikobewertung. 2021, abgerufen am 26. November 2022.
  18. a b Ariboflavinose. In: Pschyrembel Online. März 2022, abgerufen am 28. November 2022.
  19. Ludwig Weissbecker: B2-Avitaminose (Ariboflavinose). In: Ludwig Heilmeyer (Hrsg.): Lehrbuch der Inneren Medizin. Springer-Verlag, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 1092 f.
  20. Annet M. Bosch et al.: The Brown-Vialetto-Van Laere and Fazio Londe syndrome revisited: natural history, genetics, treatment and future perspectives. In: Orphanet Journal of Rare Diseases. Band 7, 29. Oktober 2012, S. 83, doi:10.1186/1750-1172-7-83, PMID 23107375, PMC 3517535 (freier Volltext) – (englisch).
  21. Hassan Jomaa: Vitamin B2. In: Axel M. Gressner, Torsten Arndt (Hrsg.): Lexikon der Medizinischen Laboratoriumsdiagnostik. 3. Auflage. Springer, 2019, ISBN 978-3-662-48987-1, S. 2461, doi:10.1007/978-3-662-48986-4.
  22. Hansjosef Böhles: Vitaminmangelkrankheiten. In: Georg F. Hoffmann et al. (Hrsg.): Pädiatrie: Grundlagen und Praxis. 5. Auflage. Band 2. Springer, Berlin, Heidelberg 2020, ISBN 978-3-662-60300-0, S. 375, doi:10.1007/978-3-662-60300-0_35.
  23. Verordnung des EDI über die zulässigen Zusatzstoffe in Lebensmitteln. (PDF) Das Eidgenössische Departement des Innern (EDI), 1. Juli 2020, abgerufen am 23. Januar 2022.
  24. Frederik Raiskup, Eberhard Spoerl: Corneal crosslinking with riboflavin and ultraviolet A. I. Principles. In: The Ocular Surface. Band 11, Nr. 2, April 2013, S. 65–74, doi:10.1016/j.jtos.2013.01.002, PMID 23583042 (englisch).
  25. Hans-Christoph Diener et al.: Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne. (PDF) Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. In: AWMF. Deutsche Gesellschaft für Neurologie, 2018, S. 33, abgerufen am 27. November 2022.