In der algebraischen Geometrie ist die Schnittzahl, Vielfachheit oder Schnittmultiplizität eine Eigenschaft eines Schnittpunktes zweier ebener algebraischer Kurven. Es ist eine positive, ganze Zahl, die angibt, wie oft ein Schnittpunkt in bestimmten Kontexten gezählt werden muss.
Anschaulich misst die Schnittzahl, wie "eng" die beiden Kurven sich im Schnittpunkt berühren. So ist z. B. die Schnittzahl der beiden Kurven
und
im Ursprung 1, während die beiden Kurven
und
im Ursprung die Schnittzahl 3 haben.
- Sei
ein algebraisch abgeschlossener Körper und seien
und
ebene affine algebraische Kurven in
. Die Schnittzahl von
und
im Punkt
wird mit
bezeichnet und ist definiert durch:
![{\displaystyle I(P,F\cap G):=\dim _{k}\left({\mathcal {O}}_{P}(k^{2})/(F,G)\right)}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/3715ac3fe2895f64e0b348bea9130c5cebbd7fc9)
Dabei bezeichnet
den im Punkt
lokalisierten Ring der regulären Funktionen
der affinen Varietät
.
und
schneiden sich eigentlich in
, wenn sie keine gemeinsame Komponente haben, die
enthält.
und
schneiden sich transversal in
, wenn
ein Einfachpunkt beider Kurven ist und die Tangenten beider Kurven in diesem Punkt verschieden sind.
Die Schnittzahl weist folgende Eigenschaften auf:
- Falls sich
und
in
eigentlich schneiden, ist
eine nicht-negative ganze Zahl, ansonsten ist
.
. Es ist
nur von den Komponenten von
und
abhängig, welche durch
gehen.
- Sei
eine affine Koordinatentransformation von
mit
, dann gilt: ![{\displaystyle I(P,F\cap G)=I(Q,F\circ T\cap G\circ T)}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/6d21e3e1a4071f88e3799812d7dd034a8563142e)
![{\displaystyle I(P,G\cap F)=I(P,F\cap G)}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/fdc7a3a9eba97d06f650d865d88e738dce1b576a)
mit Gleichheit genau dann, wenn
und
in
keine gemeinsamen Tangenten haben.
- Falls
und
, dann gilt: ![{\displaystyle I(P,F\cap G)=\sum _{i,j}r_{i}s_{j}I(P,F_{i}\cap G_{j})}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/d6c576cff9791ba6ff3dbfbf0a5302fcf8e2e9ea)
![{\displaystyle I(P,F\cap G)=I(P,F\cap (G+AF))\quad \forall A\in {\mathcal {O}}(k^{2})}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/07afe4b5f8e4cefe401b59b7af660756575250b4)
- Wenn
ein Einfachpunkt von
ist, dann gilt
.
- Wenn
und
keine gemeinsamen Komponenten haben, so gilt: ![{\displaystyle \sum _{P\in k^{2}}I(P,F\cap G)=\dim _{k}\left({\mathcal {O}}(k^{2})/(F,G)\right)}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/218c117332d7b15777fe65008a6c4a9418bfc0f4)
Durch diese Eigenschaften ist die Schnittzahl zugleich eindeutig bestimmt.
Sei
ein algebraisch abgeschlossener Körper von Charakteristik
und
sowie
. Man findet folgende Schnittpunkte:
. In diesem Fall liegen die Punkte in einer gemeinsamen Komponente
von
und
, also gilt: ![{\displaystyle I((1,y),F\cap G)=\infty }](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/01226b77dbc6b87718533ddd44b5d8e8a7b8f727)
: Unter Benutzung der Eigenschaften der Schnittzahl berechnet man:
![{\displaystyle I((0,0),F\cap G)=I((0,0),(Y^{2}-X^{3})^{2}\cap (Y^{2}-X^{3}-X^{2}))}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/41e0673771210258dfa67896f841de6901156a9b)
![{\displaystyle =2\cdot I((0,0),(Y^{2}-X^{3})\cap (Y^{2}-X^{3}-X^{2}))=2\cdot I((0,0),(Y^{2}-X^{3})\cap X^{2})}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/98bb13de1a88006a60fbfa5fe9c296b3485e0651)
![{\displaystyle =2\cdot m_{(0,0)}(Y^{2}-X^{3})\cdot m_{(0,0)}(-X^{2})=2\cdot 2\cdot 2=8}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/898b36620c36eb8a98171d1709e700b907f1c368)
Durch Einführen homogener Koordinaten lässt sich Definition der Schnittzahl auf projektive ebene Kurven ausdehnen. Der Satz von Bézout besagt dann, dass für projektive ebene Kurven
ohne gemeinsame Komponenten gilt:
![{\displaystyle \sum _{P\in \mathbb {P} ^{2}(k)}I(P,F\cap G)=\deg F\cdot \deg G}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/cf67de71eb139b82d98493d5007085ea98d081d7)
Hierbei ist
der Grad des homogenen Polynoms, das die projektive Kurve
definiert.
Beschränkt man sich auf affine ebene Kurven ohne gemeinsame Komponenten, gilt hingegen nur die Ungleichung:
![{\displaystyle \sum _{P\in k^{2}}I(P,F\cap G)\leq \deg F\cdot \deg G}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/01b5eac8c506d8459c3d82598aec56ceeff40927)
Eine Verallgemeinerung auf Varietäten höherer Dimensionen ist möglich, siehe dazu das mit dem Leroy P. Steele Prize ausgezeichnete Werk „Intersection Theory“ von William Fulton.
- William Fulton: Algebraic Curves. An Introduction to Algebraic Geometry. Mathematics lecture note series, 30. Benjamin/Cummings, New York 1969, ISBN 0-201-51010-3
- William Fulton: Intersection Theory. Ergebnisse der Mathematik und ihrer Grenzgebiete. Folge 3. Springer, Berlin 1998, ISBN 3-540-62046-X