Balbuta
Balbuta ist eine fiktionale Plansprache. Erstmals beschrieben und verwendet wurde sie im Roman Сабакі Эўропы (2017)[A 1] von Alhierd Bacharevič. Der Roman liefert den Basiswortschatz, die komplette Grammatik sowie zahlreiche Anwendungsbeispiele in Dialogen und einem Gedicht.[1] Mittlerweile wird Balbuta auch außerhalb dieser Fiktion verwendet, u. a. in einem Blog und auf Social Media.[2] Balbuta weist apriorische und aposteriorische Merkmale auf. Der Basiswortschatz umfasst „einige hundert Wörter […] die uns alle benötigten Wurzeln und Trümpfe liefern“, das Vokabular steht jedoch weiteren Wortschöpfungen und der Entlehnung von Fachbegriffen offen.[3] Die Grammatik besteht aus zehn einfachen Regeln.[4] Es gibt weder Deklination, noch Konjugation. Geschrieben wird Balbuta mit lateinischen Buchstaben ohne diakritische Zeichen.
Balbuta | ||
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Projektautor | Alhierd Bacharevič und Aleh Alehavič (Romanfigur)[A 2] | |
Jahr der Veröffentlichung | 2017 | |
Linguistische Klassifikation |
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Sprachcodes | ||
ISO 639-2 |
art (sonstige konstruierte Sprachen) |
Name
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Roman bleibt die Etymologie des Sprachnamens vorsätzlich vage: „Ich nannte sie Balbuta. Gott allein wusste, warum. Und dieser Gott war ich.“[5], berichtet der belarussische Ich-Erzähler Aleh Alehavič. Über ihn erfährt man, dass er sich seit der Kindheit für die Plansprache Esperanto interessierte. Balbuta leitete sich also möglicherweise aus dem esperantischen Verb balbuti ab, das so viel wie „stottern“, „stammeln“, „lallen“, „radebrechen“, „sich ungeschickt ausdrücken“ bedeutet und seinerseits auf das lateinische Verb balbutire zurückgeht.[2] Auf Balbuta umfasst das Wort balbuta ein weites Bedeutungsfeld: „Sprache. Wort. Geschichte. Erzählung. Antwort. Frage […] Titel, Aussage, Botschaft, Brief, Mitteilung und so weiter.“[6]
Prämissen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Autor Alhierd Bacharevič lässt die fiktive Romanfigur Aleh Alehavič[A 3] als Erfinder von Balbuta auftreten. Alehavič versucht, „die sprachlichen und politischen Probleme in Belarus mit der Neuschöpfung einer Sprache zu lösen“.[7] Seine konstruierte Sprache soll dabei fünf Prämissen gerecht werden. Laut Alehavič müsse Balbuta:
- 1) logisch und leicht zu erlernen sein,
- 2) wohlklingend und musikalisch sein,
- 3) poetisch sein, Poesie hervorbringen und Geheimnisse in sich bergen können,
- 4) seine eigene Philosophie transportieren, d. h. das Denken der Sprecher hin zu „Vielfalt, Freiheit und Poesie“ lenken,
- 5) flexibel sein, Freiräume lassen und sich an Sprecherbedürfnisse anpassen.[3]
Bei der Konstruktion von Balbuta habe Alehavič sich am Litauischen (Wohlklang, Musikalität), an Esperanto (Wohlklang, Freiheit), Toki Pona (Rationalität, Bewusstsein), slawischen Mundarten („beginnender Wahnsinn“) sowie an fernöstlichen Schriftzeichen (Vieldeutigkeit) orientiert.[3] Ganz im Sinne von Prämisse #4 gibt es in Balbuta weder Phraseme, noch kategorische Wertungen oder eindeutige Hierarchien. Wörter wie „richtig“, „müssen“, „wir“ oder „Gott“ fehlen vorsätzlich. Dies soll dazu anregen, eine „freie, unabhängige, autarke, schöpferische Persönlichkeiten zu sein“.[4] Je nach Kontext kann das Wort suta auf Deutsch „Mensch“, „Mann“, „Frau“, „Kind“ oder „Tier“ (und hierbei jedwede Tierart) bedeuten; umja lässt sich u. a. mit „viel(e)“, „alles“, „jede(r)“, „groß“, „sehr“ oder „besonders“ übersetzten.
In der von Thomas Weiler besorgten deutschen Romanübersetzung blieb Balbuta „weitgehend unberührt“. Für Leser ohne Kenntnisse slawischer Sprachen hat er einige wenige Konstruktionen angepasst, um Bezüge sichtbar zu machen.[2]
Grammatik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Phonetische Regeln
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Phonetik ist nur mininmal geregelt, lässt also große Freiheit beim Erreichen des Ideals von Wohlklang und Musikalität: „Balbu akkou tau aluzu. Sprich wie du willst.“[8]
- „s“ wird stets stimmlos und „z“ stets stimmhaft ausgesprochen.
- Zischlaute gibt es nicht.
- Nach Vokalen wird ein „j“ wie „i“ gesprochen.
- In der Regel wird die vorletzte Silbe betont. Bei Nomen im Plural oder flektierten Formen[A 4] liegt die Betonung jedoch immer auf dem „u“ des Suffixes:
Balbuta | Deutsch |
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trudúta | der Stein |
trudútika | die Steine |
trudútikama | die Steine, den Steinen, der Steine |
Nomen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Die Singularendung ~uta wird bei flektierten Formen zu ~utima erweitert.
- Bei der Pluralendung ~utika lautet die flektierte Formen ~utikama.
- Der Verkleinerungssuffix lautet ~utko. Verkleinerungen sind nicht flektierbar.
Balbuta (unflektiert) | Deutsch | Balbuta (Imperativ) | Deutsch | |
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Singularform | O truduta. | Das ist ein Stein. | Kusu trudutima ! | Iss einen Stein ! |
Pluralform | O trudutika. | Das sind Steine. | Kusu trudutikama ! | Iss Steine ! |
Verkleinerungsform | O trudutko. | Das ist ein Steinchen. Das sind Steinchen. |
Kusu trudutko ! | Iss ein Steinchen ! Iss Steinchen ! |
- Berufs- und Betätigungsbezeichnungen werden aus dem jeweiligen Verb mit den Suffixen ~ask (maskulin) und ~unja (feminin) gebildet. Der Plural wird zudem durch ein ~o am Ende markiert.
- Beispiel: Verb = gajuzu (heilen)
maskulin | feminin | |
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Singular | gajask | gajunja |
Plural | gajasko | gajunjuo |
- Mit dem Kollektivsuffix ~elje steht für die Gesamtheit von Lebewesen oder Dingen. Um diesen Suffix anzuhängen, wird der Endvokal der Singular- bzw. Pluralform reduziert.
- dreuta (Baum) → deutejle (Wald, Park)
- grimuta (Musik) → grimutejle (Band, Orchester)
Verben
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Verben enden auf ~uzu und werden nicht flektiert.
- Die von der Gegenwartsform (Indikativ Präsens) abweichenden Formen werden mittels Partikel gebildet, das dem Verb vorangeht.
- Im Imperativ wird der Suffix auf ~u reduziert.
Tempus / Modus | Partikel | Beispiel | Deutsch |
---|---|---|---|
indikative Gegenwartsform | — | Tau kusuzu trudutima. | Du isst einen Stein. |
indikative Vergangenheitsform | bim | Tau bim kusuzu trudutima. | Du hast einen Stein gegessen. / Du aßt einen Stein. |
indikative Zukunftsform | bu | Tau bu kusuzu trudutima. | Du wirst einen Stein essen. |
Konjunktiv | bif | Tau bif kusuzu trudutima. | Du würdest einen Stein essen. |
Imperativ | — | Kusu trudutima ! | Iss einen Stein ! |
Eigenschaftswörter
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Adjektive tragen den Suffix ~oje und werden nicht flektiert.
- O truduta trudoje. (Das ist ein harter Stein.)
- Der Komparativ wird mit dem Suffix ~ing gebildet.
- Tau truduta trudoing mau. (Dein Stein ist härter als meiner.)
- Es gibt keinen Superlativ.
- Adverbien und Partizipien tragen den Suffix ~oju.
- Vigoju kusuzu trudutima. (Es ist schwierig, einen Stein zu essen.)
Personal- und Possessivpronomen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Balbuta kennt nur Singularformen:
Personalpronomen | Deutsch | Possessivpronomen | Deutsch | |
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au | ich | ! | mau | mein~ |
tau | du | = | tau | dein~ |
nau | er, sie, es | = | nau | sein~, ihr~, sein~ |
- Pluralformen gibt es nicht, weshalb diese Information anderweitig umschrieben werden muss, z. B. durch die Kombination von Singularformen:
- Bim kronk au. (Wir waren zu viert. → wörtlich: Waren vier Ichs.)
Zahlen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Kardinalzahlen entsprechen den Ordinalzahlen:
Balbuta | Ziffer | Deutsch |
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zironk | 0 | null |
onk | 1 | eins / erste(r) |
donk | 2 | zwei / zweite(r) |
tronk | 3 | drei / dritte(r) |
kronk | 4 | vier / vierte(r) |
skonk | 5 | fünf / fünfte(r) |
sonk | 6 | sechs / sechste(r) |
sidonk | 7 | sieben / siebente(r) |
otonk | 8 | acht / achte(r) |
nonk | 9 | neun / neunte(r) |
dzonk | 10 | zehn / zehnte(r) |
stonk | 100 | hundert / hundertste(r) |
tisonk | 1.000 | tausend / tausendste(r) |
millionk | 1.000.000 | Million / millionste(r) |
Bei höheren Zahlen wird ein „i“ eingeschoben. Dazu gibt es im Romantext und im Grammatik-Beiheft lediglich Beispiele[9], keine fixierte Bildungsregel:
- stonk skonkitronk = 153
- tisonk donkisidonk nonk = 1.279
Beispieltexte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Deutscher Originaltext und balbutanische Übersetzung:
Deutsch | Balbuta |
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Abendlied von Matthias Claudius[10]
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Tajnogrimuta timnutima parou Matthias Claudius[11] |
Herkunft: [1] bzw. „Legoing klinkutima“ (dt.: Leichter als Papier), in: Bacharevič, Europas Hunde (Seite 148). --Leserättin (Diskussion) 09:57, 18. Dez. 2024 (CET)
Trivia
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Alhierd Bacharevič hat den 10. Januar zum Internationalen Balbuta-Tag ernannt.[2]
Anmerkungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Auf Deutsch erschien der Roman 2024 unter dem Titel Europas Hunde. Auf Balbuta hieße der Roman Psautika Europoje.
- ↑ Im Interview stellt Bacharevič die Neuschöpfung als ein Gemeinschaftsprojekt dar: „Üblicherweise wurden ja künstliche Sprachen für die Verständigung zwischen verschiedenen Völkern konstruiert. Aleh Alehavič und ich haben uns dagegen eine Sprache mit einer geradezu entgegengesetzten Motivation ausgedacht: um Rätsel aufzugeben und ein Geheimnis zu bewahren.“, in: Nina Weller und Yaraslava Ananka, Weltliteratur aus Belarus: Gespräch mit Al’herd Bacharevič und Thomas Weiler auf: novinki.de (12. Juli 2023), abgerufen am 14. Dezember 2024 (Hervorhebung nicht im Original).
- ↑ Aleh Alehavič aka Oleg Olegowitsch aka OO ist der Ich-Erzähler des Kapitels „Wir sind leicht wie Papier“ in Europas Hunde (S. 11–148). Bei der Erweiterung des Wortschatzes wird er von Dzianis Kazłovič und Natalija Jaŭhienaŭna Kaškan unterstützt.
- ↑ Flektierte Formen würden z. B. bei der Übersetzung von deutschen Akkusativ- oder Dativobjekten verwendet.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Альгерд Бахарэвіч, Сабакі Эўропы, Logvino literatūros namai, Vilnius 2017.
- Alhierd Bacharevič, Europas Hunde. Aus dem Belarussischen von Thomas Weiler. Verlag Voland & Quist, Berlin und Dresden, 2024, ISBN 978-3-86391-315-1 – inklusive Einlegeheft: Natalie von Steinfresser (Hrsg.), BALBUTA Grammatik und Wörterbuch. Variante Kaštanka.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Balbutanischer Weblog balaguta (2022ff), abgerufen am 14. Dezember 2024.
- Grammatik von Balbuta nebst Wörterbuch (Variante Kaštanka): Natalie von Steinfresser (Hrsg.), GRAMUTA BALBUTIMA 2022 | БАЛЬБУТА Граматыка і слоўнік Варыянт Каштанкі., auf: balbuta.tilda.ws (2022), abgerufen am 14. Dezember 2024 (belarussisch, balbutanisch).
- Textauszug aus Собаки Европы mit Sprachregeln: Язык должен давать свободу, auf: budzma.org (11. Mai 2019), abgerufen am 14. Dezember 2024 (russisch).
- Kurze balbutanische Lesung anlässlich des Balbuta-Tags: Alhierd Bacharevic aluminuzu us Ujmaistoje Dinutima Balbutima-2022, auf: youtube.com (9. Januar 2022), abgerufen am 14. Dezember 2024.
- Musik mit Texten auf Balbuta:
- Von der tschechischen Musikerin Vesna Cáceres vertonte Eingangszeilen des Gedichtes Legoing klinkutima, auf: youtube.com (13. Oktober 2019), abgerufen am 15. Dezember 2024.
- Album der Band Psautika Europoje, Grimuta a amilutima da samutima, auf: youtube.com (09. Mai 2022), abgerufen am 15. Dezember 2024.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Julia Rosche, Im Portrait: Thomas Weiler, auf: tralalit.de (8. November 2024), abgerufen am 14. Dezember 2024.
- ↑ a b c d Thomas Weiler, Alhierd Bacharevič: „Europas Hunde“, auf: fussnoten.eu (14. Dezember 2023), abgerufen am 14. Dezember 2024.
- ↑ a b c Bacharevič, Europas Hunde (Seite 34f).
- ↑ a b Natalie von Steinfresser (Hrsg.), BALBUTA Grammatik und Wörterbuch, in: Bacharevič, Europas Hunde (2024).
- ↑ Bacharevič, Europas Hunde (Seite 24f).
- ↑ Bacharevič, Europas Hunde (Seite 35 und 38).
- ↑ Nina Weller und Yaraslava Ananka, Weltliteratur aus Belarus: Gespräch mit Al’herd Bacharevič und Thomas Weiler auf: novinki.de (12. Juli 2023), abgerufen am 14. Dezember 2024.
- ↑ Natalie von Steinfresser (Hrsg.), BALBUTA Grammatik und Wörterbuch (Sechste Regel, Seite 6).
- ↑ Bacharevič, Europas Hunde (Seite 39) sowie Natalie von Steinfresser (Hrsg.), BALBUTA Grammatik und Wörterbuch (Neunte Regel, Seite 7).
- ↑ Die erste von sieben Strophen aus Matthias Claudius’ „Abendlied“, nach: Johann Heinrich Voß (Hrsg.): Musen Almanach für 1779. L. E. Bohn, Hamburg 1778, (S. 184–186).
- ↑ Übersetzt aus dem Deutschen von Thomas Weiler, auf: balbuta.tilda.ws (8. April 2023), abgerufen am 14. Dezember 2024.